Danke schön! – Wir treten somit in die zweite Rederunde ein. Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Müller das Wort!
Zur Information, Herr Senator Böger, es sieht nicht ganz so aus, wie es jetzt eben geschildert wurde, es befinden sich im Saal mehr Senatoren, Herr Körting war nur allein auf der Bank. Die Senatoren sitzen woanders, z. B. der Kollege Strieder.
Danke schön! – Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Was schon lange und nicht nur in Fachkreisen bekannt war, hat „Bärenstark“ nun offiziell zu Tage gebracht: Künftige Erstklässler, überwiegend Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache, haben erhebliche Probleme mit der deutschen Sprache. Das ist das Ergebnis dieser Sprachstandsfeststellung. Und das ist nicht neu und auch nicht erst, seit Rot-Rot hier in Berlin regiert, Herr Steuer! – Hiervon sind aber auch deutsche Kinder betroffen. Als Ursache wird die gesamtgesellschaftliche Entwicklung angesehen. Durch den Einfluss der neuen Medien wird heutzutage nicht nur in der Familie weniger gesprochen.
Aber auch Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache haben weitere Probleme. Zum Ersten mit ihrer Muttersprache, wie hier schon mehrfach festgestellt wurde. Zum Zweiten damit, dass Deutsch für sie eine Fremdsprache ist. Die mangelnde Sprachkompetenz ist jedoch nicht nur auf Versäumnisse im Vorschulalter zurückzuführen, also auf das Alter 5, 6 Jahre. Die Ursachen liegen bereits im frühkindlichen Alter. Die Ausbildung der Sprache erfolgt nicht inselmäßig, also abgegrenzt von der körperlichen und geistigen Entwicklung. Sprachentwicklung ist als ganzheitlicher Prozess zu sehen, der im engen Zusammenhang mit der Wahrnehmungsfähigkeit, Bewegungsförderung sowie der psychisch-motorischen Entwicklung steht. Hier ist festzustellen, dass ebenso wie die Sprachdefizite die Bewegungsstörungen zugenommen haben. Bei standardisierten Motoriktests für 4bis 6-Jährige schneiden die Kinder heute um rund 10 Prozent schlechter ab als die Prüflinge der 80er Jahre. Das äußert sich darin, dass die Kids schlechter balancieren können, ebenso klettern, springen und rennen. Manche Kinder können noch nicht einmal einen Ball fangen.
Das heißt, Kinder, die in der Bewegung eingeschränkt sind, weil sie schon im zarten Kleinkindalter vor dem Fernseher ruhiggestellt werden, weil sie Perfektion beim Gameboyspiel erreichen oder später vor dem Computer sitzen, haben vermehrt Sprachprobleme. Es ist pädagogisch nachgewiesen: Körperliche Fähigkeiten stehen in einem direkten Zusammenhang mit dem Lernvermögen. Ebenso sind die Beziehungen zum Konzentrationsvermögen und zur Ausdauer nachweisbar.
Aus diesen Anmerkungen ist ersichtlich, dass Versäumnisse in Erziehung und Bildung im Kleinkindalter unweigerlich zu schwer korrigierbaren Defiziten im Vor- und Grundschulalter führen können. Was in der Familie nicht geleistet wird oder nicht geleistet werden kann, müssen in unserer Gesellschaft die Vorschule und der Kindergarten erbringen. Es ist deutlich zu sehen, welche Rolle die Kindergärten in unserer heutigen Zeit haben, und zwar besonders dann, wenn Kinder in so genannten bildungsfernen Elternhäusern nicht die notwendige Erziehung und Bildung erfahren, wenn Kinder aus Migrantenfamilien kommen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, und mit den Kindern nur in der Muttersprache kommuniziert wird. Aber auch in der Durchschnittsfamilie wird heute immer weniger miteinander gesprochen. Ein langer Arbeitstag der Eltern, Fernseher und Computer sind hier meist die Ursachen.
All die eben aufgeführten Gründe sprechen dafür, dass Kinder möglichst früh die Gelegenheit haben sollten, ganztägig einen Kindergarten zu besuchen.
