Ein zweiter Schwerpunkt: Ein bildungspolitischer Schwerpunkt in der Vorschule ist für meine Partei die Intensivierung der Sprachförderung. Die sprachliche und geistige Entwicklung stehen in einem Wechselverhältnis. Da die sprachlichen Fähigkeiten eine Grundvoraussetzung menschlichen Denken und Handelns sind, kommt der sprachlichen Erziehung größte Bedeutung zu. In den letzten Jahren mussten wir feststellen, dass immer mehr Kinder im Vorschulalter Schwierigkeiten beim Spracherwerb haben, über einen zu geringen Wortschatz verfügen, nachlässiger oder gar falsch sprechen. Das sind entscheidende Nachteile bei den Ausgangsbedingungen für erfolgreiches Lernen in der Schule. Die von der Senatsverwaltung vorgestellten Ergebnisse der Sprachstandserhebung bestätigen im Wesentlichen das beschriebene Bild. Wenn mehr als zwei Drittel der Kinder einen Förderbedarf haben, bedeutet dieses, dass die Erstklässler dem Unterricht nicht mehr angemessen folgen können. Besonders alarmierend ist die Situation bei Kindern nichtdeutscher Herkunft. Unabhängig von der Herkunftssprache sind zunehmend mehr Eltern aus unterschiedlichsten Gründen nicht oder nur sehr begrenzt in der Lage, ihre Kinder in deren frühkindlicher Entwicklung ohne Unterstützung zu fördern. Um dem bestätigten Problem vieler Kinder bei der Beherrschung ihrer Sprachfähigkeiten effektiv und nachhaltig begegnen zu können, will der Senat mit einem Komplex von Maßnahmen positive Veränderungen bewirken.
Dazu gehört, Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache besondere Unterstützung beim frühzeitigen Erwerb der deutschen Sprache zu geben. Angebote zweisprachiger Erziehung sollen erhalten und qualifiziert werden. Gerade bei jüngeren Kindern ist die Zwei- oder Mehrsprachigkeit ein Reichtum für die Entwicklung,
und wir sollten darüber nachdenken, wie wir diesen Reichtum nutzen können. Für mich steht fest: Die Debatte darüber muss öffentlich unter Einbeziehung von Wissenschaft und Forschung einerseits und praktischen Erfahrungen andererseits weitergeführt werden. In diesem Zusammenhang haben die Erzieherinnen eine besondere Aufgabe zu erfüllen. Deshalb ist es richtig
und notwendig, wenn in der Koalitionsvereinbarung festgelegt ist, dass die Erzieherinnen durch Aus- und Fortbildung in Methoden interkulturellen Lernens, Sprachförderung, Eltern- und Gemeinwesenarbeit weiter zu qualifizieren sind.
Dazu müssen verbindliche Empfehlungen und Materialien erarbeitet und allen Erzieherinnen zur Verfügung gestellt werden.
Drittens: Der Senat wird sich auf Bundesebene für eine Reform der Erzieherinnenausbildung einsetzen und prüfen, inwieweit in Berlin die Voraussetzungen für einen entsprechenden Modellversuch geschaffen werden können. Meine Damen und Herren von der Opposition: Ihnen ist bereits bekannt, dass der Einsatz von Erzieherinnenpraktikantinnen durch eine Veränderung der Ausbildung begleitet werden sollen. Die Erzieherinnen sollen besser auf die neuen Aufgaben vorbereitet werden. Deshalb ist die Neustrukturierung der Ausbildung und eine Reform der Ausbildungsinhalte unabdingbar. In diesem Zusammenhang wollen wir, dass Theorie und Praxis besser miteinander verbunden werden. Gleichermaßen könnte das leidige Problem, das jedes Jahr wiederkehrt – nämlich die Finanzierung von Praktikanten – gelöst werden.
Qualifizierung und Ausbildung der sozialpädagogischen Fachkräfte muss ein neues Hauptaugenmerk gewidmet werden, auch angesichts dessen, dass der Aufbau der verlässlichen Halbtagsschule und die Schaffung neuer Ganztagsschulen für viele Erzieherinnen auch neue Aufgabenfelder nach sich ziehen wird.
