Peter-Rudolf Zotl
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Senator Körting! Ich hoffe, nicht nur ich habe aufmerksam zugehört, sondern auch viele andere.
Mein Kollege Krüger hat schon auf das eigentliche Problem hingewiesen: Es gab den ersten Zwischenbericht der Expertenkommission, und völlig unabhängig, wie man zu den einzelnen Vorschlägen stand, konnte man feststellen: Es war ein Zwischenbericht, der in die richtige Richtung wies und der auch ziemlich radikale Vorschläge machte. – Und dazu gab es eine Stellungnahme des ehemaligen Senats. Auch die Stellungnahme ist in der Welt, und wir haben auf Widersprüche im Zusammenhang mit dieser Stellungnahme aufmerksam gemacht.
Wenn ich hoffe, dass viele gut zugehört haben, haben wir vor allen Dingen Ihre Absicht vernommen – Ihre Absicht und die Absicht Ihrer Verwaltung bzw. des Senats –, nicht so wie in dieser Stellungnahme des Senats vorzugehen, also im Prinzip Dinge, die man schon immer mal machen wollte, als positive Reaktion darzustellen und vieles andere abzuwehren und manches zu verschweigen, sondern alles, wie Sie mehrfach betonten, neu zu überprüfen. Dabei würden wir Sie gerne unterstützen, denn das ist der richtige Weg.
Der Regierende Bürgermeister sprach davon, dass wir eine Verwaltungsrevolution brauchen. Von einer Verwaltungsrevolution sind wir ganz sicher noch sehr weit entfernt, auch wenn wir es mit Vergnügen hören. Wir hören es nicht mit Vergnügen wegen des Wortes „Revolution“, sondern weil sich dahinter etwas ganz anderes verbirgt, was längst notwendig ist, nämlich dass die Gesellschaft, die Bürgerschaft insgesamt, gegenüber dem Staat, vor allem dem bisherigen Obrigkeitsstaat, gestärkt wird und ein Umwandlungsprozess in der Verwaltung tatsächlich passiert zu einer bürgerorientierten Dienstleistungsverwaltung. Das ist das Ziel der Verwaltungsrevolution, die Herr Wowereit nannte, und dass ist auch das, was möglicherweise mit dieser Verwaltungsreform zumindest annähernd erreicht werden kann.
Aber ein erster und wichtiger Schritt für eine wirkungsvolle Verwaltungsreform – ich bleibe jetzt wieder bei dem offiziellen Begriff – wäre, drei Dinge als untrennbare Einheit zu betrachten
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und auch zu behandeln. Das ist auch der Grund, weshalb Kollege Krüger unsere insgesamt positive Haltung zur Arbeit der Scholz-Kommission oder zur Überprüfung von Staatsaufgaben – um es von der Aufgabe her zu benennen – hier dargelegt hat. Das ist natürlich die konsequente Verwaltungsmodernisierung, über die wir hier schon oft gesprochen haben, das ist die Haushaltskonsolidierung und das ist die Staatsaufgabenkritik. Nur wenn diese drei Dinge gemeinsam gemacht, als sich gegenseitig bedingend dargestellt werden und mit der gleichen Ernsthaftigkeit, wird es zu den Zielen der Verwaltungsreform kommen, die, wie Herr Wowereit meinte, eigentlich eine Revolution darstellen könnte.
Insofern entspricht auch die jüngste Entscheidung des Senats – ich habe es gestern gelesen – auch unseren Intentionen, dass diese Kommission weiter arbeiten soll, obwohl sie von einem anderen Senat, einer anderen politischen Konstellation eingesetzt worden ist. Bis zur Vorlage des Endberichts sind noch weitere Teilberichte angekündigt: Es ist ein Bericht angekündigt zu übergreifenden Fragestellungen, der gesamte Bereich Jugend, Schule und Sport ist noch nicht dargestellt worden. Auch das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament, zwischen Parlament und Verwaltung und ähnliches mehr, so sind wir zumindest informiert, sollen noch von der Kommission betrachtet werden. Nach dem jetzigen Erkenntnisstand sind ziemlich eingreifende Vorschläge zu erwarten. Solche brauchen wir zuerst, völlig unabhängig davon, ob sie uns im Einzelnen passen oder nicht. In dieser Frage stimmen wir Ihrer Auffassung zu: Man muss dann sehr offen sein, und dann muss man sich politisch entscheiden.
