Hier darf ich erinnern, was wir damals bei dem Thema Telekommunikation hatten. Da hatten wir über Jahre, Jahrzehnte Bakelittelefone, Einheitsmo
delle, mausgrau, froschgrün oder burgund zur Auswahl. Wir hatten das Problem, dass man einen Telefonanschluss erst nach ca. 3 bis 4 Monaten bekommen hat und dass ein Telefonat von Frankfurt nach Berlin 20 DM kostete. Da hat man jahre- und jahrzehntelang den Bürgerinnen und Bürgern erklärt: Dies sei nötig, es gehört zur Grundversorgung, also muss es staatlich sein. Es ist ein besonders sensibler Bereich – das ist auch so ein Totschlagsargument –, es ist Daseinsfürsorge, und es ist schließlich die Sicherheit im Fernmeldebereich, die dahinter steht. Das waren alles Gründe, die man jahrzehntelang aufgeführt hat, um die Leute letztlich zum Narren zu halten und dieses riesige Monopol aufrecht zu erhalten.
Um nichts anderes geht es auch in der Frage, die wir hier vorliegen haben und über die wir reden müssen. Wir müssen über Liberalisierung reden, und wir müssen über Wettbewerb reden im Bereich der Stadtreinigung aber auch der Entsorgung. Ich bin überzeugt, dass Wettbewerb und Konkurrenzdruck zwar nicht ausschließen, dass die Leute auch mal mit zu hohen Kosten belastet werden. Aber den Menschen wird eine Alternative geschaffen. Ihnen wird die Möglichkeit gegeben, zur Konkurrenz zu gehen und nicht, wie bisher, auf dieses Konglomerat angewiesen zu sein.
Das sind die Antworten, die die Bürgerinnen und Bürger auf den BSR-Skandal erwarten. Sie erwarten eine Diskussion darüber, wie wir möglichst schnell das Monopol der BSR sowohl im Bereich der Stadtreinigung als auch im Bereich der Müllentsorgung beenden, wie wir auch in diesem Bereich Wettbewerb schaffen und wie wir uns vor allem auch in den weiteren Fragen positionieren – dazu werden wir leider erst später Gelegenheit haben –, und zwar zu den dringenden Überlegungen, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Es kann nicht sein, dass dies hier wieder damit abgetan wird, dass sich lediglich ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer damit beschäftigt.
Wir werden heute auch Gelegenheit bekommen müssen, über die Frage zu reden, ob unter diesem Aspekt die Hafenbetriebe Behala mit ihren gesamten Grundstücken tatsächlich an die BSR verschoben werden sollen, wie es insbesondere der Stadtentwicklungssenator Strieder vorhat, um weiter sein Lieblingskind BSR aufzublasen und unter anderem auch als Vorratsbude für das Verschieben abgetakelter Politiker zu erhalten. Das ist die aktuelle Situation der Stadt, und hierüber müssen wir uns auch aktuell unterhalten. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Herr Dr. Lindner! – Das Wort zur Begründung der Aktuellen Stunde hat nunmehr Frau Paus von der Fraktion der Grünen. – Bitte schön, Frau Paus!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle drei Themen der Oppositionsfraktionen sind heute aktueller als das Thema der Regierungskoalition,
schlicht schon deswegen, weil derjenige, der die Debatte angezettelt hat, der Regierende Bürgermeister, auch heute gar nicht unter uns weilt, sondern in Los Angeles ist.
Siemens: 700 Arbeitsplätze, Bombardier: 600 Arbeitsplätze, Nestlé: 500 Arbeitsplätze. Was wir derzeit in Berlin an massivem Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen erleben, hat eine neue Dimension. Das kann man nur als Erdrutsch bezeichnen. Deswegen wollen wir heute über dieses Thema sprechen. Denn wenn der Senat hier nicht umgehend andere Signale setzt, nicht endlich aktiv eingreift, dann brennt der Wirtschaftsstandort Berlin.
Herr Lindner, natürlich haben wir Sympathie für Ihr Thema, heute über die BSR zu sprechen. Aber wir denken, beim Thema BSR liegt die Aktualität etwas anders, denn bei der BSR geht es nicht allein um das Thema Straßenreinigung, nicht allein darum, dass sie uns am Wochenende erklärte, sie habe leider festgestellt, dass sie 60 Millionen € zu viel eingenommen hat, nein, es geht auch darum, dass die BSR und der Senat uns alle, die gesamte Stadt, sehenden Auges in den Müllnotstand treibt. Dazu hat unsere Fraktion bereits in der letzten Plenarsitzung eine Große Anfrage eingebracht, die in der kommenden gemeinsamen Sitzung des Umwelt- und des Wirtschaftsausschuss besprochen wird. Wir denken, dass es auch in ihrem Interesse ist, aber auch ein Gebot der parlamentarischen Arbeit, Ergebnisse dieser Aussprache abzuwarten und dann bei der nächsten Plenarsitzung, gern auch im Rahmen einer Aktuellen Stunde, über dieses Thema zu sprechen.
