Protocol of the Session on May 8, 2003

wenn bereits feststeht, dass das Land Berlin die zusätzlich ausgebildeten Kräfte nicht beschäftigen wird, weil Verwaltung abgebaut werden soll? Wir sind uns doch über alle Fraktionen hinweg einig, dass der Staat schlanker werden und auf Dauer bleiben soll. Wieso sollen wir dann am Bedarf vorbei ausbilden?

[Frau Dr. Klotz (Grüne): In Berufen, die auch in der Privatwirtschaft gebraucht werden!]

Was die vielzitierten Ausbildungsgänge wie Kaufmann für Bürokommunikation betrifft, die auch außerhalb des Staatsdienstes anwendbar sind, stellt sich die Frage, wieso gerade der Staat für diese Berufe in seinen Verwaltungen ausbilden muss. Er tut es ja sogar in gewissem Umfang, wie wir gehört haben. Doch mit dem gleichen Mitteleinsatz kann er andernorts effektiver Berufsausbildung ermöglichen und vor allem in Feldern, die originäre Aufgaben des Staates und der Bildungspolitik darstellen. Ich komme darauf gleich zurück.

[Schruoffeneger (Grüne): Was ist mit den 120 Millionen € Ausbildung, die ihr nicht ausgegeben habt?]

Zuvor möchte ich auf den hier vorliegenden CDU-Antrag eingehen, der in eine ähnlich verfehlte Richtung geht.

[Niedergesäß (CDU): Na, na!]

Hierin wir gefordert, dass der Senat, in den Betrieben, an denen das Land mehrheitlich beteiligt ist, für verstärkte Ausbildung sorgen soll.

[Niedergesäß (CDU): Das ist richtig!]

Wahrscheinlich sind die Herren Steffel und Kurth, deren Namen einträchtig unter dem Antrag stehen, heimliche Anhänger der Idee des volkseigenen Betriebes. Dort

Doch ein viel grundsätzlicheres Problem stellt der mit über 10 % eines Jahrgangs doch zu hohe Anteil an Jugendlichen dar, die zu einer Berufsausbildung schlicht nicht in der Lage sind, wenn sie die Schule verlassen, ob mit oder ohne Abschluss. Hier ist sicherlich das allgemeine Bildungssystem, beginnend mit der Kita gefordert, da wird auch entsprechend viel vorbereitet, aber bis hier die Erfolge in die 10. Klasse wachsen, vergehen Jahre. Daher sind für die betroffenen Jugendlichen, die bereits die Schule verlassen, spezielle Maßnahmen der beruflichen Bildung erforderlich. Die hier schon erwähnte Modulare Duale Qualifizierungsmaßnahme – MDQM – ist ein Beispiel, wo Jugendliche, die auf Grund mangelnder schuli

scher Leistung zu einer Berufsausbildung kaum in der Lage wären, zunächst eine einjährige Berufsvorbereitung erhalten, danach folgt eine dreijährige Berufsausbildung bei einem Träger mit paralleler Berufsschule, d. h. im Grund eine duale Ausbildung. Die Modularisierung einer Ausbildung, d. h. das abschnittsweise Absolvieren von Teilen eines vollständigen Berufs kommt diesen Jugendlichen zusätzlich entgegen. Hier ist Berlin sogar Vorreiter für eine Entwicklung, die parallel auf Bundesebene in eine Reform des Berufsbildungsgesetzes mündet. Denn letztendlich sind Module nur dann wirklich sinnvoll zertifizierbar, wenn sie bundesweit Anerkennung finden.

Ich möchte diese Ausführungen zur beruflichen Bildung in Berlin nicht beenden, ohne auf die großen Chancen zu verweisen, die hier liegen, anstatt nur zu jammern und anzuklagen, wie die CDU es tut. Herausforderungen für die berufliche Bildung gibt es doch nicht nur am unteren Ende der Skala bei lernschwächeren Schülern und Jugendlichen, die auf Grund der Marktlage keinen Ausbildungsplatz erhalten. Die beruflichen Schulen bieten zugleich eine enorme Chance für gehobene Ausbildungsgänge. Die Möglichkeit, an einem Oberstufenzentrum das Abitur zu erwerben, ist doch nicht nur ein Notbehelf für die Dümmeren, sondern ein praxisbezogenerer Weg zur Hochschulreife, als ihn das klassische Gymnasium bieten kann.

könnte man von der politischen Ebene aus nach unten durchstellen, ihr bildet jetzt so und so viele aus, und die müssten das dann machen.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Sie erzählen einen Käse, das ist ja nicht auszuhalten!]

