Protocol of the Session on April 18, 2002

Sen Strieder

Der Senat hält lineare Tariferhöhungen ohne erkennbare Qualitätsverbesserungen im Verkehrsangebot für nicht geeignet, den Anteil des ÖPNV im gesamten Verkehrsaufkommen zu steigern. Natürlich ist klar, dass auch die BVG erhöhte Einnahmen haben muss. Deswegen haben wir im letzten Jahr weitere innovative Tarifangebote unterbreitet, zum Beispiel das Berlinticket, die Freizeitkarte, die Geschwisterkarte bei den Schülern. Diese Angebote haben dazu beigetragen, dass die Fahrgastzahlen bei BVG und S-Bahn von 1,087 Milliarden im Jahr 2000 auf 1,099 Milliarden Passagiere im Jahr 2001 angestiegen sind. Die Umsatzerlöse erhöhten sich bei der BVG um ca. 5 % gegenüber dem Jahr 2000. Also: Neue, innovative Tarifangebote sind geeignet, mehr Kunden für die BVG und die S-Bahn zu generieren und damit höhere Einnahmen zu realisieren. Das ist der richtige Weg, nicht lineare Tariferhöhungen.

Danke schön, Herr Senator! – Herr Kaczmarek hat eine Nachfrage? – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Senator! Ich habe die Botschaft gehört, allein mir fehlt der Glaube. Deswegen würde ich am liebsten Ihren Kollegen Herrn Sarrazin fragen, der ja offensichtlich, wenn ich richtig informiert bin, im Aufsichtsrat der BVG für die lineare Fahrpreisanhebung gestimmt hat, ob er denn mit Ihnen in dieser Einschätzung übereinstimmt. Und wenn ja, wundert mich ein wenig sein Verhalten im Aufsichtsrat.

Bitte schön, Herr Senator Strieder!

[Rabbach (CDU): Wir wollen Herrn Sarrazin hören!]

Ich habe mit dem Kollegen Sarrazin darüber gesprochen. Deswegen kann ich Ihnen die Antwort auch sagen: Auch der Kollege Sarrazin hält lineare Tarifanhebungen nicht für das geeignete Instrument, aber er hat im Rahmen seiner Pflicht als Aufsichtsratsvorsitzender die Interessen des Unternehmens zu vertreten. Wir haben hier eine politische und eine unternehmenspolitische Abwägung zu treffen. Wenn Sie den Senat fragen, müssen Sie auch mit der Antwort des Senats zufrieden sein.

[Henkel (CDU): Seit wann müssen wir denn zufrieden sein mit den Antworten? Ist doch absurd!]

Sie können sich bei den Mündlichen Anfragen nicht aussuchen, wer Ihnen antwortet. Aber, Herr Rabbach, wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gehört: Der Senat insgesamt ist der Auffassung, dass der Weg, den der BVG-Vorstand beschreiten will, nicht der richtige ist.

Herr Kaczmarek hat eine Nachfrage. – Bitte!

Herr Senator Strieder, Sie irren! Ich muss nicht damit zufrieden sein, was Sie antworten.

[Beifall bei der CDU]

Ich muss damit zufrieden sein, dass S i e mir antworten. Damit bin ich zwar auch nicht zufrieden, aber mit dem Inhalt Ihrer Antwort eben auch nicht.

Herr Kaczmarek, es ist leider keine Frage, die Sie stellen, sondern eine Bemerkung. Eigentlich darf ich hier nur Fragen zulassen.

Es war eine Sachaufklärung für Herrn Senator Strieder, die nötig war.

Das hätten Sie ihm ja auch hinterher sagen können. Aber bitte, fahren Sie fort!

Deswegen die Frage: Wenn Sie sagen, dass Herr Sarrazin an dieser Stelle im Interesse des Unternehmens gehandelt hat, dann noch einmal die Frage: Halten Sie es wirklich für im Interesse des Unternehmens BVG dienlich, Fahrpreise linear anzuheben, die dann zu Mindereinnahmen durch das Wegbleiben von Fahrgästen führen?

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Senator Strieder, bitte!

Das Problem ist: Wenn Sie im Aufsichtsrat eines Unternehmens sind und einen Vorstand haben, der nicht mehr Ideen als lineare Tariferhöhungen hat, müssen Sie entscheiden über Mehreinnahmen oder keine Mehreinnahmen. Die Alternative, die ich dargelegt habe, nämlich innovative Tarifangebote, ein attraktiver ÖPNV, der mehr Kunden zum Umsteigen in Busse und Bahnen bringt, das ist sicherlich das sinnvollere Ergebnis, und das ist auch die Politik, die der Senat verfolgt.

[Ritzmann (FDP): Ich dachte, die BVG gehört dem Land!]

Herr Kollege Cramer! – Bitte!