Der dramatische Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen gehört deshalb auf die Tagesordnung, weil wahrscheinlich nicht nur wir den Eindruck haben, dass er vom Senat inzwischen eher als ein Naturkatastrophe gesehen wird, gegen die eigentlich nichts mehr getan werden kann. Wir sagen: Das ist falsch. Der Senat kann und er muss handeln.
Beispiel Ausbildungsplätze: Diese Naturkatastrophe kommt im Land Berlin bekanntlich jedes Jahr. Es ist sogar bekannt, dass sie immer im September stattfindet, und trotzdem sind zurzeit, und wir haben November, immer noch 2 000 Jugendliche in Berlin ohne Ausbildungsplatz. Die Jugendlichen in Berlin finden zu Recht, dass sie im Stich gelassen werden, finden zu Recht, das ist ein Skandal.
Wo ist denn der Senator für Wirtschaft und Arbeit der Stadt wieder einmal – zu spät, aber dann ad hoc bereitzustellen –, um Jugendliche in überbetriebliche Ausbildung zu schicken, mal in seine öffentlichen Anstalten zu schauen und auch in die vom Land gehaltenen Unternehmensbeteiligungen und sich dort dafür einzusetzen, dass mehr ausgebildet wird, als es derzeit der Fall ist. Die Quoten, Herr Wolf, sind wirklich beschämend. Oder wo ist denn der Senator für Wirtschaft und Arbeit,
der organisiert, dass der Senat, aber auch die Bezirke aktiv auf die Unternehmen im Land zugehen, statt wieder einmal nur Gespräche zu führen – mit der IHK, der Handwerkskammer und dem Arbeitsamt? Das wollen wir, und das wollen die Jugendlichen in der Stadt heute wissen.
Und noch einmal zurück zu Bosch, Siemens, Bombardier und Nestlé: Berlin hat seit der Wiedervereinigung zwar bereits Hunderttausende von Industriearbeitsplätzen verloren, aber im letzten Jahr waren wir alle erleichtert, denn es wurde verkündet – und die Zahlen haben das auch unterstützt –, die Talsohle in Berlin sei endlich durchschritten. Das verarbeitende Gewerbe habe sich grundlegend umstrukturiert, und das Niveau habe sich stabilisiert. Der Trend sei endlich gebrochen. Und heute? Natürlich handelt es sich in allen drei Unternehmen zunächst um Unternehmensentscheidungen von Konzernzentralen, die woanders sitzen. Aber ich frage dennoch: Wo sind die Impulse des Wirtschaftssenators, die die Unternehmen davon überzeugen würden, dass der Standort Berlin ein zukunftsfähiger Standort ist, und dass es wichtig ist, auf Berlin zu setzen und hier Arbeitsplätze aufzubauen, statt sie abzubauen?
Wo ist denn zum Beispiel die One-Stop-Agency, die uns schon seit langem versprochen worden ist, die sicherstellt, dass Unternehmen nicht zu 5 oder 6 Fördergesellschaften laufen müssen, um dann an 10 oder 12 Genehmigungsbehörden zu scheitern? Ich habe jedenfalls wieder einmal eine Benachrichtigung bekommen, dass die Vorarbeiten leider noch
nicht abgeschlossen sind und dass ich mich doch bitte gedulden möge bis Ende Dezember 2002. Ich sage heute, dass ich die Geduld nicht mehr habe. Die Menschen in dieser Stadt haben die Geduld nicht mehr. Sie müssen mehr und mehr um ihren Arbeitsplatz bangen, wenn sie denn einen haben. Bald haben sie keinen mehr. Herr Wolf, tun Sie etwas.
Wir haben hier alle die Pflicht, den Flächenbrand in der Berliner Wirtschaft zu verhindern, und deswegen sollten wir heute endlich damit beginnen.
Danke schön, Frau Kollegin Paus! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich lasse über das Thema der heutigen Aktuellen Stunde abstimmen, und zwar zuerst über den Vorschlag der Fraktionen von PDS und SPD. Wer deren Aktuellen Stunde seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Danke! Ersteres war die Mehrheit. Damit ist diese Aktuelle Stunde so beschlossen. – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Die anderen Anträge haben damit ihre Erledigung gefunden, und unter Tagesordnungspunkt 2 werde ich dann die Aktuelle Stunde aufrufen.
