Protocol of the Session on August 29, 2002

[Beifall bei der FDP]

Wenn ich sage, wir haben eine dramatische Situation, dann ist das angesichts der vielen Debatten, in denen hier die dramatische Situation beschworen worden ist, eigentlich schon gar nichts Neues mehr. Aber dass das Parlament sich jetzt in Haushaltsdingen inzwischen schon selbst aufgibt und dem Finanzsenator gleich die komplette Steuerung überlässt, das ist wirklich das Neue, das wir hier heute zu besprechen haben. Und da ist der Antrag 717, den die Koalition einbringt, wirklich das Allermindeste, um überhaupt dazu beizutragen, dass der Hauptausschuss wenigstens noch Kenntnis davon bekommt, für welche Haushaltstitel im Land Berlin eigentlich noch Geld ausgegeben wird und für welche nicht. Denn auf das schöne dicke Buch „Haushalt“, von dem ich gerade gelesen habe, dass Sie es auch für eine dreistellige Euro-Summe zum Kauf anbieten – so blöd muss man erst einmal sein, das Ding zu kaufen, das sowieso nicht angewendet wird –, kann man sich ja leider nicht mehr verlassen, wenn man wissen möchte, was in Berlin eigentlich zur Verfügung steht, für welche Aufgaben und für welche nicht.

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Wambach (CDU)]

Deswegen werden wir mit Interesse und mit Aufgeschlossenheit auch das Finanzchaos-Eindämmungsgesetz der CDU sicherlich im Ausschuss beraten. Ich möchte allerdings dazu sagen: Bei einer Koalition, die sich nicht scheut, einen verfassungswidrigen Haushalt vorzulegen, und sich auch sonst nicht gerade um das schert, was an Regeln und Richtlinien rund um den Haushalt besteht, habe ich nur eine eingeschränkte Erwartung, dass sie durch weitere Regelungen der Landeshaushaltsordnung ernsthaft ihr Verfahren ändern wird. Aber wir können gerne darüber diskutieren.

Dass man dieses Verhalten, das hier vorliegt, nicht nur rügen sollte, sondern dass auch ein Nachtragshaushalt für 2003 her muss, das ist nach dieser Haushaltssperre noch offenkundiger, als es die ganze Zeit sowieso schon gewesen ist. Diesen vorzulegen und das als Parlament zu fordern, ist von da her nur folgerichtig. Jetzt ist auch schon darauf hinzuweisen, dass der Haushalt 2004 bitte termingerecht hier so behandelt wird, dass wir vielleicht ausnahmsweise einmal wieder, bevor ein Haushaltsjahr anfängt, auch schon in der Lage sind, einen Haushalt zu beraten und zu beschließen, ohne dabei in Hektik und Panik ausbrechen zu müssen. Das ist auch ein Anliegen, das die FDP Ihnen hier heute zur Abstimmung stellt, und von dem wir eigentlich die gute Erwartung hätten, dass dem auch entsprochen werden kann.

Zum Schluss möchte ich noch auf den Ansatz der Grünen zu sprechen kommen. Ich finde es sehr positiv, zumindest zu versuchen, eine solche Sperre durch ein zielgerichtetes Handeln zu ersetzen. Denn auf dem Wege gibt es dann vielleicht auch noch ein Stück Steuerung und Steuerungsmöglichkeiten und Prioritätensetzung innerhalb des Haushaltsvollzuges in Berlin. Ob die jetzt im Antrag der Grünen im einen und im anderen Detail immer richtig gesetzt sind oder ob wir unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, darüber kann man ja auch im Ausschuss diskutieren. Aber den Ansatz überhaupt zu versuchen, das finde ich sehr positiv.

Denn das, was der Finanzsenator uns durch seine Haushaltssperre hier an Situationen eingebracht hat, das bedeutet ja schließlich, dass bei den konsumtiven Sachausgaben auch an den Dingen jetzt gespart wird, die für die Zukunftsentscheidungen Berlins vielleicht gerade wichtig sind und die wir unbedingt brauchen und die jetzt alle in eine lange Schlange gelegt werden, um vom Finanzsenator unterschrieben zu werden oder auch nicht. Währenddessen haben wir Solidarpaktverhandlungen und den großen Block der Personalkosten und alles andere, wo überhaupt nichts passiert, sondern wo alles so weitergeht wie vorher. Nur bei den konsumtiven Sachausgaben, völlig undifferenziert, ob es der Zukunft Berlins dient oder nicht, haben wir diese Ein

schränkung jetzt plötzlich vorliegen. Diesen Zustand sollte man schnellstmöglich zu beenden versuchen, obwohl ich in dieser aktuellen Situation beinahe so etwas wie Verständnis dafür habe, dass nach den unzureichenden Sparbemühungen der Koalition der Finanzsenator hier keine andere Chance sieht, als die Notbremse zu ziehen. Aber lassen Sie uns gemeinsam möglichst schnell dafür sorgen, dass hier wieder durch ein vernünftiges und gesetzliches, dem Haushaltsrecht des Parlaments entsprechendes Handeln dieser Zustand wieder beendet wird.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Matz! – Für die PDS erhält das Wort der Herr Kollege Krüger. – Bitte schön! [Czaja (CDU): Ganz in Weiß! – Die Abgn. Ritzmann (FDP) und Krestel (FDP) intonieren das Lied „Ganz in Weiß“. – Eßer (Grüne): Sind Sie für die Haushaltssperre oder dagegen?]

