Protocol of the Session on March 9, 2000

Der Verfassungsgerichtshof unseres Landes ist damit konstituiert. Ich wünsche allen Neugewählten eine erfolgreiche Arbeit zum Wohl des Landes Berlin und spreche von hier den a u s g e s c h i e d e n e n R i c h t e r n F r a u A r e n d t - R o j a h n , P r o f e s s o r D r. D r i e h a u s , H e r r n E s c h e n u n d H e r r n P r o f e s s o r D r. K u n i g meinen herzlichen D a n k für die geleistete Arbeit aus!

[Beifall]

Wir fahren in unserer Tagesordnung fort und kommen zur

lfd. Nr. 1 A:

Aktuelle Stunde zum Thema „soziale Wohnungspolitik als Opfer verfehlter Haushaltspolitik des Senats“

in Verbindung mit

lfd. Nr. 14, Drucksache 14/131:

Große Anfrage der Fraktion der PDS über Perspektiven einer sozialen Wohnungswirtschaft in Berlin

Nach der mündlichen Begründung durch die Fraktion der PDS und der Beantwortung der Großen Anfrage durch Herrn Senator Strieder steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu 15 Minuten zur Verfügung. Widerspruch hierzu höre ich nicht. Ich weise darauf hin, dass eine schriftliche Beantwortung der Großen Anfrage seit Dienstag vorliegt. Diese wurde den Fraktionen zugestellt. Zur Begründung der Großen Anfrage erteile ich nunmehr Frau Abgeordneter Michels das Wort. Bitte sehr, Frau Michels, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Aktuellen Stunde und auch mit der Großen Anfrage zum Thema „Perspektiven einer sozialen Wohnungswirt

schaft“ verfolgt die PDS-Fraktion das Ziel, die gegenwärtige Debatte um die Privatisierung von städtischen Wohnungsgesellschaften auf eine sachliche Ausgangsbasis zurückzuführen.

[Beifall bei der PDS]

Die bisherige Diskussion dazu läuft aus unserer Sicht lediglich unter dem Stichwort „Vermögensaktivierung“, das heißt vordergründig unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten. Die wohnungspolitische Dimension dieser Fragestellung kommt unseres Erachtens dabei viel zu kurz.

Mit der gegenwärtigen Debatte um die Pläne des Senats zur Veräußerung weiterer städtischer Wohnungsgesellschaften steht unserer Auffassung nach Berlin an einem Wendepunkt der gesamten weiteren wohnungspolitischen Strategie. Es steht grundsätzlich die Frage im Raum, wie der Senat zukünftig eine sozial orientierte Wohnungspolitik in Berlin gestalten wird. Der Anspruch Berlins als Mieterstadt, der – so denke ich – seit Jahrzehnten ein anerkanntes Ziel der Wohnungspolitik war, steht auf dem Prüfstand. Das müsste eigentlich die SPD angesichts ihres eigenen Omens als bisherige Mieterpartei geradezu auf die Barrikaden bringen. Wohnungspolitik als Fiskalpolitik anzusehen, betrachten wir als kurzfristig, kurzsichtig und längerfristig sogar als den teureren Weg. Wir wollen somit gewissermaßen die gegenwärtige Debatte, die durch die Diskussion in der Öffentlichkeit bereits geführt wird, vom Kopf auf die Füße stellen.

Ich möchte eines vorab klar sagen: Die PDS hält die städtischen Wohnungsbaugesellschaften für ein unverzichtbares wohnungspolitisches Instrument, von dem sehr wesentliche Steuerungspotentiale für eine sozial orientierte Wohnungspolitik ausgehen. [Beifall bei der PDS]

Sie zur Disposition zu stellen, heißt für uns, diese Steuerungsmechanismen leichtfertig aus der Hand zu geben. Seien wir ehrlich: Erst sind Sie mit dem proklamierten vorrangigen Verkauf an die Mieter gescheitert, die In-sich-Geschäfte haben nicht den erwarteten Effekt gebracht. Nun vergreifen Sie sich an den Wohnungsbaugesellschaften insgesamt.

[Dr. Steffel (CDU): So ein Quatsch!]

Dieser Prozess wird nicht nur gravierende Einschnitte für eine sozial gerechte Einflussnahme auf die Mietgestaltung und Wohnraumversorgung für breite Bevölkerungsschichten haben. Er bedeutet langfristig eine völlige Veränderung der Struktur der Wohnungspolitik durch eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen der öffentlichen Hand und dem Wohnungssektor. Soziale Verantwortung des Staates wird somit den Mechanismen des freien Marktes übergeben: alternativlos, übereilt und sozial unverantwortlich. [Beifall bei der PDS]

Dazu sagen wir als PDS entschieden: Nein!

