Zweitens: Am 27. Januar, also in wenigen Tagen, werden hoffentlich wieder viele Zehntausend an den zahlreichen Veranstaltungen teilnehmen, die anlässlich des Jahrestages der Befreiung des faschistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz als Aktionen gegen Neofaschismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus stattfinden. Der Präsident des Abgeordnetenhauses hat zu Beginn unserer heutigen Sitzung dafür eindringliche Worte gefunden, und die Fraktionen haben sich auch eindeutig und übereinstimmend geäußert. In diesem Zusammenhang würden wir es als ein wichtiges Zeichen betrachten, wenn das Abgeordnetenhaus die Verantwortlichen in den betreffenden Bezirken auffordern und stärken würde, diese dunkle Seite aus unserem öffentlichen Bild zu tilgen.
Drittens will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Gesetzes- und Verordnungslage zur Straßenbenennung in dem Sinne ändern, dass auch Namen gestrichen bzw. ersetzt werden können, die in einem „höchst widersprüchlichen Verhältnis“ – so heißt es dort – zu unserem demokratischen Gemeinwesen und seinen Traditionslinien stehen. Diese Ergänzungsvorschrift wurde dem Rat der Bürgermeister zugeleitet. Ganz sicher gibt es dort allen Anlass, ihr zuzustimmen. Wir haben im Zusammenhang mit dieser aus unserer Sicht lobenswerten Initiative der Senatsverwaltung vorgeschlagen, vor allem solche Namen zu prüfen, die im Traditionsbild des deutschen Nationalsozialismus einen hervorgehobenen Platz eingenommen haben.
Natürlich liegt es nicht in der Kompetenz von Abgeordnetenhaus und Senat, solche Veränderungen auf den Straßenschildern direkt herbeizuführen. Insofern zielt unser Antrag darauf ab, den entsprechenden politischen Willen des Abgeordnetenhauses zu bilden und die verantwortlichen bezirklichen Selbstverwaltungsorgane aufzufordern, anzuregen und im gegebenen Fall auch zu ermutigen und politisch zu unterstützen.
Und eine letzte Bemerkung: Das Thema der Straßenumbenennungen, auch der Umbenennung aus der Zeit des Faschismus belasteter Straßennamen, ist ja nicht neu in Berlin. Manche Peinlichkeit, die es heute noch gibt, ist entstanden, weil sich die Bevölkerung gewehrt hat; zumeist nicht aus inhaltlichen oder politischen, sondern vor allem aus finanziellen und organisatorischen Gründen. Und insofern finden wir es logisch, und das ist eben der dritte Teil unseres Antrags, dass, wenn es den politischen Willen zur Änderung solcher belasteter Namen von Straßen und Plätzen gibt und die Vertretungsorgane das beschließen, dann Schritte eingeleitet werden, die die finanziellen und die organisatorischen Belastungen der Bevölkerung minimieren bzw. in diesen Fällen vielleicht sogar völlig aufheben. Wir halten das für unumgänglich, um das politische Anliegen nun endgültig durchzusetzen. Denn um ein solches geht es. – Danke!
Schönen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr Dr. Lehmann-Brauns das Wort, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Auffassung meiner Fraktion ist dieser Schaufensterantrag heuchlerisch, auf jeden Fall ist er wahrscheinlich unzulässig. Die Antragsteller von der PDS wollen auch heute wieder von oben herab, ohne Rücksicht auf die Entscheidungskompetenzen der Bezirke, ohne Rücksicht auf das, was die Menschen wollen, hier sozusagen par ordre du Politbüro den Menschen sagen, was gut für sie ist. Damit schließen sie an eine alte, längst überwundene, schlechte DDR-Praxis an, Straßennamen – ich erinnere Sie daran – von oben herab zu ändern, ohne Rücksicht auf ihren historischen Bezug, ohne Rücksicht darauf, was die Menschen wollten. Es mag sein, dass es den einen oder anderen Namen auf den Straßenschildern auch in unserer Stadt gibt, der da nicht hingehört. Das mag sein. Aber wer Ja sagt zu dieser Demokratie und zu der Verfassung dieser Stadt, weiß, dass das eine Sache der Bezirke ist.
