Protocol of the Session on June 13, 2002

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Sen Strieder

Ich weiß ja, dass Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass neue leistungsfähige Straßen den Kfz-Verkehr vermehren und dass zusätzlicher Kfz-Verkehr uns in der Stadt wegen des Lärms und der Luftschadstoffe ohnehin schon zunehmend Probleme bereitet. Da hilft es nichts, von neuen Durchbrüchen durch bestimmte Stadtquartiere zu phantasieren. Was wir brauchen, sind kluge Verknüpfungen von partiellen Ausbaumaßnahmen an Stellen, wo dies der Stadt noch zugemutet werden kann. Was wir auch brauchen, ist eine intelligente verkehrsorganisatorische Optimierung.

[Mleczkowski (FDP): Und Wanderwege! – Heiterkeit bei der FDP und der CDU – Zuruf des Abg. Borgis (CDU)]

Das Tollhaus ist allerdings die Forderung der FDP nach der Schließung des Stadtrings zwischen Frankfurter Allee und Beusselstraße. [Heiterkeit links]

Die Autobahn durch die fertigen Quartiere der Stadt zu schlagen ist eine Politik der 50er Jahre, die im Berlin des 21. Jahrhunderts keinen Platz hat.

[Starker Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Zuruf des Abg. Borgis (CDU)]

Die Straßenbahn in der Bernauer Straße wird kommen. Und wenn wir im Innenring damit ein paar Belastungen kriegen hinsichtlich der Aufnahmefähigkeit des Kfz-Verkehrs, dann muss es eben zu erreichen sein, dass wir eine allzu starke Verkehrsbündelung an einzelnen Stellen verhindern,

[Dietmann (CDU): Das hat eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz!]

dass wir eine tangentiale Ableitung eines Teils des Verkehrs vor dem Innenring anstreben. Und natürlich sind auch leistungssteigernde Maßnahmen auf dem Innenring notwendig.

Als Letztes: Der wesentliche Streit, von dem man glaubt, rechts und links und oben und unten in der Stadt würde damit entschieden, scheint ja die Durchfahrt durch das Brandenburger Tor zu sein.

[Wieland (Grüne): Ja!]

Zur großen Überraschung aller, auch meiner, das muss ich zugeben,

[Cramer (Grüne): Nicht einmal der ADAC!]

hat noch nicht einmal der ADAC einen Anlass gefunden, zu protestieren, nachdem jetzt das Brandenburger Tor wegen der Bauarbeiten geschlossen ist.

[Ritzmann (FDP): Wir sind noch viel schlimmer als der ADAC, Herr Cramer!]

Ich habe gesagt, wir wollen das Brandenburger Tor am Ende der Bauarbeiten wieder öffnen. Jedenfalls ist das die Planung unserer Verwaltung, weil wir keine verkehrspolitische, sondern eine Baumaßnahme dort vorgenommen haben. Ich bin aber jederzeit bereit, mit dem Haus darüber zu beraten, ob es denn sinnvoll ist, die alte Verkehrsführung über den Pariser Platz wieder zuzulassen, ob wir die Fahrten auf Taxi und Busse beschränken sollten. [Niedergesäß (CDU): Aha! – Zuruf von der FDP: Also doch!]

Die FDP sagt, sie wolle gerne wieder an der historischen Bedeutung des Pariser Platzes und des Brandenburger Tores anknüpfen. [Zuruf des Abg. Hahn (FDP)]

Auch vor dem Bau der Mauer war der Pariser Platz nie mit Kfz so belastet wie in den letzten Jahren. Wenn Sie daran anknüpfen wollen, wäre das ein wirklicher Mentalitätswechsel. – Vielen Dank! [Beifall bei der SPD und der PDS – Gelächter bei der FDP – Zuruf des Abg. Krestel (FDP)]

Danke schön, Herr Senator Strieder! – Zur Besprechung der Großen Anfrage bzw. zur Beratung der Anträge steht den Fraktionen nach unserer Geschäftsordnung eine Redezeit am Pult hier von bis zu 10 Minuten zur Verfügung. Es beginnt für die FDP nach der Liste hier Herr von Lüdeke – bitte schön!

[Cramer (Grüne): Schon wieder! – Ritzmann (FDP): Sie kommen auch noch dran, Herr Cramer! – Wieland (Grüne): Er sagt, hier kommt unser Möllemann! – Weitere Zurufe von den Grünen]

Ich bitte um Gehör für den Redner, dann geht es schneller!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung zum Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS über die zügige Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Verkehr, das ist die Drucksache 15/511, enthält folgenden Satz:

Er

gemeint ist der Stadtentwicklungsplan Verkehr –

konkretisiert den Flächennutzungsplan für Berlin im Bereich Verkehr und gibt Planungsrichtlinien für das nächste Jahrzehnt.

Wenn dieser Satz zutrifft, wie ist es zu erklären, dass während der Entwicklung des Stadtentwicklungsplans Verkehr der Flächennutzungsplan zur gesamtstädtischen Straßenplanung geändert wird?

