Protocol of the Session on March 13, 2003

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Kollege! – Für die Fraktion der Grünen hat nun Frau Pop das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wolf, nach Ihrer Rede kann ich nur feststellen: Das war für uns heute ziemlich erfolgreich. Wir haben drei Initiativen eingebracht: den Abbau von Überstunden durch die PSA, die OSZ-Sanierung und das Mikrokreditprogramm. – All das wurde von Ihnen übernommen. Herzlichen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Kennen Sie Eberswalde und die Einwohnerzahl? – Ich habe gestern recherchiert. Ich suchte eine Zahl, die zu den arbeitslosen Jugendlichen in unserer Stadt passt. Es sind inzwischen ca. 38 000. Dabei geht es nicht um verpasste „Deutschland sucht den Superstar“-Karrieren, wie wir es an Juliette gesehen haben, sondern es geht um kaputte Lebensentwürfe. Sie müssen sich fragen lassen, was Sie diesen Jugendlichen bieten, die größtenteils keine Ausbildung haben. Ohne Ausbildung gibt es keinen Berufseinstieg. Das wissen wir alle. Ohne Ausbildung und Berufseinstieg werden sie langfristig an den Rand gedrängt und verschwinden schließlich aus der Statistik, dem Bildungssystem und aus unseren Köpfen. Und wenn der sehnlichst erwartete Fachkräfteaufschwung wieder kommt, den Herr Jahnke gerade wunderbar skizziert hat, dann können wir uns in zehn Jahren vor Ausbildungsplatzangeboten nicht mehr retten... Dann wird es diese 38 000 Jugendliche nicht mehr geben, um sie in diesen Arbeitsplätzen unterzubringen. Ihre Aufgabe muss sein, diesen Jugendlichen eine Perspektive zu bieten.

Aber nicht nur ihnen, sondern auch denjenigen, die im Sommer die Schule beenden und einen Ausbildungsplatz suchen, müssen Sie etwas bieten. Dieses Jahr wird die Misere noch größer werden. Es fehlen schon jetzt 3 000 Ausbildungsplätze. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Die Wirtschaft bildet auf Grund der schlechten Wirt

schaftslage weniger aus. Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze in Berlin ist im letzten Jahr auf einen neuen Tiefpunkt gesunken. Dieses Jahr verspricht kaum Besserung.

Ich denke, wir sind uns hier alle einig, dass Ausbildung vor allem in der Verantwortung der Wirtschaft stattfinden muss.

[Liebich (PDS): Umlagefinanzierung!]

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoff?

Von Herrn Hoff immer!

Bitte, Herr Hoff!

Das hat mich jetzt etwas verlegen gemacht.

[Frau Pop (Grüne): Das war auch der Sinn und Zweck!]

Liebe Kollegin Pop, ist Ihnen bekannt, dass der Rückgang der betrieblichen Ausbildungsplätze in Berlin im Bundesvergleich unterproportional ist? BadenWürttemberg und Bayern verlieren deutlich mehr Ausbildungsplätze als die Region Berlin-Brandenburg.

[Frau Paus (Grüne): Aber von welchem Niveau aus?]

Meinen Sie, dass eine Bundesratsinitiative angesichts der dort bestehenden CDU-Mehrheit eine Durchsetzungschance hätte?

Das waren zwei Zwischenfragen. – Bitte, Frau Pop!

Zu der ersten Frage: Ich weiß, dass in Berlin immer noch relativ viele Betriebe ausgebildet haben. Der Ausbildungsplatzrückgang des letzten Jahres ist darauf zurückzuführen, dass Sie die Ausbildungsförderung gekürzt haben. Deswegen sind allein 800 Plätze weggefallen. Das war letztes Jahr das Problem.

Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sind mir bekannt. Aber wenn ich mit diesem Ansatz Politik mache, dann kann ich gleich nach Hause gehen und nichts mehr tun.