Ein vierter Schwerpunkt: In der Koalitionsvereinbarung konnten sich SPD und PDS darauf verständigen, dass für die Vorbereitung auf die Schule im letzten Jahr vor der Einschulung die Fachverwaltung des Kitabereichs und des Schulbereichs ein gemeinsames Konzept erarbeiten werden. Gerade weil für uns die vorschulische Forderung eine Schlüsselstellung für die Vorbereitung auf die Schule einnimmt, unterstützen wir ein behutsames Vorgehen. Aus unserer Sicht ist die einseitige Abschaffung der Vorklasse mit dem jetzigen Zeitpunkt genauso kontraproduktiv wie eine generelle Verschiebung der Vorschulgruppe in die Schule. Zurzeit ist dieser Weg im Interesse der Kinder noch zweigleisig zu gehen. In diesem Fall – das sagen wir ganz klar – brauchen wir weiterhin den Dialog mit der Wissenschaft, der Fachöffentlichkeit und den Eltern, ehe wir so weitreichende Beschlüsse fassen werden, die bis hin zur Neugestaltung der Schulanfangsphase gehen wird.
Fünftens: Schließlich wird diese Regierung den Prozess zur Übertragung von Kindertagesstätten an anerkannte freie Träger der Jugendhilfe kontinuierlich weiterführen. Wir versprechen uns davon eine inhaltliche Bereicherung der Angebote und insbesondere eine höhere Qualität in der pädagogischen Arbeit. Allerdings bedarf der Übertragungsprozess noch der Klärung einer Reihe von Fragen. Dazu gehört die Sicherung der Investition, der Beschäftigungsverhältnisse und der gleichwertigen pädagogischen Bedingungen.
Ich bitte Sie um den Schlusssatz. Sie sollen nicht gleich zum Schluss kommen, sondern zum Schlusssatz.
Alle diese Fragen bedürfen natürlich einer finanziellen Absicherung. Und deshalb betone ich: Gerade weil die Haushaltslage so prekär ist, gibt es keine einfachen Lösungen. Um zur Lösung zu kommen, brauchen wir alle, die sich Gedanken machen, und wir brauchen auch den Dialog mit der Wissenschaft und mit der Fachöffentlichkeit. – Danke!
Frau Präsidentin! Meine Herren! Meine Damen! Das Thema zu dieser heutigen Aktuellen Stunde zeigt ja doch, dass wir diesmal endlich die Aktualität erkannt haben. Nach denn „bärenstarken“ Ergebnissen aus der letzten Woche kommt selbst diese Koalition nicht darum herum, sich diesem Thema zu widmen. Was ich allerdings bisher gehört habe, war Zukunftsmusik, und ich habe das Gefühl, da kommt eine unendliche Geschichte auf uns zu. – Was ist denn letzte Woche passiert? – Es wurden Ergebnisse präsentiert, die das Sprachvermögen der einzuschulenden Kinder in einigen Bezirken getestet haben. Diese Ergebnisse führten bei mir zunächst einmal zur Sprachlosigkeit. Aber sie führten auch zu Zorn, weil ich mich in der Tat frage: Was ist eigentlich in den letzten Jahren hier passiert? – Sie führten auch zu Zorn, wenn ich an die jetzige Sprachorgie denke, die der Senat im Kitabereich durchführen will. Von Bildungspolitik ist in Berlin nicht zu reden, eher von Bildungsstau.
In unverantwortlicher Weise ist mit der Zukunft unserer Kinder umgegangen worden, und dann wundern wir uns noch über die Ergebnisse von PISA. Mich wundert in dieser Stadt eigentlich gar nichts mehr.
Nach PISA folgt „Bärenstark“, und ich finde, jetzt reicht’s! Genug der bärenstarken Worte aus dem Koalitionspapier, Bildung habe Priorität. Genug der bärenstarken Ankündigungen des Senators, ein Weiter- so gebe es nicht in der Schule. Genug der bärenstarken miserablen Ergebnisse, die dem Bildungssystem nicht nur eine Mittelmäßigkeit bescheinigen. Jetzt heißt es: Ärmel aufkrempeln und zupacken!
