Andreas H. Apelt
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:
1. Treffen Medienberichte zu, dass die Organisatoren der Fußball-Weltmeisterschaft über die Namen der Austragungsorte der Gruppenspiele und des Finales noch gar nicht entschieden haben, obwohl der Senator für Schule, Jugend und Sport, Herr Klaus Böger, dieses behauptete?
2. Wenn ja, ist der Senat mit mir der Auffassung, dass durch Erklärungen, die der Wahrheit nicht entsprechen, das Ansehen der Stadt Berlin geschädigt und sich dieses Verhalten auch negativ auf die Vergabe dieser Spiele auswirken wird?
Herr Senator! Sie können schon davon ausgehen, dass wir genügend Selbstbewusstsein haben. Dennoch möchte ich fragen – weil Sie wissen, wie sensibel das Thema bei den Menschen ist –, ob der Senat die Auffassung teilt, dass zunächst einmal mit den Verantwortlichen Kontakt aufgenommen werden muss, bevor man Hoffnungen in dieser Stadt weckt, die letztendlich nicht gedeckt sind.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist keine sechs Wochen her, da haben wir hier über den siebenten Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gesprochen. Damals haben wir gemeinsam nicht nur die Arbeit des Landesbeauftragten gelobt, sondern wir haben in diesem Haus auch die Auffassung vertreten, dass die Arbeit unbedingt fortgesetzt werden sollte. Dazu steht die CDU-Fraktion auch heute noch uneingeschränkt.
Wir haben damals aber auch auf die große Gerechtigkeitslücke verwiesen, die noch immer zwischen den Verfolgten und Inhaftierten von einst und ihren damaligen Peinigern, den StasiOffizieren, Vernehmern und Richtern, klafft und die bis ins Rentenrecht fortgeschrieben wird. Heute, sechs Wochen später, können wir sagen: Diese Lücke ist größer geworden, denn mit der Entscheidung des Deutschen Bundestages auf Grund des Bundesverfassungsgerichtsurteils sind auch den ehemaligen Stasi-Offizieren massive Rentenerhöhungen zuteil geworden, während gleichzeitig und nur dank eines Widerspruchs der CDU-geführten Länder Sachsen und Thüringen für einen kleinen Teil der Verfolgten eine Verbesserung der Renten durchgesetzt werden konnte. Sie alle kennen die Zahlen. 10 Millionen DM für die Verfolgten, jährlich 90 Millionen DM nur für die Stasi-Offiziere. Dabei sind alle herausgerechnet, die zu Recht mehr Geld bekommen, etwa die Mitarbeiter von Post und Bahn. Damit wird fortgeschrieben, was bittere deutsche Realität ist: Widerstand lohnt sich nicht. Die Verfolgten von einst werden noch heute für ihre Leiden und ihr Engagement bestraft. Ihre Rente bleibt auch heute unter der ihrer Peiniger, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass der Satz: Je länger in Haft, desto geringer die Rente – nur die Spitze des Eisberges umschreibt.
Es ist keine sechs Wochen her, da hat sich auch in dieser Stadt viel geändert. Ich weiß nicht, was von dem geblieben ist, was uns hier damals im Parlament erzählt wurde. Ich könnte Herrn Volk zitieren, aber das mache ich mit Rücksicht auf seine ehemalige Fraktion lieber nicht. Ich zitiere lieber Frau Seelig. Sie sagte:
Schadensausgleich und Wiedergutmachung für die Opfer staatlicher und geheimdienstlicher Willkür in der DDR sind nicht an einem Punkt angelangt, wo man sagen kann: Dieses Kapitel können wir abschließen.
