Wir diskutieren heute in aller Ernsthaftigkeit zu später Stunde – ich kann zumindest für meine Parlamentszugehörigkeit sprechen – einen einmaligen Vorgang.
Ich halte es auch für außerordentlich unangemessen, dass die Missbilligung eines Regierungsmitglieds nachts um 23 Uhr im Parlament stattfindet. Das wird weder dem Regierungsmitglied gerecht noch den Antragstellern.
Über welchen Vorwurf sprechen wir heute Abend? – Offensichtlich hat Senator Sarrazin wenige Tage nach seinem Amtsantritt ein ihm über lange Jahre verbundenes Unternehmen mit einem Beratungsauftrag über knapp 200 000 $ versehen. Dieser Auftrag liegt ganz zufällig, Herr Senator, etwa einen Tagessatz unter der Grenze von 200 000 $ und wurde ohne Ausschreibung während der vorläufigen Haushaltswirtschaft vergeben, was ich für eines der insbesondere in Ihrer Funktion schwerwiegendsten Vergehen halte.
Man stelle sich einmal vor, ein Berliner Stadtrat hätte das in einem Bezirk getan oder ein anderes Regierungsmitglied, und das in Zeiten, in denen der Regierende Bürgermeister sagt, Berlin müsse so sparen, dass es quietscht. In diesen Tagen sind viele Berlinerinnen und Berliner auf der Straße, um zu Tausenden und Zehntausenden gegen die unsoziale Sparpolitik dieses Senats demonstrieren.
Der Rechnungshof – das ist ja nun nicht irgendein Gremium, liebe Frau Spranger! Wir haben gerade mit hehren Worten des Regierenden Bürgermeisters und des Parlamentspräsidenten Momper das 50-jährige Jubiläum dieses Rechnungshofs in Berlin gefeiert. Der Rechnungshof und zugegebenermaßen ein Präsident, der nun mit Sicherheit nicht das CDU-Parteibuch hat, wie Sie alle wissen, hat festgestellt, dass die freihändige Vergabe dieses Auftrages an die Hay-Group vergaberechtlich unzulässig war und des Weiteren gegen Artikel 89 der Verfassung von Berlin verstoßen hat. Das ist für ein Regierungsmitglied nun wirklich keine Lappalie.
Das ist für ein Regierungsmitglied ein schwerwiegender Vorwurf. Herr Senator Sarrazin, ich bitte Sie, heute auch richtigzustellen: Mir wurde heute von Medienvertretern mehrfach bestätigt, dass Sie gesagt hätten, Herr Präsident Dr. Harms habe sich bei Ihnen für dieses Gutachten entschuldigt. Ich habe gestern mit Dr. Harms persönlich darüber gesprochen, und er hat mir das ausdrücklich bestätigt und hat sogar das Wort Rechtsbruch durch Sie in den Mund genommen. Ich finde, solche Aussagen und solche Unterstellungen gegenüber dem Präsidenten des Rechnungshofs des Landes Berlin gehören sich nicht, wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen. Dann sagen Sie es aber hier!
Man stelle sich einmal vor, Frau Bürgermeisterin und Justizsenatorin Schubert, ein Mitarbeiter Ihrer Verwaltung hätte für die Anschaffung von Büromöbeln einfach so 400 000 DM oder 200 000 $ ausgegeben, und Sie hätten das als Justizsenatorin entdeckt. Sie hätten völlig zu Recht und mit Zustimmung des Senats und aller Fraktionen die Berliner Staatsanwaltschaft gebeten, gegen diesen Mitarbeiter zu ermitteln und diesen Vorgang aufzuklären. Genauso wäre es, wenn bei Ihnen, Herr Senator Strieder, in Ihrer Bauabteilung ein Mitarbeiter einem bekannten Handwerksunternehmen ohne Ausschreibung schnell einen
Auftrag über 200 000 $ über den Tisch schöbe. Sie hätten völlig zu Recht die Antikorruptions-AG in Ihrer Verwaltung gebeten, diesen Sachverhalt zu prüfen, und diesen Mitarbeiter mit ziemlicher Sicherheit sofort von seinen Aufgaben suspendiert.