[Beifall bei der PDS]

Nicht weil wir – wie uns vorschnell vorgeworfen wird mit den bekannten Plattitüden – die Mieter aufwiegeln wollen, nicht indem wir schwarze Bilder für die vom Verkauf betroffenen Mieter über dramatische Mietsteigerungen oder ähnliche Befürchtungen malen wollen. Nein! Das ist uns bekannt. Wir sagen Nein zu dieser Politik, weil wir unsere Stadt und ihre Menschen als Ganzes vor Augen haben, weil wir Wohnungspolitik als längerfristigen Prozess betrachten. Wir tun dies aus sozialer Verantwortung für diese Stadt. [Beifall bei der PDS]

Der Senat war durch unsere Große Anfrage zumindest genötigt, sich erstmals umfassend der Frage zuzuwenden, wie Wohnungspolitik langfristig in der Stadt garantiert werden kann und welche Schlüsselrolle dabei die städtischen Gesellschaften spielen. Wie schwer Ihnen, Herr Senator Strieder und dem Senat, diese Antwort gefallen ist, zeigt die bereits dankenswerterweise vorab schriftlich veröffentlichte Antwort. Durch diese Antwort des Senats wurde eine Reihe von Widersprüchen deutlich, die im weiteren Verlauf der Debatte zu beleuchten sind.

Ich möchte vorab auf zwei Widersprüche konkret eingehen, in der Hoffnung, Herr Strieder, dass Sie möglichst in Ihrer Antwort darauf eingehen. Zum einen geht aus Ihrer Antwort hervor, das derzeit ein Bestand von rund 370 000 Wohnungen bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften vorhanden ist. Sie erklären, Herr Strieder, in der Beantwortung, dass es – völlig unstrittig für uns – „notwendig ist, einen auf Dauer verfügbaren Bestand von 300 000 Wohnungen zu erhalten“. Nach Ihren eigenen bereits öffentlich gemachten Plänen ist aber beabsichtigt, etwa 130 000 Wohnungen zu veräußern. Davon befinden sich 70 000 Wohnungen im Bestand der GSW, 30 000 im Bestand der GEWOBAG und weitere 30 000 aus wirtschaftlichen Gründen in den Beständen der Wohnungsbaugesellschaften. Nach Adam Riese – wir können rechnen – bliebe damit ein Restbestand von 240 000 Wohnungen übrig. Dies ist der erste offenkundig gewordene Widerspruch. Sie bleiben, lieber Herr Strieder, werter Senat, damit sogar noch hinter Ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung zurück. Das war ein Punkt.

Zum anderen würden damit – wir haben das nachgerechnet – etwa 13 % des gesamten Wohnungsbestandes bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften bleiben, wenn man Ihrer Rechnung folgt. Dies ist etwa so hoch – da haben Sie Recht – wie in München oder Köln. Vergleiche hinken aber bekanntlich. Auch Ihnen ist bekannt, Herr Strieder, dass die Arbeitslosenquote und die Sozialhilfedichte in Berlin dramatisch höher als in den genannten Städten ist. Damit ist auch der Bedarf an solchen Wohnungen für einkommensschwache Haushalte höher.

Zum zweiten komme ich zu der von uns nachgefragten Angebotssituation preiswerter Wohnungen. Sie setzen als preiswerten Wohnraum eine Netto-Kaltmiete von 9 DM pro Quadratmeter an. Ihnen ist sicherlich auch bekannt, Herr Strieder, dass die durchschnittliche Miete im sozialen Wohnungsbau bei 8,01 DM pro Quadratmeter liegt. Auch der Mietspiegel weist im Mittelwert für eine 60 Quadratmeter große Wohnung in guter Wohnlage etwa 8 DM aus. Ist das eine Mogelpackung oder schon bewusste Irreführung? Denn laut Ihren eigenen Angaben waren – ein paar Seiten weiter – 1996 rund 750 000 Haushalte im Rahmen der gesetzlichen Grenzen zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigt. Würden Sie also die realen 8 DM zu Grunde legen, müssten Sie in Ihrer Antwort zur Großen Anfrage ein Defizit von preiswertem Wohnraum von ca. 50 000 Wohnungen feststellen. Um das zu umgehen und ein angeblich ausreichendes Angebot definieren zu können, setzen Sie willkürlich die 9 DM fest. – So weit zu den konkreten Aspekten der Großen Anfrage. Auf weitere Widersprüche und Probleme werden wir sicherlich noch nach Ihrer Beantwortung näher eingehen.