Unser Ziel ist es, Kinder in die Lage zu versetzen, ihre Zukunft eigenverantwortlich in unserer Gesellschaft zu meistern. Die Schule legt den Grundstein für eine erfolgreiche Zukunft des Einzelnen – darin besteht Konsens. Schule kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn Kinder Grundvoraussetzungen mitbringen. Und hier insbesondere deckt „Bärenstark“ verheerende Defizite auf. Von welchen Grundvoraussetzungen spreche ich? – Ich spreche zum Beispiel vom Grundwortschatz, einhergehend mit dem Grundverständnis für Sprache. Ich spreche aber auch von Grundfertigkeiten, denke ich zum Beispiel daran, dass Vorschulkinder vielleicht auch eine Schleife binden sollten, obwohl es inzwischen eigentlich nur noch Schuhe mit Klettverschlüssen gibt. Ich rede vom notwendigen Fundament, auf dem ein erfolgreicher Werdegang gegründet werden kann. Die vorliegenden Ergebnisse erfordern jetzt kurz- und langfristige Maßnahmen, Lamentieren hilft nicht und Ursachenforschung auch nur bedingt.
Die Reform der Erzieher- und Erzieherinnenausbildung muss erfolgen, hier in Berlin muss die Sprachförderung der Kinder geradezu ein fester Bestandteil sein. Ziel ist der gut ausgebildete und angesehene Erzieher. Wir müssen auch über eine Vorschulpflicht reden für Kinder mit offensichtlichen Defiziten. Wir brauchen dazu dann einen verbindlichen Test, der abfragen soll, welche Fortschritte die Fünfjährigen gemacht haben. Dieser Test soll als Grundlage dienen für den Besuch der Vorschule, soll die Begabungen und die Defizite des Kindes herausarbeiten. Nur so kann eine weitere, intensive Unterstützung mit qualifizierten Lehrkräften erfolgen, nur so kann auch eine weitere Unterstützung – zum Beispiel für Hochbegabte – erfolgen. Wir wissen, dass es sie gibt, wir wissen auch, dass wir sie bisher zu wenig beachtet haben. Aber ich sagte vorhin: Wir müssen jetzt die Ärmel aufkrempeln. – Deshalb lassen Sie mich einige konkrete Maßnahmen nennen, ohne dabei auch den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, aber Maßnahmen, die jetzt durchzuführen sind.
Erstens: Mit der Fort- und Weiterbildung der Erzieher und Erzieherinnen wird direkt begonnen. Kitas in den so genannten Brennpunkten erhalten einen Mentor von außen, einen Mentor vom Fach, eine Honorarkraft. Erzieher und Mentor beschäftigen sich gemeinsam in kleinen Gruppen einige Stunden pro Woche mit den Kindern. So lernen Kinder und Erzieher gleichermaßen gemeinsam. Wir brauchen mehr Mütterkurse, dies ist eine gute Einrichtung. Herr Böger, wir müssen sie ausbauen. Daraus ergibt sich drittens eine intensivere Zusammenarbeit zum Beispiel mit dem türkischen Elternverein, dem Arbeitskreis Neue Erziehung, dem türkischen Bund Berlin-Brandenburg und anderen Organisationen.
Auf die Mitwirkung dieser Institutionen dürfen wir nicht verzichten, im Gegenteil: Sie sind zu intensivieren. Ziel der Zusammenarbeit muss es sein, alle betroffenen Eltern anzusprechen. Generell müssen wir die Eltern mit ins Boot holen. Da will ich nur ein Beispiel nennen aus dem Land Holland – klein, aber nett –, und zwar das Beispiel der Vorlese-Mütter und -Väter. Die kommen in die Kita, lesen 10 Minuten, ein Viertelstündchen täglich vor, und hinterher wird kurz darüber geredet. Einfach und effektiv, und dann noch umsonst dazu.
Eines verspreche ich Ihnen, die Idee allein in diese Berliner Kitas zu bringen, wird den Ball ins Rollen bringen. Der Erfolg wird sich kurzfristig einstellen.
Diese und viele andere konkrete Maßnahmen müssen jetzt umgesetzt werden. In der Sommerpause schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, Herr Senator. Im September kann es dann losgehen. Es reicht nicht, Eckpunkte aufzuzählen.
