Und warum, Herr Dr. Steffel, fühlen Sie sich so wohl im Windschatten einer Liste, die Rot-Rot bereits lange erledigt hat? Warum, Herr Dr. Steffel, verstecken Sie sich hinter einer Liste, anstatt das schwere Erbe Ihrer eigenen Klientelpolitik zu bewältigen? [Beifall bei der PDS und der SPD]
Heute haben Sie zu Recht über die Einnahmeprobleme dieser Stadt gesprochen. Auf der letzten Sitzung forderte Ihre Fraktion eine Absenkung der Gewerbesteuer. Das ist Klientelpolitik, und das wird Rot-Rot nicht dulden, darauf können Sie sich verlassen, Herr Dr. Lindner
nein, Herr Dr. Steffel – man kann Sie manchmal nicht so leicht auseinanderhalten, aber ich versuche es.
Herr Dr. Steffel! Sie sprachen von einer Beschädigung des Ansehens unserer Stadt. Manchmal – das ist ein Berufsrisiko – neigen Politiker zu einem Syndrom des kurzen Gedächtnisses. Ich denke, eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner ist der Meinung, dass Filz und Korruption a` la Landowsky das Ansehen dieser Stadt beschädigt haben, dass überflüssige Betonprojekte, die CDU und FDP heute noch wortreich beschwören, dem Ansehen dieser Stadt geschadet haben und eine drückende Bürde für alle Berlinerinnen und Berliner sind. Herr Dr. Steffel, wenn Sie heute den Vorwurf der Wahlkampfshow, den wir Ihnen gemacht haben, beklagen, dann gestatte ich mir, Sie mit einem Beschluss Ihres eigenen Fraktionsvorstandes, dem Sie ja wohl angehören, [Zuruf von der PDS: Noch!]
wenn wir uns nicht irren oder Ereignissen vorgreifen wollen, zu konfrontieren. Dort heißt es sinngemäß: Durch die Ablehnung der Einsparvorschläge des Finanzsenators durch SPD und PDS ist die Durchführung der Pläne obsolet. Aber diese Erkenntnis hat Sie offensichtlich nicht daran gehindert, heute eine Show zu veranstalten und der Protagonist eines unredlichen Schauspiels zu sein. Diese Show, Herr Dr. Steffel, ist vorbei!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist eine etwas merkwürdige Diskussion, die wir hier inzwischen haben,
aus folgendem Grund. Die Regierungskoalition sagt uns, sie hat eine Einsparnotwendigkeit von ungefähr 3 Milliarden $ identifiziert. Der einzige Vorschlag, der aus dem Lager von Rot-Rot, vom Senat und aus der Senatsverwaltung zur Erfüllung dieser 3 Milliarden auf dem Tisch liegt, ist diese an die Öffentlichkeit geratene und die Stadt in Aufregung versetzende sogenannte Giftliste. Das sind die Vorschläge, womit das gefüllt werden soll.
Nein, nein! – Sie haben an dieser Liste, wie ich festgestellt habe, folgende Korrekturen angebracht. Herr Müller hat gesagt, die Kitas kommen nicht in Frage, Frau Dunger-Löper hat gesagt,
die Streichung bei den Unterstützungen der NS-Verfolgten kommen nicht in Frage. Das bedeutet, dass Sie dann einen Ausgleichsvorschlag von etwa 400 Millionen $ bis 2008 auf dieser Liste machen müssen. Der Regierende Bürgermeister hat sich andererseits zu einer einzigen Maßnahme bekannt, das ist die Einsparung beim Zoo. Dann kann sich Frau Lötzsch demnächst, wenn der Regierende Bürgermeister daran festhält, am Tierpark in Friedrichsfelde anketten, damit die Schließung nicht durchgeführt wird. Dieses ist die eine Ebene, die überhaupt an Inhalten von Ihnen gekommen ist, und sonst wenig.
Dann haben Sie das damit verbunden, dass Sie gleichzeitig gesagt haben, die Liste sei vom Tisch und käme überhaupt nicht in Frage, in der Koalitionsvereinbarung stehe etwas völlig anderes. In der Koalitionsvereinbarung steht aber nichts von der Füllung dieser 3 Milliarden $. Dann haben sie zu uns auch noch gesagt: Wo sind denn Ihre Alternativen zu diesen 3 Milliarden $? – Die Debatte ist heute so gelaufen, dass wir die Einzigen sind, die solche Alternativen benannt haben.
