Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 21. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste, die Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich in unserer Mitte oder auf den Tribünen.
Geschäftlich habe ich einiges mitzuteilen: Die Fraktion der Grünen hat ihren Antrag „Sorgfalt der bezirklichen Schulentwicklungspläne sichern – kein Vorziehen der Anmeldung der Schulanfänger/-innen für das Schuljahr 2003/04“ – Drucksache 15/824 –, den wir am 26. September dieses Jahres zur Beratung an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport überwiesen hatten, zurückgezogen.
Die Überweisung des Antrags der Fraktion der CDU „Gesetz über das Management der Grundstücke im Eigentum Berlins“ – Drucksache 15/744 – an den Ausschuss für Verwaltungsreform wurde einvernehmlich von den Geschäftsführern der Fraktionen aufgehoben. Zur Beratung ist allein nun der Hauptausschuss aufgefordert. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
1. Antrag der Fraktion der PDS und der Fraktion der SPD zum Thema: „Bezirkliche Selbstverwaltung stärken – Bürokratie abbauen”,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Baustopp bei der Verkehrsinfrastruktur, massiver Arbeitsplatzabbau bei der Bahnindustrie – was bleibt noch übrig vom Berliner Kompetenzzentrum Verkehr?“
3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Nach BSR-Skandal: Endlich Wettbewerb bei Müllentsorgung und Stadtreinigung schaffen!“,
4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Siemens, Bombardier, Nestlé – Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen ohne Ende! Was macht der Senat?“.
Nun rufe ich zur mündlichen Begründung der Aktualität auf, und zwar erst dann, wenn einigermaßen Ruhe im Plenum herrscht. Es beginnt der Kollege Zotl. – Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktionen von SPD und PDS haben vorgeschlagen, die heutige Aktuelle Stunde zum Thema „Bezirkliche Selbstverwaltung stärken – Bürokratie abbauen“ durchzuführen. Dieses Thema ist – wie wir meinen – auf eine höchst unglückliche Art und Weise brennend aktuell geworden. Ins Gespräch gebracht wurde diese Idee, die Bezirksämter und die BVV ersatzlos zu streichen, vom Beamtenbund Berlin, weil man meinte, damit ein Einsparpotential von etwa 20 Millionen € zu erschließen. Allerdings – das möchte ich anfügen – müssten in der Logik dieses Vorschlags die politischen Wahlbeamten durch ziemlich hoch bezahlte Beamte auf Lebenszeit ersetzt werden, und das würde den Einspareffekt schon erheblich reduzieren.
Dennoch: Spätestens 2004 stehen wir vor der Herausforderung, tatsächlich an Strukturen sparen zu müssen, und dann müssen natürlich ausnahmslos alle Strukturen befragt werden dürfen, ob sie notwendig sind, ob man sie reduzieren sollte, ob sie Bremspotential produzieren oder wie sie zu effektivieren sind. Insofern, glauben wir, war es erst einmal völlig legitim, dass der Regierende Bürgermeister, nach seiner Auffassung zum Vorschlag des Beamtenbundes befragt, sich weder ablehnend noch zustimmend geäußert hat, sondern er hat aus seiner Sicht das Verhältnis Senat–Bezirke problematisiert. Daraufhin beklagten sich die Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister beim Bundespräsidenten darüber, für wie verzichtbar sie gehalten werden. Zugleich aber dachten sie darüber nach, wie man doch diese Bezirksamtsstrukturen effektivieren kann, und sie kamen zu dem Vorschlag, man kann die Zahl der Bezirksamtsmitglieder um eine reduzieren. Das nun aber hat gestern die Komba-Gewerkschaft initiiert, eine Presseerklärung mit dem Inhalt herauszugeben, dass dann, wenn ein Posten verzichtbar ist, alle Posten verzichtbar sind.
[Frau Dr. Klotz (Grüne): Was sagt eigentlich der Regierende Bürgermeister zu diesem Thema? – Dr. Lindner (FDP): Wo ist eigentlich der Verursacher des ganzen Ärgers?]
Und gleichzeitig hat sie gesagt, das sind alles nur gut bezahlte Versorgungsposten für die Parteien. Nun haben wir in Berlin ein höchst aktuelles und folgenschweres Problem. Es gab eine sachliche Debatte, auch bis hin zu der Frage, Entscheidungen zu zentralisieren, und es gibt plötzlich eine moralische Dimension, nämlich die Debatte droht zu einer Disqualifizierung und Diffamierung zu entgleisen. Zu allem Überfluss gibt es auch noch den Aufruf der benannten Gewerkschaft an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zum Bummelstreik. Gestern trafen sich nun alle 12 Berliner
Bezirksbürgermeister und formierten ihre Gegenkraft. Im Resultat dessen sitzen jetzt alle – um es einmal bildlich zu sagen – in ihren Schützengräben, um sich zu verteidigen und mit der Bereitschaft, alle anderen anzugreifen.