Sie verweigerten gemeinsam jene Wiedergutmachung, von der Sie sprachen, denn das Schicksal – den Vorwurf müssen Sie sich jetzt gefallen lassen – der Betroffenen scheint Ihnen offenbar völlig egal zu sein. Ihre vermeintlichen Entschuldigungen für das Wirken Ihrer Vorgängerpartei haben Sie damit ad absurdum geführt. Denn wenn Sie es wirklich ernst gemeint hätten, dann hätten Sie geholfen, die größte Not der Opfer und Verfolgten von einst zu lindern. 60 % von ihnen – das wissen Sie genauso gut wie ich – leben in der Sozialhilfe. Oder Sie hätten nur einen Bruchteil der Energie für eine Besserstellung der Verfolgten aufgebracht, wie Sie sie den alten DDR-Eliten angedeihen lassen. Ich frage Sie, Frau Seelig, und damit frage ich auch die beiden anderen Fraktionen: Was hat Ihnen denn der einfache Maurer getan, der am 17. Juni 1953 auf die Straße ging und wegen „feindlicher Propaganda“ 5 Jahre in Bautzen verschwand, 2 Tage nach seiner Hochzeit? Ist er denn nicht schon genug bestraft, dass er heute eine erheblich geringere Rente bekommt als sein Kollege, der damals mit ihm auf dem Bau war, aber nicht auf die Straße gegangen ist? Was hat er Ihnen getan, dass Sie ihm die Rente verweigern?
Nein, ich habe leider nur 5 Minuten Redezeit. – Was hat Ihnen die alte Frau getan, die psychisch und physisch gebrochen mit 830 DM Rente leben muss, während die Richterin, die sie verurteilte, heute 3 800 DM Rente bekommt und durch die Aufstockung der Rente um 500 DM dann 4 300 DM bekommen wird? Was hat sie Ihnen getan, dass Sie gestern dagegen stimmten, dass diese Frau auch eine höhere Rente bekommen kann? Warum verweigern Sie diesen Menschen die Erhöhung der Rente?
Nein! Die Entscheidung von gestern ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und Verfolgten, die nicht nur für sich, sondern für uns alle gelitten haben. Wenn Sie doch wenigstens ehrlich wären und vor diese Menschen träten, um zu sagen: Liebe Leute, wir wollen nichts für euch tun. Wir wollen euch in eurer Situation nicht helfen. – Diese Chance hätten Sie gehabt, aber das machen Sie nicht.
Wir haben eine Anhörung der Verfolgtenverbände, der Opfer beantragt, damit Sie diesen Menschen ins Gesicht schauen. Aber Sie haben es abgelehnt, und ich will Ihnen sagen, warum Sie es abgelehnt haben: weil Sie zu feige sind, diesen Menschen ins Gesicht zu schauen. Nein! Sie heucheln lieber, reden von Entschuldigung und neuen demokratischen Parteien, aber handeln genauso wie bei der alten. Gestern waren einige Vertreter der Opferverbände da, die mir sagen: Warum haben eigentlich diese Menschen ihr Parteibuch gewechselt? – Ich hoffe nur, dass jetzt jeder in diesem Land sieht, was wirklich gespielt wird. Denn Ihre Entschuldigungen sind angesichts Ihrer Taten nichts, aber auch nichts wert.
Auch die Kollegen der Grünen und der SPD, die sich vor oder hinter den Karren haben spannen lassen, –
– müssen sich fragen lassen: Mit welchem Recht verhöhnen Sie die Opfer?
Mein letzter Satz: Die Behörde des Landesbeauftragten muss weiter arbeiten. Sie hat ihre Aufgabe noch lange nicht erfüllt. Die jüngste Geschichte zeigt, wie wichtig sie ist. Wenn dieses Parlament noch ein Fünkchen Achtung vor der Leistung der Verfolgten und Widerständler in sich trägt, wird es wenigstens die Arbeit der Behörde unterstützen, die ihrerseits die vielen Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen unterstützt. – Danke!
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Frau Seelig! Wenn Sie gerade sagen, Sie stehen noch zu dem, was Sie gesagt haben, Sie sind für Wiedergutmachung – wie bewerten Sie, Ihre Fraktion und die mit Ihnen verbündeten Fraktionen, dass Sie gestern gemeinsam gegen einen Antrag stimmten, in dem an Verfolgte Wiedergutmachung geleistet werden sollte?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Ich wende mich heute an alle Abgeordneten hier im Saal – besonders an die Sozialdemokraten und die Grünen, die – wie ich – im Ostteil der Stadt – der ehemaligen Hauptstadt der DDR – aufgewachsen sind. Und ich wende mich auch an alle Deutschen in Ost und West, die sich dafür interessieren, was heute hier in der Hauptstadt passiert.