Herr Senator Strieder! Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie g e g e n lineare Fahrpreiserhöhungen und Herr Senator Sarrazin ist f ü r lineare Fahrpreiserhöhungen. Deshalb frage ich den Regierenden Bürgermeister: Welcher dieser beiden Senatoren hat die Position des Senats vertreten? Ist es Ihnen völlig egal, wenn der Senat mit zwei Stimmen spricht?

Herr Regierender Bürgermeister, bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Cramer! Herr Strieder hat das Notwendige für den Senat gesagt. Ich möchte auch noch einmal bekräftigen, dass der Senat in der Tariferhöhung nicht das Mittel sieht, die finanziellen Probleme der BVG zu lösen, sondern wir uns bemühen werden, für die Berlinerinnen und Berliner und die Gäste der Stadt günstige Tarife anzubieten. Das ist auch die Auffassung, die der Senat vertritt. Trotzdem sind die betriebswirtschaftlichen Belange, die im Übrigen ja auch in die vertragliche Bindung mit der BVG eingegangen sind – darin stehen die Tarifsteigerungen in einer Größenordnung von 3 Prozent –, für den Aufsichtsrat auch eine Maßgabe. Das kann man wiederum der BVG nicht vorwerfen, dass sie sagt, Land Berlin, ihr habt mit uns einen Vertrag gemacht, da habt ihr selbst Tariferhöhungen zugestanden. – Das ist die Situation, in der wir uns befinden, und das ist der Spagat. Trotzdem, noch einmal: Der Senat wird sich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass es keine Tariferhöhungen oder vertretbare Tariferhöhungen gibt, damit die Berlinerinnen und Berliner weiterhin ein attraktives Angebot im öffentlichen Nahverkehrssystem haben.

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Dann gibt es eine Nachfrage des Kollegen Buchholz. – Bitte schön, Herr Kollege Buchholz!

Ich frage Senator Strieder: Nachdem nun hoffentlich auch die Oppositionsvertreter verstanden haben, dass der Senat gegen lineare Preiserhöhungen ist, wie weit sind denn die Überlegungen zu den innovativen Preismodellen, insbesondere das von Ihnen propagierte Powerpricing? Können Sie uns dazu Informationen geben?

Herr Senator Strieder, bitte!

(A) (C)

(B) (D)

Wir haben mit der BVG bereits im letzten Jahr besprochen, dass auch innerhalb des Tarifsystem von öffentlichen Nahverkehrsunternehmen eine Möglichkeit gefunden werden muss, dass, je mehr Menschen ein bestimmtes Verkehrssystem benutzen, umso geringer der Preis ist, also der Preis sinken kann, weil die Betriebskosten und die Vorhaltekosten eines solchen Systems auf alle umgelegt werden können, die das System grundsätzlich nutzen. Das heißt, für alle, die ein Abonnement haben, sollen sich die Preise danach gestalten, wie viele Menschen sich an dem Abonnement beteiligen. Je mehr Jahreskarten die BVG und S-Bahn verkaufen, desto preiswerter soll es werden, diese Karten zu erwerben. Ich halte das nach wie vor für ein richtiges System, denn es reagiert auf Angebot und Nachfrage. Wenn das Angebot der BVG so gut ist, dass sich alle überzeugen lassen, zu diesem Preis ein Abonnement bei der BVG und der S-Bahn zu erwerben, dann wissen sie, dass sie eine gute Arbeit machen und ein vernünftiges Produkt anbieten. Es geht darum, sich um eben dies zu kümmern. Entgegen manchem Eindruck ist die BVG nicht für sich selbst, sondern für ihre Kunden da, und das sind diejenigen, die Busse und Bahnen nutzen.

Danke schön, Herr Kollege Strieder. – Dann hat die Fragestunde durch Zeitablauf ihr Ende gefunden. Wie Sie wissen, werden die heute nicht beantworteten Mündlichen Anfragen auf schriftlichem Wege beantwortet. Wie im Ältestenrat bereits mitgeteilt, gibt es heute keine Spontane Fragestunde, vor dem Hintergrund des bedeutenden Themas Haushalts 2002/2003. Ich rufe auf

lfd. Nr. 1 A, Drucksache 15/378:

II. Lesung der Vorlage – zur Beschlussfassung – über Vorschaltgesetz zum Haushaltsgesetz 2002/ 2003, Drucksache 15/309, gemäß Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 17. April 2002

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Beratung der drei Paragraphen miteinander zu verbinden und höre hierzu keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift, die Einleitung und die Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 15/309 unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses Drucksache 15/378. Ich verbinde die II. Lesung mit dem nächsten Tagesordnungspunkt, den ich jetzt aufrufe

lfd. Nr. 2:

a) Drucksache 15/320:

I. Lesung der Vorlage – zur Beschlussfassung – über Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für die Haushaltsjahre 2002 und 2003 (Haushaltsgesetz 2002/2003 – HG 02/03)

b) Drucksache 15/331:

Große Anfrage der Fraktion der CDU über fragwürdige Begleitumstände der Haushaltsaufstellung 2002/2003

Bevor ich zu den Regularien und der Aussprache komme, möchte ich Sie auf ein Schreiben der Senatsverwaltung für Finanzen vom 15. April 2002 hinweisen. Dieses haben Sie heute auf Ihren Tischen in Kopie vorgefunden. Es handelt sich um die Eckzahlentabelle zum Entwurf des Doppelhaushalts, um die Austauschseiten zur Schulden- und Belastungsbilanz und zum Betriebs- und Vermögenshaushalt. Diese Unterlage ist bereits Gegenstand der Beratung im Hauptausschuss und trägt dort die rote Nummer 0344.

