Protocol of the Session on September 25, 2003

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts die ersten ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in unser Land kamen, ging man davon aus, dass sie nach einigen Jahren in ihre Heimatländer zurückkehren würden. Sie hießen damals dementsprechend „Gastarbeiter“. Wie wir heute wissen, erwies sich diese Annahme als Trugschluss. Die überwiegende Mehrheit ist in Deutschland geblieben. Sie holten ihre Familienangehörigen ins Land. Viele dieser Menschen sind in Deutschland geboren worden und haben inzwischen den deutschen Pass.

Niemand von uns wird leugnen, dass es Handlungsspielräume auf Landesebene gibt, und niemand wird überrascht sein, dass es in der Koalition durchaus eine Reihe unterschiedlicher Auffassungen über diese Möglichkeit gibt. Dass Integration von Migrantinnen und Migranten für die PDS aber immer ein zentrales Thema war und ist, steht außer Frage. Nach langer Vorarbeit haben wir im April 2001 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ein Konzept zur Integrationsförderung bietet. An diesem Konzept halten wir weiter fest, und wir bitten unseren Koalitionspartner, die Möglichkeiten dieses Konzeptes zu prüfen.

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Es reicht aber auch ein Blick in die Koalitionsvereinbarung, Herr Mutlu! Dort haben wir festgeschrieben, dass wir die Qualität der Integrationsmaßnahmen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes verbessern werden. Ich weiß, dass Sie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen es kaum erwarten können, dass wir endlich das umsetzen, was Sie in der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung nicht geschafft haben.

[Beifall bei der PDS und den Grünen – Mutlu (Grüne): In drei Monaten!]

In neun Monaten, nicht in drei Monaten! – Um eine weitgehende, allgemeine Akzeptanz zu erreichen, ist ein starkes politisches und gesellschaftliches Engagement aller Bevölkerungsgruppen wünschenswert. Besonders wichtig ist uns deshalb, dass Interessenvertretungen der Migrantinnen und Migranten sinnvoll eingebunden werden. Ein wichtiges Forum dafür– das hat Frau Heidi Knake-Werner gesagt – bietet der neu gebildete Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen. Dieser soll die ressortübergreifende Zusammenarbeit zu Fragen der Integration und Migration verbessern und Konzepte zur Integration entwickeln.

[Mutlu (Grüne): Weil Sie keine haben!]

Worum es hierbei gehen muss, sind aktive Integrationsangebote statt der bisherigen falschen Integrationspolitik. Ausschlaggebend sind Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und die bereits erwähnten Integrationsangebote. Diese kosten Geld. Diese Mittel sind im rot-grünen Bundeshaushalt meines Wissens nicht einmal mit einem Cent eingestellt. Nicht einmal die Sprachkurse – als ein Minimum – werden gefördert. Das ist eine Bankrotterklärung von Rot-Grün gegenüber den anstehenden Integrationsaufgaben.

[Beifall bei der PDS]

Dass wir in Berlin bessere Wege gefunden haben, Flüchtlings- und Integrationspolitik humaner zu gestalten, zeigen die Abschaffung des Chipkartensystems, die Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen und die Beibehaltung der Härtefallkommission. Außerdem haben wir – Herr Mutlu, das haben Sie nicht gesagt – in der Koalition gemeinsam für den Einbürgerungsbereich einen Maßnahmekatalog zur Entbürokratisierung und zur Erleichterung der Einbürgerung erarbeitet.

[Mutlu (Grüne): Wann denn? Wo denn?]

[Beifall bei der PDS]

Zeigen Sie, meine Damen und Herren von den Grünen in Berlin, dass Sie im multikulturellen Berlin groß geworden sind und eine andere Haltung haben – eine andere Haltung als die der Bundespolitik! Schließlich muss es uns allen um Gleichberechtigung und um ein friedliches Zusammenleben gehen. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der PDS – Abg. Ratzmann (Grüne): Wollen Sie sich von Frau Knake-Werner absetzen?]

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lehmann. – Bitte!

Mittlerweile spricht man von der so genannten vierten Generation. Leider haben wir – und damit meine ich alle Parteien – über Jahrzehnte so getan, als ob sich in dieser Zeit nichts getan hätte. Das Blutsrecht galt bis zur Einführung des neuen Staatsbürgerrechts. Integrationsmaßnahmen waren Mangelware. Dadurch zahlen wir gerade in Berlin teilweise einen hohen Preis. Ich verweise in dem Zusammenhang nur auf die Probleme der Schulen. Viele Probleme wären heute nicht vorhanden, wenn in Deutschland frühzeitig begriffen worden wäre, dass es sich nicht so sehr um Gastarbeiter handelte, sondern um Zuwanderer oder Einwanderer. Das Kennzeichen von Zuwanderern besteht darin, dass sie für viele Jahre oder sogar für immer in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt finden. Gerade die Niederlande haben in vielen Bereichen gezeigt, wie es gehen kann.

