Protocol of the Session on February 20, 2003

[Beifall bei der FDP – Doering (PDS): Tolle Motivation für die Beschäftigten! – Frau Dr. Hiller (PDS): Hoffentlich kommt es nicht dazu! – Abg. Krüger (PDS) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ansonsten haben wir typische Instrumente der Berliner Haushaltspolitik, und die heißen – erstens – Tricksen. So haben wir z. B. bei der Kultur die Auflösung von 25,8 Millionen € pauschaler Minderausgaben. Aber die Summe der Kürzungen im Kapitel 17 01 ergibt gerade mal die Summe von 10,5 Millionen €. Wir fragen Sie: Wo ist der Rest geblieben? Wo haben Sie ihn untergeschoben? – Wir haben – zweitens – noch ein paar Verschiebebahnhöfe wie z. B. den Neubau des St. HedwigKrankenhauses. Da verschieben Sie einfach den zweiten Bauabschnitt auf den Sankt-Nimmerleins-Tag – Einsparvolumen: 4,2 Millionen €.

Wenn man das Ganze resümiert: Es ist unseriös, wenn man die Vermögensaktivierung anschaut, und es wird getrickst und verschoben. Vor allem ist es aber völlig strukturlos.

[Beifall bei der FDP]

Dieser Nachtragshaushalt beinhaltet keinen Mentalitätswechsel. Dieser Nachtragshaushalt ist vielmehr ganz alte Berliner Politik. Er mieft.

[Beifall bei der FDP]

Er ist ein Spiegel Ihrer Unfähigkeit, die Dinge anzupacken und Probleme zu lösen, statt nur darüber zu reden. Er zeigt Ihre Unfähigkeit, die alten Strukturen aufzubrechen.

Ich zitiere Sie jetzt zum dritten Mal, Herr Senator Sarrazin, aus Ihrer Rede am 18. April 2002:

Nur dann, wenn wir jetzt, in diesem Jahr, zu den wirklich groß angelegten Struktureinschnitten kommen, werden wir das Konsolidierungsziel erreichen. Dieses wiederum ist notwendige Bedingung dafür, dass wir beim Bund mit einiger Aussicht auf Erfolg um Hilfen für den Schuldendienst nachsuchen können.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krüger?

Ja! – Bitte!

Herr Krüger, dann haben Sie das Wort!

Herr Dr. Lindner! Habe ich Sie in Ihrer Rede richtig verstanden, dass Sie eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Geltung der Beschäftigungssicherungsvereinbarung – also des Prinzips des Aus

schlusses betriebsbedingter Kündigungen – beabsichtigen?

Da haben Sie mich sehr richtig verstanden. Wenn jetzt die 2004 auslaufenden Beschäftigungssicherungsverträge neu beschlossen werden und Sie sich in Zeiten extremer Haushaltsnotlage dazu hinreißen lassen, neuerdings solche mittel- und langfristigen Verträge abzuschließen, dann werden wir die anfechten. Darauf können Sie sich verlassen.

[Beifall bei der FDP]

[Zuruf]

[Krüger (PDS): 72!]

72! Geschenkt, die schenke ich Ihnen dazu! Ich gebe Ihnen sogar noch einen darauf: Runden wir auf 80 auf! Also 80 Vorschriften aufgeschrieben, aber noch keine umgesetzt! – Herr Krüger! In einem von der FDP mitregierten Land wie z. B. Baden-Württemberg sind zwischen 1999 und 2001 insgesamt 1 581 von 4 303 Verwaltungsvorschriften abgebaut worden. Zur Verdeutlichung: Nicht nur irgendwo aufgeschrieben, sondern abgebaut worden!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Das verdient dann auch den Namen Deregulierung und Verwaltungssystematisierung. 36 % an Bürokratie abzubauen, das ist das, was wir brauchen. Ihre 70 oder 80 Vorschriften, oder wie viele es auch immer sein mögen, die Sie irgendwo in einem Hinterstübchen aufgeschrieben haben, interessieren deswegen überhaupt niemanden. Die bringen Berlin nicht weiter.

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der PDS und den Grünen]

Jetzt kommt von der SPD etwas richtig Großes, und zwar ein Leitantrag: „Berlin wird der privaten Initiative wieder mehr Raum geben!“

[Beifall bei der SPD]