Um die wohnungspolitische Dimension noch einmal deutlich zu machen: Warum sind für uns die Wohnungsbaugesellschaften für eine sozial orientierte Wohnungspolitik unverzichtbar? – Sie sind es deshalb, weil zu den wichtigen Steuerungspotentialen der Wohnungsbaugesellschaften unter anderem erstens die Mietpreisbeeinflussung gehört. Wohnungsbaugesellschaften schöpfen in der Regel die Mieterhöhungsspielräume nicht so schnell oder nicht in vollem Umfang wie private Vermieter aus. Dieses ist durch politische Vorgaben des Staates beeinflussbar.

Zweitens – die Belegungsbindung: Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bringen im Auftrag der Bezirksämter in großer Zahl einkommensschwache, Obdachlose oder von Obdachlosigkeit bedrohte Personen unter. Ihnen ist bekannt, dass es mehr als 80 Vereinbarungen der Wohnungsbaugesellschaften mit Sozialämtern, Vereinen und anderen Vertretungen gibt. Zum Beispiel ist im Bestand der GSW fast ein Viertel des Gesamtbestands des geschützten Marktsegments vorhanden.

Drittens: Ein weiteres wesentliches Steuerungspotential ist die Rolle der städtischen Wohnungsbaugesellschaften in sozialen Problemquartieren. Herr Strieder, Sie haben doch anerkanntermaßen – bis jetzt von uns auch geachtet – als Hobby erklärt, sich der Problemquartiere anzunehmen. Da bleibt die Frage: Wie wollen Sie das Quartiermanagement bzw. die Lösung der sozialen Probleme in den Problemquartieren ohne die Wohnungsbaugesellschaften weiter vorantreiben?

Die PDS hat deshalb eine Kampagne „Soziales Wohnen in Berlin“ gestartet. Wir sind uns im Rahmen dieser Kampagne sehr wohl bewusst, dass die Gefahr für die Mieterinnen und Mieter nicht unmittelbar dadurch erfolgen wird, dass ihre Mietverhältnisse möglicherweise außer Kraft gesetzt werden. Es geht uns bei dieser Kampagne auch nicht darum, den Mieterinnen und Mietern Angst einzuflößen, sondern wir wollen mit unserer Kampagne die politische Dimension der Privatisierungsstrategie für die Wohnungspolitik verdeutlichen. Die Auswirkungen der massiven Veräußerungen kommunalen Wohnungsbestands werden längerfristig gravierende Einschnitte zur Folge haben. An dieser länge Stelle liegen wir richtig – das zeigen die öffentlichen Debatten. Wir wissen an unserer Seite gute Verbündete, sowohl bei den Vermieterverbänden, den Gesellschaften, Mietervereinen, als auch bei den Mieterinnen und Mietern. – Sie haben die Möglichkeit, diese Strategie, die Sie zurzeit fahren, noch einmal zu überdenken. Dafür sollte unsere Große Anfrage eine sachliche Grundlage bieten. In diesem Sinne erwarte ich eine sachliche Diskussion, die zu den Ausgangspunkten zurückkommt. – Vielen Dank! [Beifall bei der PDS]

Schönen Dank, Frau Kollegin! – Das Wort hat nunmehr Herr Senator Strieder. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Michels! Ich fand Ihren Beitrag wohltuend und um Sachlichkeit bemüht. Die detaillierten Antworten zu den Anfragen, auf die Sie bereits hingewiesen haben, gebe ich zu Protokoll.

Die Berliner Wohnungspolitik muss sich in Zukunft verstärkt den differenzierter gewordenen Bedingungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt stellen, die sowohl auf der Angebots- wie auch der Nachfrageseite gegeben sind.

Berlin ist nach wie vor eine Mieterstadt. Rund 90 % der Berliner Haushalte wohnen zur Miete. Sicheres und bezahlbares Wohnen ist die Voraussetzung für das Wohlfühlen in der Stadt und das Engagement für die Stadt. Deshalb ist auch in Zukunft die ausreichende Versorgung mit preiswertem und qualitätsvollem Wohnen eine zentrale Aufgabe Berliner Wohnungspolitik.

Ausdrücklich ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Bewältigung dieser zentralen Aufgabe nicht allein mit Hilfe der städtischen Wohnungsunternehmen realisierbar ist, sondern hier die gesamte Wohnungswirtschaft angesprochen ist und gefordert sein wird.

Hilfreich ist bei der Bewältigung dieser Aufgabe der genossenschaftliche Wohnungsbestand – rd. 180 000 Wohnungen –, der durch eine gezielte Unterstützung der Gründung von Bewohnergenossenschaften erweitert werden soll.

Wir werden in Zukunft die Rahmenbedingungen für die Erhaltung eines sozialen Wohnungsmarktes aktiv gestalten. Dabei hat sich eine wesentliche Bedingung geändert: Der öffentlich geförderte Wohnungsneubau wird im kommenden Jahrzehnt aus fiskalischen Gründen bei weitem nicht mehr die Rolle spielen können, die er im letzten Jahrzehnt spielte. Ich darf daran erinnern, dass Anfang der 90er Jahre bis 1995 im Durchschnitt jährlich 13 000 öffentlich geförderte Wohnungen bewilligt wurden. Auch die Staatsaufgabe hat sich verändert. Der Staat schafft künftig den Rahmen für privates Investment. Dazu gehören Verfügbarkeit von Boden und das Baurecht.

Also: Wir brauchen

−eine zielgerichtete und stadtentwicklungsorientierte Bodenpolitik zur Unterstützung des Wohnungsneubaus,

−eine sozialorientierte Wohnungs- und Mietenpolitik zur Sicherung des Wohnens im Bestand der Sozialwohnungen sowie der Altbau- und Plattenbauwohnungen durch die weitere Förderung qualitätsverbessernder Modernisierungen und Instandsetzungen von Wohnraum, eine aktive Politik des sorgsamen Umgangs mit den vorhandenen Belegungsbindungen und ein soziales Mietrecht,

−die Umsetzung der Eigentumsinitiative des Senats durch mieternahe Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestandes, Förderung des Bestandserwerbs, aber auch weiterhin den Neubau von Wohneigentum,

−die Stärkung der Leistungsfähigkeit der städtischen Wohnungsbaugesellschaften

−sowie den Erhalt von 300 000 Wohnungen zur wirksamen Marktbeeinflussung bei mehrheitlich städtisch beeinflussten Wohnungsbaugesellschaften.

Der Senat wird sich im Rahmen der Mietrechtsreform dafür einsetzen, dass neben der Verbesserung der Rechtsklarheit im Mietrecht Mieter- und Vermieterrechte in angemessener Weise fortentwickelt werden und dabei die beabsichtigten Verbesserungen der Mieterrechte wie z. B. Senkung der Kappungsgrenze für Mieterhöhungen in 3 Jahren von jetzt 30 auf künftig maximal 20 v. H. unterstützen. Im Bereich des Sozialen Wohnungsbaus ist bereits mit den Mietenkonzepten 1999 und 2000 die aktive Mietpreisgestaltung zur Sicherung bezahlbarer Mieten in Angriff genommen worden. Dieser Weg wird konsequent weiterverfolgt. Insbesondere sollen auch überhöhte Sozialmieten durch Umstellung auf günstigere Finanzierungen gesenkt werden.

Zu I. – Wohnungspolitisches Konzept des Senates: Die gegenwärtige und zukünftige Situation am hier relevanten Mietwohnungssektor stellt sich wie folgt dar:

Der Bestand an Sozialwohnungen gemäß Wohnungsbindungsgesetz und belegungsgebundenen Wohnungen gemäß Belegungsbindungsgesetz in Berlin wird sich in dieser Legislaturperiode, also innerhalb des Zeitraums 2000 bis 2004, voraussichtlich von 396 303 WE auf rd. 331 000 WE, d. h. um rd. 65 000 WE durch Auslaufen der Bindungen für Sozialwohnungen sowie Restitution bei belegungsgebundenen Wohnungen reduzieren.

Dies allein ist aber wenig aussagekräftig. Die Belegungsbindungen haben durch ihre Konzentration dazu beigetragen, dass die soziale Mischung zum Teil nicht mehr stimmt. Um diesen Gebieten zu helfen, sind zurzeit in Berlin rd. 107 000 Wohnungen von den Belegungsbindungen freigestellt – incl. der befristeten Gebietsfreistellung von rd. 80 000 Wohnungen –. Wir werden die vorerst bis März 2001 befristeten Gebietsfreistellungen verlängern und weitere Freistellungen in der Größenordnung von geschätzt 15 000 Wohnungen vornehmen, so dass zum Ende der Legislaturperiode 236 000 Wohnungen wirksam gebunden sein werden.

Hinzu kommt, dass rd. 33 000 belegungsgebundene Wohnungen aus Sanierungsförderung im Altbaubestand vorhanden sind und im Jahr 2004 voraussichtlich rund 95 000 gesetzlich gebundene Wohnungen von diesen Bindungen freigestellt sein werden. Dies ergibt 364 000 formalrechtlich gebundene Wohnungen und damit knapp die im Stadtentwicklungsplan Wohnen angestrebte Größenordnung von 380 000 Wohnungen.