Sie sollten noch mehr tun. Wir haben heute über die Praxis der Arbeitsämter geredet. Es ist viel über die Begrenzung von ABM und SAM und die Streichung der Weiterbildung geredet worden. Aber die derzeitige Geschäftspolitik der Arbeitsämter betrifft auch Jugendliche. Es sieht nämlich so aus: Berufsvorbereitende Maßnahmen und Maßnahmen für benachteiligte Jugendliche werden derzeit zurückgefahren. Wenn Sie, Herr Wolf, mit dem Arbeitsamt sprechen – wobei wir hoffen, dass Sie mehr Einwirkungsmöglichkeiten als einfache Gespräche haben –, dann vergessen Sie bitte nicht, dass die Maßnahmen für Jugendliche vom Kahlschlag bedroht sind. Gerade für benachteiligte Jugendliche, die auf solche Programme angewiesen sind, sollten Sie Partei ergreifen.

Grundsätzlich gilt aber: Die Berufsvorbereitung muss in der Schule anfangen. Die Lehrer müssen viel mehr über die Berufswelt informieren. Das ist Ihnen auch bekannt, aber es passiert wenig. Es ist unglaublich, wie wenig Ahnung Schulabgänger von der Arbeitswelt und deren Anforderungen haben. Gerade wenn die Eltern keinen Job haben, fehlen die Einblicke völlig. Das muss sich dringend ändern, und dabei sind Sie gefragt. Herr Böger ist leider nicht da – doch, Herr Böger steht dort hinten. Vielleicht als Anregung: Berufsvorbereitung in der Schule gerade für Haupt- und Realschüler, das ist doch eine gute Idee.

[Beifall bei den Grünen]

Zurück zum öffentlichen Dienst: Sie haben den Einstellungskorridor noch nicht beschlossen. Der Solidarpakt kommt nicht voran. Deswegen bilden Sie erst einmal gar nicht aus. – Ich finde, es muss zumindest möglich sein, in Berufen auszubilden, die in der Privatwirtschaft eine Chance haben. Es muss auch möglich sein – obwohl Sie das immer abstreiten –, im Verbund auszubilden, um Kosten zu sparen. Auch wenn wir das Problem der Ausbildungsplatzsituation im öffentlichen Dienst nicht lösen, muss es dennoch ein klares Signal geben, dass Sie etwas tun und zu Ihrer Verantwortung stehen.

Es gibt die ehemaligen Eigenbetriebe des Landes, die BVG und die BSR, die immer gut ausgebildet haben. Es gibt Vivantes. Alle fahren ihre Ausbildungsplätze herunter. Vivantes will sogar 500 Ausbildungsplätze streichen und zwei Schulen schließen – und das in einem boomenden Bereich, im Gesundheitswesen. An jeder Stelle wird erwähnt, das sei ein Markt, in dem in den nächsten Jahren noch Arbeitsplätze geschaffen werden. Sie müssen bezüglich der 500 Ausbildungsplätze bei Vivantes einschreiten und dürfen keine vagen Versprechen geben. Vielleicht sind andere Finanzierungsmöglichkeiten, andere Träger für die Schulen oder deren Zusammenlegung denkbar. Solche Ideen müssen Sie entwickeln, um die Ausbildungsplätze zu retten, und nicht tatenlos zusehen.

Warum fehlten im letzten Jahr so viele Ausbildungsplätze? – Sie haben die Ausbildungsplatzförderung gekürzt, und rund ein Drittel der öffentlich geförderten Ausbildungsplätze ist weggefallen. Das war ein falsches Signal für das Land. Das können wir uns künftig nicht mehr leisten. Wenn Sie im Herbst kurzfristig Sonderprogramme ausrufen, wie MDQM, hektisch Dinge aufstocken, die nicht besonders gut entwickelt sind, dann sage ich Ihnen: Herzlichen Glückwunsch! Wachen Sie früher auf! Das Ausbildungsjahr fängt bekanntlich im September an. Das ist so sicher wie die Tatsache, dass Weihnachten im Dezember stattfindet.

Jetzt komme ich zu Ideen, die Sie endlich einmal aufgreifen sollten: Trotz der schlechten Wirtschaftslage gibt es einen dynamischen Bereich in Berlin, die sog. ethnische Ökonomie. Die Zahl der Betriebe, deren Inhaber nichtdeutscher Herkunft sind, hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. Berlin ist hier mit über 5 000 Betrieben Spitzenreiter. Warum starten Sie keine Initiative – nicht nur Veranstaltungsabende – und eine langfristige Begleitung dieser Betriebe, damit sie sich stärker an der Ausbildung beteiligen?