Genau, das werden Sie heute noch zu beantworten haben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Matz! Es freut mich sehr, hier feststellen zu können, dass der Antrag der Koalition auch Ihren Mindestanforderungen entspricht. Wir sind gespannt, ob Sie Ihren Ankündigungen auch Taten folgen lassen.

[Zuruf des Abg. Wieland (Grüne)]

Der Anlass der in Rede stehenden Anträge ist die durch den Herrn Finanzsenator verhängte Haushaltssperre unmittelbar nach der Beschlussfassung des Haushalts durch das Parlament. Das ist ein bemerkenswertes Timing gewesen, Herr Senator, darüber ist schon viel gesprochen worden. Aber die Verfahrenskritik ist ja die Schaustelle einer ratlosen Opposition, und ich möchte hier nicht länger verweilen. Die Hauptfrage ist doch: War die Sperre vermeidbar, und wo liegen die Ursachen dieser Sperre? – Da fehlt mir eine differenzierte Betrachtung. Ich will sie hier einmal kurz versuchen.

Was haben wir an Ausgabenüberschreitungen? – Der Kollege Matz hat hier sehr dezidiert die These vertreten, dass alles an den falschen Planungen der Koalition liege. Da haben wir bei den konsumtiven Sachausgaben der Hauptverwaltung eine Unterschreitung der geplanten Ansätze von immerhin 333 Millionen $. Und wir haben bei den Bezirken das genau umgekehrte Bild, wir haben eine Überschreitung von mehr als 100 Millionen $. Und Herr Sarrazin prognostiziert, es wird zum Jahresende eine Viertelmilliarde $ sein. Bei den Personalausgaben haben wir in den Hauptverwaltungen eine Überschreitung von mehr als 100 Millionen $ und bei den Bezirken eine Unterschreitung von ca. 100 Millionen $. Welches Bild ergibt sich daraus? – Das Bild, das diese Abweichung von der Haushaltsplanung innerhalb der laufenden Haushaltswirtschaft als ausgleichbar erscheinen kann. Was uns zu der Maßnahme der Haushaltssperre greifen ließ, sind die, ich würde sagen, epidemischen Einnahmeausfälle, insbesondere bei den Steuereinnahmen des Landes Berlin und bei den Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich, die sich auf insgesamt 700 Millionen $ summieren.

[Zuruf des Abg. Matz (FDP)]

Jede Landesregierung, die hier nicht gehandelt hätte, und jeder Finanzsenator, der hier nicht gehandelt hätte, müsste sich zu Recht den Vorwurf der Verantwortungslosigkeit gefallen lassen. Und wenn reiche Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen und Hessen mit einer Haushaltssperre auf die Steuerausfälle reagieren, dann denke ich, sollte das arme, krisengeschüttelte Berlin hier erst recht sehr rigide und strikte Maßnahmen ergreifen.

Wir haben jetzt den Kanon der Opposition auf dieses Situation präsentiert bekommen. Die CDU möchte gegen die Ausfälle aus dem Länderfinanzausgleich, die Ausfälle der Körperschaftssteuer in Bayern oder in Nordrhein-Westfalen, mit dem scharfen Instrument der Änderung der Landeshaushaltsordnung in Berlin

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reagieren. Die Berliner Landeshaushaltsordnung ist also der feste Damm gegen eine Flut von Steuerausfällen, auch in anderen Bundesländern. Diese papierenen Maßnahmen kommentieren sich selbst.

Die FDP sagt: Wir rügen diese schlimme Situation, wir rügen haushaltspolitische Tatsachen. Das ist so wie jeden Abend in der Schmidt-Show, wenn Harald Schmidt seinen üblichen Eintrag ins Klassenbuch präsentiert.

[Dr. Lindner (FDP): Wir rügen Ihre Stümperei, das ist alles!]

Kollege Lindner, ich meine, solche Anträge stellt doch nur eine Fraktion, die offensichtlich von sich selbst annimmt, dass sie nicht regierungsfähig ist.

[Beifall bei der PDS]

Und die Grünen machen sich zumindest die Mühe, sich in die Niederungen der Haushaltswirtschaft zu begeben.

[Eßer (Grüne): Das habe ich nie gesagt! – Wieland (Grüne): Ja, da treffen wir immer Sie!]

Die gute Absicht anerkennen wir.