Und wer Nein dazu sagt, der kann sein Misstrauen an dieser Art Organisation der Demokratie offenbar schwer verbergen.
Drittens ist der Antrag auch heuchlerisch. Wenn man sich die Nachkriegsgeschichte der Stadt vor Augen hält, dann waren Sie es doch, die sich mit Macht und bis zuletzt, bis es nicht mehr ging, dagegen gesträubt haben, dass von den Straßenschildern die Namen der Diktaturen und Diktatoren verschwanden, die für die kommunistische Diktatur maßgeblich waren, die sie begründet hatten, die Mitläufer waren, die sie mit getragen hatten. Ich erinnere nur an drei Namen: Lenin, Grotewohl, Pieck. Es ist Ihnen nicht gelungen. Und heute versuchen Sie nun durch diese Volte, sich auf die andere Seite zu begeben. Es wird Ihnen nicht gelingen.
Ich sehe auch noch ein unausgesprochenes vermutliches Hauptmotiv hinter diesem Antrag, das Motiv nämlich, den Menschen im ehemaligen Ostteil zu suggerieren: Wir im Ostteil mussten unsere Straßennamen hergeben, und die im Westen müssen es nicht. Und damit versuchen Sie, einen Spaltpilz zu setzen in die inzwischen weitestgehend zusammengewachsene Stadt. Aber auch das wird Ihnen nicht gelingen. Ich glaube, insoweit ist Ihre Rolle ausgespielt.
Noch ein ernst gemeinter Rat, weil in ihrem Antrag Zwischentöne im Hinblick auf den Rechtsradikalismus auftauchen: Es gibt viele Leute, auch in Ihrer Partei, der PDS, die meinen, dass an den rechtsradikalen Einzelheiten die frühere DDR, die geleitet war von der SED, nicht unschuldig ist. Deshalb ist mein Rat der: Missbrauchen Sie diese Situation, diese Analyse nicht durch fruchtlose und unzulässige Anträge. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr LehmannBrauns! – Das Wort für die Grünen hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende Wieland, bitte schön!
Herr Präsident! Vielen Dank für die freundliche Begrüßung. – Meine Damen und Herren! Herr Dr. Zotl! Ich habe eben nach Ihrem Beitrag in der Verwaltungsreformdebatte, mitgerissen von Ihrem Reformschwung spontan gerufen: Berlin braucht mehr Zotl! – Aber ich muss auch sagen wie Herr Lehmann-Brauns: Diesen Antrag braucht niemand. Das ist wirklich ein starkes Stück, und ich weiß nicht, ob die Fraktionsspitze ihn mal durchgelesen hat; Ihre Namen stehen darunter. Es ist die Behauptung, über Rechtsextremismus konkret und vor Ort Aktivitäten zu entfalten, ihn konkret und vor Ort zu bekämpfen. Dann wird hier ein Antrag vorgelegt, der, selbst wenn er hier heute sofort beschlossen würde, gar nichts ändern würde – vor Ort nichts und konkret auch nichts. Denn zuständig, da hat Herr Lehmann-Brauns Recht, sind die Bezirke. Wir haben das gemeinsam immer verteidigt, z. B. als man hier die Niederkirchnerstraße umbenennen wollte; wir erinnern uns. Wir haben es auch verteidigt, als man die Klara-Zetkin-Straße umbenannt hat, und haben jedesmal gesagt: Das muss tatsächlich dann in den Bezirken vor Ort entschieden werden. Da haben wir nicht die Kompetenz.
