Vielen Dank, Herr Kollege Krüger! – Bevor der nächste Redner kommt, habe ich die Bitte, den Geräuschpegel im Hause etwas zu senken, damit die Redner die gebührende Aufmerksamkeit finden. – Herr Schruoffeneger für Bündnis 90/Die Grünen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Krüger! Hören Sie auf zu jammern, war schon der richtige Schlusssatz von Ihnen.
Ich würde Ihnen gerne zurufen: Hören Sie auf zu jammern, wenn die Opposition Anträge stellt und Ihnen bis zur letzten Minute nur so ein Zettel einfällt, wo Sie darum bitten, der Finanzsenator möge Ihnen doch tunlichst wenigstens sagen, was er tut. Hören Sie auf zu jammern, Sie spielen keine finanzpolitische Rolle mehr. Das fällt Ihnen auf, und dann jammern Sie über die Aktivitäten der Opposition. Das ist das einzige, was Ihnen noch bleibt.
Herr Krüger, Sie haben gesagt, Hintergrund der Aufregung sei die Haushaltssperre. Nein, das ist falsch! Hintergrund ist nicht die Sperre, sondern die Sperre ist bestenfalls das Symptom der Krise, die diese Koalition hat. Hintergrund der Aufregung hier ist das finanzpolitische Desaster, das Sie mit Ihrem Haushalt angerichtet haben, der überhaupt nichts zur Konsolidierung des Landes Berlin beiträgt.
[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Klemm (PDS): So ein Quatsch! Wer hat denn das Desaster angerichtet?]
Wir hatten schon gestern die Freude, mit Ihnen, Herr Krüger, im Hauptausschuss zu diskutieren. Die Kollegin Spranger hat das, was die Opposition vorgelegt hat – wohl mehr in Richtung der CDU-Fraktion –, als finanztechnischen Regelungswust bezeichnet. Mag sein, dass das alles ein bisschen bürokratisch
ist, weil wir verzweifelt versuchen müssen, mit rechtlichen Regelungen und mit gezielten Anträgen zu Haushaltstiteln etwas Ordnung in Ihr Chaos zu bringen. Aber ist das nicht besser als die Strategie des Vertagens, des Abtauchens und des Verschiebens? – Das ist die einzige Strategie, die Sie im Moment haben.
Wir haben bis zum 24. Juli eine vorläufige Haushaltswirtschaft gehabt und ab dem 24. Juli dann eine Haushaltssperre. Das ist der Qualitätswechsel, der dort stattgefunden hat. Wenn man denkt, dass eine solche Situation die Koalition irgendwie alarmieren würde, dann irrt man sich. Es ist schon mehrfach gesagt worden: Von 26 Punkten, die gestern im Hauptausschuss zur Debatte anstanden, sind 11 vertagt oder mit Fristverlängerung entschieden worden – das Facility Management, der Stellenpool, das Beteiligungsmanagement. Diese Punkte sollten nach der Koalitionsvereinbarung schon in diesem Jahr beträchtliche Einsparungen erbringen, aber bei all diesen Punkten sind Sie schlichtweg entscheidungs- und politikunfähig.
[Beifall bei den Grünen und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Klemm (PDS): Was haben Sie denn im vorigen Jahr gemacht? – Nichts!]
Ich glaube, das sind die wahren Gründe für die Haushaltssperre. Herr Sarrazin hat sehr genau erkannt, dass er zu Notwehrmaßnahmen gegen diese Koalition greifen muss, wenn er überhaupt noch so etwas wie einen finanzpolitischen Ruf wahren möchte. Es wird ja von Tag zu Tag schlimmer. In dem Haushaltswirtschaftsrundschreiben, in dem die Haushaltssperre verhängt wurde, standen Zahlen der Defizitschätzung. Gestern – vier Wochen später – nannte Herr Sarrazin neue Zahlen, und siehe da: Innerhalb eines Monats hat sich das Defizit um weitere 150 Millionen in der Schätzung erhöht. Ich behaupte, dabei wird es nicht bleiben. Wir werden am Ende des Jahres den Haushalt um mehr als eine Milliarde überziehen.
Herr Sarrazin hat gestern – und Herr Krüger hat das Spiel heute wieder gemacht – die Sozialausgaben der Bezirke als schwerwiegenden Punkt herausgegriffen und gesagt: Daran liegt es. Da müssen wir handeln! – Nun schauen wir uns einmal an, was passiert ist! Herr Krüger, das fand ich nun ernsthaft unfair, was Sie da gemacht haben. Die Bezirke haben in einem einzigen Haushaltsblock ihre Ansätze überzogen, nämlich im Bereich der Transferleistungen, der Sozialausgaben. In allen anderen Haushaltsblöcken – in den Sachausgaben und in den Personalausgaben – haben die Bezirke ihre Ansätze zum 30. Juni zu 45 % bzw. 44 % ausgeschöpft. Sie liegen also gut im Soll. In der Hauptverwaltung, die für Sie augenscheinlich nicht das Problem darstellt, fällt das genau anders herum aus: Bei Sachausgaben 52,5 %, bei den Personalausgaben 52,1 % – und Sie wissen, dass die zweite Jahreshälfte wegen Weihnachtsgeld und Ähnlichem teurer wird. – Dort liegt unser Problem und nicht so sehr in den Bezirken, die im Schnitt noch relativ gut dastehen.
