Protocol of the Session on September 12, 2002

Klar ist selbstverständlich auch, dass die tarifliche Absicherung bzw. der Tarif in den Personalserviceagenturen noch der Ausgestaltung bedarf, denn an diesem Punkt wird sich erweisen, ob es sich hierbei um ein Instrument zugunsten der Schaffung tariflich auskömmlich bezahlter Arbeit oder zugunsten der Absenkung des Leistungsniveaus handelt.

Ein weniger erfreuliches Kapitel hinsichtlich der Vorschläge der Hartz-Kommission zeigt sich bei den Auswirkungen auf die Situation von Frauen. Es ist schon die Tatsache angesprochen worden, dass anfänglich bei der Vermittlung das FamilienväterKonzept existiert hat. Das ist – Gott sei Dank! – geändert worden. Man muss sich aber noch einmal sehr genau ansehen, wie die „familienfreundliche Vermittlung“ dann wirklich gehandhabt wird. Das bedarf noch einer genaueren Diskussion, und zwar auch unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten.

[Beifall bei der PDS]

Ich finde es richtig, dass das Thema der Schwarzarbeit angegangen wird, indem man die Lösung nicht in schärferen Kontrollen, sondern in entsprechenden positiven Anreizen sieht. Die IchAG, wie sie hier gewählt worden ist, und die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze sind aber kein taugliches Mittel, sondern dieses Instrumentarium wird eher zu einer Ausweitung niedrig bezahlter Beschäftigung führen. Gerade in diesem Bereich der haushaltsbezogenen Dienstleistung wird das zu Ungunsten von Frauen ausgehen. Es besteht noch erheblicher Diskussionsbedarf, ob man hier nicht andere Instrumente anwenden muss.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Um zum Schluss zu kommen: Ich glaube, wir müssen auch noch einmal eine Auseinandersetzung führen, ob die Vorschläge zur Umwandlung der Landesarbeitsämter in Kompetenzzentren gerade in einer Region wie Berlin, wo der Arbeitsamtsbezirk zwei Bundesländer betrifft, sinnvoll sind. Wir brauchen da einen starken Ansprech- und Kooperationspartner für das Land Berlin, um eine abgestimmte Politik zu machen. Das ist eine Diskussion, die wir auf der landespolitischen Ebene mit den Arbeitsämtern noch intensiv weiter führen müssen. Das ist ein weiterer Punkt, der von landespolitischer Relevanz ist.

Aber, um zum Schluss zu kommen: Ich glaube, dass in diesen Vorschlägen eine ganze Reihe von Chancen besteht, auch eine ganze Reihe von Problemen und vor allen Dingen von Aufgaben, wo wir noch in der weiteren Ausgestaltung zugunsten der Reduzierung von Arbeitslosigkeit und zugunsten der Betroffenen arbeiten müssen. Manches hätte sicherlich besser ausfallen können, wenn innerhalb der Kommission mehr Ostdeutsche und mehr frauenpolitischer Sachverstand sich aufgehalten hätten. Aber ich bin der Meinung, wir sollten in dieser Diskussion versuchen, das, was sinnvoll und möglich ist, zu tun, dass wir auch als Land Berlin aktiv in die weitere bundespolitische Diskussion über die in einem Hartz-Konzept vorgeschlagenen Instrumente eingreifen. Und ich glaube, wir sind es den knapp 290 000 gemeldeten Arbeitslosen in dieser Stadt schuldig, jede Möglichkeit zu nutzen, die Zahl der Arbeitslosen zu verringern und ihre Vermittlung zu verbessern. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Senator! – Wir treten jetzt in die zweite Rederunde ein. Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Herr Jahnke. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über das Hartz-Konzept, wie sie zum Teil in den Medien geführt wird, hier auch von einem Teil des Hauses aus

geführt wird, erweckt den Eindruck, als ginge es dabei um eine Wahlkampfaktion, um ein Ding der SPD oder der Bundesregierung.

[Zuruf von der FDP: Was denn sonst? – Dr. Lindner (FDP): Gut erkannt!]