Insofern ist es wirklich ein Schaufensterantrag. Es wird mit viel Emphase losgelegt, und dann wird zugegeben: Wir können nur appellieren. Wir machen Mut. – Wem wird denn Mut gemacht, wenn wir hier beschließen, guckt mal genauer hin? Mut müssen Sie da machen, wo es gewollt und gewünscht wird. Das hat es auch in Berlin im Westteil gegeben. Es hat auch positive Umbenennungen gegeben. Und Sie führen auch zwei Beispiele an, Karl-Hoefer-Straße und Seebergsteig, wo auch ich sage, da ist dringender Handlungsbedarf. Aber dann kommt ein solcher Quatsch, Herr Dr. Zotl, das muss ich Ihnen mal sagen, in dem Begründungsteil. Dann bleiben Sie ja nicht stehen bei dem, was Sie Bannerträger – das ist wohl mehr ein Begriff aus Ihrer Vergangenheit –
des Nationalsozialismus und des Antisemitismus nennen. Und dann geht es von den Bannerträgern zurück zu ihren Vorbildern, und da landen Sie dann schließlich bei Sedan. Da frage ich mich nur, warum Sie die Straße auslassen, in der Ihr geschätzter Fraktionsvorsitzender wohnt. Denn auch diese Straße ist nach einem geistigen Vorbild benannt, nach einem Mann, nach dem die Nazis ein Schlachtschiff benannt hatten. Darüber können wir heute mit so viel Preußen im Kopf mit Ihnen als altem historischen Materialisten einmal reden. Sie wollen die Flieger des 1. Weltkriegs „tilgen“, wie Sie in der Überschrift schreiben; in Tempelhof die Flieger des 1. Weltkriegs tilgen. Ich frage mal: Nach Lenin war dies ein imperialistischer Krieg auf allen Seiten. Diese Definition kennen Sie ja wohl noch. Lenin war sich nicht zu schade, die Hilfe des preußischen Generalstabs anzunehmen
und mit ihm zusammen die Oktoberrevolution zu beflügeln. Daran erinnern wir uns ja auch, das können Sie ja nicht alles aus dem Parteilehrjahr vergessen haben, geschätzter Herr Dr. Zotl.
Warum wollen Sie diese Namen tilgen und andere, die ganz offen von Berlin aus Angriffskriege geführt haben – wir haben die Reden von heute Vormittag noch im Kopf – nicht? Warum bleiben Sie bei Sedan stehen und gehen nicht zum Siebenjährigen Krieg beispielsweise zurück? Ich verstehe es nicht, ich finde es unlogisch. Ich finde das ganze Denken irgendwie – –
Ich muss mich jetzt zurückhalten. Das ganze Denken ist abenteuerlich, nun wirklich zu sagen: Wir erklären den Leuten im Wedding – da ist die PDS nun dank Gebietsreform zuständig –, gehen Sie mal hin; gehen Sie mal im neuen Bezirk Mitte in die Otavistraße und sagen den Leuten: Ihr wohnt aber in einer Straße, deren Umbenennung jetzt ansteht. Denn das ist nicht etwa nach einem netten afrikanischen Landstrich benannt, sondern das ist schlimmster Kolonialismus. So wird das hier von Ihnen ernsthaft vorgeschlagen, Dr. Zotl. Wer lesen kann, der muss das so verstehen, selbst diese Zeugnisse des Kolonialismus wollen Sie tilgen.
An dieser Stelle muss ich mich Herrn Dr. Lehmann-Brauns anschließen: Wer so wie Sie im Glashaus sitzt, der sollte hier sehr zurückhaltend sein! Der erste Satz Ihrer Begründung heißt:
Straßennamen, die nach historischen Persönlichkeiten und Ereignissen benannt sind, symbolisieren in der Öffentlichkeit, welche Traditionslinien des geschichtlichen Erbes sich die aktuelle Politik insbesondere verbunden und verpflichtet fühlt.
Der Begriff „aktuelle Politik“ bedeutet, Umbenennung jeweils nach dem, was politisch korrekt ist. Ich frage mich aber, wenn ich im Prenzlauer Berg, im neuen Bezirk Pankow beispielsweise den Volkspark Anton Saefkow verlasse, durch die John-SchehrStraße gehe – vorwärts immer, im Geiste Ernst Thälmanns – und dann in dem nach ihm benannten Park lande, ob ich mich dann im Erbe derer bewege, mit denen ich besonders verbunden bin und denen ich mich verpflichtet fühle. Fühlen Sie sich eigentlich noch, fühlt sich die PDS noch Ernst Thälmann besonders verpflichtet?
Das ist ganz heikel und eigentlich aberwitzig, was Sie hier offenbar ernsthaft zu Papier gebracht haben und empfehlen. Der eigentlich guten Sache tun Sie mit diesem aufgeblasenen Antrag leider einen großen Bärendienst. Das ist schade!