Unsere Vorstellung von zwar dem Gemeinwohl verpflichteten, aber ökonomisch eigenständigen Unternehmen ist eine andere. Ich kann Sie, meine Herren von der CDU, durchaus beruhigen. Die Unternehmensleitungen der öffentlichen Betriebe nehmen ihre öffentliche Verantwortung in der Berufsausbildung ernst. In den Betrieben des Landes Berlin wird über den Eigenbedarf hinaus ausgebildet. Die BVG braucht z. B. pro Jahrgang etwa 70 bis 80 Azubis, bildete in den letzten Jahren stets 130 aus. Ähnlich sind die Verhältnisse bei der BSR. Die Wasserbetriebe bilden derzeit gut 300 Lehrlinge in kaufmännischen und technischen Bereich aus, d. h. sie erreichen eine Ausbildungsquote von 6 %. Würde jedes ausbildungsfähige Unternehmen, z. B. ALBA oder andere, eine solche Quote erreichen, dann brauchten wir über eine Ausbildungsplatzlücke nicht zu reden.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Allein die Verhältnisse sind nicht so. Wir werden uns auch in diesem Sommer der Aufgabe stellen, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu verschaffen. Dies kann kein voll umsorgender staatlicher Automatismus sein, der Unternehmer aus ihrer Verantwortung entlässt oder Jugendlichen selbst nichts abverlangt, sondern wir werden unterstützend tätig. In der kommenden Woche startet die Ausbildungsinitiative der SPD-Fraktion. Da werden wir mit Unternehmen und Kammern darüber reden, wo denn jenseits aller Schlagworte die Ausbildungshindernisse liegen. Natürlich werden wir auch mit der IHK über die kontraproduktive Anhebung der Prüfungsgebühren reden.

Ungeachtet dessen wird der Staat auch in diesem Sommer für ein zusätzliches Angebot an Lehrstellen sorgen müssen. Das Bund-Länder-Sonderprogramm – es wurde hier schon erwähnt –, das speziell für die schwierige Ausbildungsplatzsituation im Osten Deutschlands zugeschnitten ist, wird fortgesetzt. Solange die konjunkturelle und demographische Entwicklung einen solchen Lückenschluss erforderlich macht, wird es auch in den kommenden Jahren nötig bleiben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Liebich (PDS) – Frau Pop (Grüne): Tun Sie einmal etwas dafür!]

[Beifall der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

Man sollte im Übrigen in Berlin hierfür die in anderen Bundesländern längst üblichen Bezeichnungen „Wirtschaftsgymnasium“, „Technisches Gymnasium“ usw. zur Verdeutlichung einführen. Die Fachhochschulreife und die Möglichkeit, die mittleren Schulabschlüsse parallel zu einer Berufsausbildung zu erwerben, sind ebenfalls nicht zu unterschätzende Chancen in der beruflichen Bildung, denn die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung ist eine entscheidende Aufgabe in einer sich ständig wandelnden Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Für diese Koalition hat beides, die allgemeine und die berufliche Bildung, höchste Priorität. Das ist kein leeres Versprechen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege Jahnke! – Für die Freie Demokratische Partei erhält und hat das Wort der Kollege Lehmann, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausbildungssituation in Deutschland und in Berlin spiegelt das gesamte Dilemma der gegenwärtigen Arbeitsmarktpolitik wider. Es ist besonders schmerzlich, dass gerade junge Menschen, auf denen unsere Zukunft ruht, zu großen Teilen keinen Ausbildungsplatz erhalten. Nach Angaben des Landesarbeitsamts waren im April 2001 23 500 Ausbildungssuchende gemeldet, davon ca. 12 500 Bewerberinnen und Bewerber noch nicht vermit

Der einzige Rohstoff, den dieses Land besitzt, ist eine gut ausgebildete Bevölkerung. Wir sind gerade dabei, dieses lebenswichtige Gut für immer auf das Spiel zu setzen. Dabei will ich gar nicht abstreiten, dass ein großer Teil der Förderprogramme, die das Land, aber auch der Bund aufgelegt haben, Sinn machen. Ich denke hierbei besonders an MDQM. Ohne dieses Programm hätten viele Jugendliche überhaupt keine Chance mehr, eine einigermaßen vernünftige Berufsausbildung zu erhalten. Unserer Meinung nach macht es gerade für schwer vermittelbare Mädchen und Jungen Sinn, sie behutsam an ein normales Arbeitsleben heranzuführen. Mit den Bund-LänderProgrammen gibt es einen weiteren Topf, um die Lücke

des betrieblichen Ausbildungsplatzangebotes zu schließen. Wie Sie wissen, wurden allein im Jahr 2002 insgesamt 3 000 zusätzliche Arbeitsplätze bereitgestellt. Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch noch das Jugendsofortprogramm der Bundesregierung.