Da sind wir in Berlin auf dem guten Weg, das hat Herr Senator Böger schon gesagt: Berlin muss sich im Vergleich mit der gesamten Bundesrepublik nicht verstecken.
Ein weiteres Argument für den Besuch eines Kindergartens ist die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Eltern. Bedingt durch den Entwicklungsstand, durch die Selbständigkeit der Kinder im Alter zwischen 0 und 6 Jahren, ist die Nähe zwischen Eltern und Kindern sehr groß. Die Sprösslinge müssen nämlich zum Kindergarten gebracht und wieder abgeholt werden. In der Schule erübrigt sich das dann irgendwann. Das ist die Gelegenheit für
die Erzieherinnen, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, ihnen Hinweise und Ratschläge für die Erziehung zu geben und als ständige Ansprechpartnerinnen zur Verfügung zu stehen.
Ja! – Aus diesen Ausführungen wird deutlich, welche Anforderungen auf das Erzieherpersonal zukommen. Aber hier ist auch die unmittelbare Kooperation der Eltern gefordert.
Wir müssen an dieser Lösung strukturell arbeiten. Zum einen sind genügend Kindergartenplätze erforderlich – wie gesagt, Berlin steht hier ganz gut da. Und zum anderen könnte ich mir vorstellen, dass es zur Pflicht wird, dass die Kinder ein Jahr, bevor sie zur Schule kommen, eine Kita oder die Vorschule besuchen.
Nein, nicht gleich, sondern sofort! Wir können jetzt hier nicht damit anfangen, dass jeder das Ende seiner Redezeit selbst bestimmt! Sie sind schon weit darüber! Bitte Ihren Schlusssatz!
– was Sie ausgeführt haben. Ich habe an die Koalitionsverhandlungen gedacht, die Sie mit der SPD und den Grünen geführt haben, wo Ihre Aussagen anders, um nicht zu sagen, entgegengesetzt, waren. Wir haben alle hier unsere –
Danke! – Wir haben viel Verständnis. Sie nehmen uns das sicher auch nicht übel. Wir sind hier damit betraut, auf die Einhaltung der Redezeiten zu achten, und müssen da etwas restriktiv vorgehen. Sie können mir glauben, wir behandeln das hier oben schon ganz großzügig. Ich bitte dann auch darum, unsere Großzügigkeit nicht auszunutzen. – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Goetze! – Bitte schön!
[Pewestorff (PDS): Wie lange möchten Sie denn reden? – Dr. Steffel (CDU): Fang mit dem Schlusssatz an! – Heiterkeit]
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Müller! Sie hatten eben zum Beginn Ihrer Rede ausgeführt, dass die Erkenntnisse über die Sprachstandsdefizite nicht neu seien. Genau! Das machen wir Ihnen, und das machen wir auch dem Schulsenator zum Vorwurf.
Denn wir hatten vor wenigen Jahren bereits eine solche Untersuchung, die die gleichen katastrophalen Ergebnisse gezeigt hat wie diese. Offensichtlich wurden daraus nicht die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen. Und angesichts von über 50 Schulversuchen, die wir hier in Berlin haben, und etlichen Experimenten in der Vorschulerziehung ist es etwas merkwürdig, dass der Senator so kategorisch die Thesen von Ramsegger ablehnt und nicht über Alternativen nachdenkt, sondern sagt, wir machen im Prinzip weiter so wie bisher, hier und da ein paar marginale Verbesserungen. So werden wir diese prinzipiellen Probleme nicht lösen können.
Frau Müller, wir haben von Ihnen gehört, dass Sie bedauert haben, dass die Vorschulerziehung und insgesamt der Sprachstandserwerb in der Familie nicht mehr so richtig funktioniert. Wieso denn bitte nicht? Welche gesellschaftlichen Kräfte und welche politischen Kräfte haben denn in der Vergangenheit über Jahrzehnte die Familie in Frage gestellt, gegen Familienerziehung und gegen entsprechende Entwicklungen gewettert,