Sie merken, einige Maßnahme sind leicht zu implementieren und zudem noch kostengünstig, bei anderen aber müssen wir investieren. Kürzungen in diesem Bereich, das müssen wir nach „Bärenstark“ alle konstatieren, sind kontraproduktiv. Hier in diesem Zusammenhang von Konsolidierungsmaßnahmen zu sprechen, ist blanker Hohn. Bleiben Sie bei dem alten Fahrplan, Herr Böger, dann trifft es genau diejenigen, die besonders darauf angewiesen sind. Die Folgen sind klar. Die soziale Schere wird noch größer. Der nächste nationale und internationale Leistungsvergleich fällt für Berlin ebenso katastrophal aus wie die letzten Leistungsvergleiche. Rot-Rot hätte nicht nur versagt, rot-rot hätte die Verantwortung dafür zu übernehmen, die Zukunft vieler Kinder vertan zu haben.
Ich sage es hier als Liberale ganz bewusst: Es ist eine der originären Aufgaben des Staates, für gerechte Bildungschancen am Start zu sorgen, damit der einzelne seine Zukunft meistern kann. [Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]
Damit ist nicht gemeint, dass das Bildungsziel heißen soll, alle erreichen die Vorstandsetage der Bankgesellschaft. Vielmehr ist gemeint, dass unsere Kinder die optimale Förderung gemäß ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten benötigen.
Bislang wurden die konstruktiven Vorschläge der FDP gern in den Wind geschlagen. Stattdessen hat die Berliner Bevölkerung eher die ruhige, aber auch streichende Hand des Schulsenators zu spüren bekommen. Große Worte – das Schulgesetz sollte verabschiedet werden. Es ist ein Vorschaltgesetz geworden, das eher rückwärts gewandt ist. Es ist kein Aufbrechen verkrusteter Strukturen und kein Mentalitätswechsel.
In einem Fall, Herr Senator, wagen Sie einen großen Wurf – das hat wieder etwas mit „Bärenstark“ zu tun: Alle Kinder werden mit Beginn des nächsten Schuljahres zu einer neuen Fremdsprache ab Klasse 3 gezwungen. Herr Senator, ich frage Sie ernsthaft, ob Sie nach den Ergebnissen von „Bärenstark“ immer noch so überzeugt von der Richtigkeit dieses Vorhabens
sind. Nachdem ich meine leisen Zweifel bereits im Plenum vor einem Monat angebracht habe, sage ich Ihnen jetzt ein Desaster voraus, wenn dieses Vorhaben wie beabsichtigt so durchgedrückt wird.
Nein, im Augenblick nicht, hinterher vielleicht. – Wenn Sie schon nicht auf die FDP hören wollen, wofür ich durchaus Verständnis habe, Herr Böger, hören Sie auf die Wissenschaftlicher, hören Sie auf die Pädagogen. Wir brauchen eine Übergangsregelung. Ansonsten werden wieder die Schwächsten am meisten unter dieser sogenannten Reform zu leiden haben!
Mit der von uns vorgeschlagenen konkreten Maßnahme haben wir in zwei Jahren andere Voraussetzungen, um allen Grundschulkindern den Einstieg in die Fremdsprache zu erleichtern, was wir als Liberale auch wollen. Hinter diesem Projekt stehen wir. Das sage ich ausdrücklich.
Berlin ist bildungspolitisch auf dem Nullpunkt. Wir müssen von vorn anfangen. Wir brauchen eine seriöse Bildungspolitik ohne waghalsige Experimente, deren Folgen wir nicht einzuschätzen wissen. Ich bitte Sie wirklich dringlich aus dieser aktuellen Bildungsmisere heraus, die Einführung des Pflichtunterrichts um zwei Jahre zu verschieben. Seien Sie mutig. Ich weiß, es gehört Mut dazu. Ihre politischen Gegner und Ihre politischen Freunde werden es Ihnen nicht anlasten. Ich bin davon überzeugt, Eltern, Schüler und ein Großteil der Lehrer wird es Ihnen danken! – Vielen Dank!