Das ist aber genau das Problem, das sie angehen müssten, wo Sie die Verantwortung haben und die Strukturveränderungen der Hauptverwaltung einleiten müssten – und wo Sie sich nicht entscheiden können. Am Schlimmsten ist dabei Folgendes: Sie, Herr Krüger, haben uns während der Haushaltsberatungen immer wieder mit stolzgeschwellter Brust erzählt, wie toll Sie die Bezirkshaushalte ausgestattet hätten. Nun könnte man endlich flächendeckend und sozusagen kostenneutral die Sozialausgaben bezahlen. Alles, was die Bezirke brauchen, sei da. Sie guckten dabei immer so, als sollten wir für Standing Ovations aufstehen über diese große Tat der Koalition.
War aber nichts! Herr Sarrazin hat ja gestern schon gesagt, dass die Überziehungen der bezirklichen Sozialausgaben schon seit April bzw. Mai absehbar waren. Dann frage ich mich, warum sie nicht in der zweiten Nachschiebeliste im Juni enthalten
waren. Hier wurde das Parlament schlichtweg hinter das Licht geführt. Hier wurde mit unwahren Zahlen gearbeitet, und bei der Haushaltsverabschiedung wussten Sie das.
Wenn Sie sagen, das, was wir machen, sei reine Klientelpolitik, denn wir wollten die Zuwendungsempfänger schonen, so stelle ich fest: Ja, das wollen wir! – Sie diskutieren über den Mentalitätswechsel und sagen, wir müssten outsourcen und kleine flexible Einheiten schaffen – nicht mehr institutionell fördern, sondern Projekte fördern. Das ist alles richtig. Aber dann muss man das auch tun. Was Sie jedoch in der Realität tun – ich habe es schon benannt: die Überziehung der Personal- und Sachausgaben der Hauptverwaltung –, ist ein Schutzprogramm für die öffentliche Verwaltung zu Lasten der kleinen flexiblen Einrichtungen. Das wollen wir nicht. Ihre Politik ist eine Klientelpolitik für die öffentlichen Verwaltungen auf der Hauptverwaltungsebene, und das finde ich um einiges schlimmer.
Sie haben gestern – ich glaube, es war Frau Spranger – der Opposition vorgeworfen, wir hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Aber schauen wir uns einmal an, was in den letzten Wochen alles passiert ist: Es gab Neueinstellungen – da wird z. B. ein Abteilungsleiter in der Finanzverwaltung neu eingestellt, nachdem es sechs Monate ohne ging – und um die 1 500 Beförderungen im öffentlichen Dienst – davon eine dreistellige Zahl im Bereich der höheren Einkommensgruppen. Dann liest man über Gespräche von Herrn Böger mit einem Fußballverein, wonach man gern für 25 bis 30 Millionen einen Sportplatz sanieren wolle, aber noch nicht so recht wisse, wie man das finanziert. Dann gibt es Finanzierungszusagen für Defizite von Theatern. Das geschieht alles, ohne dass es im Haushalt abgesichert ist, und dann erzählen Sie uns, wir hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Herr Krüger, das grenzt schon an Wirklichkeitsverzerrung und falsche Wahrnehmung.
Sie haben eine Haushaltssperre erlassen, die ein sehr bürokratisches Verfahren erfordert. Hierbei muss jeder Einzelantrag über 1 000, 2 000 oder 3 000 $ über die Schreibtische von Kohorten von Beamten, die sich mit diesen Kleinstanträgen befassen müssen, Überstunden produzieren und Ähnliches mehr. Das alles kostet mehr, als es einbringt. Unser Antrag hingegen ist sehr zielgerichtet.
Ich hatte eigentlich nach Ihren gestrigen Ausführungen erwartet, dass Sie heute mit einem Antrag kommen, der davon ausgeht, an unsere konkreten Sperren noch einmal 10 bis 20 weitere Vorschläge ’ranzuhängen. Aber Sie haben augenscheinlich keine und beschweren sich darüber, dass wir welche haben. Sie arbeiten nur noch mit dem Rasenmäher, wir hingegen versuchen, diesen Rasenmäher wieder wegzubekommen.
Herr Krüger, wenn Sie fast so elegant wie gestern in den Raum werfen: „Sind Sie für oder gegen die Haushaltssperre?“, dann mache ich es auch fast so wie gestern und frage Sie: „Was sind Ihre Konsequenzen aus dem Milliardendefizit für den Haushalt 2003? Sind Sie für oder gegen einen Nachtragshaushalt 2003?“ – Wenn Sie ebenso wie gestern sagen: „Wir sind dagegen.“, dann wissen wir alle, dass diese Diskussion, die Sie hier führen, von Ihnen nicht ernst gemeint ist.
