Wir wollen keine Experimente auf dem Rücken von Mitarbeitern und Kunden. Das Programm Lenkrad ist bisher eher ein Potpourri gängiger Unternehmensberatungsstandards, aber kein strategisches Konzept. Wir erwarten, dass der Vorstand klare Perspektiven setzt: Wohin soll es gehen? Welche Ziele sollen mit welchen Mitteln und wann erreicht werden? – Dazu bedarf es eines Leitbildes, einer klaren Perspektive für das Unternehmen und seine Beschäftigten und Kunden. Und es bedarf einer gemeinsamen Grundlage. Alleingänge werden scheitern. Der Vorstandsvorsitzende und auch der Aufsichtsratsvorsitzende werden es nicht schaffen, in Wildwestmanier als die glorreichen Zwei der BVG den Weg in die Wettbewerbsfähigkeit freizuschießen. Sie müssen den Aufsichtsrat des Unternehmens einbinden, die Beschäftigten und ihre Vertretung auf den schwierigen Weg mitnehmen. Dazu bedarf es vertrauensbildender Maßnahmen, aber selbstverständlich auch Gestaltungswillen und Bewegung bei der Personalvertretung.
Die SPD-Fraktion will qualifizierte, sichere Arbeitsplätze, ein leistungsfähiges ÖPNV-Angebot mit niedrigem Subventionsbedarf, ein aktives, kundenorientiertes Unternehmen BVG. – Und wenn Sie, Herr Gram, hier in dieser Art und Weise dazwischenrufen, kann ich Ihnen nur sagen: Lesen Sie sich die Presseerklärung Ihres Fraktionsvorsitzenden durch.
[Beifall bei der SPD und der PDS – Schruoffeneger (Grüne): Aber Sie können die Probleme hier wenigstens beschreiben!]
Diese billige Brüllnummer, Herr Eßer, die Sie hier aufführen, die kennen wir von Ihnen bei jedem Thema. Aber dieses Thema ist uns zu ernst,
weil das Unternehmen BVG eine wichtige Rolle für die Stadt spielt, weil es dort viele Beschäftigte gibt, viele Kundeninteressen und viel Wirtschaftskraft für die Stadt. Die BVG hat in ihrer 75-jährigen Geschichte schon viele schwierige Phasen durchlebt. Ich bin zuversichtlich, dass mit dem gemeinsamen Willen, Lösungen zu finden, auch die aktuellen Herausforderungen gemeistert werden können und die Berliner Verkehrsbetriebe für Berlin erhalten bleiben. Die SPD wird ihren Beitrag dazu leisten. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Gaebler! – Das Wort für die Fraktion der CDU hat der Kollege Kaczmarek. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gaebler! Lösungen zu finden, dafür sind wir eigentlich alle miteinander hier in dieses Parlament gewählt worden.
Wir sollten uns nicht hinter Vorständen und Personalräten verstecken, Regierungsfraktionen sollten dies erst recht nicht tun. Keine Frage, die wirtschaftliche Situation der BVG ist angespannt, sie ist höchst Besorgnis erregend. Es
Wir müssen nicht nur Antworten auf die Fragen der Mitarbeiter finden, sondern auch auf die besorgten Fragen der Kunden des Unternehmens – Menschen, die sich manchmal bewusst für die umweltfreundlichen Ver
kehrsmittel Bus und Bahn entschieden haben, andere, die wegen ihres Alters oder ihrer finanziellen Lage auf die BVG-Verkehrsmittel angewiesen sind. Sie alle fragen sich zu Recht, ob sie nun für ihr umweltfreundliches Verhalten mit dem Abbau von Linien und Verbindungen bestraft werden. Wir sollten niemandem vormachen, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Aber unsere Antwort darf nicht sein: Ihr nutzt Bus und Bahn in vorbildlicher Weise, aber nun müsst ihr mehr bezahlen und bekommt weniger Leistung dafür. – Die Kundinnen und Kunden der BVG haben einen Anspruch auf ein schlüssiges und klares Gesamtverkehrskonzept.