Zugleich aber hat das Abgeordnetenhaus vor gar nicht langer Zeit einstimmig die Drucksache 14/1076 beschlossen. Das ist ein Antrag der PDS-Fraktion in der Fassung des Ausschusses für Verwaltungsreform, und es ist dann einstimmig hier beschlossen worden, dass der Senat – bezogen auf den ehemaligen Senat – noch einige Hausaufgaben machen und der „ScholzKommission“ noch wichtige Daten zur noch kritischeren Bewertung liefern muss, worin die Notwendigkeit und auch die Qualität der Tätigkeit der Hauptverwaltung besteht. So wird zum Beispiel in diesem Beschluss gefordert, einen Ausstattungsvergleich Berlins mit anderen Landesverwaltungen vorzunehmen. Es wird eine Wirtschaftlichkeitsanalyse des Einsatzes von Beamten und Angestellten gefordert. Es wird gefordert eine beispielorientierte Evaluierung von vollzogenen Trägerwechseln – ein Problem, worauf auch mein Kollege Krüger hingewiesen hat. Es wird gefordert, eine Vereinfachung des jetzigen Produktkataloges vorzuschlagen beziehungsweise die Ersetzung der vielen bisherigen Einzelprodukte durch Produktgruppen, also in sich geschlossener Verwaltungsabläufe, die man auch mit der Kosten- und Leistungsrechnung besser erfassen kann. Für die Erfüllung dieses Beschlusses ist als Termin der 30. Juni diesen Jahres gesetzt worden. Diesen Beschluss haben wir einstimmig gefasst. Als ein Vertreter der einreichenden Fraktion glaube ich im Einvernehmen aller zu sprechen, wenn ich sage, dass wir natürlich dem neuen Senat eine Terminverlängerung um ein, zwei, drei Wochen durchaus zustehen würden,
aber da auch in den Richtlinien der Regierungspolitik die Verwaltungsmodernisierung einen ganz zentralen Platz eingenommen hat – Stichwort Verwaltungsrevolution –, glauben wir, dass dieser Beschluss erfüllt werden sollte, denn er ist sowohl für die weitere Debatte in der Kommission als auch in der politischen und öffentlichen Debatte notwendig.
Wir würden gern, Herr Senator Körting, ausgehend von Ihren Aussagen, die zu viel Hoffnung Anlass geben, und Ihrer grundsätzlichen Verpflichtung, vieles noch einmal neu überprüfen zu wollen, unsere gemeinsame Aufmerksamkeit auf vier Aspekte richten. Das sind Aspekte, die Kollege Krüger zum Teil angeschnitten, zum Teil noch nicht angeschnitten hat. Erstens noch einmal die Frage der Leitbilddebatte. In der Stellungnahme des Senats heißt es, dass dieser Vorschlag prüfungswürdig sei, aber eigentlich sagt die alte Stellungnahme, dass es diese Debatte bereits gibt. Ich glaube, das ist falsch. Diese Debatte um ein wirkliches konzeptionelles Leitbild – eine Vision wurde heute Mit
tag in der Grundsatzdebatte gesagt – gibt es nicht. Was es gibt, ist viel Vorlauf. Es gibt die Berlin-Studie. Da teile ich persönlich nicht Ihren Eindruck, dass sie richtig in der öffentlichen Debatte ist, da habe ich eher den Eindruck – meine Fraktion fährt am Wochenende, Sonnabend, Sonntag, wie es sich gehört, außerhalb der Arbeitszeit, in Klausur und wir werden uns dort intensiv mit Autoren der Berlin-Studie auseinandersetzen, was Visionen, mögliche Leitbilder der Berlinpolitik darstellt –, dass einzelne Gruppen, einzelne Interessierte, dass wir uns hier mit dem Thema beschäftigen. Aber in der Öffentlichkeit, lese ich höchstens einmal in der einen oder anderen Zeitung die eine oder andere Stilblüte aus dem Bericht, den einen oder anderen skurrilen Vorschlag. Eigentlich wird die Öffentlichkeit eher dazu aufgefordert, darüber zu lächeln oder das nicht ernst zu nehmen. Das muss sich ändern in der öffentlichen Debatte.
