Protocol of the Session on June 13, 2002

Nein, ich habe mir auch genügend anhören müssen, da muss ich wenigstens noch etwas sagen können.

[Beifall und Heiterkeit bei der SPD und der PDS]

Das muss doch möglich sein! –

Ich glaube, wir sollten dieses fortsetzen. Wir brauchen noch etwas anderes. Das ist kein Ablenken, Kolleginnen und Kollegen. Mit schuld an der Situation, die wir jetzt haben, ist eine Gesamtatmosphäre in der Bundesrepublik Deutschland, weil man sich Jahrzehntelang über ein Faktum hinweggetäuscht und und hinweggeredet hat. Die Bundesrepublik Deutschland ist nämlich faktisch ein Einwanderungsland, es sind Menschen hier, die bei uns bleiben wollen, die wir auch brauchen.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Daraus muss man bestimmte Konsequenzen ziehen. Man muss die Aufgabe der Integration endlich ernst nehmen

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

und nicht sagen, ich mache das zum Wahlkampfthema, ich mache sozusagen die Angstfigur. Natürlich gehört zum Einwanderungsland und Einwanderungsgesetz auch Begrenzung, das weiß ein jeder. Es geht nicht darum, die Tore aufzumachen, sondern es muss eine verantwortungsvolle Zuwanderung geben. Es gehört vor allen Dingen endlich bei allen die Bereitschaft dazu, die Integration systematisch in unserem Land durchzuführen.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Herr Mutlu, so seien Sie doch noch froh!

Um eine Tatsache, die dazugehört, lieber Herr Mutlu, brauchen wir uns – ich glaube, auch nicht wir beide – nicht zu streiten, dass zur Integration Bildung der Schlüssel ist. Wenn wir feststellen, dass 25 Prozent der Kinder nichtdeutscher Herkunft in unserem Schulsystem keinen Schulabschluss machen, dann müssen wir fragen, woran das liegt. Und woran liegt es? – Es liegt nicht daran, dass die dümmer sind, das wäre vollkommener chauvinistischer Quatsch, sondern es liegt daran, dass sie die Verkehrssprache in diesem Land nicht beherrschen, nämlich Deutsch. Deshalb müssen und dürfen wir fordern, und das ist keine Germanisierung oder Zwangsgermanisierung, sondern ein berechtigter Anspruch, dass wir Deutsch als Verkehrssprache in unserem Bildungssystem systematisch vermitteln.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Das werden wir auch tun.

[Beifall bei der SPD]

Dieser Aufgabe hat sich dieses Land – dazu gehört Berlin wie alle anderen Länder – leider bisher nicht systematisch gestellt. Wir werden dies anpacken, und zwar sehr konkret.

[Mutlu (Grüne): Dann fangen Sie einmal an mit dem Anfangen! Das sagen Sie schon seit drei Jahren!]

Das machen wir auch.

Nun will ich noch etwas sagen zu diesem in der Presse herumgeisternden Sprachenstreit. Da gibt es einen Professor – das ist immer gut, wenn er etwas schreibt und etwas verändern will –, der sagt, man könne eine zweite Sprache nur dann erlernen, wenn man in der Muttersprache perfektioniert ist.

[Mutlu (Grüne): Recht hat er!]

Gut, Herr Mutlu, okay, „Recht hat er!“, sagt Herr Mutlu. –

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Oder konsequent zwei Sprachen lernen, das ist etwas anderes!]

(A) (C)

(B) (D)

Sen Böger

Daraus folgert der Professor, wir müssten in unserem Bildungssystem, in den Vorschulen und Vorklassen diese Kinder zunächst einmal in Türkisch, in den 17, 18 Sprachen, die wir haben, perfektionieren, dann müssten wir sie, so sagt er, in monolinguale Schulen schicken, wo alle Türken zusammen, alle Jugoslawen zusammen, alle Kroaten zusammen, dann sollten wir weiter die Muttersprache ausbilden und dann noch Deutsch vermitteln.

Nun sage ich Ihnen einmal: Erstens halte ich dieses Ergebnis nicht für wissenschaftlich abschließend belegt, und zweitens hielte ich diese Maßnahme für politisch katastrophal.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Gewalt (CDU)]

Diesen Ratschlägen werden wir nicht folgen.

Weitermachen, Herr Mutlu, werden wir die bilingualen Zweige, die wir haben. Wir werden die neun Schwerpunktschulen deutsch türkische Alphabetisierung aufrechterhalten. Wir werden auch prüfen, was tatsächlich dabei herauskommt, weil es interessant ist zu erfahren, was bei solchen Schulen eben geschieht, ob sie bessere Ergebnisse haben.

Ich will – das ist teilweise schon angesprochen worden – einiges nennen, was wir unmittelbar tun werden, das heißt, wir haben damit schon begonnen. Es wird auch im neuen Schuljahr ziehen, da bin ich nicht weit von Ihnen entfernt. Wir werden in der Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher genau diesen Schwerpunkt auf Sprachkompetenz, Sprachvermittlung legen. Da ich leider kein zusätzliches Geld bekomme, muss man eben das vorhandene neu positionieren. Das werden wir auch unmittelbar tun.