Deshalb muss es auch hier im Parlament möglich sein, unabhängig von Koalitionen festzustellen, dass das Verhalten von Senator Sarrazin so nicht akzeptabel ist. Das Mindeste, was ein frei gewählter Abgeordneter als Vertreter der Steuerzahler, als Vertreter der Berlinerinnen und Berliner heute zu beschließen hat, ist eine Missbilligung dieses Verhaltens. Wir haben sehr bewusst den Antrag auf Missbilligung gestellt, weil wir hoffen, dass Sie uns vorab noch einige Fragen beantworten, auch die Frage, in welchem Verhältnis Sie in den vergangenen Jahren zu dieser Hay-Group standen in Ihren alten Funktionen. In welchem Verhältnis stehen Sie heute zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hay-Group? Treffen Gerüchte zu, dass möglicherweise bereits für Ihre Zeit nach dem Senat hier in Berlin bestimmte Zusagen der Hay-Group an Sie gemacht wurden?
Ja, Spekulationen, über die wir hier zu Recht Rechenschaft einfordern, denn Herr Senator Sarrazin ist immerhin der Herrscher über 20 Milliarden $ Steuergelder in dieser Stadt
Jawohl! – Übrigens, Herr Senator Dr. Sarrazin, die Schnodderigkeit lässt mich für die Zukunft nichts Gutes ahnen. Ich hätte wenigstens erwartet, dass Sie mit aller Selbstkritik, die auch ein Senator haben sollte, erkannt haben, dass Sie sich völlig falsch verhalten haben, dass sie sagen, das wiederholt sich nicht mehr, es war ein Fehler, ich stehe dazu, ich akzeptiere, dass das Parlament sich damit kritisch auseinander setzt – und nicht noch von Gelassenheit reden und sagen, Gesetze und Rechtsverordnungen würden Sie sowieso nur am Rande interessieren.
Die Hay-Group ist, wie ich gehört habe, für Personalentwicklung, Motivationsansätze und vieles andere bekannt. Ich kann nicht beurteilen, ob die von Ihnen als „übelriechend und bleich“ beschriebenen Beamten solche Motivation benötigen. Ich kann mittlerweile aber beurteilen, dass Sie, Herr Senator, zumindest im Umgang mit Mitarbeitern des Landes Berlin in der Tat Führungsseminare und Personalentwicklungsseminare benötigen.
Nur dann, bitte, bezahlen Sie diese Seminare privat. Nehmen Sie am Besten das Geld, das Sie gerade bei Ihrem letzten Arbeitgeber, der Deutschen Bahn AG, einklagen. Lassen Sie nicht den Berliner Steuerzahler das Geld bezahlen, sondern bezahlen Sie sie selbst. Der Berliner Steuerzahler erwartet heute zu Recht vom Berliner Abgeordnetenhaus, dass Sie für den Umgang mit Steuergeldern missbilligt werden. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Herr Dr. Steffel! – Für die Fraktion der PDS hat nunmehr der Kollege Hoff das Wort, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Sitzung am 22. Mai als 2002 als zum ersten Mal über diesen Sachverhalt gesprochen wurde, ist auch ein anderer Sachverhalt behandelt worden. Ich möchte einen Satz meines Kollegen Krü
ger meiner Rede voranstellen. Er hat in seinem Redebeitrag gesagt, dass wir in Berlin mit einem enormen Problem zu kämpfen haben angesichts dieser Haushaltskrise, auch der Verschuldung dieser Haushaltkrise durch politische Akteure in diesem Land. Wir hätten auf Grund dieser Handlungsweise von politischen Akteuren in diesem Land mit dem Verlust von Staatsautorität zu kämpfen. Gerade weil wir 40 Milliarden $ Schulden und einen Haushalt von 20 Milliarden $ haben – über den im Übrigen, Herr Steffel, auch das Parlament der Herrscher ist, nicht