Dabei hat Politik eine hohe Verantwortung. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode die Enquetekommission „Zukunftsfähiges Berlin“ gehabt, mit einer breiten Palette von Vorschlägen und wirklich konstruktiven Ideen. In Fortsetzung dessen gibt es wiederum eine Enquetekommission, die sich sehr stark mit dem Leitbild einer nachhaltigen, sozialen, demokratischen Entwicklung Berlins befasst. Ich denke, auch hier ist Material, ist Vorlauf vorhanden. Es gibt natürlich auch in den Abgeordnetenhausdebatten eine ganze Reihe von Vorschlägen seit Jahren, zum Beispiel zur Benennung und Erschließung innerer Wachstumsfaktoren, um Schluss zu machen – was heute auch in den Richtlinien der Regierungspolitik von uns beschlossen worden ist – damit, nicht immer diese Nehmermentalität zu entwickeln, sondern sich auf Potenzen, auf Faktoren zu besinnen, die vorhanden sind, und sie vor allen Dingen zu erschließen. Auch darüber führen wir mindestens seit 1992/93 in diesem Haus intensive Debatten. Aber diese Debatte als gesellschaftliche Debatte muss erst noch richtig begonnen werden. Dabei hat Politik – ich wiederhole mich – eine hohe Verantwortung.
Zweitens haben wir wirklich Probleme mit der Auffassung der Scholz-Kommission – ich spitze etwas zu –, dass die Hauptverwaltung gewissermaßen das Steuerungsorgan und die Bezirke das Vollzugsorgan sind und dass dort eingespart, dass dort gestrichen werden kann, dass dieses Aufgaben reduziert werden können. Ich denke, dazu zeichnet unsere Verfassung ein anderes Bild. Sie legt die staatlichen Hoheitsaufgaben fest und gibt dem Senat eine globale Steuerungsfunktion in gesamtstädtischen Aufgaben. Aber dann macht die Berliner Verfassung etwas, was vorbildlich ist – ich persönlich vertrete es immer in der Diskussion auch in anderen Landtagen, auch bei Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen –: die bezirkliche oder kommunale Zuständigkeitsvermutung. Aber die Realität in der Verteilung des Personals und der Personalkosten ist völlig dieser Verfassungslage entgegengesetzt. Zwei Drittel des Personals auf der Ebene der Hauptverwaltung, auf der Ebene der Bezirksverwaltung eine Fülle von Aufgaben. Bei der Aufgabenverlagerung aber sind völlig unzureichend personelle und finanzielle Ressourcen mitgegangen. Hier ist ein kritisches Überprüfen notwendig. Ganz wichtig ist es nicht nur, mit der Aufgabenverlagerung Personal und Finanzressourcen mitzugeben in die Bezirke; wir denken natürlich auch, dass es zunächst wichtig ist, mit der Verantwortung die Entscheidung mit zu liefern – in diesem Fall in die Bezirke.
Drittens glauben wir, dass die von der Scholz-Kommission geforderte politische und gesellschaftliche Debatte darüber in Gang kommen muss, was öffentliche Aufgaben sind und wer sie realisieren soll. Wir denken, dass dieses Debatte vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss. Wir denken schon, dass bei der Bestimmung öffentlicher Aufgaben vom öffentlichem Bedarf und den gesellschaftlichen Bedürfnissen ausgegangen werden muss. Der Deutsche Städtetag fordert, und wir sollten dem folgen, dass öffentliche Aufgaben nicht schlechthin als Nachteilsausgleich betrachtet werden, sondern als Lebensqualität für alle und zugänglich für alle – so hat er es definiert, gerade kürzlich Anfang Mai auf der 31. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages.
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Und aus dieser Sicht sollte deutlich formuliert werden – und das haben wir auch am Anfang dieser Großen Anfrage als ein Manko festgestellt, was in der Senatsstellungnahme überhaupt nicht versucht wird –, was unter diesen Bedingungen unbedingt durch den Staat bzw. die Kommune realisiert werden muss, wo es unbedingt diese öffentliche Aufgabe in staatlicher oder in kommunaler Trägerschaft geben muss.
Wir meinen auch, dass die Kostenfrage eine wichtige Frage ist, wir haben uns auch damit beschäftigt, haben Wissenschaftler eingeladen, die seit langen Jahren zu diesen Fragen arbeiten. Die weisen darauf hin, ein reiner Kostenvergleich – das Projekt kostet in staatlicher Trägerschaft soundsoviel und in privater oder gesellschaftlicher soundsoviel – reicht nicht. Bei den Kosten gibt es eine zweite Gruppe von Kosten, die sich Transferkosten nennen in der wissenschaftlichen Debatte, die Auftragsvergabe, die Schaffung von Bedingungen, die Kontrolle, die Normensetzung, die Standards zu erarbeiten usw. Daraus entsteht bei glühenden Befürwortern der Privatisierung unter der Verwaltungswissenschaft zumindest die Vermutung, dass die Annahme „privat ist billig“ nicht in jedem Falle zutrifft, sondern dass eine staatliche bzw. kommunale Trägerschaft durchaus preiswerter sein könnte. Auch hier meinen wir, eine solche Diskussion um Entstaatlichung brauchen wir, aber sie sollte realistisch und solide geführt werden.