Deutschland ist seit langer Zeit de facto ein Zuwanderungsland. Das ist die Kernaussage, die ich hier machen

Lehmann

Die komplette Arbeitsmarktzuwanderung sollte unter eine Jahresquote gestellt werden. Über die Entscheidungsinstanz kann man streiten. Das könnten beispielsweise Bundestag und Bundesrat in Zusammenarbeit mit dem Zuwanderungsrat sein. Der entscheidende Vorteil einer Jahresquote ist, dass sie auch auf Null gedrückt werden kann, wenn Entwicklungen wirtschaftlicher Art es notwendig machen. Die Jahresquote hat aber noch einen anderen Vorteil. Sie kann mit der subjektiven Integrationsbereitschaft unserer Bevölkerung konform gehen. Das ist auf alle Fälle besser als eine ungesteuerte Zuwanderung.

Doch eine gesteuerte Zuwanderung hat vor allem eine Aufgabe: die bislang unbefriedigende Integration in Berlin und Deutschland zu verbessern. Denken wir an PISA, denken wir an „Bärenstark“, denken wir an die hiesigen Schulen oder ganz generell an die Stadtteile Kreuzberg, Neukölln oder Wedding; die Integration in unsere Gesellschaft ist der Schlüssel für den ökonomischen, ja auch letztendlich persönlichen Erfolg eines jeden. Wir brauchen deshalb eine flächendeckende Einführung von deutschen Orientierungskursen, auch für diejenigen, die schon länger bei uns leben. Hier kann ich den rot-grünen Gesetzentwurf nicht billigen, der lediglich Integrationskurse für neu Zugewanderte anbietet. Eine nachholende Integration würde damit wohl kaum stattfinden.

möchte. Das sollte in diesem Hause eigentlich auch Konsens sein.

[Beifall bei der FDP und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU und der PDS]

Es ist deshalb um so bedauerlicher, dass Deutschland noch nicht de jure ein Einwanderungsland ist. Wir haben mit dem Tohuwabohu im Bundesrat und dem abschließenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Dezember 2002 viel Zeit verloren.

Je schneller ein neues Gesetz kommt, desto besser, nicht nur für Zuwanderer, sondern auch für die Deutschen selbst. Auf Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten eine Alterswelle zukommen. Der jüngsten Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes zufolge werden in Deutschland im Jahr 2050 75 Millionen Menschen leben. Sind heute nur 4 % der Deutschen älter als 80 Jahre, werden es 2050 rund 12 % sein. Scheidet die Generation der Babyboomer aus dem Erwerbsleben aus – diejenigen, die zwischen 1950 und 1970 geboren wurden –, werden wir durch permanente Zuwanderung bis 550 000 Personen netto pro Jahr ins Land holen müssen. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre würde diese Schwierigkeiten nur um einige Jahre verschieben. Nach einer Statistik der UNO müssten sogar 3,6 Millionen Immigranten pro Jahr nach Deutschland kommen, um das Verhältnis zwischen der Zahl der Beschäftigten und der Rentnerinnen und Rentner auf dem Niveau von 1995 zu halten.

Nicht umsonst hat die Europäische Kommission im Juni dieses Jahres die Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, in Sachen Einwanderung und Asyl mehr Großzügigkeit walten zu lassen. Die Devise muss deswegen lauten: legale Einwanderung begünstigen, illegale Einwanderung entschlossen bekämpfen. Das gilt als Devise für die Zukunft. Anders ausgedrückt: Ohne Einwanderung ist es nahezu unmöglich, den wirtschaftlichen Wohlstand in unserem Land weiterhin auf diesem hohen Niveau zu halten. Schon allein aus diesem Grund müsse die Kritiker von Zuwanderung ihre Meinung revidieren.

Die aktuell hohe Arbeitslosigkeit macht eine Zuwanderung nicht überflüssig, ganz im Gegenteil. Gezielte und bedarfsorientierte Zuwanderung in bestimmten Branchen und Regionen verschärft nicht die Arbeitslosigkeit, sondern trägt unserer Meinung nach zu einer Lösung bei. Die arbeitsmarktorientierte Zuwanderung ist daher essentiell.

