Wir haben heute darüber zu entscheiden, ob die Ehrenbürgerliste verändert wird und Hindenburg von dieser Liste gestrichen werden soll. Diese Frage betrifft die Bedeutung, die wir der Ehrenbürgerliste selbst zumessen. Diese Debatte haben wir im Kulturausschuss geführt, sie wurde auch bereits hier im Abgeordnetenhaus geführt, und sie hat in den Medien eine Rolle gespielt. Es geht um die Frage: Ist diese Ehrenbürgerliste ein historisches Dokument? – Wenn sie ein historisches Dokument ist, gibt es auch keinen Anlass, Hindenburg von dieser Liste zu streichen.
An dem Punkt, Frau Ströver, gebe ich Ihnen auch Recht, wenn Sie auf Ereignisse der neueren Geschichte verweisen. Wir sollten auch im Rückblick nicht versuchen, unsere Geschichte stromlinienförmig erscheinen zu lassen. Ein Blick in die Ehrenbürgerliste, so, wie sie uns heute vorliegt, schärft das historische und das demokratische Bewusstsein. Hugo Heimann, der 1939 fliehen musste, Max Liebermann, der 1933 wegen zahlreicher Anfeindungen der Nationalsozialisten als Präsident der Akademie der Künste zurücktrat, in der Reihe der Ehrenbürger vor Paul von Hindenburg – das ist unsere Geschichte. Und damit müssen wir uns auseinander setzen; die Liste regt uns dazu an. Streichungen sollten wir deshalb nur vornehmen, wenn die Aufrechterhaltung der Ehrenbürgerschaft schlechthin unerträglich ist. Dazu hat Walter Momper in seiner Rede am 14. November hier –
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cramer, obwohl Ihre Redezeit eigentlich zu Ende ist?
Nein! – vor dem Abgeordnetenhaus bereits alles ausgeführt. Und diese Haltung, Frau Ströver, weil Sie so den Kopf schütteln, ist eine Haltung, die auch von anderen Parlamenten getragen wird. Denn auch die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung hat die Streichung abgelehnt, und zwar mit den Stimmen der Grünen.
nicht hin. – Hindenburg war, das ist unbestritten, eine tragische historische Figur. Tragisch, wie er ausgerechnet als Monarchist die Weimarer Republik und die Weimarer Verfassung verteidigen sollte. Das hat er, der durch zwei eindrucksvolle Voten des deutschen Volkes bestätigt worden ist, bis zu den Ereignissen im Winter 1932/33 auch durchgehalten, trotz aller Angriffe und innenpolitischen Querelen. Die zweite Tragik Hindenburgs war allerdings, dass er die Folgen der Machtergreifung Hitlers nicht erkannte. Im Übrigen, die übergroße Mehrheit der Deutschen ahnte nicht, was die Machtergreifung Hitlers bedeuten würde, sonst hätten sie wahrscheinlich Hitler nicht gewählt. Und selbst die europäischen Mächte – das wissen wir heute – haben Hitler ständig unterschätzt. Hindenburg war mit seiner Fehleinschätzung also nicht allein.