Die schwierige finanzielle Situation der BVG ist im Übrigen keine Überraschung, auch wenn heute mancher überrascht tut. Wer es sehen wollte, konnte schon seit längerem die bedrohlich auseinander strebende Schere von Sanierungsplan und Sanierungsrealität sehen. Wer es hören wollte, konnte schon seit längerem aus dem Unternehmen hören, wie der Schuldenberg weiter anwuchs. Die Lage ist offensichtlich ernst. Die BVG hat mittlerweile einen Schuldenberg von über 1 Milliarde € angehäuft. Sie macht neben dem regelmäßigen Zuschuss ein jährliches Defizit von über 100 Millionen €, der Kostendeckungsgrad liegt bei unter 60 %, die Plätze der Fahrzeuge sind zu 15 % ausgelastet. Spätestens 2001 musste jedem klar sein, dass die Abweichung vom Sanierungspfad kein einmaliger Ausrutscher war, sondern zu einer dauernden Verwerfung wurde.
Nur wer sich ändert, wird in einem sich ändernden Umfeld erfolgreich sein können. Das gilt für die BVG in besonderem Maße. Klar ist auch, die Sanierung des Unternehmens ist ein steiniger und steiler Weg. Es wird keine Sanierung geben, von der nicht auch Mitarbeiter und Kunden belastet werden. Gerade deshalb sollten wir uns immer daran erinnern, dass wir hier nicht abstrakte Zahlenspielereien betreiben, sondern dass hinter jeder Zahl, hinter jedem wegfallenden Arbeitsplatz Menschen mit ihren Sorgen und Nöten stehen.
Wir sind den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier im Berliner Parlament etwas schuldig. Sie alle haben in den vergangenen Jahren Großes geleistet. Sie haben es nicht verdient, dass wir nur über die finanziellen Probleme ihres Unternehmens reden. Sie haben es schon gar nicht verdient, lediglich als lästiger Kostenfaktor betrachtet zu werden.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BVG haben unter hohem persönlichen Einsatz die politisch auseinander gerissenen Verkehrsnetze wieder verknüpft. Sie haben das marode Netz der BVG-Ost wieder aufgebaut und modernisiert. Teilweise sind sie heute noch dabei. Sie haben den Abbau von 28 000 Mitarbeitern auf mittlerweile unter 14 000 Mitarbeiter mitgetragen und die anfallende Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt. Sie haben mitgeholfen, Kosten zu senken, indem die Produktivität um mehr als 100 % gesteigert wurde. Wer erinnert sich heute noch an geschlossene Bahnhöfe, an unterbrochene Linien, an ausgeleierte Straßenbahngleise? – Dass Berlin heute wieder ein vorbildliches Verkehrsnetz hat, um das uns viele beneiden, ist auch ein Verdienst der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BVG. Dafür danke ich ihnen herzlich!
Es ist meine feste Überzeugung, dass die Politik auf diesen Einsatz nicht technokratisch und mit der Kaltschnäuzigkeit des Rechenschiebers reagieren darf. Wir müssen den Menschen in aller Klarheit und Offenheit die Lage verdeutlichen. Wir dürfen Ihnen nicht vormachen, dass es keine Veränderungen geben wird. Aber unsere Antwort darf nicht sein: Ihr habt viel geleistet, aber es war nicht genug. – Wir sind in der Pflicht, ihnen und dem Berliner Unternehmen BVG eine Perspektive anzubieten. Ich bin sicher, diese BVG mit ihren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verdient eine Chance, und sie hat eine Chance für die Zukunft. [Beifall bei der CDU]
Welche Gegenmaßnahmen wurden ergriffen? – Fehlanzeige. Im Bermudadreieck zwischen Verkehrssenator, Wirtschaftssenator und Finanzsenator verschwanden alle Initiativen, wenn es denn welche gegeben hat. Diese Zuständigkeitsaufteilung ist nichts als die organisierte Verantwortungslosigkeit. Die drei Herren haben so die Möglichkeit, ein elegantes Zuständigkeitspingpong zu spielen. Der Aufsichtsratsvorsitzende, Finanzsenator Sarrazin, schiebt die Verantwortung auf den Aufgabenträger, Verkehrssenator Strieder, der wiederum auf die Betriebeaufsicht, Wirtschaftssenator Wolf. So ist am Ende niemand verantwortlich, aber alle haben mitgeredet. So geht es nicht weiter. Der Senat muss endlich das Unzuständigkeitschaos beseitigen und eine Gesamtkonzeption zur Sanierung der BVG vorlegen.