Ich würde gerne, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis, noch einen Gedanken und einen Satz und eine Minute – darf ich?
Danke! – Weil Herr Senator Körting zu der ressortübergreifenden Folgenabschätzung und der Streichung der Vorschriftenflut sagt, seit seinem Studium wisse er das, und niemand mache konkrete Vorschläge: Die Senatsstellungnahme sagt ja grundsätzlich, klar, wir wollen es tun, die Senatskanzlei sei zuständig, sie solle das koordinieren. – Wir glauben, genau dieses Modell ist gescheitert, aber es wird immer wieder versucht. Die Verwaltung, ich sage einmal: die Ordnungsverwaltung, soll die Grundlagen ihres Handelns, die Verordnungen, die Gesetze usw. selbst einschränken und soll sie selbst evaluieren. Genau das ist in Berlin schon einmal gescheitert. Sie kennen diese Geschichte, die 2 500 Vorschriften, die über ein Jahr lang in den Senatsverwaltungen zur Disposition stand, und sieben wurden dann – ich glaube, es war Ende 1998 – zur Streichung vorgeschlagen. Genau das ist gescheitert. Es geht schon um das, was in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU, also des abgewählten Senats stand,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es darum geht, die Berliner Verwaltung zu einer konsequent bürgerorientierten Dienstleistungsverwaltung umzugestalten, in dem Sinn, in dem es auch der Kollege Nippert gesagt hat, dann passt hinsichtlich des grundsätzlichen Anliegens zwischen die PDS-Fraktion und den Innensenator kein Blatt Papier.
Doch wenn es darum gehen soll, auf der Hand liegende Missstände und Versäumnisse schönzureden, ist es mit der grundsätzlichen Übereinstimmung schon zu Ende. Mit Vollzug der Bezirksfusionen sind die neuen 12 Berliner Großbezirke keine, wie es im Thema der Aktuellen Stunde heißt, starken Dienstleister für die Bevölkerung und die Wirtschaft geworden. Die Gebietsreform ist nicht ein Beschleuniger dieses Prozesses, sondern eher ein beträchtlicher Bremsfaktor.
Da geht es nicht, Kollege Nippert, um Nörgeln und Kleinreden oder ungeduldiges Warten, sondern das ist eine realistische Einschätzung der entstandenen Situation. Ganz sicher wurde in den Bezirken vieles zu spät angegangen. Ganz sicher gab es auch die Praxis, dass anderes – z. B. die offenen Personal-, Organisations- und Strukturfragen – als wichtiger betrachtet wurden als beispielsweise die Errichtung weiterer Bürgerämter. Und ganz sicher gibt es auch Bremspotentiale gegen den angestrebten Wandel zur Dienstleistungsverwaltung. Das alles wollen wir gar nicht leugnen. Aber die zwei entscheidenden Gründe für die Blockadewirkung dieser Gebietsreform auf die Entwicklung einer bürgerorientierten Dienstleistungsverwaltung liegen in der Verantwortung des Senats. Zum Ersten wurden mit der Reform riesige Bezirke mit durchschnittlich 250 000 Einwohnerinnen und Einwohnern gebildet. Aber politisch sind diese Riesen Zwerge geblieben.
Es wurden zwar umfassende neue Aufgaben in die Bezirke verlagert, nicht aber das entsprechende Maß an Personal und Finanzen und vor allem an politischen und Entscheidungskompetenzen, letztere weder für die Bevölkerung dieser zwölf faktischen Großstädte noch für die BVV noch für die Bezirksämter. Starke bezirkliche Dienstleister, wie Sie im Thema der Aktuellen Stunde schreiben, können die Bezirke aber nur sein, wenn die Bedingungen stimmen, und diese stimmen nicht.
Die Bezirke haben zwar mehr Verantwortung erhalten, aber weiterhin wenig Entscheidungsfreiheit sowie immer weniger Budget. Dieser krasse Auseinanderfall von Verantwortung, Entscheidung und Budget macht das eigentliche Dilemma nach der Gebietsfusion aus. Und dafür – meine Damen und Herren von CDU und SPD – tragen Sie die Verantwortung.
Ein zweiter Fakt, für den Senat und Koalition verantwortlich sind: Gegenwärtig lesen und erfahren wir täglich, dass in vielen neuen Bezirken weder Verantwortlichkeiten noch Dienststellen geklärt, Telefonnummern und Umzugstermine nicht bekannt sowie Telefonnetze nicht kompatibel sind. Das neu eröffnete Bürgeramt in Treptow war überfällig, aber es ist wohl nicht wegen, sondern trotz der Gebietsreform zur Eröffnung gekommen. Ansonsten bieten die internen Personal-, Struktur- und Organisationsfragen, die allein durch die Gebietsreform entstanden sind, genügend Problemstoff, der – und zwar für lange Zeit – das Thema „Bürgernähe“ einfach verdrängen wird. Mehr noch: Die Gebietsreform wurde beschlossen, nachdem die Verwaltungsreform seit langem in Angriff genommen und Wichtiges bereits vereinbart und eingeleitet worden war. Jetzt aber gab es neue und dringliche Prioritäten, nämlich die Bildung neuer Bezirksämter mit weniger Posten, die Erbringung der von Ihnen als „schnelles
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Geld“ proklamierten fusionsbedingten Einsparkosten, den Abbau von Personal im Zuge der Ämterreduzierung, die Standortfragen für die Verwaltungsdienststellen, die vielfältigen Probleme in den Ost-West-Bezirken einschließlich der ungeklärten und ungerechtfertigten tarif- und beamtenrechtlichen Probleme.
Das wurde alles schon thematisiert. –
So haben Sie den latent vorhandenen Widerstand in Politik und Verwaltung gegen leistungsstarke Bürgerämter sowie gegen eine bürgerorientierte Verwaltungskultur quasi legitimiert, weil jede und jeder sich jetzt darauf berufen kann, etwas anderes tun zu müssen.
Doch die Ursachen dafür, dass die bürgerorientierte Dienstleistungsverwaltung auf dem besten Wege ist, eine zwar schöne, aber eben eine Utopie zu werden, liegen tiefer als allein in den Schwierigkeiten mit der Gebietsreform. Insofern ist auch die Beschwichtigung nicht angemessen, man solle nicht so ungeduldig sein, weil jedes „Jahrhundertwerk“ seine Anfangszeit brauche und seine Startprobleme habe. Es geht um Grundsätzlicheres. Erstens sitzen bei allen Beratungen und Entscheidungen zur Herausbildung einer bürgernahen Dienstleistungsverwaltung nur Binnenakteure, vor allen Dingen aus den Verwaltungen, am Tisch. Und bei der Sicht auf die Reformprozesse dominieren deren Binneninteressen. Das ist ganz natürlich. Nicht natürlich ist, dass die eigentliche Zielgruppe – die Gesellschaft, die Bevölkerung, bestimmte Vertretungen, die deren Interessen repräsentieren – nicht dabei ist. Deren Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse an eine bürgernahe Dienstleistungsverwaltung kommen immer nur dann auf den Tisch, wenn einer der Binnenakteure daran denkt, und das heißt im Umkehrschluss und in der Realität: Sie fallen viel zu oft u n t e r den Tisch.
Zweitens sind – da hat Kollege Nippert Recht – leistungsstarke Bürgerämter ein Eckpunkt in der bürgernahen Dienstleistungsverwaltung. Gerade deshalb ist es unverständlich, dass die existierenden Bürgerämter untereinander ein gravierendes Leistungsgefälle aufweisen; dass die formal verbindlichen Mindeststandards und nicht nur die Öffnungszeiten in nur 50 % der Bürgerämter erbracht werden; dass diese Mindeststandards wiederum nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der Verwaltungsinteressen und nicht der Bevölkerungsinteressen bilden. Gar nicht berechtigt aber ist die De-facto-Reduzierung von Bürgernähe und Dienstleistungsverwaltung auf die Bürgerämter.