Herr Wieland hat sie aufgezählt, ungefähr in der Größenordnung von 1 Milliarde $ jährlich. Die haben wir hier gebracht. Sie sagen jedoch, diese Liste akzeptieren wir nicht, Herr Liebich, und macht ihr mal eine Alternative. – Wo ist denn dann Ihre Alternative zu dieser Liste, wenn es diese Liste nicht ist? Die möchte ich dann hier auch einmal hören, wenn wir ernsthaft miteinander sprechen wollen.
Als nächstes sagen Sie, diese Liste sei ein Verwaltungspapier, deswegen können Sie damit auch so umgehen. Wir haben Ihnen das hier schon einmal gesagt, aber anscheinend muss man das noch mal machen: Diese Liste hat einen politischen Vorlauf. Schon am 30. Mai sagte Senator Sarrazin in der Nachrichtenagentur dpa, das Land habe Altlasten, auf die wir immer zielen, von Zinsausgaben, Personalausgaben sowie Ausgaben für den Wohnungsbau, die wie Blei auf dem Haushalt liegen. So weit ist die Analyse richtig. Dann kam bei ihm der Schluss, den er daraus zog, er müsse deswegen weitere Kürzungen bei Bildung und Wissenschaft vornehmen. Das war am 30. Mai. Die Liste, wie sie uns vorliegt, ist eine Umsetzung dieser Ankündigung, zu der ich schon während der II. Lesung des Haushalts gesagt habe, hier zeige sich offen das Elend der Haushaltspolitik von SPD und PDS. Statt diesen toten Kosten, die Herr Sarrazin richtig aufzählt, zu Leibe zu rücken – habe ich damals wörtlich gesagt –,
anstatt die haushaltspolitische Strategie zu wechseln, wird den Berlinern eine höhere Dosis der gleichen, erwiesenermaßen unwirksamen und hochgiftigen Medizin angedroht.
Hochgiftige Medizin – ich habe es geahnt, dass daraus eine Giftliste wird. Und zwei Monate später haben wir sie nun hier, zu Ihrem Pech etwas verfrüht, auf dem Tisch.
Dann sagen Sie, diese Listen habe es doch schon immer gegeben. Ich sage dazu, ja, die haben Vorläufer, die hier ausgiebig zitiert worden sind. Ich sage Ihnen ganz persönlich und habe dies auch im Hauptausschuss gesagt: Mir gingen diese Giftlisten schon immer auf den Keks. Sie gingen mir unter Rot-Grün von Frau Krajewski auf den Keks, sie gingen mir während der Koalitionsverhandlungen über die Ampel auf den Keks, als die SPD mit diesen Listen kam, sie gehen mir heute auf den Keks, und zwar deswegen, weil sie eben nicht politisch gesteuert sind, sondern die Pyramide auf den Kopf stellen: Wir machen einen technokratischen Plan, und danach reden wir mal über die politische Bewertung. Herr Liebich, Sie haben uns doch den Neubeginn angekündigt. Wo bleibt denn dieser Neubeginn?
Sie machen weiter wie bisher und erklären uns, „The same procedure as every year“, und deswegen sei die Sache in Ordnung. Nein, sie ist nicht in Ordnung. Wenn wir wirklich in eine Haushaltskonsolidierung, die die Bevölkerung mitnimmt, einsteigen wollen, die diese Verunsicherung und diese Schranke für den Mentalitätswechsel nicht erzeugt, darf es Listen von dieser Sorte eben nicht mehr geben, sondern dann fängt man das anders an. Dass Sie von der PDS dabei mitmachen, Herr Liebich, entgegen allen Erkenntnissen und Versprechungen aus der Oppositionszeit, und sich gleichzeitig dann noch als Partei der sozialen Gerechtigkeit stilisieren, ist ein Skandal.