Zur Aussprache empfiehlt der Ältestenrat eine Redezeit von bis zu 20 Minuten pro Fraktion – bei freier Aufteilung auf die Redebeiträge. An die Redezeit von höchstens 20 Minuten möge sich bitte auch der Senat halten, wenn es geht.

Zur Begründung der Gesetzesvorlage erhält zuerst der Senator für Finanzen das Wort. Danach folgt eine erste Rederunde der Fraktionen, auf die anschließend der Senat noch einmal antworten kann, der dann auch die Große Anfrage der CDU beantworten möge. In einer zweiten Rederunde steht dann den Fraktion die Restredezeit zur Verfügung. In der Redefolge beginnt die stärkste Oppositionsfraktion, also die Fraktion der CDU.

Jetzt, Herr Dr. Sarrazin, Senator der Finanzen, haben Sie das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Doppelhaushalt 2002/2003 ordnet sich ein in die Geschichte der Berliner Haushaltspolitik in den vergangenen elf Jahren. Wir können nicht unabhängig von der Vergangenheit beginnen. Und wir legen jetzt die Basis für die nächsten Jahre für unseren Konsolidierungskurs. Lassen Sie mich deshalb zunächst auf die Ausgangslage eingehen, und ich bitte, diese Zahlen nicht als Nachkarten in Bezug auf die Vergangenheit misszuverstehen. Die Dinge waren nicht einfach. Sie müssen wissen, woher wir kommen und weshalb es so gekommen ist, damit wir auch wissen können, wie wir es ändern, ob und was wir besser machen können.

Zu Beginn der Einheit im Jahr 1991 hatte Berlin Schulden von 9,3 Milliarden $. Es waren dann zum Jahresende 39,8 Milliarden $. Es sind jetzt im Augenblick auch schon wieder über 41 Milliarden $. Wir nehmen pro Monat im Augenblick 500 Millionen $ neue Schulden auf. Im Jahr 1991 hatten wir Zinsausgaben von 500 Millionen $. Es werden in diesem Jahr 2,25 Milliarden $ sein. Die bereinigten Ausgaben pro Kopf lagen im Jahr 2001 um 44 Prozent über dem Durchschnitt aller Bundesländer und um 13 Prozent über dem Hamburger Niveau.

Es gibt allerdings bei der Ausgabenstruktur eine dramatische Verschiebung. Im Jahr 1991 gaben wir von unseren Gesamtausgaben „nur“ 2,9 Prozent für Zinsen aus. In diesem Jahr werden es 9,2 Prozent sein. Wenn wir so weitermachen, werden es im Jahr 2009 17 Prozent aller Ausgaben sein, die wir nur für Zinsen ausgeben. Die Zunahme der Zinsausgaben ab dem Jahr 1991 von 2 Milliarden DM ist mehr als der gesamte Wissenschaftsetat ohne Kultur. Alle in den vergangenen zehn Jahre unternommenen Einsparungsversuche, die auch teilweise Erfolg hatten – keine Frage –, wurden letztlich durch den Zuwachs der Zinsausgaben überkompensiert.

Aber, und das ist das Problem, es wurde ja gar nicht durchgehend gespart in den vergangenen zehn Jahren. In nur vier Jahren, 1991 bis 1995, wurde die Basis gelegt für das heutige Desaster. In diesen Jahren von 1991 bis 1995 fielen die Einnahmen des Landes im Jahr um 1,9 Prozent, während die Ausgaben in diesem Zeitraum gleichzeitig um im Jahr 4,7 Prozent wuchsen. Der Unterschied von Einnahmen- und Ausgabenzuwachs in diesen vier Jahren hat die Basis für den heutigen Ausgabenüberhang von 20 Prozent gelegt, den wir jetzt wieder abbauen müssen. In ganz kurzer Zeit wurde die Basis geschaffen für dieses Desaster.

Dafür gab es natürlich auch Gründe, die nicht von der Berliner Politik zu verantworten sind. Dazu zählt der überstürzte Abbau der Bundeshilfen, obwohl man auch dort sicherlich einiges hätte tun können. Ich will aber an drei Einzelbeispielen zeigen, dass wir darüber hinaus an dieser Lage auch ein gerüttelt Maß an eigener Verantwortung tragen.

[Cramer (Grüne): Echt?]