Die Frage, wie man nach den Wahlen mit einem Reichstag umgehen soll, in dem es keine nach dem heutigen Verständnis demokratischen Mehrheiten gab, müssen wir heute nicht mehr beantworten. Aber Hindenburg musste sie beantworten. Auch nicht die Frage, wie setze ich die Verfassung außer Kraft, um Hitler und die DNVP zu verhindern, wie lasse ich Schleicher gewähren, um eine Militärdiktatur als Gegenmodell zu Hitler zu entwerfen – all diese Fragen bewegten ihn in einer Zeit, in der der Bürgerkrieg wie ein Damoklesschwert über den Köpfen hing und fast 8 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit waren. Er hat sich für eine demokratische Regelung entschieden und eine Koalitionsregierung aus NSDAP und DNVP berufen und damit quasi demokratisch die größten Feinde der Demokratie an die Spitze des deutschen Reiches gestellt. Das hat er nicht getan, weil er Hitler verehrte oder weil er Deutschland der braunen Barbarei in den Rache werfen wollte, er hat es getan, weil er, sicherlich schlecht beraten, glaubte, dass Hitler nur ein kurzer Spuk wäre. Ihn heute deshalb in eine Linie mit Göring, Hitler und Goebbels zu stellen, verbietet sich von selbst.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschichte lässt sich nicht bereinigen, Geschichte lässt sich nicht auslöschen, auch wenn man noch so sehr und noch so oft Ehrenbürgerlisten ändern will und streichen will. Damit wird man keine Geschichte ändern. Geschichte, noch dazu die tragische deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts, ist Teil von uns selbst geworden, ob wir wollen oder nicht. So oft wir sie auch gebrochen und ignoriert haben, wir haben sie verinnerlicht und sind doch immer noch und werden es auch bleiben Kinder dieser Geschichte. Wir können dieser Geschichte nicht entsagen.
Später! – Ausdruck dieser unserer Geschichte ist auch eine Ehrenbürgerliste, über die wir heute streiten. Zugegebenermaßen ist so eine Liste ein nicht besonders modernes Relikt vergangener Ehrungsrituale. In Berlin geschieht das seit 1813. Diese Liste wirbt aber für Verständnis, die Brille von heute abzunehmen und einzutauchen in die Zeit, in der diese Persönlichkeiten, die geehrt wurden, auch gelebt haben.
Aber sie wirbt nicht nur für Verständnis, sondern sie hat auch eine Antwort auf die Frage gefunden, die uns alle an dieser Stelle bewegt: Unter welchen historischen Kriterien, mit welchen Gesichtspunkten bewerten wir historische Persönlichkeiten? Dabei lässt sie zwei Kriterien gelten: 1. Historische Persönlichkeiten sind aus der Sichtweise von heute herauszulösen und in den historischen Kontext zu stellen. 2. Offensichtliche schwerste Menschenrechtsverletzungen, Diktatoren etc., führen zum Ausschluss aus der Liste und zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürde. Beides ist sachgerecht, beides ist sehr vernünftig. Was hindert uns eigentlich daran, diesen Handlungsanweisungen weiter zu folgen? Unter diesen Gesichtspunkten muss auch Hindenburg bewertet werden. Keiner käme heute auf die Idee, ihm diese Würde anzutragen, genauso wenig wie man heute auf die Idee käme, einem russischen Zaren, Manteuffel, Wrangel, Moltke oder Bismarck diese Ehrenbürgerwürde anzutragen. Ich bin sicher, selbst Helmut Kohl hätte, wie 80 % derer, die auf dieser Liste sind, heute große Schwierigkeiten, noch Ehrenbürger Berlins zu werden.
Lassen Sie das „später“ jetzt gelten? Wir kriegen jetzt immer wieder das Signal von Herrn Cramer. Das müssen Sie schon selber entscheiden.
Man darf an dieser Stelle auch einmal Götz Aly zitieren, der gesagt hat: Man darf Hindenburg nicht in die gleiche geschichtliche Jauchegrube stoßen, in der Hitler liegt.
Auch waren die Konservativen eben nicht die Stützen des Regimes, wie es uns einige hier weismachen wollen, ganz im Gegenteil. Ich will jetzt nicht Haffner zitieren.