Er hat zumindest einen Ansatz davon gezeigt, alte Zöpfe abzuschneiden. Gestern die Entscheidung zum Tempodrom war ein schönes Beispiel dafür. Manchmal geht es noch nicht weit genug. Ein Regierungschef muss aber auch zeigen, wohin die Richtung geht, und das müssen Sie, Herr Regierender Bürgermeister, auch ohne Richtlinienkompetenz hinkriegen. Sie müssen Ihr Ziel zeigen –

ich rede noch nicht von einer Vision, ich rede von einer Linie. Sie müssen den Leuten vermitteln, wofür dieser Hauhalt konsolidiert werden soll. Das können Sie sich – um das vielleicht einmal begreiflich zu machen – klar machen, wenn Sie sich folgendes vorstellen: Wenn ein kleiner Junge 2 € in ein Sparschwein wirft, dann hat er dabei eine Vorstellung, für was das passiert. Der denkt vielleicht an eine Tüte Eis oder ein Buch oder irgendetwas anderes. Ein Erwachsener, ob er 20 €, 20 000 oder 2 000 € spart, hat auch eine gewisse Vorstellung. Er denkt an eine schöne Reise oder an die Altersversorgung oder an ein Häuschen im Grünen. Anders kann das nicht funktionieren. Anders ist kein Mensch bereit zu sparen. Und so müssen Sie es auch hier machen. Sie müssen den Leuten zeigen, wohin die Reise in Berlin geht. Die wollen wissen: Wohin konsolidieren Sie? – Sie müssen Konsolidieren zum Projekt für die Bürger machen. Sie müssen ihnen beispielsweise zeigen, diese Schule werden wir mit einem Sprachlabor oder mit mehr Lehrern ausstatten. Diese wissenschaftliche Einrichtung werden wir fördern. Sie müssen ihnen die Zukunft plastisch und begreifbar machen, und dann sind sie auch bereit, harte und härteste Konsolidierungsmaßnahmen mitzumachen.

(D

Sie haben ein Jahr Zeit verloren. Die FDP wird Ihnen weiter zeigen, wohin die Richtung gehen muss. BSR, BVG sind heute beredte Beispiele dafür, wo man relativ schnell zu einem vernünftigen, wirklichen Mentalitätswechsel kommen kann. Wir als FDP haben bereits 20 Anträge einer Serie „Mehr Berlin – weniger Staat“ eingebracht. Auch diese werden wir fortsetzen. Wir werden den Bürgern zeigen, dass nicht nur die Menschen in SachsenAnhalt, Baden-Württemberg und Niedersachsen, sondern dass auch die Menschen in Berlin eine politische Alternative haben. – Herzlichen Dank!

So heißt der Leitantrag, den der Landesvorstand eingebracht hat. Herr Müller, Sie klatschen. Ich freue mich. Der Artikel in der heutigen „Berliner Morgenpost“ geht dann am Ende so weiter:

Schon im Landesvorstand gab es dem Vernehmen nach massive Kritik und lange Diskussionen. Schließlich billigte das Gremium bei fünf Enthaltungen und zwei Gegenstimmen, der Partei den Entwurf als Diskussionsgrundlage vorzulegen. Inhaltlich habe das Papier nicht unbedingt eine Mehrheit im Landesvorstand, sagte ein führender Genosse.

Jetzt können wir uns alle – parteierfahren wir sind, vor allem mit Ihrer, Herr Müller – vorstellen, wie das weitergeht. Auf dem nächsten Landesparteitag wird die Chose zusammengeschustert und zurechtgeschnippelt, und am Ende bleibt dann vielleicht noch ein bisschen an liberaler Lyrik. Damit können Sie dann Herrn Lorenz ärgern – mit so ein bisschen Liberallalla.

[Doering (PDS): Liberallalla - genau!]

Aber spätestens Ihre Fraktion wird dann im Hause dafür sorgen, dass die Sache gänzlich eingedampft wird. Möglicherweise kommt ein Gutachterauftrag und der eine oder andere Berichtsauftrag dabei heraus, aber ansonsten gilt: Außer Spesen nichts gewesen!

Wir haben in Berlin mittlerweile einen Klaus Wowereit. Herr Regierender Bürgermeister, vorweg ein Lob: Sie haben in einem Jahr gezeigt, dass in einem Bereich ein Mentalitätswechsel vollzogen wurde. Wir haben eine gute Vertretung bei Veranstaltungen wie der Berlinale oder der Echo-Verleihung.

[Beifall bei der PDS – Frau Dr. Klotz (Grüne): Sie müssen es ja wissen!]

Frau Klotz! Ich sage das ohne Häme, weil Klappern auch zum Geschäft gehört. Da macht er eine gute Figur. Da lasse ich mir auch nichts einreden. Ihre Kritik an solchen Sachen ist etwas spießig. Ich bin auch sicher, dass er anschließend bei der Verleihung des Buddy-Bären an Thomas Gottschalk ein würdiger Vertreter des Landes Berlin ist.

[Heiterkeit – Zurufe von der PDS und den Grünen – Brauer (PDS): Peinlich!]

Nein! Das ist wichtig. Davon könnte sich Ihr Herr Wolf auch einmal ein Scheibchen abschneiden. Es ist für Berlin eine wichtige Sache.

[Beifall bei der FDP – Heiterkeit]

[Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der FDP – Brauer (PDS): Immer noch bei Projekt 18!]