Darum geht es nicht. Sondern, wer so argumentiert, verkennt in Gänze den überparteilichen Charakter der Hartz-Kommission und ihres Anliegens.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Zuruf von der CDU: Am Abend werden die Faulen fleißig!]

Nun hat der Unternehmer Steffel uns ja gerade hier die ökonomische Welt erklärt. Möglicherweise hält er sich ja für kompetenter als die Ökonomen um Herrn Hartz, der immerhin auch ein nicht unbedeutendes Unternehmen mit führt. Er saß dort jedenfalls mit Vertretern der Unternehmen und der Gewerkschaften, der Kommunen und des Bundes, mit Wissenschaftlern, mit Vertretern der Bundesanstalt für Arbeit saßen sie zusammen, um Wege aus der Arbeitslosigkeit zu finden. Und dieses Anliegen haben sie versucht, ohne eingefahrene parteipolitische Gräben zu lösen und Menschen wieder in Arbeit zu bringen bzw. Arbeitslosigkeit im Vorfeld zu verhindern. Ich meine, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es provoziert natürlich zuweilen, wie alle Vorschläge, die wirklich etwas ändern wollen, provozieren müssen. Und es provoziert aber gleichmäßig in alle Richtungen, verlangt jeder Seite etwas ab.

Ich will dies hier einmal am Modul 4 des Hartz-Konzepts verdeutlichen, das sich mit dem Thema Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt. Es ist bekannt, dass unter den arbeitslosen jugendlichen Menschen weit mehr als die Hälfte über keine Berufsausbildung verfügen. Gerade wir hier in Berlin wissen ein Lied davon zu singen – auch an die Adresse von Ihnen, Herr Lehmann, nun sind Sie gerade nicht drin, aber das hat nichts mit Uganda, nichts mit grünen Männchen vom Mars zu tun, sondern mit der konkreten Situation von jugendlichen Menschen hier in der Stadt.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Wir beschäftigen uns bald mit der Beseitigung von Arbeitslosigkeit von Regierungsmitgliedern der SPD!]

Und das heißt, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit muss ansetzen bei der Bekämpfung der Ausbildungsplatzmisere. Und hierzu macht die Hartz-Kommission sehr konkrete Vorschläge, liefert eine Fülle von Ansatzpunkten unter ihrem Motto „Eigenaktivitäten auslösen, Sicherheit einlösen“. Das heißt, wie es hier, ich zitiere mal wörtlich, genannt wird,

dass kein Jugendlicher ohne aktive beiderseitige Suche nach einer Praktikums- oder Ausbildungsstelle zu Hause sitzt und Transferleistungen erhält.

Und das ist es doch, was wir wollen. Und hierzu gibt es viele Vorschläge der Hartz-Kommission, beispielsweise mehr arbeitsmarktfähige Berufsbilder zu schaffen, Ausbildungsordnungen mit weniger komplexen Anforderungen zu schaffen. Natürlich provoziert so etwas. Das geht ein bisschen an die Grundlagen der deutschen Ständegesellschaft. Aber es kann doch überhaupt kein Zweifel bestehen, dass es zwischen Anlerntätigkeiten und dem vollen Berufsbild auch noch Dinge gibt, die durchaus einen Jugendlichen motivieren könnten, diese Tätigkeit auszuüben, und dass man ihm die Chance dazu geben sollte und ihn nicht an zu schwierigen Ausbildungsordnungen, woran allerdings viele Jugendliche doch scheitern, scheitern lassen sollte.

Ein weiterer bedeutsamer Punkt des Hartz-Papiers beschäftigt sich mit strukturschwachen Regionen. Wir hier in Berlin brauchen ja nur mal einen Blick ein bisschen hinaus über unsere Stadtgrenzen zu werfen, um solche Regionen zu finden, wo die Wirtschaftsstruktur eben nicht ausreicht, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen. Und da formuliert das Hartz-Papier klar, dass es besser ist, diesen Jugendlichen in anderen Regionen Deutschlands und Europas eine Ausbildung zu ermöglichen als überhaupt keine, aber möchte durch betriebliche, schulische und kommunale Patenschaften abfedern, dass

diese Jugend ihrer Region endgültig verloren geht. Denn das würde zu einem Fachkräftemangel in nicht ferner Zukunft führen. Dieses Problem wird durchaus gesehen.