Schon 1948 wurden viele Argumente über Hindenburg ausgetauscht. Man kam damals zu dem Schluss: Hindenburg bleibt. Sind wir heute schlauer als unsere Kollegen von damals? Dürfen wir uns anmaßen, deren Entscheidung zu revidieren? Mit dem gleichen Recht könnten sich unsere Kollegen nach uns anmaßen, unsere Entscheidung in 10 oder 20 Jahren zu revidieren. Der Respekt vor den Abgeordneten vor und nach uns verbietet das. Wir unterstützen deshalb den vorliegenden Änderungsantrag, denn Geschichte lässt sich nicht umschrei
Während wir auf der einen Seite den erbittertsten Feinden der Demokratie und der Verfassung – Rosa Luxemburg – in dieser Stadt auch noch ein Denkmal bauen,
wollen wir auf der anderen Seite denjenigen, die die Weimarer Republik und die Verfassung verteidigt haben,
Und bei Luxemburg wird es deswegen noch schlimmer, weil wir sie nicht einmal aus der Sicht von damals beurteilen, sondern aus der heutigen Sicht. Wir entscheiden heute darüber. Ich habe es vorhin schon gesagt: Wir würden heute Hindenburg niemals die Ehrenbürgerwürde antragen. Aber heute kommt man auf die Idee, jemanden, der gegen die Verfassung war, gegen eine Republik war, gegen das Parlament war, der offen zum Bürgerkrieg aufrief, Denkmäler zu bauen. Der Senat und einige Leute in Ihrer Partei müssen sich fragen, ob das wirklich mit rechten Dingen zugeht, ob da nicht Geschichtsklitterung in größtem Ausmaß stattfindet. – Danke!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zumindest die letzten Sätze des Abgeordneten Apelt zeigen, dass eine gewisse Resistenz gegen Sachargumente in dieser Debatte Einzug gehalten hat. Ich probiere es trotzdem noch einmal:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Apelt! Wenn ich Ihrer Argumentation genau folge, dann kann ich nicht verstehen, warum Sie sich auf der einen Seite vehement dafür einsetzen, dass Hindenburg Ehrenbürger bleibt, dass auf der anderen Seite aber der Ehrenbürger Wilhelm Pieck, der 1946 als Widerstandskämpfer auf die Liste kam, später – ich sage: – zu Recht, gestrichen wurde. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Entweder Sie lassen die jeweilige Zeit gelten, als die Ehrenbürger ernannt wurden, und die ist für mich sogar bei Pieck logischer als bei Hindenburg, oder nicht. Aber mit zweierlei Maß zu messen, das geht nicht.
Eine zweite Anmerkung möchte ich machen. Die Stadtverordnetenversammlung in Potsdam hat sich vehement von dem Ehrenbürger Hindenburg distanziert. Sie hat in ihrer Beschlussfassung Folgendes dazu erklärt:
Die Ernennung Hindenburgs zum Ehrenbürger Potsdams, die mit seinem Tod erlosch, war Teil einer Entwicklung, von der wir uns heute distanzieren. Wir müssen damit leben, dass wir sie nicht ungeschehen machen können.
Ungeschehen machen wollen wir auch nichts, weder die Entstehung einer Liste noch ihre heutige Existenz. Wir wollen uns historisch damit auseinander setzen. Deshalb ist es auch wichtig, dass die, die gestrichen worden sind, nicht durch andere ersetzt werden, sondern dass man deren Streichung nachvollziehen kann. Aber eine Ehrenbürgerwürde, die mit dem Tod erloschen ist, kann man im Nachhinein nicht mehr streichen. Das sind zwei unterschiedliche Verfahren in Potsdam und Berlin. Deshalb halten wir daran fest: Paul von Hindenburg hat auf der Berliner Ehrenbürgerliste nichts zu suchen.
Lieber Herr Cramer! Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang doch nur eines, nämlich wie hier versucht wird, ein eigenes Geschichtsbild zu propagieren. Das macht vor allem die linke Seite des Hauses.
Auf Veranlassung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg wurde am 15. März 1933 von den Uniformen der Reichswehr das verhasste Schwarz-Rot-Gold der „Novemberverbrecher“ – um im damaligen Sprachgebrauch zu bleiben – entfernt und durch die schwarzweiß-rote Kokarde ersetzt. Das mag man für Symbolismus halten, aber Symbole stehen für Inhalte. Trotz allem symbolischen Klimbims zementierte der ohne Paul von Hindenburg überhaupt nicht möglich gewesene Tag von Potsdam den mit der Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler erfolgten Paradigmenwechsel in der deutschen Politik. Der Präsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse von der SPD brachte das am 17. März auf den Nenner, in dem er erklärte – in Potsdam übrigens: