Ich bitte Sie, die Abstimmung vorzunehmen. Hatte jeder dazu Gelegenheit? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Wir können das Ergebnis feststellen: Mit Ja stimmten 89, mit Nein 77, 3 haben sich der Stimme enthalten. Damit ist dem Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur Dr. Christoph Stölzl mit der Mehrheit der gewählten Mitglieder des Abgeordnetenhauses das Vertrauen entzogen. Ich bitte auch Sie um Ihre Erklärung, bitte sehr!
Herr Dr. Stölzl! Auch Sie b i t t e i c h , d i e G e s c h ä f t e b i s z u m A m t s a n t r i t t d e s N a c h f o l g e r s o d e r d e r N a c h f o l g e r i n w e i t e r z u f ü h r e n.
Nun kommen wir zur n a m e n t l i c h e n A b s t i m m u n g über den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über E n t z u g d e s Ve r t r a u e n s b e t r e f f e n d d e n S e n a t o r f ü r F i n a n z e n P e t e r K u r t h , Drucksache 14/1300. Auch hier haben wir das gleich Prozedere. [Gongzeichen]
Ich eröffne die Abstimmung. Nun bitte ich Sie, Ihr Votum abzugeben! – Hatte jeder die Gelegenheit, ist alles funktionsfähig? – Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich stelle das Ergebnis fest: Mit Ja stimmten 89 Mitglieder des Hauses, mit Nein 77, 2 haben sich der Stimme enthalten, und eine Stimme war ohne Abgabe. Damit ist dem Senator für Finan
zen Peter Kurth mit der Mehrheit der gewählten Mitglieder des Hauses gemäß unserer Verfassung das Vertrauen entzogen worden. Nun gebe ich Ihnen das Wort, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! I c h t r e t e m i t s o f o r t i g e r W i r k u n g v o m A m t d e s S e n a t o r s f ü r F i n a n z e n z u r ü c k.
Herr Kurth! Auch Sie b i t t e i c h , d i e G e s c h ä f t e b i s z u m A n t r i t t e i n e s N a c h f o l g e r s o d e r e i n e r N a c h f o l g e r i n f o r t z u f ü h r e n. – Nun haben wir wieder eine kleine Wartepause.
Nun kommen wir zur n a m e n t l i c h e n A b s t i m m u n g über den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über E n t z u g d e s Ve r t r a u e n s b e t r e f f e n d d e n S e n a t o r f ü r W i r t s c h a f t u n d Te c h n o l o g i e Wo l f g a n g B r a n o n e r, Drucksache 14/1301. Hier haben wir das gleiche Prozedere. Wer diesem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, stimmt mit Ja, wer nicht, mit Nein, oder er kann sich der Stimme enthalten.
Ich eröffne die Abstimmung und bitte Sie, nunmehr Ihr Votum abzugeben! – Hatte jeder die Möglichkeit, seine Entscheidung zu treffen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. [Gongzeichen]
Wir haben das Ergebnis: Mit Ja stimmten 90, mit Nein 76, 3 haben sich der Stimme enthalten, ohne Angabe war keine Karte. Damit ist dem Senator für Wirtschaft und Technologie Wolfgang Branoner mit der Mehrheit der Mitglieder des Hauses das Vertrauen entzogen worden. Und nun gebe ich Ihnen das Wort, Herr Branoner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es mir auch schwer fällt, e r k l ä r e i c h h i e r m i t m e i n e n R ü c k t r i t t v o m A m t d e s S e n a t o r s f ü r W i r t s c h a f t u n d Te c h n o l o g i e. Ich bin stolz darauf, Mitglied dieser Landesregierung gewesen zu sein, denn Berlin ist meine Geburtsstadt. – Herzlichen Dank!
Auch Sie, Herr Branoner, b i t t e i c h , d i e A m t s g e s c h ä f t e b i s z u m A m t s a n t r i t t e i n e s N a c h f o l g e r s o d e r e i n e r N a c h f o l g e r i n w e i t e r z u f ü h r e n.
Gemäß unserer Geschäftsordnung hat nunmehr Frau Neef das Wort zu einer p e r s ö n l i c h e n E r k l ä r u n g ü b e r d a s A b s t i m m u n g s v e r h a l t e n , bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Ich habe mich beim Misstrauensvotum gegen den Regierenden Bürgermeister meiner Stimme enthalten.
Aus meiner Sicht war diese Abstimmung einer so schwer wiegenden und folgenreichen Angelegenheit für die Stadt Berlin zusammen mit der PDS ein Tabubruch, den ich aus Gewissensgründen und aus rationalen Überlegungen nicht mittragen konnte. [Beifall bei der CDU]
Es ist nicht Liebe zur CDU oder zur großen Koalition, sondern Sorge um die SPD, die mich dazu bewegte. Ich möchte auch dokumentieren, dass die Bereitschaft für ein politisches Zusammengehen mit der PDS in der SPD – besonders im Ostteil der Stadt – nicht so hundertprozentig ist, wie es scheint. Ich stehe persönlich nicht dafür zur Verfügung, den Weg zu ebnen, dass die Verantwortlichen des Mauerbaus und die Auftraggeber der Stasi beziehungsweise ihre Erben wieder Macht und Einfluss bekommen.
Die PDS ist erst ungenügend in dieser Gesellschaft angekommen, und sie hat die Vergangenheit ungenügend bewältigt. Das Einlenken in letzter Minute erscheint sehr vordergründig. Ich muss an das Märchen von den sieben Geißlein denken: Der Wolf hat Kreide gefressen, klopft an die Tür und sagt: Ihr Kinder, lasst mich herein! Eure liebe Mutter ist wieder da. – Wie diese Geschichte ausging, wissen wir. – Danke!
[Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall der Abgn. Hillenberg (SPD), Frau Kind (SPD) und Radebold (SPD) – Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Tapfer!]
Wahl des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und der Bürgermeister und der weiteren Mitglieder des Senats
im Namen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei des Abgeordnetenhauses von Berlin schlage ich Herrn Klaus Wowereit für das Amt des Regierenden Bürgermeisters vor.
Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? – Mir wurde signalisiert, dass eine Rederunde stattfinden soll. – Dann hat für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Apelt das Wort. Die Geschäftsführer hatten sich auf eine Redezeit von bis zu 15 Minuten pro Fraktion verständigt. – Ich stelle fest, dass dem niemand widerspricht. Dann verfahren wir so. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Ich wende mich heute an alle Abgeordneten hier im Saal – besonders an die Sozialdemokraten und die Grünen, die – wie ich – im Ostteil der Stadt – der ehemaligen Hauptstadt der DDR – aufgewachsen sind. Und ich wende mich auch an alle Deutschen in Ost und West, die sich dafür interessieren, was heute hier in der Hauptstadt passiert.
Auch ein Politiker darf einmal sagen: Ich bin traurig. – Denn heute ist kein schöner Tag – kein schöner Tag in der Geschichte Berlins. Das sage ich auch, weil ich schon andere Tage erlebt habe. Ich erinnere mich gern, wie ich als neu gewählter Abgeordneter die Treppe zum Plenarsaal im Rathaus Schöneberg bestieg. Damals hatte ich die donnernden Klänge der von den Amerikanern gestifteten Freiheitsglocke im Ohr, die jeden Mittag durch RIAS Berlin über die Mauer schallte. Viele von uns erinnern sich daran und mit dem Klang der Glocke die pathetisch vorgetragenen Worte: Ich glaube an die Unantastbarkeit und die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. – Heute hörte ich diese Sätze wieder, und sie ergriffen mich heute ebenso, wie sich mich damals ergriffen haben – als wollten sie Aufruf, als wollten sie Mahnung sein: Ich glaube an die Unantastbarkeit und die Würde jedes einzelnen Menschen. – Ich wünschte, viele meiner Kollegen hier im Haus hörten in diesem Moment auch die Glocke.
Und ich wünschte, viele meiner Kollegen würden damit auch an die Zeit vor zehn oder elf Jahren denken, nämlich an die Hoffnung, die uns alle beseelt hat am Ende der Diktatur, am Ende von unermesslichem Leid und dem grauenvollen Tod vieler. Wir hatten allen Grund zur Hoffnung, weil es zwischen denen, die die friedliche Revolution eingeleitet haben, einen Grundkonsens gab. Ich war damals im Demokratischen Aufbruch sogar Landesvorsitzender, und ich weiß, wie oft wir gemeinsam mit den Kollegen und Freunden vom Neuen Forum, von Demokratie Jetzt, der Initiative Frieden und Menschenrechte, der Grünen und der sehr starken SDP für diesen Konsens gestritten haben: Nie wieder Diktatur; nie wieder eine menschenverachtende Ideologie und nie wieder eine nationale Front aus der SED und ihren Satrapen.
Wir konnten es, weil wir alle noch die jüngsten Ereignisse des vergangenen Novembers im Auge hatten – es war nicht lange her: die mit Demonstranten vollgepferchten Lkws, die in den Polizeirevieren in langen Gängen bis zur Erschöpfung stehenden Menschen, die verhöhnten und gedemütigten Menschen, die man schlug und denen man sogar die Notdurft versagte. Oder wir dachten an die geschlagenen, schreienden Menschen oder die Frauen und Kinder, die vor den Eingängen der Polizeireviere um das Leben und die Freiheit ihrer Männer und Väter bettelten.
„Die Zeit heilt alle Wunden“ sagt ein altes deutsches Sprichwort, und vielleicht sind gerade wir Deutschen es, die sich allzu gerne darauf verlassen. Und wir könnten es – zumal wir wissen, dass das Wort „vergessen“ in Deutschland am liebsten groß geschrieben und mit Ausrufezeichen versehen wird – schnell wieder bereit sein, zur Tagesordnung überzugehen ohne zu beachten, wie sehr alte Wunden schmerzen und die politische Kultur des Heute durch das Gestern vergiftet ist.
Wenn wir heute entscheiden, geht es nicht um Abrechnung. Es geht um keine Verurteilung – schon gar nicht von Menschen. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Denn auch Vergebung, gegen die ich schon durch mein christliches Selbstverständnis nicht sein kann, hat immer etwas Individuelles. Das ist keine hohle Formel. Das können Sie mir glauben. Ich gebe Ihnen gerne ein kleines Beispiel: Vor zehn Jahren wurde ich zum Gericht vorgeladen, weil ich als Betroffener gegen drei ehemalige Stasi-Schläger aussagen sollte. Es waren in Zivil gekleidete Männer, die während der Ereignisse um die Gethsemanekirche im Oktober 1989 mit Gewalt in meine Wohnung drangen, wie aufgebrachte Tiere um sich schlugen, demolierten und meinen Freund und mich so schwer verletzen, dass ich mich noch Tage später nicht traute, ins Krankenhaus zu gehen – zu humpeln. Und das, nicht weil ich mich behandeln lassen wollte, sondern weil meine Lebensgefährtin zwei Tage vorher entbunden hatte. Und ich hatte Angst, dass ich sie beunruhigen würde, wenn ich da humpelnd und so wie ich aussah, ankommen würde. Dennoch habe ich mich bei dieser Gerichtsverhandlung, weil ich diese jungen Männer vor mir sah und an deren Familien, vielleicht Kinder dachte, zum Erstaunen des Gerichts dazu entschlossen, ihnen zu vergeben. Geradezu fassungslos quittierten die Betroffenen diese – auch von meinem Freund – getroffene Aussage.
Ich frage Sie: Kann man einem System vergeben, einer Ideologie, vielleicht Menschen, die nicht zur Umkehr bereit sind, weil sie das Gestern noch immer rechtfertigen? Ich frage Sie: Haben wir dafür gekämpft, dass heute wieder Mauer und Stacheldraht und damit die Gefängnisse und Folterkeller gerechtfertigt werden? Nicht durch ein paar verirrte ewig Gestrige: Nein, Menschen in hohen Ämtern, Ehrenvorsitzende, Stellvertreter von Parteien. Sie kennen die Namen. Ich frage Sie: Sind wir dafür aufgestanden und haben uns dafür verprügeln lassen, dass jetzt wieder ein ehemaliger General erklären kann, es sei eine selbstverständliche Aufgabe des DDR-Staates gewesen, unliebsame Elemente zu eliminieren? Welches Verständnis von Menschlichkeit steht eigentlich dahinter?
Nein, ich sehe keinen Grund, diesen Grundkonsens der Opposition von damals aufzukündigen. Machen wir nicht mit einem Federstrich, einem Kreuz zunichte, was uns über Parteigrenzen verbinden sollte.