Die weitestgehende Innovation des Hartz-Papiers ist das Ausbildungszeit-Wertpapier. Hier sollen zusätzliche Ausbildungsstellen finanziert werden und zum Zweiten ein individueller Anspruch auf einen Ausbildungsplatz durch ein zweck- und personengebundenes Wertpapier geschaffen werden. Die Finanzierung, das werden Sie von der CDU vielleicht gerne hören, erfolgt ausschließlich aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit und aus privaten freiwillig zur Verfügung gestellten Mitteln. Das heißt, es wird auf eine Ausbildungsplatzumlage bewusst verzichtet.

[Over (PDS): Das ist ein Fehler dieses Papiers!]

Hieran sieht man deutlich, dass also keineswegs ein Wunschzettel der SPD oder der Gewerkschaften in das Hartz-Papier Eingang gefunden hat, sondern man einen Konsens gesucht hat zwischen verschiedenen Teilen der Gesellschaft und des Wirtschaftslebens und dass das hier seinen Ausdruck gefunden hat. Die durchaus pfiffige Idee, durch ein landesweites Rabattkartensystem den Gemeinsinn für einen guten Zweck zu mobilisieren, landesweit Kundenrabatte beim Einkauf in den meisten Geschäften der Ausbildung zukommen zu lassen, wäre doch durchaus mal einen Versuch wert. Sie haben doch gerade am Beispiel der Flutkatastrophe gesehen, dass die Bevölkerung für einen sichtbaren guten Zweck durchaus zu großzügiger Mitwirkung bereit ist. [Beifall bei der SPD]

Sie achten bitte auf die Redezeit, die ist beendet!

Ich bin so gut wie fertig. – Diese wenigen Beispiele, die ich hier wegen der knappen Redezeit nur nennen konnte, zeigen doch aber bereits, dass der ernsthafte Versuch unternommen wurde, tatsächlich einschneidende Reformen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu erreichen. Wie erbärmlich wirkte demgegenüber der Auftritt des Kanzlerkandidaten der CSU/CDU am vergangenen Sonntag beim Fernsehduell, wie er sich bei jeder passenden oder unpassenden Frage der Moderatorinnen geradezu an den 4 Millionen Menschen, die arbeitslos sind, weidete, weil er wohl hofft, mit ihnen als Wahlkampfmunition ins Kanzleramt befördert zu werden. Die Wählerinnen und Wähler werden diesem zynischen Ansinnen eine Abfuhr erteilen, und das Konzept der Hartz-Kommission wird umgesetzt, zum Wohle der arbeitenden und der noch arbeitslosen Menschen hier in Deutschland und gerade auch in Berlin. – Danke!

[Beifall bei der SPD, Vereinzelter Beifall bei der PDS und den Grünen]

Danke schön! – Für die CDUFraktion hat das Wort der Abgeordnete Rzepka. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Grosse! Ich schätze ja Ihre bemühte Redlichkeit. Deshalb war ich heute überrascht über Ihre Chuzpe, die Opposition und vor allem die CDU in der Arbeitsmarktpolitik in der Defensive zu sehen, und das angesichts von über 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland, der höchsten Arbeitslosigkeit im August seit Jahren und der höchsten Berliner Arbeitslosigkeit seit der deutschen Vereinigung. Ich meine, da hätten Sie sich doch etwas überlegen sollen, wie Sie hier das Thema angehen.

Bei Frau Freundl hat mich nicht überrascht, dass wieder der Umverteilungsgedanke auftaucht als Beitrag zur Arbeitsmarktpolitik, denn da klingt ja die alte DDR wieder an,