Davon sind wir allerdings weit entfernt. Stattdessen können wir die altbekannten Reflexe beobachten. Senator Sarrazin schert sich um verkehrspolitische Belange keinen Deut. Mögen sich andere um Verkehrsbewältigung, Umweltschutz und Funktionsfähigkeit einer Großstadt scheren, er interessiert sich nur für seelenlose Zahlenakrobatik. Um noch etwas Geld für die BVG zusammenzukratzen, riskiert er den Streit mit der Deutschen Bahn und verschiebt Millionen Euro von der Senat-Bahn zur BVG. Dass er eine neue Lücke aufreißt, um eine andere zu schließen, ist dabei vollkommen egal. Dass er damit die Bundesmittel für die Zukunft aufs Spiel setzt – egal. Dass er damit einen unnötigen Streit mit einem der größten Arbeitgeber und Investoren unserer Stadt vom Zaun
Dann kam Herr Strieder noch auf eine wunderbare Idee. Er sagte sich, dass man für die gesamte Misere einen
Sündenbock finden müsse. Da das schon einmal so gut geklappt hat, kann das eigentlich nur die große Koalition sein. Ihm kommt dabei zu Gute, dass bei diesem Thema die SPD ständig unter kollektivem Gedächtnisschwund leidet. „Was war da noch mal, zwischen 1990 und 2001? Muss wohl eine Alleinregierung der CDU gewesen sein.“ – Nur noch einmal zur Erinnerung, meine Damen und Herren von der SPD: Sie waren in dieser ganzen Zeit Regierungspartei. Herr Strieder war integraler Bestandteil der heute so verhassten großen Koalition. Wohlgemerkt, er war nicht integrierender Bestandteil, sondern eher intrigierender Bestandteil.
Ich kann an den Senat nur die Frage stellen: Wissen Sie, was die Gewährträgerversammlung der BVG ist? Das ist das Gremium der Gesellschafter, gewissermaßen der Oberaufsichtsrat. Hier liegen alle internen Zahlen der BVG vor, die nackten Zahlen, die im Parlament immer nur in geschönter, geglätteter Form vorgelegt werden. Die Gewährträgerversammlung hat das Recht und die Pflicht, das Geschäftsgebaren der BVG zu kontrollieren, sogar Beschlüsse des Aufsichtsrats aufzuheben. Mehrere Senatoren sind dort Mitglied. Warum haben sie nicht rechtzeitig eingegriffen? – Damit ist klar: Der Senat ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
bricht – egal. Herr Sarrazin verfährt nach der Devise: „Lieber auf einen guten Freund verzichten, als auf einen guten Cent.“
Die Folgen dieser unbedachten Aktion werden sein, dass Linien bei der Senat-Bahn gekürzt oder eingestellt werden, das Personal auf den Bahnhöfen wird verschwinden, ein beispielhaftes Verkehrsnetz wird geschleift. Hauptsache, Herr Sarrazin hat sich für einen Augenblick Luft verschafft. Das ist keine langfristige Gesamtkonzeption, das ist kurzsichtige Flickschusterei. Wir fordern Sie auf, Herr Sarrazin, nehmen Sie die Finger aus der S-Bahnkasse!
Der Betriebeaufseher Herr Wolf verfährt ganz anders. Offenkundig nach der Maxime: „Niedriges Profil wahren“ ist von ihm in der Sache nichts zu hören. Er hat diese Lebenseinstellung mittlerweile so verinnerlicht, dass er hinter seinen Aktenbergen in der Martin-Luther-Straße auch dann nicht hervorkommt, wenn ein bedeutender Bahntechnikhersteller den Grundstein für ein neues Werk in Berlin legt. Betriebaufsicht ist offensichtlich, wenn die Betriebe gegen die Wand fahren, und der Aufseher guckt weg. Herr Wolf, bei all den Akten, durch Sie sich durchfressen, wäre es schön, wenn Sie auch die reale Welt zur Kenntnis nehmen würden. Wie will ein Wirtschaftssenator Unternehmen in die Stadt holen. wenn er nicht einmal den landeseigenen Unternehmen seine Aufmerksamkeit zuwendet. Nehmen Sie Ihre Aufgaben endlich wahr!