Auch ein Politiker darf einmal sagen: Ich bin traurig. – Denn heute ist kein schöner Tag – kein schöner Tag in der Geschichte Berlins. Das sage ich auch, weil ich schon andere Tage erlebt habe. Ich erinnere mich gern, wie ich als neu gewählter Abgeordneter die Treppe zum Plenarsaal im Rathaus Schöneberg bestieg. Damals hatte ich die donnernden Klänge der von den Amerikanern gestifteten Freiheitsglocke im Ohr, die jeden Mittag durch RIAS Berlin über die Mauer schallte. Viele von uns erinnern sich daran und mit dem Klang der Glocke die pathetisch vorgetragenen Worte: Ich glaube an die Unantastbarkeit und die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. – Heute hörte ich diese Sätze wieder, und sie ergriffen mich heute ebenso, wie sich mich damals ergriffen haben – als wollten sie Aufruf, als wollten sie Mahnung sein: Ich glaube an die Unantastbarkeit und die Würde jedes einzelnen Menschen. – Ich wünschte, viele meiner Kollegen hier im Haus hörten in diesem Moment auch die Glocke.
Und ich wünschte, viele meiner Kollegen würden damit auch an die Zeit vor zehn oder elf Jahren denken, nämlich an die Hoffnung, die uns alle beseelt hat am Ende der Diktatur, am Ende von unermesslichem Leid und dem grauenvollen Tod vieler. Wir hatten allen Grund zur Hoffnung, weil es zwischen denen, die die friedliche Revolution eingeleitet haben, einen Grundkonsens gab. Ich war damals im Demokratischen Aufbruch sogar Landesvorsitzender, und ich weiß, wie oft wir gemeinsam mit den Kollegen und Freunden vom Neuen Forum, von Demokratie Jetzt, der Initiative Frieden und Menschenrechte, der Grünen und der sehr starken SDP für diesen Konsens gestritten haben: Nie wieder Diktatur; nie wieder eine menschenverachtende Ideologie und nie wieder eine nationale Front aus der SED und ihren Satrapen.
Wir konnten es, weil wir alle noch die jüngsten Ereignisse des vergangenen Novembers im Auge hatten – es war nicht lange her: die mit Demonstranten vollgepferchten Lkws, die in den Polizeirevieren in langen Gängen bis zur Erschöpfung stehenden Menschen, die verhöhnten und gedemütigten Menschen, die man schlug und denen man sogar die Notdurft versagte. Oder wir dachten an die geschlagenen, schreienden Menschen oder die Frauen und Kinder, die vor den Eingängen der Polizeireviere um das Leben und die Freiheit ihrer Männer und Väter bettelten.
„Die Zeit heilt alle Wunden“ sagt ein altes deutsches Sprichwort, und vielleicht sind gerade wir Deutschen es, die sich allzu gerne darauf verlassen. Und wir könnten es – zumal wir wissen, dass das Wort „vergessen“ in Deutschland am liebsten groß geschrieben und mit Ausrufezeichen versehen wird – schnell wieder bereit sein, zur Tagesordnung überzugehen ohne zu beachten, wie sehr alte Wunden schmerzen und die politische Kultur des Heute durch das Gestern vergiftet ist.
Wenn wir heute entscheiden, geht es nicht um Abrechnung. Es geht um keine Verurteilung – schon gar nicht von Menschen. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Denn auch Vergebung, gegen die ich schon durch mein christliches Selbstverständnis nicht sein kann, hat immer etwas Individuelles. Das ist keine hohle Formel. Das können Sie mir glauben. Ich gebe Ihnen gerne ein kleines Beispiel: Vor zehn Jahren wurde ich zum Gericht vorgeladen, weil ich als Betroffener gegen drei ehemalige Stasi-Schläger aussagen sollte. Es waren in Zivil gekleidete Männer, die während der Ereignisse um die Gethsemanekirche im Oktober 1989 mit Gewalt in meine Wohnung drangen, wie aufgebrachte Tiere um sich schlugen, demolierten und meinen Freund und mich so schwer verletzen, dass ich mich noch Tage später nicht traute, ins Krankenhaus zu gehen – zu humpeln. Und das, nicht weil ich mich behandeln lassen wollte, sondern weil meine Lebensgefährtin zwei Tage vorher entbunden hatte. Und ich hatte Angst, dass ich sie beunruhigen würde, wenn ich da humpelnd und so wie ich aussah, ankommen würde. Dennoch habe ich mich bei dieser Gerichtsverhandlung, weil ich diese jungen Männer vor mir sah und an deren Familien, vielleicht Kinder dachte, zum Erstaunen des Gerichts dazu entschlossen, ihnen zu vergeben. Geradezu fassungslos quittierten die Betroffenen diese – auch von meinem Freund – getroffene Aussage.
Ich frage Sie: Kann man einem System vergeben, einer Ideologie, vielleicht Menschen, die nicht zur Umkehr bereit sind, weil sie das Gestern noch immer rechtfertigen? Ich frage Sie: Haben wir dafür gekämpft, dass heute wieder Mauer und Stacheldraht und damit die Gefängnisse und Folterkeller gerechtfertigt werden? Nicht durch ein paar verirrte ewig Gestrige: Nein, Menschen in hohen Ämtern, Ehrenvorsitzende, Stellvertreter von Parteien. Sie kennen die Namen. Ich frage Sie: Sind wir dafür aufgestanden und haben uns dafür verprügeln lassen, dass jetzt wieder ein ehemaliger General erklären kann, es sei eine selbstverständliche Aufgabe des DDR-Staates gewesen, unliebsame Elemente zu eliminieren? Welches Verständnis von Menschlichkeit steht eigentlich dahinter?
Nein, ich sehe keinen Grund, diesen Grundkonsens der Opposition von damals aufzukündigen. Machen wir nicht mit einem Federstrich, einem Kreuz zunichte, was uns über Parteigrenzen verbinden sollte.
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(B) (D)
Ich danke in dem Zusammenhang ausdrücklich Frau Neef, die auch mir aus dem Herzen gesprochen hat. Wehren wir geschlossen diesen Anfängen. Dies, was heute passiert, ist vordergründig keine politische Frage. Es ist eine ethische, eine moralische Frage, eine Gewissensfrage. Meine sehr geehrten Damen und Herren – und ich wende mich hier vor allem an die Kollegen aus der ehemaligen DDR –: Sie haben es wieder in der Hand! Welchen Mut haben viele von uns damals gemeinsam besessen, welchen Mut trotz Angst und Verfolgung. Dagegen: Welcher Mut ist heute notwendig, wo wir frei entscheiden können, wo wir nur unserem Gewissen gehorchen müssen? Ich bitte Sie: Entscheiden Sie frei, entscheiden Sie nach Ihrem Gewissen! – Danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch dieses Thema ist wichtig genug, dass es hier ordentlich behandelt wird. Es geht um den Bericht des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Um es vorwegzunehmen: Die Arbeit des Landesbeauftragten war notwendig, ist notwendig und wird auch weiterhin notwendig sein, nicht nur, weil der Beratungsbedarf sehr groß ist – allein die Zahl von etwa 2 000 Beratungssuchenden spricht schon für sich –, nein, diese Beratungssuchenden muss man erst einmal durch den Dschungel der Gesetzgebung hindurchführen. Die Gesetze – ich erinnere nur an das berufliche, strafrechtliche oder verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz – sind so undurchsichtig, dass es für die Betroffenen wichtig ist, dass sie manchmal an die Hand genommen werden, um durch diesen Dschungel hindurch geführt zu werden.
Weiterhin klafft eine große Gerechtigkeitslücke. Denn die Ungerechtigkeit gegenüber den Oppositionellen, den Widerständigen, den Inhaftierten von damals wird auch im Jahr 10 der deutschen Einheit fortgeschrieben. Darf es denn sein – muss man hier an dieser Stelle fragen –, dass Menschen wegen aufrechter politischer Haltung, wegen Aufrichtigkeit benachteiligt werden? Muss es sein, dass ein Lehrer – es gibt ein schönes Beispiel in diesem Bericht, um nur eine Berufsgruppe herauszunehmen –, der ohne Verfolgungszeit war, heute mit einer Rente von 2 940 DM rechnen kann, aber jemand, der zehn Jahre Verfolgungszeit nachweisen kann, nur eine Rente von 2 780 DM bekommt und jemand, der 20 Jahre Verfolgungszeit nachweisen kann, nur eine Rente von 2 610 DM erhält? – Je länger man verfolgt war, in der DDR inhaftiert war, desto geringer wird die Rente sein. Wie will diese Gesellschaft nach außen vertreten, dass sie auf der einen Seite für Zivilcourage steht und auf der anderen Seite diejenigen, die Zivilcourage gezeigt haben, letztendlich bestraft?
Es gibt noch mehr Beispiele. Ein Maurer, der für fünf Jahre ins Gefängnis gegangen ist, nur weil er am 19. Juni 1953 auf der Straße war, erhält als Dank für seine Zivilcourage heute 400 DM Rente weniger. Es ist doch absurd, wenn dies in die deutsche Gesetzgebung Einfluss gefunden hat: Je größer die Zivilcourage, je länger der Widerstand, desto geringer die Rente. – Wir werden diese Ungerechtigkeit vielleicht nicht beseitigen, aber wir müssen die Auswirkungen dieser Ungerechtigkeit mildern. Die Opfer wollen schließlich nicht mehr haben. Sie wollen nur genauso behandelt werden wie jeder andere, der nicht im Widerstand war. Wenn ein Lehrer im Widerstand war, wenn er 10, 20 oder 30 Jahre lang Nachteile hatte, dann ist es doch sein gutes Recht, wenigstens die gleiche Rente zu bekommen wie derjenige, der still und ruhig oder ein Mitläufer war. Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit, wenn man auf der anderen Seite sieht, wie das Verfassungsgericht mit den Rentenanwärtern von staatsnahen Institutionen umgegangen ist. Der Stasi-Offizier bekommt jetzt Rentennachzahlungen, vier- bis fünfstellige Nachzahlungen, 40 000 DM bis 80 000 DM. Der Professor an der Universität der Staatssicherheit bekommt Nachzahlungen zwischen 200 000 DM und 300 000 DM. Und derjenige, der gesessen hat, muss darum kämpfen, dass seine Haftzeit überhaupt einigermaßen angerechnet wird, um dann vielleicht noch eine Haftentschädigung in Höhe von 600 DM monatlich zu erhalten. Was lässt sich diese Gesellschaft eigentlich bieten?
Der Ansatz, den wir in Berlin gegangen sind, nämlich eine Ehrenpension für alle politisch Verfolgten zu fordern, war genau der richtige. Das war eine Initiative der CDU – ich sage das hier einmal deutlich –, aber alle Parteien im Abgeordnetenhaus haben gesagt: Wir machen mit. Das ist gut so. Wir möchten eine Ehrenpension, um sicherzustellen, dass diese fortdauernde Ungerechtigkeit endlich ein Ende hat! – Aber was ist nun beim Bundesgesetzgeber herausgekommen? – Der Ausschuss des Bundestages, der darüber befindet, hat sich gegen die Stimmen der CDU und – ich glaube – auch der PDS und mit den Stimmen der SPD und der Grünen gegen diese Ehrenpension ausgesprochen. Sie sind es – das müssen Sie sich jetzt einmal selbst fragen in der SPD und bei den Grünen –, die diese Ungerechtigkeit fortschreiben,
insbesondere jene – ich erinnere nur an den ehrgeizigen Minister Schwanitz –, die noch vor der Wahl öffentlich gegenüber den Verfolgtenverbänden gesagt haben: Wir sind bereit, sofort an das Thema heranzugehen. Wir sind bereit, dass die Verfolgten eine Ehrenpension bekommen, damit man diese Ungerechtigkeit endlich beseitigt. – Denen muss man sagen: Was Sie da gemacht haben, ist schlicht und ergreifend Wahlbetrug.
Ich bin nicht sicher, ob der Herr Schwanitz deswegen schlaflose Nächte hat. Aber offenbar interessiert die Not der Opfer keinen dieser Herren, die dagegen gestimmt haben. Sie – das gilt für die Bündnisgrünen wie für die SPD – haben doch in Ihren Reihen genügend Leute, die im Widerstand waren, die darunter gelitten haben. Hören Sie nicht einmal auf diese Leute? Wie kann man seine eigene Geschichte nur so entsorgen und über den Haufen werfen?
Mit dem Hinweis, dass es andere nicht besser gemacht haben, kann man doch nicht rechtfertigen, dass man es jetzt auch nicht besser macht. Im Gegenteil! Wenn es andere nicht besonders gut gemacht haben, dann besteht doch die Verpflichtung, es jetzt besser zu machen.