[Oh! von der PDS]

in der Sie so lange umverteilt haben, bis zum Schluss nichts mehr umzuverteilen war.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Und Frau Kollegin Klotz, Sie sprechen von Senkung von Steuern und Abgabenbelastungen. Natürlich, genau das ist das Thema: Senkung von Steuern und Abgaben und Abbau von Bürokratie. Allein das schafft Arbeitsplätze. Nur – die Erfolge von Rot-Grün, die Sie angesprochen haben, vermag doch niemand zu erkennen. Die Rentenversicherungsbeiträge sind vorübergehend gesenkt worden, jetzt steigen sie wieder. Die Krankenkassenbeiträge galoppieren, und weitere Erhöhungen stehen an. Und bei der Einkommensteuer werden die Steuersenkungen durch die Ökosteuer, durch zusätzliche Versicherungssteuer und andere Steuererhöhungen überkompensiert. Und deshalb empfinden es ja auch die meisten Bürger in Deutschland so, dass die soziale Gerechtigkeit in den letzten Jahren in Deutschland abgenommen hat und dass es ihnen schlechter geht als vor 4 Jahren. Das ist die Bilanz von 4 Jahren Rot- Grün.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Herr Senator, Ihrem Beitrag – ich habe sehr aufmerksam zugehört – habe ich entnommen, dass die am meisten gebrauchten Wörter „Diskussion“ und „Diskussionsbedarf“ waren. Wir haben Verständnis dafür, dass Sie als Haushaltsexperte Schwierigkeiten haben, sich in die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik einzuarbeiten. Das haben wir von vornherein so gesehen. Nur: Diskussionen sind heute nicht gefragt. Handeln und Taten in Deutschland sind gefragt, auch hier in Berlin. Diesbezüglich vermögen wir weder bei der Bundesregierung noch bei dem Berliner Senat etwas zu erkennen.

Hohe Arbeitslosigkeit, geringe Steuereinnahmen, weniger Kaufkraft sind nicht die Ursachen unserer Wirtschaftsmisere, sondern die Symptome. Auch hat nicht die Weltwirtschaft Schuld, wie Bundeskanzler Schröder immer wieder beteuert. Unser Export läuft doch. Das weisen alle Zahlen aus. Die Ursache ist eine insgesamt mittelstandsfeindliche Politik, die rot-grün in diesen vier Jahren betrieben hat. Das muss sich sofort ändern!

[Beifall bei der CDU]

Wir müssen dafür sorgen, dass der Jobmotor im Mittelstand wieder zum Laufen kommt!

[Cramer (Grüne): Dosenpfand!]

Es muss einen Richtungswechsel in Deutschland geben. Denn sozial ist das, was Arbeit schafft. Die Union gibt mit dem StoiberSpäth-Plan die richtigen Antworten, um die Wende auf dem Arbeitsmarkt einzuleiten und herbeizuführen. Wir haben das Startprogramm Deutschland für ein leistungsfähiges und soziales Deutschland entwickelt und vorgelegt.

Ich nenne nur noch einmal einige Punkte:

1. Die Steuern für Normalverdiener und den Mittelstand werden wir senken. Wir werden die nächste Stufe der Steuerreform, die Schröder verschieben will, in Kraft setzen. Das ist bitter nötig im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und die Pleitewelle, die ungeahnte Größenordnungen erreicht hat. Als Entlastung für eine durchschnittliche Familie bedeutet das in 2003 316 $.

2. Die nächste Stufe der Ökosteuer entfällt. Das bedeutet weitere 3 Milliarden $ für alle Bürger. 3. Die 400-$-Jobs ersetzen die alten 630-DM- oder jetzt 325-$-Jobs. Für Arbeitnehmer werden diese Jobs steuer- und abgabenfrei. Es ist lediglich die 20 %ige Pauschalsteuer vom Arbeitgeber abzuführen.

4. Wer arbeitet, soll mehr Geld haben, als wenn er nicht arbeitet. Jobs in sogenannten Niedriglohnbereichen zwischen 401 $ und 800 $ werden durch Zuschüsse bzw. Senkung der Sozialversicherungsabgaben gefördert. Damit alle, die arbeiten können, sich auch wirklich um Arbeit bemühen oder gemeinnützige Arbeit verrichten, werden wir den Ländern sofort weitreichende Experimentiervollmachten zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe geben.

5. Existenzgründer bekommen bessere Möglichkeiten, weil wir das Gesetz gegen die Scheinselbständigkeit abschaffen und den Zugang zu Startkapital verbessern und erleichtern werden.