Ich habe jetzt noch eine Bitte der Fraktion der CDU vorzutragen. Es handelt sich um die Neuwahl eines Mitglieds des Kuratoriums der Technischen Fachhochschule Berlin. Das Mitglied der CDU im Kuratorium, Herr Friederici, hat seinen Rücktritt aus diesem Gremium erklärt. Der Abgeordnete Rainer Ueckert hat inzwischen seine Bereitschaft erklärt und ist von der Fraktion nominiert worden, in das Kuratorium gewählt zu werden. Da die nächste Kuratoriumssitzung am 28. November bereits um 11.00 Uhr stattfindet, wäre die Fraktion der CDU sehr dankbar, wenn die Nachwahl noch heute stattfinden könnte, damit die Fraktion der CDU bei der nächsten Sitzung des Kuratoriums vertreten ist. Dazu höre ich keinen Widerspruch und gehe davon aus, dass mithin Herr Ueckert als neues Mitglied des Kuratoriums bestätigt ist.
Schließlich möchte ich wieder auf die Ihnen vorliegende Konsensliste und auf das Verzeichnis der eingegangenen Dringlichkeiten hinweisen. Sofern sich gegen die Konsensliste bis zum Aufruf des entsprechenden Tagesordnungspunktes kein Widerspruch erhebt, gelten die Vorschläge als angenommen. Über die Anerkennung der Dringlichkeit wird dann wieder jeweils an entsprechender Stelle der Tagesordnung entschieden.
Sitzung haben sich seitens des Senats entschuldigt, so wie es auch im Ältestenrat schon zur Kenntnis genommen worden ist: der Regierende Bürgermeister, der auf einer Dienstreise in den USA ist. Der Bürgermeister und Senator Wolf wird zwischen 20 und 21 Uhr wegen eines Grußwortes auf einem Wirtschaftskongress abwesend sein. Herr Senator Strieder wird ab 16.30 Uhr abwesend sein wegen der Kuratoriumssitzung des Holocaust-Mahnmals und nach Beendigung dieser Sitzung zurückkommen. Frau Bürgermeisterin und Senatorin Schubert kommt erst gegen 16.30 Uhr. Der Grund ist die Teilnahme an der Fachministerkonferenz.
Parlament aufmerksam machen, wo heute im Beisein des Altvorsitzenden Dr. Biewald eine Ausstellung von Realisten zu sehen ist. Gönnen Sie sich das. Realismus in der Politik kann nie schaden.
Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat nunmehr Herr Christian Gaebler von der Fraktion der SPD über
1. Inwieweit treffen Zeitungsberichte zu, wonach es einen generellen Baustopp für Verkehrsinfrastrukturprojekte in Berlin geben soll?
2. Wie wird sichergestellt, dass trotz der angespannten Haushaltslage Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur getätigt werden können und insbesondere die dafür zur Verfügung stehenden Gelder von Bund und EU ausgeschöpft werden?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter Gaebler! Zu 1: Es gibt keinen generellen Baustopp für Verkehrsinfrastrukturprojekte in Berlin. Es soll auch keinen geben. Entsprechende Zeitungsberichte treffen also nicht zu.
Zu 2: Auch künftig wird Berlin in die Verkehrsinfrastruktur investieren. Allerdings ist angesichts der äußerst angespannten Haushaltssituation sehr sorgsam zu überlegen, in welche Verkehrsstrukturmaßnahmen investiert werden soll. Wir müssen dabei berücksichtigen, dass Berlin derzeit keine wachsende Stadt ist. Die Bevölkerung bleibt in den nächsten Jahren stabil. Diese veränderte demographische Entwicklung erfordert neues Denken.
Der Wechsel von der Vorstellung ständig fortschreitenden Wachstums zum verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen und flächenbezogenen Ressourcen ist eine zentrale Herausforderung. In der aktuellen Debatte um die Frage, wie viele Infrastruktureinrichtungen wie beispielsweise Krankenhäuser und Schulen unsere Stadt noch braucht, gehört auch die kritische Betrachtung der Verkehrsinfrastruktur.
Angesichts einer solchen Situation steht für mich der Erhalt der Verkehrsinfrastruktur im Vordergrund. Investitionen in neue Verkehrsinfrastrukturprojekte sind nur noch dann zu verantworten, wenn damit zusätzliche neue Fahrgäste für den öffentlichen Personennahverkehr gewonnen werden. Unter dieser Prämisse stehen die bisher geplanten Vorhaben auf dem Prüfstand. Die vom Bund und von der Europäischen Union für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellten Gelder werden auch künftig im Haushalt für die Verkehrsinfrastruktur bereitgestellt und natürlich auch ausgeschöpft werden. Der Erhaltungsbedarf an Verkehrsinfrastruktur in Berlin ist riesengroß.
Sie führten gerade aus, dass sich alle Projekte noch einmal auf dem Prüfstand befinden. Ist davon auszugehen, dass ein Gesamtkonzept vorgestellt und dargelegt wird, welche Projekte Priorität haben und welche nicht? Wie sieht Ihr Zeitplan dafür aus?