Doch möchte ich davor warnen – und der Senat ist vor dieser Gefahr nicht ganz gefeit; das gilt im Übrigen auch für die Grünen –, in Förderprogrammen und symbolischen Akten das alleinige Allheilmittel zu sehen. Wir werden nur mit konsequenten strukturellen Reformen die Ausbildungsmisere in der nahen Zukunft in den Griff bekommen. Leider hat der Senat hierbei nichts vorzuweisen.

Die Ankündigung des Wirtschaftssenators, die außerbetrieblichen Ausbildungsplätze aus dem Bund-LänderSonderpogramm um 1 000 auf 3 000 aufzustocken, mag begrüßenswert sein. Damit wird das Problem aber nicht gelöst. Es mag ebenfalls begrüßenswert sein, wenn der Regierende Bürgermeister einen Ausbildungsgipfel initiiert und bei den Betrieben Klinken putzen geht. Eine entscheidende Zahl neuer Arbeitsplätze wird damit aber nicht gewonnen.

Auch die von der CDU-Fraktion in ihrem Antrag geforderten Zielvereinbarungen können keine realistischen Lösungsmöglichkeiten aufweisen. Die mehrheitlich im Landeseigentum stehenden Unternehmen sollten in ihrer großen Mehrheit so zügig wie möglich privatisiert werden. Selbst, wo das nicht gelingen mag, gilt: Auch die privatrechtlichen Gesellschaften mit mehrheitlicher Beteiligung des Landes Berlin sollten Gewinne machen und müssen sich den Markverhältnissen anpassen. Das ist für unsere Fraktion ein essentieller Bestandteil liberaler Politik.

telt. Seit dem Jahr 1991 sinken die gemeldeten Berufsausbildungsstellen kontinuierlich. Waren es 1991 noch 19 000 Stellen, so sind es im Jahr 2002 nur noch 12 500 gewesen. In keinem Jahr seit der Wiedervereinigung gab es weniger Ausbildungsstellen als letztes Jahr. Ich brauche wohl kein Prophet zu sein, wenn ich Ihnen sagen, dass im Herbst dieses Jahres wiederum auf einen neuen einsamen Negativrekord zugesteuert wird.

Auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit in der Stadt ist alarmierend. 38 000 junge Männer und Frauen sind arbeitslos. 15 000 mehr wären es, wenn sie sich nicht in einer Weiterbildungsmaßnahme befinden. Dies ist in der Tat der soziale Sprengstoff der Zukunft, wenn wir das Problem der Ausbildungssituation nicht in den Griff bekommen. Wir sind uns wohl alle in diesem Hause einig, dass schnell und unbürokratisch gehandelt werden muss. Nur über den Weg zum Ziel unterscheiden wir uns leider. Aber dazu später mehr.

Die andere Seite der Medaille stimmt genauso bedenklich. Ich meine die mangelnde Ausbildungsreife der Schulabgänger. Bei einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer unter den ausbildenden Betrieben war als Ergebnis zu verzeichnen, dass die katastrophalen Resultate der PISA-Studie mehr oder weniger bestätigt wurde. Selbst rudimentäre Kenntnisse bezüglich der deutschen Sprache oder des Lernfachs Mathematik sind des Öfteren nicht vorhanden. So kommen wir in Berlin zu einer schizophrenen Situation. Trotz Lehrstellenmangels bleiben viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Ca. 4 600 unbesetzte Stellen sind den Arbeitsämtern noch gemeldet. Die ausbildenden Betriebe lassen daher den einen oder anderen Ausbildungsplatz lieber unbesetzt. Dieses Beispiel zeigt, dass eine nachhaltige Politik nicht nur bei der Ausbildung beginnen kann, sondern auch den Kita- und Schulbereich einbeziehen muss. Wer es wie der Senat versäumt, den Jugendlichen eine vernünftige Schulausbildung zu geben, darf nicht erstaunt sein, dass viele junge Menschen in Fördermaßnahmen wie MDQM abgeschoben werden, was dann dazu führt, dass wir im Parlament und in den Ausschüssen über diese Förderprogramme und ihre Finanzierung reden. Wichtiger ist allerdings die Frage, wie wir unser gesamtes Ausbildungssystem konkurrenzfähig machen können – auch im Hinblick auf die Globalisierung.