nur der Finanzsenator – [Czaja (CDU): Davon merkt man nicht viel! – Niedergesäß (CDU): Die letzten 12 Jahre!] haben wir genau mit diesen Sachverhalt, der heute hier vorliegt und den wir – und das haben wir gestern im Hauptausschuss auch so deutlich gemacht – für unakzeptabel halten, wiederum mit einem Punkt zu tun, wo politische Akteure so handeln, dass sie uns als Parlament vor die Schwierigkeit stellen, mit einem Verlust an Staatsautorität zu tun zu haben. Und das ist ein Problem. [Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD] Wenn man das Rechnungshofgutachten hier zu Grunde legt, und der Rechnungshof hat aus meiner Sicht sauber argumentiert, auch das haben wir gestern im Hauptausschuss als PDSFraktion deutlich gemacht – – Der Rechnungshof hat ganz eindeutig gesagt, es liege ein Verstoß gegen Artikel 89 Verfassung von Berlin vor. Es ist hier zumindest die Regelung, die bereits zitiert worden ist, dass nicht durch schuldhaftes Verhalten der Versuch gemacht wurde, eine Unterschreitung von EU-Ausschreibungsrichtlinien vorzunehmen, indem man die Summe bewusst unter der 200 000-$-Grenze hält. Genau dieser Vorgang ist in den Geruch gekommen, gegen § 55 Landeshaushaltsordnung und die entsprechende EU-Ausschreibungsrichtlinie zu verstoßen. Ich wiederhole noch einmal: Dieser Sachverhalt – und auch das ist gestern durch die Koalitionsfraktionen im Hauptausschuss deutlich gemacht und entsprechend sanktioniert worden – ist nicht akzeptabel. [Frau Dr. Klotz (Grüne): Da hat Frau Spranger wohl nicht geredet!] Die Koalitionsfraktionen haben gestern im Hauptausschuss den Antrag gestellt, die entsprechende Summe, um die es sich hier handelt, in dem Haushalt der Senatsfinanzverwaltung abzuziehen. Die 230 000 $ sind dann auch durch einstimmigen Beschluss des Hauptausschusses abgezogen und das Gutachten des Rechnungshofes in den Unterausschuss für Haushaltskontrolle überwiesen worden, in dem wir dann auch die Fragen, die der Kollege Steffel hier gestellt hat, und eine Reihe von anderen Fragen, die es zu diesem Gutachten gibt, klären werden. [Eßer (Grüne): Das war die Stelle, an der wir alle gelacht haben!] Ich bleibe dabei, und werde mit diesem Punkt auch schließen, wir haben es hier mit einem Sachverhalt zu tun, der vor dem Hintergrund der Finanzlage dieser Stadt, auch den Ursachen der Finanzlage dieser Stadt ein besonders schwieriger Sachverhalt ist. Da wir alle in diesem Parlament ein Interesse an der Konsolidierungspolitik haben, die uns gemeinsam in die Lage versetzt, dieses Land mittelfristig wieder handlungsfähig zu machen, muss es auch unser Interesse sein, dass wir als politische Akteure auch in der Lage sind, genau diesen Konsolidierungskurs authentisch in unserem Handeln nachzuvollziehen. Es ist schade, wenn solch ein Vorgang, über den wir hier reden, dem Finanzsenator die Möglichkeit nimmt, gegenüber allen anderen Ressorts so aufzutreten. Wir haben das gestern im Hauptausschuss so deutlich gemacht. Wir gehen davon aus, dass der Senator diese Kritik des Hauptausschusses und der Koalitionsfraktionen so angenommen und verstanden hat. – Einem Missbilligungsantrag werden wir nicht zustimmen. [Beifall bei der PDS und der SPD – Gelächter bei der CDU – Hoffmann (CDU): Es ist Zeit für Wahlen! – Frau Senftleben (FDP): Die Kurve hat völlig gefehlt, die habe ich nicht mitgekriegt!]