[Beifall bei den Grünen – Beifall der Abgn. Sayan (PDS) und Dr. Steffel (CDU)]

In Hamburg wurden in den letzten Jahren über 300 Ausbildungsplätze in diesem Bereich geschaffen. Dieser Weg ist wesentlich sinnvoller, als mit HauruckSonderprogrammen das Geld für komplett staatlich geförderte Maßnahmen, wie MDQM, auszugeben. Das fördert die Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft nicht gerade.

Den Jugendlichen tut man mit einer Ausbildung, die fern jeglicher Praxis ist, auch keinen Gefallen.

[Beifall bei den Grünen – Brauer (PDS): Machen wir doch!]

Machen wir doch? – Davon merkt man nur nichts.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Gerade deshalb müssen Schulen wesentlich enger mit den Arbeits- und den Jugendämtern zusammenarbeiten. Ich höre immer nur: Das geht nicht. Das klappt nicht. Die wollen nicht miteinander. – Aber der Berufseinstieg kann nicht einfach dem Zufall überlassen werden. Es kann auch nicht sein, dass Jugendliche von Pontius bis Pilatus geschickt werden, um eine Maßnahme zu ergattern, weil die Ämter es nicht für nötig erachten, miteinander zu kooperieren und zu kommunizieren. Deshalb muss die regionale Vernetzung und Bündelung von Maßnahmen für Jugendliche die Aufgabe der neu geschaffenen Jobcenter an erster Stelle stehen.

In der Berufsvorbereitung gibt es eine Fülle von Maßnahmen. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass Sie selbst auch nicht mehr durchblicken. Ich will es einmal kurz aufzählen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit –: Es gibt VZ 11 und BB 10, es gibt MDQM und AQJ, es gibt die Jugendberufshilfe und das Sofortprogramm der Bundesregierung und so weiter und so weiter. Es könnte jetzt noch eine Weile so weitergehen. Diese Maßnahmen sind alle nicht aufeinander abgestimmt oder miteinander koordiniert. Für Jugendliche ist dieser Dschungel abschreckend. Er ist unübersichtlich, und er ist vor allem sehr

Wir haben Sie gestern im Ausschuss gefragt, was Sie damit meinen, dass die Bundesregierung zur Zusammenarbeit zurückkehren soll und dass Sie sie mit konkreten Vorstellungen unterstützen wollen. Wir wissen auch nach Ihrer Antwort nicht, wie die Position des Berliner Senats zu den Überlegungen des Bundeswirtschaftsministers Clement lautet, beispielsweise am Kündigungsrecht einige Veränderungen vorzunehmen. Herr Jahnke, Sie brauchen da nicht in Richtung Opposition zu zeigen. Es sind Vorschläge Ihrer Bundesministers, von denen wir nicht wissen, ob sie jemals Gesetzesinitiativen werden oder ob es nur Reden und Formulierungen sind. Frau Freundl sagt, Deutschland habe ein Umsetzungsproblem. Ich würde es anders sagen, Frau Freundl: Deutschland hat viele Probleme, weil diese Bundesregierung zur Umsetzung nicht in der Lage ist.

Wir diskutieren eine Reihe von Problemen vor dem Hintergrund, dass die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr 5,4 Milliarden € weniger hat als im letzten Jahr. Es gibt nämlich keinen Bundeszuschuss im Bundeshaushalt. Dagegen ist Herr Wolf, dagegen ist Frau Grosse, dagegen sind alle Arbeitsmarktpolitiker der SPD. Man fragt sich, wer eigentlich diesen Bundeshaushalt beschlossen hat.