[Wieland (Grüne): Aber 80 Fragen waren zuviel! – Dr. Lindner (FDP): Der Herr Oberlehrer verteilt hier Zensuren!]

Und das findet alles unter der Überschrift der zielgerichteten Maßnahmen statt. Nun finden wir hier die grüne Vorstellung dessen, was zielgerichtet ist: Sperren bei vertraglich gebundenen Maßnahmen, 120 Millionen $ bei den Verwaltungsausgaben, also bei Strom, Gas, Wasser, Bewirtschaftungskosten etc. Sie glauben wahrscheinlich daran, dass Sie diese 120 Millionen $ bei den Bleistiften, beim Papier, bei den Druckerpatronen hereinholen können. Gute Reise in die bunte Welt der Phantasie!

Sie spielen ja nicht mit offenen Karten. Hinter Ihrer Realitätsverweigerung schaut doch eine knallharte Klientelpolitik hervor.

[Eßer (Grüne): Jetzt fängt er schon wieder damit an!]

Wir haben heute aus den Reihen der CDU- Fraktion und der FDP-Fraktion in einer Zeit, wo das Land unter gravierenden Steuerausfällen zu leiden hat, erneut die Forderung nach einer Senkung der Gewerbesteuer gehört. Das ist Klientelpolitik!

[Doering (PDS): Unglaublich! – Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Und in dem grünen Antrag wird sehr wortreich versucht zu sagen, wir machen sozusagen ein bisschen Haushaltssperre, aber tut uns den Gefallen und nehmt die Zuwendungsempfänger weitgehend aus der Sperre heraus. So kann man sich die Realität schönreden oder „schönbeantragen“.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Die Kollegin Spranger hat hier schon die Meinung der Koalition zu diesen Anträgen der Realitätsuntüchtigkeit und der Klientelpolitik dargelegt. Wir werden sie ablehnen.

Aber eine Frage werde ich Ihnen auch heute nicht ersparen:

[Heiterkeit bei den Grünen]

Sind Sie für oder sind Sie gegen eine Haushaltssperre?

[Eßer (Grüne): Herr Krüger: Sind Sie für einen Nachtragshaushalt?]

Gestern – und mein verehrter Kollege Zimmer glaubte ja, mich einer Herzattacke nahe zu sehen, nein, ich glaube, ich musste mich sehr anstrengen, um Ihnen einmal eine politische Meinung aus der Nase zu ziehen –, gestern sagten Ihre Haushälter: Ja, im Prinzip schon, wenn es nicht anders geht, uns fällt auch nichts anderes ein, erst einmal eine Sperre, aber danach muss alles anders werden. Und heute – vor laufenden Kameras – reden Sie mit gespaltener Zunge und tun so, als ob Sie sich an das, was Sie gestern einräumen mussten, nicht mehr erinnern können.

[Beifall bei der PDS]

Wenn etwas eines Eindämmungsgesetzes bedürfte – aber Gesetze helfen ja nicht, weil die Gedanken sind frei –, dann das Chaos in den Köpfen der Opposition. Chaos in den Köpfen, Stillstand in der Politik, die Summe Ihrer Maßnahmen ist nichts weiter als Stillstand. Die Haushaltssperre hingegen ist sicherlich ein schmerzhaftes, ein unbeliebtes Instrument. Sie ist Ausdruck all dessen, dem Sie sich selbst verweigern.

[Dr. Lindner (FDP): Ein Zeugnis Ihrer Unfähigkeit, aber sonst gar nichts! Sie waren nicht fähig, einen Haushalt aufzustellen! Der ist jetzt Makulatur!]

Sie verweigern sich, Kollege Lindner, dem Krisenmanagement in dieser Stadt. Kollege Matz sprach, dass uns der Mut fehle, wo leben Sie denn? Schauen Sie sich doch einmal an, in welcher Null-Bock-Stimmung Sie sich hier angesichts der Haushaltskrise dieser Stadt befinden.

[Dr. Lindner (FDP): Schauen Sie einmal rüber zu Ihrer Fraktion, da sitzen doch die Nullen!]

Und zum Abschluss möchte ich mit einigen Legenden aufräumen. Wir haben hier heute Mittag eine Stimme aus dem Paralleluniversum gehört: Planet Steffel. Es gebe keine Investitionen mehr, es gebe keine Arbeitsförderung mehr, ich denke, ein simpler Blick in das Haushaltswirtschaftsrundschreiben kann auch dem Kollegen Steffel helfen. Ich würde nicht sagen, dass er gelogen hat, weil ich glaube, das ist bei dem Kollegen Steffel eher eine Frage des Verstandes und nicht der Ehre.

[Zuruf von der CDU: Unverschämt!]

Abschließend möchte ich Ihnen zurufen: Hören Sie endlich auf zu jammern, akzeptieren Sie die Haushaltslage in dieser Stadt

[Wieland (Grüne): Niemals!]