Und spätestens jetzt – das ist die Aktualität, von der ich sprach – braucht die Stadt zwei Botschaften: Erstens müssen wir uns auch als Landesparlament zur politischen Rolle der bezirklichen Selbstverwaltungsorgane verhalten. Das ist nicht nur eine Bringepflicht an unsere Kolleginnen und Kollegen in den Bezirksverordnetenversammlungen und in den Bezirksämtern, sondern das ist auch wichtig für die Bevölkerung in Berlin und in Brandenburg, für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, und es ist auch wichtig für das allgemeine Urteil, wie interessiert die Landespolitik an einem intensiven Meinungsaustausch und demokratischen Entscheidungsbildungen mit den Bezirken ist. Das gilt natürlich in erster Linie für die Regierung, aber ich glaube, das gilt ebenso für die Opposition. Und das muss jetzt geschehen, weil jetzt das Problem eskaliert ist und in eine völlig falsche Richtung auszuufern droht.
Und zweitens wird die Aktualität durch noch etwas begründet: Wir stehen – wie gesagt – vor einem neuen Schritt struktureller Haushaltskonsolidierung, und dafür brauchen wir ein geistiges Klima in der Stadt,
das es ermöglicht, alle Strukturen zu prüfen, und nicht nur aus der Sicht, dass sie wegfallen oder bleiben, sondern auch aus der Sicht, wie sie zu reformieren und zu effektivieren sind – das muss selbstverständlich auch für alle politischen Strukturen gelten. Eine solche Atmosphäre brauchen wir sofort, ehe sie durch das unsägliche augenblickliche Niveau dieser konkreten Debatte endgültig vergiftet ist. Und dazu soll die von uns beantragte Aktuelle Stunde beitragen. – Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Danke schön, Herr Kollege! – Ich darf darum bitten, dass vielleicht der Lautstärkepegel im Saal etwas gesenkt wird und dass die notwendigen Verhandlungen vorzugsweise außerhalb oder hinten geführt werden. Das gilt für alle – auch für Senatoren!
Dann rufe ich zur Begründung des CDU-Antrags den Kollegen Kaczmarek auf. – Bitte schön, Herr Kaczmarek!
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Erlauben Sie mir eine Bemerkung zuvor: Herr Zotl, diese Stadt steckt in ihrer stärksten Finanzkrise. Wir sind Schlusslicht der Wirtschaftsentwicklung, und diese Regierungskoalition sieht als Priorität der heutigen Diskussion die Frage der Bezirksverwaltung. – Herzlichen Glückwunsch, kann ich zu Ihrer Prioritätensetzung nur sagen!
Die CDU-Fraktion ist der Auffassung, nichts kann aktueller sein als die Sorgen der Menschen in dieser Stadt, die um ihre Arbeitsplätze, ihr Einkommen und ihren sozialen Status fürchten. Nichts kann aktueller sein als der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Ganz aktuell stehen 600 Arbeitsplätze beim Bahntechnikhersteller Bombardier auf der Kippe. 600 Arbeitsplätze sollen vernichtet werden. Jetzt fallen die Entscheidungen, jetzt besteht noch die Möglichkeit, politisch einzugreifen. Sie, von der Regierungskoalition, wollen hier lieber über die bezirkliche Selbstverwaltung diskutieren. 210 Arbeitsplätze verschwinden mit dem Fahrzeugausrüstungswerk Marzahn aus der Stadt, hochwertige Arbeitsplätze, Arbeitsplätze von Menschen, die Steuern in dieser Stadt zahlen. Noch können die Weichen umgestellt werden, noch ist nichts unwiderruflich verloren.
Sie von der Regierungskoalition sind der Meinung, Sie sorgen sich lieber über die Arbeitsplätze Ihrer Bezirksstadträte und Bezirksbürgermeister. Das ist die falsche Prioritätensetzung, meine Damen und Herren!
Minus 0,7 % ist die traurige Bilanz des Bruttoinlandprodukts in Berlin im ersten Halbjahr 2002. Der Unternehmerverband Berlin-Brandenburg fürchtet, dass uns die Folgen dieser dramatischen Entwicklung mit voller Härte erst ab dem Frühjahr 2003 treffen werden. Die Unternehmer fürchten eine weitere Vernichtung von 3 000 bis 4 000 industriellen Arbeitsplätzen in Berlin. Noch ist Zeit, gegenzusteuern. Noch ist Zeit, sich gemeinsam wirksame Strategien zu überlegen. Aber Sie, meine Damen und Herren von SPD und PDS, Sie sorgen sich lieber über die Organisation der Bezirksverwaltungen. Das sind Ihre Prioritäten!
hier lieber nicht diskutieren. Dabei ist es allerhöchste Eisenbahn, den Senat auf seiner Schussfahrt aufs wirtschaftliche Abstellgleis zu stoppen. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird aus dem Kompetenzzentrum Verkehr ein Inkompentenzzentrum.