In den Mangelberufen soll ein Arbeitsplatz mit einem Zuwanderer nur dann besetzt werden, wenn eine Besetzung des Arbeitsplatzes aus dem deutschen Arbeitsmarkt heraus nicht möglich ist. Dies ist die einzige Möglichkeit, der Bevölkerung ein Zuwanderungsgesetz schmackhaft zu machen. Bei der differenzierten Arbeitsmarktlage macht dies durchaus Sinn. Während in Stuttgart Zuwanderung Sinn macht, wäre es für Berlin, bei unseren katastrophalen Arbeitslosenzahlen, derzeit nicht unbedingt wünschenswert.

Ein weiterer Punkt betrifft die Kostenfrage. Wer bestellt, sollte bezahlen. Im Gegensatz zum rot-grünen Entwurf sprechen wir uns dafür aus, dass Basiskurse, Orientierungskurse, aber auch die dazu gehörige Kinderbetreuung vom Bund getragen werden. Den Ländern sollte das nicht zugemutet werden.

Integration darf allerdings nicht nur ein Recht sein, im Gegenteil. Die Nichtteilnahme an Integrationskursen muss zu Sanktionen führen. Eine Teilnahmepflicht besteht so lange, bis sich der Teilnehmer mündlich und schriftlich in befriedigender Form verständigen kann. Holland hat uns gezeigt, dass bei Nichtteilnahme sogar die Aufenthaltsberechtigung entzogen werden kann.

Zuwanderung aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht humaner Art ist strikt von Zuwanderung durch Verfolgung bzw. Asyl zu unterscheiden. Wir lehnen die nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund ab. Allerdings sprechen wir uns hierbei für das so genannte kleine Asyl und damit für die Anerkennung als Flüchtlinge aus.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zur Abschiebeproblematik sagen. Es ist in den letzten Wochen und Monaten der Eindruck entstanden, dass die Senatsinnenverwaltung oder die Ausländerbehörde rechtswidrig gehandelt haben, als sie Abschiebungen anordneten. Ich warne vor dieser Mythenbildung. Der Senat handelt nach der gegenwärtigen Gesetzeslage. Es ist unverantwortlich, wenn der Eindruck entsteht, die Verantwortlichen würden dadurch in eine juristische

Lehmann

Frau Antje Karin Pieper erhielt 95 Ja-Stimmen, 31 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen. Auch Frau Pieper ist damit gewählt.

Herr Manfred Rexin erhielt 85 Ja-Stimmen, 32 NeinStimmen und 8 Enthaltungen. Herr Manfred Rexin ist damit nicht gewählt.

Schmuddelecke gedrängt werden. Allerdings kann man auf der anderen Seite auch nachfragen, ob es aus moralischen Gründen und auch im Hinblick auf unsere demographische Entwicklung richtig ist, wenn ein Mensch, der elf Jahre in unserer Stadt lebt, plötzlich abgeschoben wird. Skandalös ist, dass Asylbewerber zu lange auf ihren Bescheid warten müssen.

[Beifall der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Auch die teilweise monatelange Tortur in der Abschiebehaft selbst ist niemandem zuzumuten.

[Beifall bei der FDP]

Deshalb appelliere ich an den Senat, hier endlich Abhilfe zu schaffen. Über eine so genannte Altfallregelung für geduldete Flüchtlinge, die seit sechs Jahren straffrei im Land leben und ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten, sollte nachgedacht werden. Ich hätte mir jedenfalls gewünscht, dass es mit einem Zuwanderungsgesetz für den oben genannten Fall eine Lösung gegeben hätte.

Der Hamburger Finanzsenator Wolfgang Peiner wünscht sich mehr qualifizierte Zuwanderung in Hamburg. Toronto und Vancouver nannte er dabei als Vorbild. Der Wirtschaftssenator der Hansestadt pflichtet ihm bei und glaubt sogar, dass eine geregelte Zuwanderung die Lebensqualität der Stadt verbessere. Das wünsche ich mir für Berlin auch. Im Übrigen sind beide Hamburger Senatoren Mitglieder der CDU.

In diesem Sinne hoffe ich, dass es so schnell wie möglich zu einem vernünftigen und abgewogenen Zuwanderungsgesetz kommt, damit die Gesetzeslage endlich die Realität unseres Landes widerspiegelt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Große Anfrage begründet, beantwortet und besprochen.

Wir kommen zurück zu

Lfd. Nr. 13:

Wahl

Mitglieder des Medienrates der Medienanstalt Berlin-Brandenburg

Wahlvorlage Drs 15/1457

Ich gebe Ihnen nun das Ergebnis der Wahlen der Mitglieder des Medienrates der Medienanstalt BerlinBrandenburg bekannt.

Auf den Vorsitzenden Prof. Dr. Ernst Benda entfielen 115 Ja-Stimmen, 8 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen. Damit ist Prof. Dr. Ernst Benda gewählt.