Die CDU hat einen Antrag die Behörde betreffend eingebracht. Wir sind der Meinung, dass die Behörde auch über den Herbst 2002 hinaus weiterarbeiten soll. Solange sie die Menschen um Hilfe ersuchen, solange über dieses traurige Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte mit dem Namen DDR aufzuklären ist und solange das Unrecht fortbesteht, sollte auch diese Behörde fortbestehen. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat: Sieht der Senat Chancen, die weltberühmte Sammlung Berggruen für die Stadt Berlin zu erhalten?
Angenommen, dass es sich möglicherweise bei der Mitteilung des Bundes, hier Mittel zur Verfügung zu stellen, nicht um ein Geburtstagsgeschenk für den Regierenden Bürgermeister handelte, möchte ich wissen, wie der Senat die ungewohnte Großzügigkeit des Bundes an dieser Stelle bewertet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 6. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten mag für manche nicht besonders appetitlich zu lesen sein. Dass er notwendig und wichtig ist, steht für uns außer Frage. Wir haben zu danken für einen sehr umfangreichen Bericht, der zeigt, dass dahinter auch ganz konkret Arbeit steckt, Arbeit mit den Menschen, mit den Betroffenen und Verfolgten, politische Bildungsarbeit, denn das ist auch einer der Aufträge, ebenso wie das Aufzeigen von Anregungen für politisches Tun, von Schwächen und Problemen. Auch das finde ich sehr wichtig, und dass dies in diesem Bericht vorkommt, ist, glaube ich, auch für uns Politiker deshalb hilfreich, weil wir damit auch eine Richtschnur zukünftigen Handelns sehen können. Fazit: Der Bericht macht deutlich, an wie vielen Stellen noch gearbeitet werden muss, welche Aufgaben insgesamt vor uns stehen. Wer hier verdrängt oder unter den Teppich kehrt, arbeitet jenen zu, für die die Verklärung der jüngsten deutschen Geschichte eine politische Methode ist, eine Methode zum bequemen Vergessen.
Zur Arbeit selbst: Schwerpunkt der Arbeit ist die Bürgerberatung, einerseits eine Erläuterung des umfangreichen Gesetzeswerkes, ich denke nur an die Rehabilitierungsgesetze oder Unrechtsbereinigungsgesetze, aber auch eine Erläuterung der Nichtnachvollziehbarkeit von Verwaltungsentscheidungen und fehlenden Gesetzen. Ich denke jetzt hier nur an das Beispiel der Nichtanerkennung von Haftfolgeschäden. 95 % derer, die Anträge auf Anerkennung von Haftfolgeschäden stellen, bekommen eine Absage. Daran wird deutlich, welch hohe Defizite es in diesem Bereich noch gibt, insbesondere bei der beruflichen Rehabilitation. Hier ist einiges schon aufgezählt worden. Adäquate Rentenausgleichsysteme wären dringend notwendig, es gibt keinen finanziellen Ausgleich von Verdienstausfällen, Aufstiegsschäden und Zwangsarbeit, keine gesetzliche Regelung für eine erleichterte Anerkennung gesundheitlicher Schäden, dafür nachteilige Ausgleichsleistungen für verfolgte Schüler, Zwangsausgesiedelte, in die Sowjetunion Verschleppte und von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilte im Vergleich mit anderen Verfolgten, keine Kapitalentschädigung für die Hinterbliebenen von verfolgungsbedingten Suizidfällen und die benachteiligte Behandlung der BAföG-Empfänger, die vor dem 31. Dezember 1990 in der Bundesrepublik eine Ausbildungsförderung auf Darlehensbasis erhielten.