(D Der ist doch nicht vom Himmel gefallen. Die 5,4 Milliarden € stehen deshalb nicht im Bundeshaushalt, weil Herr Eichel ansonsten seine Defizitquote verfehlt hätte. Deshalb hat man den Bundeszuschuss gestrichen, weil man weiß, dass es ohnehin den Zwang des Bundeshaushalts gibt, für das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit aufzukommen. Jetzt aber hinzugehen und zu sagen: Das ist unglaublich oder, Herr Senator Wolf – er liest! –, das ist eine starke Formulierung: Die Bundesanstalt für Arbeit hat einen Fehler gemacht, weil sie akzeptiert hat, dass sie im Haushalt keinen Zuschuss mehr bekommt. – Starke Formulierung. Man fragt sich jedoch, wer eigentlich diesem Bundeshaushalt zugestimmt hat. Ich kenne keinen sozialdemokratischen Berliner Bundestagsabgeordneten, ich kenne keinen grünen Bundestagsabgeordneten, der gesagt hätte, der Bundeshaushalt muss an dieser Stelle nachgebessert werden, weil wir einen Bundeszuschuss brauchen. – Nun haben wir ihn nicht, und die Bundesanstalt für Arbeit hat ein Problem, weil die Arbeitsmarktzahlen steigen und weil eine ganze Reihe von zusätzlichen Programmen zu finanzieren sind. Das ist offensichtlich für alle Beteiligten eine große Überraschung. Seit acht bis neun Monaten wissen wir das aber. Wir wissen, dass sich die Arbeitsmarktzahlen nicht wie geplant entwickeln. Wir wissen, dass das Geld nicht zur Verfügung steht, wir kennen die neuen Programme. Man fragt sich: Wer hat sich eigentlich organisatorisch auf diese Situation vorbereitet? – Ich stelle fest, es ist genau die Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission, von der Herr Wolf behauptet, dass der Senat sie aktiv begleitet, wo es aber offensichtlich an allen Ecken und Enden hakt.

demotivierend, wenn man hin- und herrennt und schlicht nicht weiß, wohin. Stellen Sie sich vor, sogar die Grünen sind dafür, diesen Dschungel zu lichten.

Das ist genug Stoff, um sofort mit der Arbeit loszulegen, denn die Zahl der Schulabgänger wird nicht geringer. Das passiert erst im Jahr 2007. Heute müssen Sie sich darum kümmern, dass endlich Maßnahmen ergriffen werden und dass Sie nicht immer nur erzählen, wie schön es doch wäre, wenn etwas passierte. – Danke!

[Beifall bei den Grünen – Beifall der Abgn. Frau Dr. Barth (PDS), Niedergesäß (CDU) und Dr. Steffel (CDU)]

Schönen Dank, Frau Kollegin Pop! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr das Wort Herr Abgeordneter Kurth. – Bitte schön, Herr Kurth!

[Liebich (PDS): Sie sagen jetzt, wie Ihr Programm bezahlt wird!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es ein Thema gibt, bei dem parteipolitische Polemik und das Beharren auf Ideologien besonders fehl am Platze ist, dann ist es die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

318 000 Arbeitslose und ihre Familien, Tausende von Jugendlichen, die Ausbildungsplätze suchen, das sind oft genug Menschen, die von gar keiner politischen Partei eine Verbesserung ihrer Lage erwarten und auch anfangen, am System der parlamentarischen Demokratie zu zweifeln. Deswegen sollte eine Diskussion über dieses Thema sich von der Diskussion über andere politische Streitpunkte etwas unterscheiden. Deswegen, Herr Senator Wolf, hat mich sehr gewundert und unangenehm überrascht, dass Sie die Beantwortung der Großen Anfrage zu Beschimpfungen der Opposition an Stellen benutzt haben, an denen dies völlig überflüssig gewesen ist. Herr Jahnke, das gilt für Sie leider auch.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Mit dem ersten Satz, Herr Wolf, haben Sie sich gleich wieder auf die Bundesebene begeben. Das kann man durchaus so machen, nur wenn Sie sagen, es sei Aufgabe eines Senators, einer Landesregierung, den bestehenden Handlungsbedarf zu benennen, dann widerspreche ich Ihnen. Das kann inzwischen jeder Abgeordnete hier. Aufgabe einer Landesregierung ist es, konkret zu sagen, welche Initiativen sie einzuleiten gedenkt, um die Probleme zu lösen und an ihrer Verbesserung mitzuarbeiten.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Hier bleiben Sie unverändert die entscheidenden Antworten schuldig.