Ich bin auch sehr froh, dass die Erzieherinnen und Erzieher anders reagieren, als der Kollege von der CDU meinte, dass sie reagieren, nämlich mit Verweigerung. Das Gegenteil ist richtig. Ich habe ganz deutliche Hinweise von Arbeitskreisen von Initiativen, die sagen, ja, das wollen wir tun, wir wollen endlich besser methodisch-didaktisch ausgerüstet sein für diese schwierige Aufgabe, Deutsch zu vermitteln. Das tun wir übrigens schon mit sehr viel Engagement, wenn Sie sich das einmal ansehen. Es steht mir jetzt auch nicht an, dafür zu danken, aber wir müssen sie befähigter machen, wir brauchen andere didaktische Mittel dazu. Das werden wir umgehend einrichten und durchsetzen.

Wir werden – und zwar nicht am Sankt- Nimmerleins-Tag, Frau Kollegin, sondern bis zum Schuljahr 2003/2004 – die Ausbildung zum Erzieher und zur Erzieherin umstellen.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Wir werden den Zugang zu dieser Ausbildung nur noch mit Realschulabschluss ermöglichen und von der Zweiphasigkeit auf die Einphasigkeit umstellen. Das werden wir auch ins Parlament einbringen. Darüber müssen wir diskutieren und reden. Aber ich glaube, dass in jedem Fall eine Veränderung der Ausbildungsgänge im Sinne einer höheren Qualifizierung notwendig ist. Im Übrigen ist das auch, wenn Sie das sehen wollen, im Koalitionsprogramm angelegt.

Des Weiteren möchte ich auf etwas hinweisen, was hier etwas abgetan wurde. In Berlin haben wir mitnichten in diesem Bereich die ungünstigste und schlechteste Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Wer sich an Fakten hält, weiß, dass das Quatsch ist. In Berlin haben wir im Gegenteil von der Quantität her die relativ beste Versorgung im Vorschulbereich in ganz Deutschland. Selbst mit den ehemaligen Ostländern können wir hier mithalten, können viel weiter gehen als in anderen westlichen Ländern. Insofern sind wir bei den Quantitäten überhaupt nicht schlecht.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Sie streichen doch aber bei der Qualität, nicht bei der Quantität!]

Was wir verbessern müssen, sind sozusagen die Qualitäten, das, was wir tun.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Das tun Sie doch gar nicht! Sie machen doch das Gegenteil!]

Aber wenn Sie gar nicht die Plätze haben, brauchen Sie sich über Qualität gar nicht zu unterhalten.

[Frau Jantzen (Grüne): So ein Quatsch, Herr Böger!]

Insofern haben wir in vielen Bereichen eine günstige Ausgangssituation.

Im Übrigen folge ich nicht Ihrem Ratschlag, dass ich von der begonnene Verstärkung in der Grundschule – auch dies ist eine Folgerung aus dem hier eindeutigen Ergebnis von PISA – ablasse. Wir haben die Verstärkung erstens eingesetzt für den Beginn des Erlernens der ersten Fremdsprache in Klasse 3 und Klasse 4. Zweitens wird sie mit dem neuen Schuljahr genutzt für weitere Verbesserungen der Leseförderung. Und schließlich soll drittens in den Grundschulen, die einen Ausländer- oder Migrantenanteil von mehr als 40 Prozent haben, die Klassengröße vermindert werden, um eine bessere Lehrer-Schüler-Relation zu haben. Von diesen Maßnahmen werde ich nicht ablassen. Ich folge auch nicht Ihrem Ratschlag, den ich gut verstehe, aber ich folge ihm nicht, ich solle jetzt in Berlin als einziges Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland den Kindern die Chance nehmen, frühzeitig eine erste Fremdsprache – in der Regel nämlich Englisch – erlernen zu können.

[Beifall der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD) – Frau Senftleben (FDP): Nicht allen, Herr Böger!]

Das möchte ich in der Tat nicht. Wenn Sie dies als Programm wollen, dann sollten Sie das so sagen. Ich möchte das nicht, wohl wissend, dass die Einführung eines neuen Faches und eines neuen Curriculums nicht nur Stellen braucht, die wir haben, es bedeutet auch ein Qualifikationsprogramm und dass man sich in diesen Phasen intensiv mit dem Spracherwerb beschäftigt. Und ich bin ganz sicher, dass dies in der Berliner Schule systematisch aufgegriffen wird. Wir werden das, anders als Sie es vorschlagen, nicht abbauen, sondern intensivieren.

Darüber hinaus werden wir den Bereich Deutsch als Zweitsprache, den es in diesem Land schon längere Zeit gibt, auch mit einigen sehr guten Reformvorschlägen, aber ohne systematisch ausgearbeiteten Lehrplan, schnellstmöglich einen solchen Lehrplan vorlegen. Wir setzen darauf, dass die Kolleginnen und Kollegen, die dieses Fach unterrichten, dann tatsächlich eine bessere Möglichkeit haben, Deutsch in der Grundschule und in der ersten Phase zu vermitteln.

Kurzum es gibt im Bildungssystem viel zu tun. Es ist notwendig, systematisch viele Dinge umzustellen. Es ist auch notwendig – deswegen freue ich mich, dass zumindest mein Kollege Ehrhart Körting auf der Regierungsbank sitzt –,

[Mutlu (Grüne): Als einziger!]

dort systematisch Personal vorzuhalten. Ich sage das ganz freimütig. Es muss für die kommenden Haushaltsjahre – dieser Haushalt ist so zu verabschieden, wie er ist –

[Wieland (Grüne): Das werden wir sehen! – Ritzmann (FDP): Nicht von uns!]

Schluss sein mit dem beständigen Abknapsen im Bildungsbereich. Das kann sich dieses Land, das können wir uns alle nicht leisten. – Vielen Dank!