Man kann hier auch nicht den Eindruck erwecken – das ist schon gesagt worden –, die Berliner Regierungspolitik werde nicht vom Senat, sondern von Abteilungs- und Referatsleitern gemacht, von denen man dann erzählt, sie würden Kabarett betreiben oder Ähnliches, also seine Beschäftigten auch noch beschimpft. So weit ist die politische Anarchie in Berlin selbst unter Ihrer Führung noch nicht vorangeschritten. Es ist so gewesen, dass Herr Sarrazin aus handverlesenen Referenten eine Arbeitsgruppe gebildet, diese persönlich eingesetzt und persönlich gesteuert hat. Diese hat die Liste erarbeitet. In Wahrheit, sage ich politisch, ist diese Liste nur die konsequente Umsetzung der berüchtigten Leitlinie des Regierenden Bürgermeisters, die da lautet: „Sparen, bis es quietscht.“ Sie kennt auch keine Schwerpunktsetzung, sondern da quietscht es überall; diese Liste passt genau zu dem, was Sie als Regierungsleitlinie in der Haushaltspolitik ausgegeben haben.
Und wenn Sie das hier in einem ganzen Roten Meer an Dementis zu versenken versuchen und eine Distanzierung nach der anderen von sich geben – die einzige Distanzierung, die wirklich zählt, ist, dass Sie sich hier, jetzt, durch Beschluss des Abgeordnetenhauses von dieser Liste distanzieren
und sich zu Ihren Wahlkampfversprechen, den Zukunftsfeldern unserer Stadt – Bildung, Wissenschaft und Kultur –, bekennen. Und dazu haben wir einen Antrag vorgelegt,
der Ihnen dazu Gelegenheit gibt. Diesem könnten Sie zustimmen. Alles andere ist unglaubwürdig. Ihr geschraubtes Ding ist in keiner Weise eine Distanzierung von dieser Liste und wird unsere Zustimmung nicht finden.
Jetzt komme ich zu dem, was der Regierende Bürgermeister zu der Klage sagte. Dazu muss ich aber woanders anfangen. – Wenn die Berliner das alles lesen: Tierpark schließen, Opern schließen, Theater schließen, Universitäten schließen, soziale Leistungen von Kindergärten bis zur Hilfe zur Arbeit zusammenstreichen, dann fragen sie sich jedes Mal, und zwar völlig zu Recht: Wohin wandert das Geld eigentlich, dass bei diesem „Streichkonzert“ von SPD und PDS eingespart wird?
Wofür, fragen die Berliner sich immer lauter, sollen wir diese Opfer eigentlich bringen? Wir alle wissen die Antwort seit dem Haushalt 2003/2003: Sie bringen diese Opfer ausschließlich für den Schuldendienst des Landes. Sie müssen sich nicht wundern: Solange jeder eingesparte Cent im schwarzen Loch der Altlasten aus der Zeit der großen Koalition versenkt wird, werden die Berliner auch in Zukunft nicht bereit sein, zu dieser Sanierung der Landesfinanzierung die nötigen Opfer zu bringen. Der Mentalitätswechsel, den Sie immer anmahnen, aber nicht herbeiführen, wird Ihnen so nicht gelingen.
Um die Bevölkerung mitzunehmen, ist es deswegen von einer entscheidenden Bedeutung, dass hier ein Insolvenzverfahren
über das Land Berlin eröffnet wird – um es einmal plastisch zu sagen – und eine Entschuldung mit Hilfe der bundesstaatlichen Gemeinschaft durchgeführt wird,
damit die Bevölkerung weiß: Wenn hier konsolidiert wird, ist es auch tatsächlich Haushaltskonsolidierung und nicht Zinszahlung an die Banken. Das ist hier der entscheidende Gesichtspunkt.
Und was sagt uns Herr Wowereit dazu? – Herr Wowereit erklärt uns, eigentlich seien die Einnahme- und die finanzielle Situation in Berlin nicht argentinisch, wie Herr Sarrazin sagt, sondern „ganz in Ordnung“. Das haben wir vorhin gehört. Und er sehe deswegen gar keinen Grund, hier eine extreme Haushaltsnotlage zu erklären. Das haben wir vorhin wieder gehört. Solange der Regierende Bürgermeister hier diesen Unsinn erzählt, werden wir diese Verfassungsklage weiterverfolgen, die deutlich macht, dass hier niemand mehr einen verfassungsgemäßen Haushalt aufstellen kann, um Sie mit dieser Maßnahme dazu zu zwingen, endlich das Insolvenzverfahren zu eröffnen.