Protocol of the Session on August 29, 2002

Zum Antrag, der von den Grünen eingebracht wurde: In der Tendenz unterstützen wir diesen Antrag. Ich finde es nur schlimm, dass wir überhaupt über solch einen Antrag reden müssen. An und für sich ist es eine pure Selbstverständlichkeit – jedenfalls mit die Mitglieder meiner Fraktion –, dass Sie sich auf eine mögliche Tätigkeit für die Stasi überprüfen lassen. Das ist gar kein Problem. Das Schlimme ist nur, dass es hier im Hause offensichtlich einige Abgeordnete gibt, die meinen, für sie gelte so etwas nicht, und ob sie damals solch einer Tätigkeit nachgegangen sind, habe mit ihrem politischen Leben und mit ihrer politischen Biographie nichts zu tun.

In dem Zusammenhang mache ich auf die Diskussion im Deutschen Bundestag aufmerksam. Da reden wir darüber, ob möglicherweise – übrigens auch von der Fraktion der SPD – der gläserne Abgeordnete geschaffen werden soll, ob er zum Beispiel über seine wirtschaftlichen Beziehungen, die er heute hat, über seine sonstigen Einkünfte und so weiter mehr Auskunft geben soll, als er es bisher getan hat. Das wird von einer bestimmten Fraktionenkonstellation im Deutschen Bundestag für notwendig erachtet. Wenn aber so etwas notwendig ist, ist es dann nicht auch notwendig, deutlich zu machen, ob es nicht – wie immer man es nachher bewertet – zur politischen Biographie dazugehört, ob ich einem solchen Geheimdienst, der zur Unterdrückung der Menschen im Osten gehörte, gedient habe oder nicht? – Ich finde, das gehört zur Wahrheit und zur Klarheit dazu.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall des Abg. Wieland (Grüne)]

Damit die Grünen nicht zu sehr von mir gelobt werden, sage ich noch einen Kritikpunkt. – Deswegen müssen wir über den Antrag auch im Rechtsausschuss diskutieren. – Mich stört an dem Antrag der Grünen die Gleichsetzung der Stasi mit den Geheimdiensten westlicher Demokratien.

[Wieland (Grüne): Es gibt keine Gleichsetzung!]

Es gibt einen gravierenden Unterschied, ob ich einen Dienst zu Gunsten der westlichen Werte, von Demokratie, Freiheit, Bürgerrechten, einsetze oder ob ich einem Dienst diene, der zur Unterdrückung und Verfolgung Unschuldiger in der DDR geführt hat. Da gibt es einen qualitativen Unterschied.

[Wieland (Grüne): Das sehen wir auch so!]

Ich bedauere, dass solch ein Antrag überhaupt gestellt werden muss, aber wir halten ihn auch für notwendig. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Braun! – Das Wort für die Fraktion der PDS hat nunmehr der Kollege Dr. Nelken. – Bitte schön, Herr Dr. Nelken!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Wenige Monate nach der einvernehmlichen Lösung kommen jetzt die Grünen mit einem Antrag, der dieses Einvernehmen in mehrfacher Hinsicht aufhebt.

[Wieland (Grüne): Wir doch nicht! I h r entzieht euch!]

Dieses Einvernehmen beinhaltet eine freiwillige Überprüfung. – Eine freiwillige Überprüfung unter der Voraussetzung, dass sich alle überprüfen lassen, ist schon eine merkwürdige Annahme. – Dieses Einvernehmen war ein Kompromiss,

[Zurufe der Abgn. Dr. Lindner (FDP) und Wieland (Grüne)]

der sich über mehrere Legislaturperioden herausgebildet hat. Auch die PDS fand in diesem Kompromiss einige Regelungen enthalten, die nach unserer Meinung falsch waren, aber das ist immer bei Kompromissen so. – Ich erinnere an die Debatte um Ehrenrat oder Untersuchungsausschuss, um die Eingrenzung auf das MfS. –

[Dr. Lindner (FDP): Ihr wolltet euch gar nicht überprüfen lassen!]

