Protocol of the Session on October 31, 2002

Das Gutachten sagt insgesamt, dass die Koalitionsvereinbarungen zur Anhebung von Steuern und Sozialabgaben das Gegenteil dessen sind, was sozialpolitisch und wachstumspolitisch geboten wäre. In dem Zusammenhang sind beide vorliegenden Anträge zu sehen. Wir erleben ein wahres Trommelfeuer seit der Bundestagswahl von Steuer- und Sozialabgabenerhöhung, deren Ankündigungen und deren Plänen.

Es wird Ihnen egal sein, dass mehr als 60 % der Wähler sich getäuscht fühlen. Es sollte Ihnen weniger egal sein, dass Investitionsvorhaben auf breiter Front verschoben, gestrichen, reduziert werden. Und es sollte Ihnen auch nicht egal sein, dass - nicht trotzdem, sondern gerade deshalb - auch die Konsolidierung auf Bundesebene als gescheitert anzusehen ist. Die Neuverschuldung im Bundesetat wird mit dem Nachtragshaushalt um 50 % wachsen. Von einem ausgeglichenen Haushalt bis zum Jahre 2006 kann keine Rede mehr sein.

Das Medienecho international und national, die Reaktion der Wirtschaftsverbände und der Sachverständigen sind eindeutig: Die Steuer- und Abgabenpolitik von Rot-Grün ist das Problem Deutschlands und nicht die Lösung irgendeines Problems. Es ist eines der typisch sozialdemokratischen Missverständnisse, dass eine immer höhere Belastung der noch vorhandenen Steuerzahler zu zwingend höheren Steuereinnahmen führt. Das Gegenteil ist der Fall.

Und es ist ebenso eine Erkenntnis, die in vielen europäischen Ländern inzwischen erprobt und festgestellt wurde: Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gelingt nicht über Steuererhöhungen; sie gelingt, wenn überhaupt, durch eine Entlastung der Steuerzahler und damit durch mehr Investitionen, mehr Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitsplätze. Ich bedauere, dass die Erkenntnis dieses Senats, dass Berlin gar kein Einnahmeproblem hat, sich in dem Antrag und in der Begründung dieses Antrags überhaupt nicht mehr wiederfindet. Es bleibt zu hoffen, dass alle Versuche - und nicht nur der vorliegende -, die Steuer- und Abgabenbelastungen der Bürger und Unternehmen über das ohnehin kaum erträgliche Maß zu erhöhen, spätestens im Bundesrat gestoppt werden. - Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön! - Für die Faktion der PDS hat das Wort der Abgeordnete Hoff. - Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Wenn Sie sagen, dass dieses Vorhaben hoffentlich im Bundesrat gestoppt werden wird, ist das eine Verkennung der Tatsache, dass diese Initiative aus den Ländern kommt, um eine in den letzten Jahren ungleiche Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wieder gerade zu rücken.

[Zurufe von der CDU]

Der Hintergrund, über den wir reden, ist das Bundesverfassungsgerichtsurteil - das haben Sie dargestellt, Herr Kurth - vom 22. Juli 1995, in dem das Bundesverfassungsgericht überraschend nicht die Vermögen- und die Erbschaftsteuer in ihrer bisherigen Form für verfassungswidrig erklärt hat, sondern eine Neuinterpretation des Artikels 14 GG vorgenommen hat, der im Übrigen die Definition vornimmt: Eigentum verpflichtet im Sinne des Allgemeinwohls. Das hat mir bei Ihrem Antrag - über denwir nachher noch einmal reden - auch gefehlt: Wenn wir ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Thema Vermögen- und Erbschaftsteuer zu Grunde legen, muss man sich auch über die Rahmenbedingungen der Entscheidung dieses Urteils verständigen. Es ist vermutlich nicht überraschend, wenn wir uns bei diesem Urteil insbesondere auf das nun wirklich der sozialistischen Politik völlig unverdächtige Minderheitenvotum des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Böckenförde beziehen, der in dieser Entscheidung des 2. Senats ganz deutlich macht, dass das Bundesverfassungsgericht hier wieder einmal als Ersatzgesetzgeber gehandelt

und in ziemlich autoritärem Staatsverständnis versucht hat, den Bundesgesetzgeber und damit auch implizit die Landesgesetzgeber zu Mündeln seiner Politik zu machen.