Der Mittelstand ist auch in Berlin der Ausbilder Nr. 1. Der Senat sollte sich deshalb dafür einsetzen, die Ausbildungsverordnungen flexibler zu gestalten. So wird beispielsweise in dem Zukunftsmarkt Dienstleistungen noch viel zu wenig ausgebildet, weil es viele Ausbildungsberufe noch gar nicht gibt. Neue Berufe können allerdings nur am Markt entstehen und dürfen nicht am Schreibtisch oder durch die Politik künstlich erfunden werden. Man sollte auch überlegen, ob mit einer Prämie für mehrere kleine Unternehmen, die sich für eine Verbundausbildung entscheiden, ein Anreiz geschaffen werden könnte.

Es ist zudem überlegenswert, ob das jetzige Konzept der staatlichen Berufsschule noch in sich schlüssig ist. Staatliche Berufsschulen müssen für den Wettbewerb mit privaten Berufsschulen bzw. freien Trägern im Allgemeinen fit gemacht werden. Sie brauchen in Zukunft mehr Eigenverantwortung und Selbständigkeit. Die Schulangebote müssen weiterhin auf die Bedürfnisse der Ausbildungsbetriebe zugeschnitten werden. Ebenfalls sollte man überdenken, ob man in Zukunft die praktische Ausbildung stärken kann, indem man versucht, die Auszubildenden länger in örtlichen Betrieben zu beschäftigen.

Ich bin enttäuscht darüber, dass der Senat nicht alles getan hat, diesem verhängnisvollen Schritt etwas entge

genzusetzen. Der Verdacht liegt doch nahe, dass die IHK wohl ihre Monopolstellung missbraucht, um ihren eigenen finanziellen Engpass zu beheben. Auch in dieser Beziehung sollte man darüber nachdenken, inwiefern z. B. die Handwerksordnung in Bezug auf die Zwangsmitgliedschaft geändert werden sollte.

Wer in Zukunft mehr Ausbildungsplätze in Berlin schaffen möchte, muss die Kräfte der Marktes stärken und die Betriebe durch eine gezielte Senkung von Steuern und Abgaben stärken. Ein auf wirtschaftlich tönernen Füßen stehender Betrieb wird auch durch staatliche Gängelung nicht vernünftig ausbilden können. Deshalb appelliere ich an den Senat, sich dafür einzusetzen, dass endlich die Grundlagen für wirtschaftliches Wachstum gelegt und staatliche Fördermittel nicht als Allheilmittel angesehen werden. – Vielen Dank!

Das Wort hat nun Frau Holzheuer-Rothensteiner. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten ca. 20 Minuten, seit wir diese Große Anfrage besprechen, hat sich die Aufmerksamkeit und die Stimmung hier im Saal keinesfalls erhöht.

Eine weitere Möglichkeit, zu mehr Ausbildungsplätzen zu kommen, ergäbe sich, wenn der Senat sich für eine Flexibilisierung des Gesetzes zum Schutz der arbeitenden Jugend einsetzen würde.

[Frau Jantzen (Grüne): Aha!]

Gerade im Gaststätten- und Schaustellergewerbe kann das Ausbildungspotential nicht ausgeschöpft werden.

[Frau Jantzen (Grüne): Sollen die Kinder jetzt mit 14 Jahren in den Kneipen arbeiten?]

Das werde ich Ihnen gleich sagen, Frau Jantzen, wie das geht. – So könnte man mit einer Neuregelung jugendliche Auszubildende über 16 Jahren bis 24 Uhr beschäftigen und somit mehr Lehrstellen schaffen.

Eines ist mit uns allerdings nicht zu machen: eine Ausbildungsabgabe. Es ist insofern sehr traurig, dass Herr Senator Wolf in der Presse eine Ausbildungsabgabe für Betriebe gefordert hat und die Grünen dem zugestimmt haben.

[Frau Oesterheld (Grüne): Endlich! – Doering (PDS): Eine gute Sache!]

Seine Staatssekretärin hat im Übrigen im Ausschuss für Arbeit eine solche Abgabe für dieses Jahr ausgeschlossen. Herr Wolf! Vielleicht sollten Sie sich etwas besser mit Ihrer Staatssekretärin zusammentun.

[Bm Wolf: Da sind wir uns doch einig!]

Ich glaube nicht. –