Ich dachte, wir haben uns in den letzten Wahlperioden auf diesen Kompromiss geeinigt. Nun wollen die Grünen das Paket der Gemeinsamkeit wieder aufschnüren und setzen diese Gemeinsamkeit aufs Spiel, indem sie zum einen wieder die Zwangs- und letztlich auch eine Regelüberprüfung einführen wollen [Wieland (Grüne): Unsinn!]

wo sie wissen, dass wir das ablehnen – und auch die anderen Geheimdienste einführen – wo sie wissen, dass andere Parteien dieses Hauses das auch ablehnen werden, wie wir eben schon gehört haben.

Was ist also der Grund für den Sinneswandel der Grünen?

[Wieland (Grüne): Dass Ihre Fraktion sich nicht beteiligt!]

Sie haben es ganz richtig gesagt: Der Sinneswandel beruht darauf, dass einige der Meinung sind, dass nicht alle Abgeordneten bereit sind, sich überprüfen zu lassen.

[Wieland (Grüne): Das verstehen Sie nicht!]

Aber, Herr Wieland, Herr Ratzmann, das ist ganz verquer! Denn die Grünen haben sich in den letzten Jahren immer gegen die Regelanfrage ausgesprochen. Frau Künast, noch als rechtspolitische Sprecherin, ist hier gegen ein solches Verfahren aufgetreten.

[Wieland (Grüne): Sie stehen auch nicht in dem Antrag. Soll ich ihn mal vorlesen?]

Wie kann da allein die Tatsache, dass einige sich nicht überprüfen lassen, nun zu einer Änderung dieser Position führen? – Da irrt Herr Ratzmann. Da müssen sich die Grünen auch einmal zuhören. Sie haben aus einem Antrag von CDU und SPD zitiert und auf die SPD-Unterschriften hingewiesen, der dem heutigen ähnlich war.

[Zuruf des Abg. Wieland (Grüne)]

Herr Ratzmann, da waren Sie noch nicht im Parlament und sagen nun, Sie wollen diese Regelung jetzt. Damals war es 1997. Der Antrag ist nicht verfallen wegen Ablaufs der Legislaturperiode. Damals hat die Fraktion der Grünen eine Presseerklärung herausgegeben unter der Überschrift: „Gauck-Überprüfung von Abgeordneten – so nicht!“ Und Sie haben genau dieses Verfahren angegriffen. Sie haben gesagt, dass der Koalitionsentwurf von SPD und CDU für Sie unannehmbar ist, weil er jetzt diese Zwangsregelung einführt. So war Ihr Sinneswandel. Da hätten Sie sich besser informieren müssen, Herr Ratzmann!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Wieland (Grüne): Erzählen Sie doch nicht so einen Blödsinn!]

Worauf es überhaupt hinauslief, das hat die Debatte im Prinzip schon ergeben. Nicht nur die Zwischenrufe von Herrn Wieland, sondern auch, was Herr Lindner hier vorgetragen hat, hat es ergeben, und die Kollegen von der „Morgenpost“ haben es relativ eindeutig gesagt, worum es eigentlich hier geht in der Stimmung, die hier herrscht. Herr Ratzmann sprach immer von „die“, er sagte, auf der einen Seite seien „die“ und auf der anderen

(A) (C)

(B) (D)

Seite seien „die“ und meinte damit die PDS-Fraktion in Gänze wahrscheinlich. Ich frage mich, was ist das überhaupt für eine Debatte.

[Cramer (Grüne): Frage ich mich schon den ganzen Tag!]

Wenn es dann heißt, die Grünen wollen auch: „Stichhaltige Hinweise von Bürgern und aus der Presse sollen dem parlamentarischen Ehrenrat die Möglichkeit geben, tätig zu werden.“

[Wieland (Grüne): Ja!]

Aber genau das war damals die Debatte, dass wir sagen, dieses öffnet einem Denunziationswesen Tür und Tor.