Den Vogel schießt wie immer Senator Strieder ab. Er schwingt sich munter auf den fahrenden Zug und beschimpft die BVG als vertragsbrüchig. Weil die BVG die Sanierungsziele nicht einhält, ist sie ein Vertragsbrecher. Und – unausgesprochen –: Dann muss sich das Land Berlin auch nicht mehr an den Vertrag halten. Gut gebrüllt, Löwe! Leider übertönt das Haltet-den-DiebGeschrei von Herrn Strieder nicht die Tatsachen. Es war der Verkehrssenator Strieder, der die Tariferhöhung bei BVG und S-Bahn über Monate verzögert und einige selbstgestrickte Lieblingstarife eingeführt hat. Zahlen mussten die Fahrgäste die höheren Tarife so oder so. Aber die Verzögerung und Strieders Tarifflops führten zu dreistelligen Millionenverlusten bei den Verkehrsbetrieben. Wo war da die Vertragstreue des Verkehrssenators? Da, wo der Verkehrssenator der BVG hätte helfen können, die gesteckten Ziele erreichen, hat er Hemmschuhe aufs Gleis geworfen. Die Straßenbahnverbindung Alex II über die Karl-Liebknecht-Straße hätte nicht nur Tausenden Berlinern das Leben erleichtert, sondern auch der BVG Millionen Betriebskosten erspart. Millionen Euro sind investiert worden, dann wurde die gesamte Maßnahme aus unerfindlichen Gründen mittendrin gestoppt, und heute können wir dort Berlins teuerste und hässlichste Mittelinsel besichtigen. Das ist keine vernünftige Unterstützung für die Arbeit der BVG.
Man könnte nun meinen, die BVG sollte zur Chefsache gemacht werden. Der Regierende Bürgermeister hatte neben seinen vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen tatsächlich die Zeit gefunden, sich mit der BVG zu beschäftigen. Das Ergebnis war jedoch verheerend. Sein Recyclingplan, die BVG an Mehdorns Bahn zu verscherbeln, ging gründlich schief. Über Monate war die BVG nur noch mit Fusionsvorbereitungen oder Fusionsabwehr beschäftigt. Die wirklich wichtigen Aufgaben wurden darüber vernachlässigt und zum Schaden des Unternehmens verschoben. Herr Wowereit, weg mit Schaden ist nicht der angemessene Umgang mit dem Erbe Ernst Reuters! Die Zeit drängt für eine Gesamtkonzeption zur Sanierung der BVG. Die Europäische Union hat mit ihren Vorgaben das letzte Reservat der kommunalen Monopole gebrochen. Der Abschluss des Unternehmensvertrages hat das Nahverkehrsmonopol letztmalig bis 2008 verlängert.
Was braucht die BVG? In erster Linie benötigt sie die Zusammenführung aller beteiligten Kräfte von Geschäftsführung über Personalvertretung, Senat bis zu den Fraktionen an einem runden Tisch BVG. Der Senat muss endlich eine Gesamtkonzeption zur langfristigen Gesundung der BVG vorlegen. Wenn der Senat seinen Job so gut machte wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BVG, dann ginge es voran mit der Stadt. Die BVG ist kein hoffnungsloser Fall, sie hat die Chance auch in Zukunft zu bestehen. Dafür müssen Politik, Unternehmen und Mitarbeiter eingefahrene Gleise verlassen. Wir sind dazu bereit. – Vielen Dank, meine Damen und Herren!
Der Berechnung von Personalausgaben war eine jährliche Steigerung der Tarife um 2 % unterstellt worden. – Tatsächlich war schon im ersten Jahr des Sanierungsvertrags eine Tarifsteigerung um 2,4 % zu berücksichtigen, und der in Potsdam erzielte Tarifabschluss im öffentlichen Dienst hat Folgen für die Personalkosten, kumuliert in dreistelliger Millionenhöhe.
Inzwischen wird deshalb auch der Wirtschaftsplan zum Bewertungsmaßstab durch Vorstand und Eigentümer genommen; das ist der erste Schritt zur Klarheit.
Die erste Annahme, dass bei Zahlung einer hohen Abfindungssumme genügend BVG-Mitarbeiter freiwillig in die Fahrdiensttochter wechseln und dort längere Arbeitszeiten und schlechtere Bezahlung akzeptieren würden, ging gründlich in die Hose.
Die zweite Annahme, dass die Fahrpreise jährlich steigen würden, die Fahrgastzahlen ein bisschen auch und dadurch die Einnahmesituation verbessert wird, ist aufgegangen. Die Umsatzerlöse in 2001 lagen über den erwarteten Erlösen nach dem BSU-Konzept für 2007.
Danke schön, Herr Kollege Kaczmarek! – Das Wort für die Fraktion der PDS hat Frau Matuschek. – Bitte schön, Frau Matuschek!
Dass die BVG im Konzert der nationalen und europäischen Verkehrsunternehmen auch nach 2007 mitspielt. Dazu hat die BVG auf Grund ihrer Größe, ihrer Kompetenz und ihres Charakters als Verkehrssystemanbieter beste Chancen. Wir wollen die BVG nicht zur Filettierung in Kleinunternehmen vorbereiten und auch nicht zur Übernahme durch Private, wie es offenbar FDP und Grüne beabsichtigen.