Danke schön! – Für die PDS-Fraktion hat nunmehr der Abgeordnete Wechselberg das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Keine deutsche Kommune befindet sich auch nur annähernd in einer ähnlich verzweifelten finanziellen Lage wie Berlin. Selbst die Haushaltsnotlage hat hier hauptstädtisches Format, mit einem Schuldenberg von 46 Milliarden € und einer jährlichen Deckungslücke von 5 Milliarden €. Und als wäre das nicht genug, haben wir neben diesem finanzpolitischen Super-GAU auch noch den größten Bankenskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte abzuarbeiten. Die haushaltspolitische Situation, die wir hier vorgefunden haben, ist derart prekär, dass es der politischen Bereitschaft zu Einschnitten in bestehende Besitzstände und gesellschaftliche Interessen in einem umfassenden Sinn bedarf. Materiell und mental gilt es, das alte Berlin zu überwinden und die Stadt zu erneuern. Wir müssen dafür die Strukturen der öffentlichen Leistungserbringung im Grundsatz verändern, und zwar so, dass auch unter den Bedingungen der Haushaltsnotla

Ein Problem ist allerdings, dass wir für die Sanierung des Landeshaushalts zumindest eine gewisse Stabilität auf der Einnahmeseite benötigen. Damit sind wir zugleich auch bei einer der wesentlichen Ursachen dafür, dass wir für das Jahr 2003 einen Nachtragshaushalt überhaupt benötigen. Das ist der schon genannte gravierende Einbruch der Steuereinnahmen der öffentlichen Hand, nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten Bundesrepublik. Sehen wir den Realitäten ins Auge. Einerseits hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Steuerpolitik, insbesondere der Unternehmensbesteuerung, gravierende Fehler gemacht, die sich in veritablen Einbrüchen, insbesondere der Körperschaftssteuer, darstellen. Zweitens befinden wir uns am Rande einer Rezession, die selbstredend unmittelbare Auswirkungen auf die Steuereinnahmen des Bundes und der Länder hat. Berlin musste deshalb gegenüber der ursprünglichen Steuerschätzung Mindereinnahmen von rund 700 Millionen € in 2002 und bisher rund 471 Millionen € in 2003 hinnehmen, und das, obwohl wir bei der Aufstellung des Doppelhaushalts, die relativ spät in 2002 erfolgt ist, bereits entsprechende Abschläge gegenüber der Steuerschätzung des Sachverständigenrats vorgenommen haben. Auf diese fiskalischen Entwicklungen müssen wir reagieren, allerdings nicht so, dass wir die zusätzlichen Lasten einfach unmittelbar auf den eigenen Handlungsbedarf Berlins aufschlagen, denn es macht keinen Sinn, mit eigenen Sparanstrengungen einem finanz- und wirtschaftspolitischen Ausnahmezustand hinterherzulaufen. Und ein Wirtschaftswachstum von unter 1 % in der Bundesrepublik ist hoffentlich kein Dauerzustand.

ge und der Sanierungslast die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Strukturen für diejenigen erhalten bleibt, die öffentliche Leistungen benötigen. Eine Politik, die um der kurzfristigen Stimmenmaximierung willen den Sanierungserfolg, den wir in dieser Legislaturperiode erreichen müssen, weil dies Existenzbedingung dieses Bundeslandes ist, aufs Spiel setzen würde, weil sie nicht bereit wäre, notwendige Einschnitte vorzunehmen, würde der Verantwortung für diese Stadt nicht gerecht.

[Beifall bei der PDS]

Das ist auch der Grund, warum die PDS-Fraktion bereit war und ist, grundlegende Konsolidierungslasten mitzutragen, wie sie diese Koalition beispielsweise im Zusammenhang mit dem Solidarpakt oder der Anschlussförderung vorgenommen hat. Wir drücken uns nicht vor der politischen Verantwortung auch für unbequeme Maßnahmen und dort, wo eigene Wählerinnen und Wähler betroffen sind. Das unterscheidet uns von manchem von CDU, FDP und Grünen, und auch das ist gut so, weil es diesem Land nützt.

Völlig unangemessen finde ich den Vorwurf ausgerechnet an diese Koalition, sie habe keine strukturellen Maßnahmen eingeleitet. Ich teile sogar die Auffassung, dass uns hier noch einiges aufgegeben ist. Allerdings so zu tun, als sei in diesem Bereich nichts passiert, hat mit den Realitäten nichts zu tun. Diese Koalition, seit einem Jahr im Amt, hat die Reform der Hochschulmedizin, den Solidarpakt,

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Was für ein Solidarpakt?]

das Ende der Anschlussförderung, das Facility Management, die One-Stop-Agency, die Klage Berlins beim Bund auf Haushaltsnotlagegelder, eine umfassende Steuerung der Sozialtransferausgaben eingeleitet und, Frau Ströver, sogar eine faire Chance, eine Opernstrukturreform durchzusetzen. Das ist eine überaus beachtliche, wenn auch auszubauende Agenda von Strukturreform. Und Berlin wäre heute nicht in dieser desparaten Lage, wenn andere Regierungen ähnlich rasch und nachdrücklich gehandelt hätten.