Wichtige Innovationen wandern gerade in andere Städte ab. Der elektronische Fahrschein – in Berlin getestet – wird in Paris und anderen Städten realisiert. Der automatische Zugbetrieb – in Berlin getestet – wird in Nürnberg und Paris realisiert. Der Transrapid – für Berlin vorgesehen – geht als Geschenk für Herrn Clement nach NordrheinWestfalen.
Statt den Standort durch vernünftige Prioritätensetzung zu stärken und den Berliner Unternehmen der Verkehrstechnik Arbeit zu geben, stoppen Sie auch noch die nötigen Investitionen. Jetzt müssen wir darüber diskutieren, wie im Zusammenhang mit dem notwendigen Nachtragshaushalt mit Straßen-, UBahn- und Straßenbahninvestitionen umgegangen wird. Jetzt können wir die Weichen stellen für Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft und der Verkehrsindustrie – nicht durch mehr Geld, sondern durch intelligenten Einsatz der vorhandenen Mittel. Lassen Sie uns die jetzt anstehenden, dringend notwendigen Entscheidungen für den Erhalt des Kompetenzzentrums Verkehr diskutieren.
Und nur ein Beispiel für die Aktualität und die Dringlichkeit: In Kürze erreicht die neue vierspurige B 101 aus Brandenburg die Stadtgrenze. Die Berliner Antwort auf diese Investition sind Tempo–30Schilder wegen Straßenschäden und eine Straßenführung auf Kopfsteinpflaster. Das zeigt deutlich, wes Geistes Kind der Senat an dieser Stelle ist.
Verkehrskompetenzzentrum wird man nicht durch die Aufstellung von Sackgassenschildern, sondern durch vernünftige Prioritätensetzung. Die Prioritäten dieses Senats sind falsch. Wenn man die heutigen Pressebilder des Regierenden Bürgermeisters sieht kann man ihm nur zurufen: Hennigsdorf statt Hollywood, das ist die richtige Priorität! – Danke schön!
Danke schön, Herr Kollege Kaczmarek! – Das Wort für die FDP zur Begründung der Aktuellen Stunde hat Herr Dr. Lindner. – Bitte schön, Herr Dr. Lindner!
Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Das Thema der Koalitionsfraktion: Bezirksreform ist durchaus ein wichtiges, das will keiner hier abstreiten. Es ist ein Teil einer
Verwaltungsreform, die Berlin dringend durchzuführen hat, und auch meine Fraktion beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit dem Thema, hier ein systematisches Auseinanderziehen der Zuständigkeiten von Bezirken und Hauptverwaltungen zu erreichen. Die Ursache Ihres heutigen Wunsches, darüber zu sprechen, ist aber nicht die Aktualität dieses Themas. Aktuell ist allenfalls, dass der Regierende Bürgermeister gesagt hat, die BVVen müssen abgeschafft werden. Da ist es für Sie jetzt natürlich besonders wichtig, Ihren eigenen Leuten von dieser Stelle aus klarzumachen, dass das nicht der Fall ist. Aber, das tut mir herzlich Leid, das ist mehr ein Problem Ihrer Fraktion, aber nicht des gesamten Parlaments, hier in einer Aktuellen Stunde über diese Frage zu reden.
[Beifall bei der FDP und der CDU – Doering (PDS): Sie haben ja auch keinen Bürger- meister gestellt!]
Was wirklich aktuell ist und über was tatsächlich schon seit geraumer Zeit in den Medien berichtet wird, ist vielmehr der BSR-Skandal. Laut einem Bericht der Berliner Zeitung geht es darum, dass in den Jahren 1999 bis 2001 pro Jahr 15 Millionen € bei den Berlinerinnen und Berlinern zuviel kassiert wurde. Wir reden also insgesamt über eine Summe von 60 Millionen €. Das ist alleine von seiner Summe schon erschreckend genug. Was aber vor allem erschreckend ist, ist der Umgang mit diesem Skandal. Er wird abgetan von den Vertretern insbesondere der BSR als EDV-Fehler, das muss man sich mal vorstellen! Wir reden hier über ein Gesamtvolumen von etwa 10 % der gesamten Aufwendungen für Stadtreinigung. Und da erzählen uns Vertreter der BSR, dass es hier über 4 Jahre hinweg einen EDV-Fehler gegeben hat. Lieber Gott, haben die denn kein Management und keine kaufmännische Abteilung, die wenigstens die Plausibilität ihrer Rechnungen überprüft?
Und da sind wir bei dem Thema, das die Leute wirklich erschreckt in dieser Stadt und das ihnen wirklich sauer aufstößt – das ist diese Hilflosigkeit gegenüber staatlichen oder privaten Monopolen, die hier zum Ausdruck kommt!
Das ist das, was wirklich hinter der ganzen Geschichte steht, und das ist eine lange Geschichte staatlicher oder privater Monopole und ihre Laxheit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
Hier darf ich erinnern, was wir damals bei dem Thema Telekommunikation hatten. Da hatten wir über Jahre, Jahrzehnte Bakelittelefone, Einheitsmo