Danke schön, Herr Kollege Hoff! – Für die Fraktion der FDP hat der Fraktionsvorsitzende Dr. Lindner das Wort, bitte schön, Herr Dr. Lindner!
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Im Unterschied zu den Regierungsfraktionen und den anderen beiden Oppositionsfraktionen begrüßt die FDP ausdrücklich, Herr Senator Sarrazin, Ihre Bereitschaft zur Restrukturierung oder Neustrukturierung Ihres Hauses, insbesondere der Führungsetage, auch externen Sachverstand heranzuziehen. Das begrüßen wir ausdrücklich.
Es ist absolut sinnvoll, dass hier nicht im eigenen Saft gekocht wird, sondern dass man sich ganz klar auch fremder Unternehmensberatungen bedient, um hier zu einem neuen Konzept im Personalbereich, insbesondere auf der Leitungsebene, zu gelangen.
Wenn das auch noch geschieht, um gerade eigene Defizite auszugleichen, dann haben wir erst recht dafür Verständnis. Wir haben auch Verständnis dafür und begrüßen es auch ausdrücklich, wenn ein Senator hier neu in die Stadt kommt, einen Senatsposten, eine Verwaltung übernimmt und nicht ewig lang wartet, ein halbes Jahr oder ein Jahr,
um Dinge zu machen, die er für notwendig erachtet, sondern sofort rangeht und sofort Dinge überprüfen lassen möchte und Konzepte ausarbeiten möchte, gegen Zustände, die er für misslich und für änderungswürdig hält.
Nun ist das Problem aber, dass es eine durchaus rechtmäßige Möglichkeit gegeben hätte, hier zu demselben Ergebnis zu kommen. Es gibt nämlich hier auch keine Alternative. Wir haben hier, und darüber besteht überhaupt keinen Zweifel, Frau Kollegin Spranger, keine Auslegungsfrage, sondern wir haben hier ein grottenrechtswidriges Verhalten des Senators.
Da bestand nicht die Alternative zwischen rechtswidrigem Verhalten und gar nichts zu tun, sondern da gibt es ganz klare Regularien, auch in Zeiten vorläufiger Haushaltswirtschaft, zu demselben Ergebnis zu kommen. Da kann man zum Hauptausschuss gehen und eine entsprechende Verpflichtungsermächtigung beantragen. Dies, was von jedem anderen Senator erwartet gewesen wäre, hätte auch der Senator Sarrazin natürlich erst recht als Finanzsenator machen können, diesen legalen Weg zu beschreiten. Aber es wurde – und das finde ich äußerst misslich und auch missbilligungswert – von Ihnen ein rechtswidriger Weg beschritten.
Wir brauchen uns überhaupt nicht zu unterhalten, dass dieses Kratzen an dem Schwellenwert von 200 000 $ ein ganz offenkundiges Umgehen dieser Klippe ist. Es ist doch absurd, da reden wir über 55 oder möglicherweise 60 Prüfungstage, und da wird genau so lange rumgemacht, bis man da um ein paar Puseratzen unter den 200 000 $ bleibt.
Was Ihre Kriterien anbelangt, warum es die Hay-Group sein musste, die sind nicht dokumentiert. Die sind nicht transparent gemacht worden. Es mag sein, Herr Senator, dass die HayGroup durchaus eines von möglichen Beratungsinstituten ist. Aber die Behauptung, dass dies weltweit das einzige sei, ist grotesk. Vor allen Dingen, wenn man zu dem Ergebnis kommt, man habe hier eine weltweite Betrachtung angelegt.
Nein, da sind Sie herangegangen, wie es vielleicht zulässig wäre bei der Bestückung von Weihnachtsmärkten. Da kann man