Jetzt noch einige Wort zu der 300er-Liste von Herrn Sarrazin: Das ist ein besonderes Beispiel für die neue Transparenz dieser Koalition, die Herr Wowereit in seiner Regierungserklärung hervorgehoben hat. Herr Sarrazin sagt: „Ich habe 300 Vorschläge, aber die sage ich euch nicht, denn ich will ja Senator bleiben.“ – Das ist ein sehr öffentliches Verfahren. Damit nimmt man die Bürger so richtig mit auf den Weg. Man bezieht sie richtig ein in die Diskussion. Aber, Herr Sarrazin, wenn ich sehe, dass Sie seit einem dreiviertel Jahr an drei zentralen Fragen – Facility Management, Stellenpool und Beteiligungsmanagement –
scheitern und nur mit Fristverlängerung arbeiten können, frage ich mich: Wie wollen Sie denn 300 Punkte schultern? – Das werden Sie doch nie schaffen. Das dauert Jahrzehnte, wenn Sie so weiterarbeiten wie bisher. Das kann es nicht sein.
Die Transparenz habe ich erwähnt. Es wurde gestern im Hauptausschuss abgelehnt, für die Abgeordneten im Hauptausschuss die Ist-Listen zu veröffentlichen. Das Haushaltswirtschaftsrundschreiben wurde uns nach zwei bis drei Wochen zur Verfügung gestellt. Und heute liegt uns nun nach langer, harter Arbeit der Koalition ein wahrlich bewegender Antrag vor, der die Transparenz schaffen will und den Senat auffordert, dem Hauptausschuss regelmäßig zu berichten, welche Ausnahmen von der Haushaltswirtschaft denn zugebilligt werden. Das ist eine ziemliche Null-Lösung.
Richtige Transparenz erhalten wir über die Ist-Listen. Richtige Transparenz erhalten wir auch, wenn wir nicht nur die Bewilligungen, sondern auch die Ablehnungen der Ausnahmen erhalten, denn dann können wir kontrollieren, ob die Schwerpunkte richtig gesetzt werden. Wie nötig das ist, sieht man z. B. an einer Bewilligung, die schon vorgenommen wurde, nämlich die Bewilligung des stadtplanerischen Gutachtens für die Region Buch. Das ist nun das, was so dringend notwendig ist und unbedingt gemacht werden muss. Deswegen, Herr Krüger, ist es auch unredlich, wenn Sie bei den Hauptgruppen 5 und 6 nur über Bleistifte reden. In den Hauptgruppen 5 und 6 – das, was die Verwaltung macht, und zwar insbesondere das, was die Stadtentwicklungsverwaltung macht – ist jede Menge Luft drin. Da muss man irgendwann einmal politisch entscheiden. Das wollen Sie nicht, und deswegen wollen Sie weiterhin den Rasenmäher. Wir aber nicht!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Drucksachen 15/680, 15/681, 15/693 und 15/698 an den Hauptausschuss, worüber ich abstimmen lasse. Wer dafür ist, den bitte ich um das Zeichen! – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist das mit Enthaltungen aus der FDP-Fraktion so angenommen.
Ich komme jetzt zum dringlichen Antrag von SPD und PDS Drucksache 15/717. Dazu vorher noch ein Hinweis: Im Text soll das Wort „zeitnah“ durch „monatlich“ ersetzt werden. Damit wäre wohl interfraktionell auch eine Einigung festzustellen, so dass wir sofort abstimmen könnten. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Wer dafür ist, so zu verfahren, den bitte ich um das Handzeichen! – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist das mit Enthaltungen der Union mehrheitlich so beschlossen.
I. Lesung des Antrags der Fraktion der Grünen über Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Landesabgeordnetengesetzes
Mitteilung – zur Kenntnisnahme – über Überprüfung von Mitgliedern der Landesregierung auf eine Mitarbeit im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS)
Bevor wir in die Aussprache eintreten, weise ich noch darauf hin, dass wir heute zu Beginn unserer Sitzung vorab eine Mitteilung – zur Kenntnisnahme – über die Überprüfung von Mitgliedern der Landesregierung auf eine Mitarbeit im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR in Kopie erhalten haben. Diese Mitteilung ist heute 13 Minuten vor Beginn unserer Sitzung beim Präsidenten als Fax eingegangen.
Ich eröffne jetzt die I. Lesung. Der Ältestenrat empfiehlt für die gemeinsame Beratung bzw. Besprechung nach unserer Geschäftsordnung eine Redezeit von bis zu 10 Minuten pro Fraktion. Wortmeldungen liegen aus allen Fraktionen vor. Es beginnen die Grünen mit dem Herrn Kollegen Ratzmann. – Bitte schön, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute sind viele Beiträge mit einem Zitat eröffnet worden. Auch ich will meinen Beitrag mit einem Zitat beginnen.