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Antragstellerinnen und Antragsteller! Kein Abgeordneter in diesem Hause – daran gibt es keinen Zweifel – ist für die Präsenz von Ehrungen des Militarismus, des Nationalsozialismus oder Antisemitismus in dieser Stadt.
Ebenso wenig brauchen unsere demokratisch gewählten Kollegen in den Bezirksverordnetenversammlungen Nachhilfe. Die Zeit der kollektiven Resolutionen und der entsprechenden Impulse von oben ist vorbei. Ist Ihnen nicht bewusst, dass moralische Zeigefinger gerade von Ihnen der Sache eher nicht dienen könnten, vor allem im Westteil der Stadt, wo sicherlich Änderungsbedarf in der Benennung von Straßen besteht.
Ende vorigen Jahres ist an den Rat der Bürgermeister ein Änderungsvorschlag zu § 5 des Bezirksstraßengesetzes gegangen – die Ausführungsvorschrift „Benennung“, die am 1. Januar 2001 in Kraft trat. Diese Änderungen sehen erweiterte Umbenennungsmöglichkeiten vor und verweisen ausdrücklich auf die nach heutigem Demokratie- und Geschichtsverständnis kritisch zu beurteilenden Namen im Berliner Straßenbild. Benennungen, auch Umbenennungen, sind grundsätzlich Bezirksaufgabe. Nur Übergeordnetes wird vom Senat entschieden.
Die Zuständigkeit liegt also in den BVVen. In diesen Gremien ist – ortsnah und mit der Mentalität der Bewohner vertraut – die geeignete Plattform, notwendige Änderungen voranzubringen. Hier liegt auch die Gelegenheit und die Pflicht für jede und jeden von uns, mitzuwirken. Es ist ein Feld, um Geschichtsbewusstsein für die Gegenwart praktisch werden zu lassen.
Die Straßennamenkarteien sind öffentlich zugänglich. Warum sollten nicht Schüler, Bürgervereine oder Interessenvertreter ermutigt werden, sich der Sache systematisch anzunehmen? Das kann in den BVVen durchaus auf den Weg gebracht werden.
Über offensichtlich krasse historische Fehlgriffe und ihre Relikte in Straßennamen und Ortsbezeichnungen wird sicher auch vor dem Hintergrund wachsender Sensibilität gegen Neofaschismus ein Konsens gefunden werden. Schwieriger schon dürften die Ableitungen von Leitbildern und Ideologien sein, die als geistige Wurzeln und Schlüsselereignisse der heute zutiefst abgelehnten Folgen Faschismus, Antisemitismus diese indirekt gutheißen. Vieles davon ist leider in das Selbstverständliche, in das Alltagsbewusstsein abgedrängt. In welcher Weise wäre es wieder zu problematisieren? Es ist zu bezweifeln, dass es je gelingen kann, historische Lügen, politische Irrtümer oder Personenehrungen von solchen, deren Biographien sich als brüchig erweisen, deren Handlungen uns heute nicht mehr verständlich sind, aus dem Kult- und Würdigungspotential der Straßenbenennungen zu bannen. Konsequent zu Ende gedacht, kommt man hier ins Uferlose. Wo soll man anfangen, wo aufhören? Müsste etwa das Nibelungenviertel in der Nähe des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde umbenannt werden? Oder plant die PDS demnächst etwa die Umbenennung der Karl-Marx-Allee, weil es von Marx massive antisemitische Äußerungen gibt? Oder soll es ein Ergebnis des „Preußenjahres“ werden, alles zu tilgen, was an Preußen erinnert? Es deutet sich an, welche Ausmaße dieses hier besprochene Problem annehmen könnte.
Aber neben der symbolischen und kultischen Ebene gibt es noch das praktische Problem, das sehe ich eher als sekundär an. Ich erinnere daran, dass kurz nach der Wende ratzfatz über 80 Umbenennungen im Ostteil der Stadt vorgenommen wurden. Hier gibt es Erfahrungen der Umsetzung, die man nutzen kann oder aus denen man lernen könnte. – Danke schön!
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/906 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr – federführend – und an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke! Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig so beschlossen.