[Wieland (Grüne): Ach was!]

Deswegen haben Sie sich auch damals – und Frau Künast – hier im Haus dagegen ausgesprochen.

[Ratzmann (Grüne): Hier ist der Änderungsantrag, der damals von uns vorgelegt wurde!]

Ich kann Ihnen die ganze Presseerklärung vorlesen. Dafür habe ich jetzt aber leider nicht mehr genug Zeit.

Was die Grünen offensichtlich inzwischen vergessen haben, ich will jetzt noch einmal den PDS-Standpunkt dazu sagen: Es geht nicht darum – und in dieser Frage waren wir uns immer einig, seitdem wir in diesem Parlament über diese Frage diskutieren –, dass wir der Meinung sind, dass die Mitglieder des Abgeordnetenhauses, das gilt in der PDS für alle Mandatsträger, ihre politische Biographie offen zu legen haben, dass ein Bürger, ein Wähler einen Anspruch darauf hat zu wissen, wen er wählt, dass gerade bei Geheimdiensten, und zwar allen, Konspiration, Vertrauensbruch das Wesentliche der Zusammenarbeit darstellt und ein Abgeordnetenmandat eine Vertrauensstellung ist. Deshalb erwarten wir auch von allen Mandatsträgern in allen Parlamenten, dass sie dieses offenlegen – und zwar generell, ihre gesamte politische Biographie und nicht nur in Bezug auf die Zusammenarbeit mit dem MfS. Wenn jetzt einige Mitglieder auch meiner Fraktion der Meinung sind – dafür gibt es vielleicht Gründe –, sich nicht noch einmal überprüfen zu lassen, weil sie bereits mehrmals überprüft worden sind und in diesen Überprüfungen einen ständigen Angriff auf ihre Integrität sehen, bin ich der Meinung – und sind auch andere der Meinung –, dass dem nicht so ist, sondern das dies ein wiederholter Akt der Transparenz gegenüber dem Wähler und der Öffentlichkeit ist.

[Wieland (Grüne): Dann macht es doch!]

Darüber gibt es Meinungsverschiedenheiten. Aber sich dann hinzustellen – so zumindest der Zwischenruf von Herrn Lindner – und zu behaupten, diejenigen, die sich nicht überprüfen ließen, hätten gespitzelt, das ist ein Problem in der Debatte.

[Wieland (Grüne): Sie schlagen ideologische Purzelbäume wie ehemals Stoiber!]

Insofern haben wir uns dieser Zwangsüberprüfung widersetzt und gesagt, das eigentliche Verfahren sei ein Transparenzverfahren. Wenn man es jedoch mit einer Zwangsüberprüfung versucht, dann zieht man dieses öffentliche Verfahren der Transparenz ins parteipolitische Kalkül. Genau das läuft hier ab. Dann entscheiden im Zweifelsfall Mehrheiten darüber, zu wem aus welchen Gründen, auf Grund welcher Denunziationen im Ehrenrat eine Zwangsüberprüfung beschlossen wird.

[Wieland (Grüne): Mit der Logik haben Sie gewisse Probleme, Herr Nelken!]

Damit zieht man das gesamte Verfahren ins parteipolitische Kalkül. Das haben Sie früher zumindest auch abgelehnt. Warum Sie das jetzt vergessen haben, kann ich nicht nachvollziehen.

Jetzt geht es – hier gebe ich auch Herrn Benneter insoweit Recht – um die öffentliche Auseinandersetzung. Da muss sich jeder Abgeordnete, der sich nicht überprüfen lässt auch die Frage stellen.

[Wieland (Grüne): Warum tun Sie das nicht?]

Er ist verantwortlich gegenüber der Öffentlichkeit und seinem Wähler. Warum er das tut, dafür gibt es Gründe, da kann man jeden Einzelnen fragen. Aber man darf ihn nicht pauschal unter Verdacht stellen.

[Beifall bei der PDS – Zuruf des Abg. Benneter (SPD)]