Das heißt also: Die von Ihnen sozusagen als politisch neutral einzuschätzende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist rechtspolitisch umstritten - zu Recht, weil das Bundesverfassungsgericht sich hier als Ersatzgesetzgeber geriert hat über die Tatsache, dass festgestellt werden musste, dass bei der Besteuerung zu Grunde gelegte Einheitswerte als gleiche Tatbestände ungleich behandelt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber eine steuerpolitische Gesamtvorgabe an den Bundesgesetzgeber gemacht, die weit über seine Kompetenzen hinausgeht. Insofern ist die Initiative aus den Ländern auch eine Reaktion auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, mit dem Ziel, sich nicht zum Mündel eines als Gesetzgeber agierenden Bundesverfassungsgerichts zu machen. Es ist ein begrüßenswerter emanzipatorischer Akt, dass aus den Ländern eine entsprechende Initiative kommt. Das als Erstes.

[Beifall bei der PDS - Beifall des Abg. Gaebler (SPD)]

Nun sind wir beim zweiten Punkt. Dass die Forderung und Initiative zur Wiedereinführung einer verfassungskonformen Vermögen- und Erbschaftsteuer aus den Ländern kommt, macht dreierlei deutlich. Erstens: Rot-Grün hat bis heute sein diesbezügliches Wahlversprechen von 1998 nicht eingelöst und seine Steuerpolitik weiterhin zu Lasten der Länder und Gemeinden betrieben.

Zweitens: Die Steuerpolitik sowohl der CDU/CSU-FDPRegierung bis 1998 als auch der rot-grünen Bundesregierung seit 1998 ist - wie ich bereits dargestellt habe - zu Lasten der Länder und Gemeinden gegangen. Die kommunalen Gesamtausgaben stagnieren ungefähr auf dem Niveau von 1992 bei knapp 140 Milliarden Euro. Das ist ein politisches Problem. Dass die Länder hier versuchen gegenzusteuern, ist nicht nur ein emanzipatorischer Akt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, sondern auch gegenüber einer Bundesregierung, die Steuerpolitik nicht im Sinne der Länder betreibt.

Drittens: Ein Umsteuern in Richtung mehr Steuergerechtigkeit ist erforderlich. Insofern ist die Wiedereinführung einer reformierten Vermögen- und Erbschaftsteuer ein Schritt, um Einnahmen in dreistelliger Millionenhöhe in den Berliner Haushalt zu spülen.

[Dr. Lindner (FDP): Auf den Kanalinseln!]

- Sie gerieren sich bitte nicht als haushaltspolitischer Experte, Herr Dr. Lindner!

[Vereinzelter Beifall bei der PDS und der SPD - Dr. Lindner (FDP): Aber Sie, Herr Hoff!]

Der Antrag der Koalition ist deshalb ein Beitrag zur Verbesserung der Finanzlage Berlins und insofern auch eine Ergänzung der Feststellung, dass wir in der Tat ein Ausgabeproblem haben. Aber es spricht nichts dagegen, Einnahmen, die dem Land sinnvollerweise durch ein Umsteuern in der Steuerpolitik zukommen können, auch anzunehmen.

Da sind wir beim dritten Punkt. Und damit bin ich bei dem CDU-Antrag. Als ich die Überschrift gelesen habe, haben mich zwei Dinge gewundert. Die erste Sache: Ich hatte in meinem Kopf, dass der CDU-Fraktionsvorstand in seiner Klausur festgelegt hat: Mehr Streit um Ideen als um Ideologien. - Es gibt einen modischen Retrostyle. Dass Sie es politisch versuchen, mit Ihrer Überschrift den Rest des Antrags zu machen, finde ich peinlich. Ich habe mich auch gewundert, dass er nicht in Schreibmaschinenschrift geschrieben und auf 1960/1970 datiert ist. Diesen Geist atmet er mit seiner vermeintlichen Ideologiefeindlichkeit.

[Beifall bei der PDS]

Aber etwas an dem Antrag ist für mich ganz interessant, und das ist das politische Problem. Wenn sich Herr Zimmer heute Vormittag hier als christdemokratischer Arbeitnehmerführer präsentiert,

[Henkel (CDU): Ja!]

dann frage ich Sie: Wie kurz, glauben Sie eigentlich, ist das Gedächtnis von Bürgerinnen und Bürgern?