Um es nicht ganz so theoretisch zu machen: Mit dem Rentenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom April letzten Jahres können so genannte Bestandsrentner, hierzu zählen u. a. Rechts- und Gesellschaftswissenschaftler, die bei der Unterdrückung maßgebliche ideologische Arbeit geleistet haben, mit einer Rente von monatlich 4 000 bis 5 000 DM rechnen. Während etwa der Student, der bei Protesten gegen den Einmarsch der Sowjets in Prag für vier Jahre Haft, die er vielleicht abgesessen hat, eine Kapitalentschädigung von 28 000 DM erhalten kann, bekommt jener Professor, der dafür gesorgt hat, dass dieser Student exmatrikuliert worden ist, eine Rentennachzahlung von 35 000 DM für diese vier Jahre. Oder, noch schlimmer, der MfS-Offizier bekommt nach diesem Urteil für acht Jahre ordentliche Arbeit eine Nachzahlung von 42 000 DM. Der Satz „Widerstand lohnt sich nicht“ ist hier bittere Realität, und es geht weiter. Ein Hochschulabsolvent, der 20 Jahre Verfolgung nach
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weist, bekommt 400 DM weniger Rente als ein Absolvent, der nicht durch Widerstand aufgefallen ist, und erhält natürlich 150 DM weniger Rente als ein Stasi-Offizier, der durch 10-jährige hauptamtliche Tätigkeit „geglänzt“ hat. Im Klartext heißt dies, je länger im Widerstand gearbeitet wurde, umso geringer fällt die Rente aus. Je länger staatstragend gearbeitet wurde, umso größer ist die Rente. Dies ist bittere deutsche Realität.
Man könnte dies beliebig fortsetzen, denken wir nur an den 17. Juni 1953; wir stehen kurz vor dem 47. Jahrestag. Hier kann ich ein ganz konkretes Beispiel anführen: Der damals 20-jährige Bauarbeiter, der der Streikleitung angehörte und wegen – wie es so schön hieß – „provokatorischer Losungen“, die die Arbeiter aufwiegelten und der Verbreitung von Lügennachrichten des RIAS fünf Jahre im Gefängnis verbrachte, musste nicht nur das erleiden, sondern hat heute eine um 50 DM geringere Rente als der Arbeiter, der damals brav zu Hause blieb. Ich kann den Satz nur noch einmal wiederholen: Je länger im Widerstand, umso geringer ist die Rente. Je länger staatstragend gearbeitet wurde, umso höher fällt die Rente aus. Das ist bittere deutsche Realität im Jahre 10.
Aufgabe der Politik ist nun, diese Gerechtigkeitslücken zu schließen. Wir haben in Berlin schon einige Initiativen dazu gestartet. Ich erinnere nur an die bevorzugte Einstellung von politisch Verfolgten bei gleicher fachlicher Qualifikation. Dies ist aber nur ein Weg. Wir haben auch versucht, eine Ehrenpension in Höhe von 1 400 DM monatlich einzuführen. Dies ist im Bundesrat gescheitert, weil zu wenige mitgemacht haben. Diese 1 400 DM sind der Betrag, den Verfolgte des Nationalsozialismus erhalten. Wir werden mit einem Antrag über Entschädigungsleistungen für Zivildeportierte östlich von Oder und Neiße weiterarbeiten. Auch dort gibt es noch eine riesige Gerechtigkeitslücke. Wir werden prüfen, inwiefern eine Gleichstellung der Verfolgten nach dem Berliner Gesetz über die politisch und rassisch Verfolgten mit den Opfern der NS-Zeit möglich ist, um diese Opfergruppe vielleicht in Berliner Gesetzesregelungen aufzunehmen, um ihnen auf diesem Weg dort Vorteile gewähren zu können. Wir werden die Einführung eines Ausweises prüfen, der verbilligte Leistungen in staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen der Kultur, des Sports und des Verkehrswesen ermöglicht.
Die Lücke insgesamt können wir nicht schließen, aber wir wollen die Folgen von Ungerechtigkeit mildern. Das muss Linie unseres Handels sein.
Wir sind auch weiterhin für die Förderung von Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen. Dazu gehören nicht nur die in dem Bericht genannten, sondern auch diejenigen, die in der jüngsten Zeit etwas vernachlässigt worden sind, beispielsweise die Gedenkbibliothek. Wir sind dafür, dass die Funktion eines Landesbeauftragten beibehalten wird und dass die Arbeit eines Landesbeauftragten weitergeführt wird. Die CDU wird diese Arbeit weiterhin unterstützen. Sie aufzugeben oder eine Aufgabe in Erwägung zu ziehen wäre ein fataler Fehler und unverantwortlich gegenüber Betroffenen und nachfolgenden Generationen, für die die Erinnerungen an dieses grausame Kapitel jüngster deutscher Geschichte nicht verblassen darf! Danke!
Erteilt der Senat nicht nur in Bezug auf das Hochhaus, sondern auch in allen anderen Klinikbereichen der Charite´ Privatisierungen grundsätzlich eine Absage?