[Gelächter der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Ich spreche hier von der Änderung des Flächennutzungsplans zum Hafen Späthsfelde, zur B 101 und zur tangentialen Verbindung Nord an und frage Sie: Wie kann der in Aufstellung befindliche Stadtentwicklungsplan Verkehr die voraussichtlich erst später wirksamen Änderungen des Flächennutzungsplans konkretisieren? – Für diese sehr eigenwillige Planungslogik gibt es eine Erklärung. Der Stadtentwicklungsplan Verkehr soll eigentlich kein Plan in herkömmlichem Sinne sein, sondern ein strategisches Konzept. Der StEP Verkehr soll im Grunde ein Weltbild vermitteln und spiegelt eine Verkehrspolitik wider, die sich als Vehikel gesellschaftlicher Gesundung und ökologischer Errettung begreift. Folglich weist dieser Plan der Bürokratie eine gesellschaftspolitische Generalzuständigkeit zu. Und so verwundert es nicht, dass der StEP Verkehr kaum einen Politikbereich auslassen wird, [Wieland (Grüne): Ja!]

alles und jedes fürsorglich lenken und regeln soll.

[Wieland (Grüne): Ja!]

Er wird ein Entwicklungsplan mit dem zumindest tendenziellen Anspruch eines Universalplans sein.

[Wieland (Grüne): Ja! – Alles ohne die FDP! – Heiterkeit links]

Die etatistische Mentalität rot-roter Verkehrspolitik kommt in einer netten Stilblüte im vorgenannten SPD-PDS-Antrag zum Ausdruck:

Den Belangen von Menschen mit geschlechtsspezifischen Unterschieden im Mobilitätsverhalten soll dabei Rechnung getragen werden.

[Heiterkeit und Beifall des Abg. Ritzmann (FDP) – Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Diese Mentalität führt zur Festlegung, die ich nur als Generalintervention bezeichnen kann und die ohne Rücksicht auf irgendeine Bedarfslage und Entwicklung auf jeden Fall durchgesetzt wird, gleichgültig ob mit oder ohne StEP Verkehr, siehe die nachgenannten Flächennutzungsplanänderungen.

Herr Senator! Sie weisen in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage zum StEP Verkehr darauf hin, dass die bisher praktizierte Verkehrspolitik wichtige Ziele immer wieder verfehlt habe. – Ich meine, die Ursache für das Scheitern der bisherigen Verkehrspolitik liegt in Ihrer Realitätsferne einerseits und in Ihrem Totalitäts

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anspruch andererseits. Beides hängt unmittelbar miteinander zusammen und ist Ausdruck des überzogenen Lenkungsanspruch der beteiligten Behörden.

[Zuruf des Abg. Doering (PDS)]

Es hat in Berlin schon Zeiten gegeben, da war der Bau von Eisenbahnen, U-Bahnen und Straßen weitgehend Sache von Privaten. Das waren die Zeiten verkehrstechnischer und wirtschaftlicher Innovation, von denen wir heute noch infrastrukturell profitieren und lernen können.

[Brauer (PDS): Sind doch Pleite gegangen!]

Es ist nun einmal eine Tatsache, dass der Verkehr kein isoliertes Phänomen ist, sondern das Ergebnis gesellschaftlicher Vorgänge. Folglich muss eine realistische Verkehrspolitik möglichst viele verkehrsbezogene Aufgaben in die Gesellschaft zurückverlagern. Sie, Herr Strieder, haben diesen Zusammenhang zwar auch erkannt, ziehen aus ihm aber die falschen Schlussfolgerungen. Statt weniger Staat, greifen Sie zum Mittel der Totalplanung und Vereinnahmung von Politik und Gesellschaft, siehe StEP Verkehr und runder Tisch.

[Doering (PDS): Sie haben doch gerade noch das Gegenteil behauptet! – Zuruf der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Die Verkehrspolitik des rot-roten Senats läuft jedoch nicht nur auf bürokratischer Allzuständigkeit, sondern auch auf massive Verweigerungshaltung gegenüber dem hinaus, was Planung eigentlich zu leisten hat: nämlich Zukunft bzw. Daseinsvorsorge.

[Beifall bei der FDP – Zurufe der Abgn. Niedergesäß (CDU) und Wegner (CDU)]

Es geht hier um das faktische Ende der Straßenausbauplanung in Berlin, ja schlimmer noch, um die Rücknahme der ohnehin schon schmalbrüstigen Straßenplanung, auf die sich die CDU-SPD-Koalition so gerade noch verständigen konnte. An ihre Stelle tritt jetzt eine offen autofeindliche Verkehrspolitik der Infrastrukturverweigerung. Sie tritt unter anderem im Gewand einer Verkehrsplanung nach Kassenlage auf, das heißt, sie versteckt sich hinter dem Scheinargument, Berlin könne sich in Anbetracht der Haushaltslage keinen Verkehrswegeausbau mehr leisten. Meine Damen und Herren, seit wann richtet sich eine vorausschauende und zukunftsorientierte Verkehrsplanung nach der aktuellen Haushaltslage?