[Hoffmann (CDU): Wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden? Das ist ja lächerlich!]

Denn wenn Sie in Ihrem Antrag die Vorstellung präsentieren, Eigentum sei die eigentliche Quelle individueller Freiheit, das heißt, Eigentumsschutz ist die eigentliche Form von Freiheitsschutz, und zu viel Sozialpflichtigkeit können wir uns nicht mehr leisten, ist das genau das Gegenteil von dem, was Sie heute Vormittag gesagt haben. Dann ist das letztlich so, dass Sie sagen: Eigentumslose kommen künftig bei uns nicht mehr vor; Eigentumsbildung für viele bleibt dem Markt und nicht mehr staatlicher Aktivität überlassen. Das ist die völlige Verabschiedung

von dem, was auch in Ihrer Klientel und in Ihrer Politik über Jahrzehnte hinweg als Aufgabe einer sozialen Marktwirtschaft beschrieben wurde. Nicht nur Eigentumsbildung bei einigen Wenigen, sondern Eigentumsbildung für viele! Und das ist noch ein Konsens von sozialer Marktwirtschaft, auf den sich alle Fraktionen hier im Haus verständigen, über unterschiedliche ordnungspolitische Vorstellungen hinweg, außer der Fraktion der FDP und offensichtlich auch der CDU. Das ist aber eine Neuinterpretation des Artikels 14 GG, die Eigentumsschutz zum Vermögensschutz degradieren will.

[Dr. Lindner (FDP): Seit wann erzählen Sie uns was von Artikel 14?]

Diese Neuinterpretation halten wir für falsch. Der Antrag, den die Koalition hier dargelegt hat, sagt, dass wir Verfassungsrecht und Steuerrecht im Sinne von sozialer Gerechtigkeit miteinander verknüpfen wollen. Und diese soziale Gerechtigkeitskomponente ist mit dem Artikel 14 und dem Artikel 15 GG - ich verweise hier auf entsprechende Ausführungen von Wolfgang Abendroth und Helmut Ridder - -

Lieber Herr Abgeordneter Hoff!

Ich bin beim letzten Punkt!

[Dr. Lindner (FDP): Der Staatsrechtlicher Hoff!]

Nein, beim letzten Satz, bitte! Gucken Sie bitte auf die Uhr! Sie reden schon über eine Minute mehr!

Frau Präsidentin! Ich bedanke mich für den Hinweis. Ich bin beim letzten Satz. - Diese Neuinterpretation des Artikels 14 GG, Eigentumsschutz ist Vermögensschutz, machen wir nicht mit. Wir sagen: Artikel 14 und Artikel 15 GG sind die sozialen Gerechtigkeitsartikel dieser Verfassung, und die Vermögensteuer, die wir in den Ländern wieder einführen wollen,

[Zurufe von der CDU und der FDP]

ist die politische Umsetzung dieser Forderung. - Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS - Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die FDPFraktion hat das Wort der Abgeordnete Dr. Lindner!

Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Das waren die großen staatsrechtlichen Ergüsse des großen Verfassungsjuristen Hoff.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Jetzt kommen wir zu einem ganz traurigen Kapitel: Steuererhöhung.

Das ist das einzige, was Sie beherrschen. RotRot-Grün,

[Zuruf des Abg. Wieland (Grüne)]

- Grün ist leider auch dabei, Herr Wieland, in der Spektralfarbenlehre sind Sie zwar eine selbständige Farbe, fiskalpolitisch sind Sie aber eine Unter- beziehungsweise Abart von Rot.

[Oh! bei den Grünen]

Das ist das Einzige, was Sie beherrschen, das Einzige, was Sie können.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Klein sind Sie, wenn es darum geht, Reformen anzugehen, klein sind Sie, wenn es darum geht, die sozialen Sicherungssysteme zu reformieren, groß sind Sie, wenn es darum geht, Steuern zu erhöhen. Ich habe hier eine Liste, was für Frechheiten und Gemeinheiten Sie vorhaben:

[Gelächter des Abg. Wieland (Grüne)]

Einkommensteuer, einheitliche, lineare GebäudeAfA nur noch 2 %, Abschaffung der Eigenheimzulage,

[Zurufe der Abgn. Eßer (Grüne) und Pewestorff (PDS)]