Gerade im Jahr 2001, das die UNO zum Internationalen Jahr der Freiwilligen ausgerufen hat, sollten wir besonders sensibel dafür sein, dass wir zu viele und zu viele sich widersprechende Verwaltungsvorschriften haben, die in ihrem Gesamtgeist die Gesellschaft eher restriktiv reglementieren, bürgerschaftliches Engagement eher erschweren und ein Verwaltungshandeln bewirken, bei dem die Bürgerschaft nebst ihren Anliegen, Vorschlägen und Kritiken eher als Störfaktor denn als Souverän gesehen und behandelt wird. Genau das grundlegend zu ändern und spätestens bis Dezember 2000 – der ist vorbei! –, hatten CDU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen. Aber bislang ist nichts erfolgt. Und jetzt sind Sie auch noch dabei, einen PDS-Antrag, der sich genau auf diesen Punkt Ihrer Koalitionsvereinbarung beruft, abzulehnen.
Drittens wirkt sich sehr nachteilig aus, dass nach wie vor die betriebswirtschaftlichen Instrumente der Verwaltungsreform zu oft noch als Eigenwert gesehen und behandelt werden. Ein unrealistisch auf Vollständigkeit zielender Katalog von etwa 800 Einzelprodukten befördert nicht etwa, sondern behindert die notwendige flächendeckende Durchsetzung der Kosten-Leistungs-Rechnung – des wichtigsten Instruments zum effektiven und effizienten Umgang mit Steuermitteln in den Verwaltungen – und damit die Realisierung eines der wichtigsten Aspekte für eine bürgernahe Dienstleistungsverwaltung.
Viertens zeichnet sich der angestrebte Medienstandort Berlin durch ein äußerst bescheidenes – und das ist höflich ausgedrückt – Niveau bei der Nutzung der neuen Medien in den Ver
waltungen aus, wofür aber dennoch Unmengen von Steuergeldern ausgegeben werden. Das betrifft sowohl die Software innerhalb der Verwaltungsprozesse als auch das Angebot an die Bevölkerung zur Information über die Verwaltung und zur interaktiven Kommunikation mit den Verwaltungen. Hier ist die Berliner Verwaltung zum jetzigen Zeitpunkt mit wenigen Ausnahmen nicht nur nicht bürgerfreundlich, sondern arrogant und ignorant gegenüber den Interessen und Bedürfnissen der Bevölkerung.
Die erforderlichen Sofortschritte liegen auf der Hand. Es müssen schnellstens die Voraussetzungen dafür geschaffen werden,
−dass der Bevölkerung spätestens im Februar verlässliche Informationen über die Erreichbarkeiten und Verantwortlichkeiten in den neuen Verwaltungen übergeben werden können;
−dass wir sehr bald – am besten noch in diesem Jahr – die versprochene Zahl der 40 von den bis 2004 angestrebten 60 Bürgerämtern erreichen, eine Zahl, die allerdings schon 2000 – also vor den Fusionen – erforderlich gewesen wäre;
−dass die Meldestellenaufgaben, die ab Februar 2001 in die Bezirke übergehen, schnell in die Leistungsangebote der Bürgerämter integriert werden können;
−dass auch in Berlin der Behördengang per Internet noch 2001 zur Normalität werden kann, einschließlich der elektronischen Unterschrift und der Bezahlung der Verwaltungsgebühren am heimischen Computer;
−dass der Vorschriftendschungel umgehend gelichtet wird und die Vorschriften bürgerfreundlich gestaltet werden.
Dazu ist es notwendig, dass wir ehrlich und seriös den Stand und die Probleme einschätzen und – wenn Sie von der Koalition können – möglichst gemeinsam die Lösungen anstreben, die sich im Interesse der Bevölkerung als erforderlich erweisen.
Ich bin sofort fertig! – Und genau dafür geeignete analytische Grundlagen zu erhalten, ist der Sinn unseres Antrags: Was hat die Gebietsreform den Berlinerinnen und Berlinern wirklich gebracht?
Zurzeit jedoch erinnert mich das Bestreben, zu einer Erfolgsstory zu machen, was – noch – keine ist, fatal an jene Leute, die in einem schwarzen Raum eine schwarze Katze suchen, die aber gar nicht da ist, die aber dennoch lauthals immer wieder rufen: Ich hab’ sie, ich hab’ sie. Und das ist weder dem so wichtigen Anliegen einer bürgerorientierten Dienstleistungsverwaltung noch den realen Problemlagen angemessen. – Schönen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da es nun zweimal erwähnt worden ist, möchte ich es richtigstellen: Die Worte „arrogant“ und „ignorant“ sind von mir nicht in Richtung der Tätigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen verwendet worden. Ich habe sie vielmehr auf einen Punkt in einer Ursachenanalyse bezogen, und zwar in Bezug auf die Internetpräsentation der Berliner Verwaltungen so, wie sie sich bis heute darstellt.
In Berlin haben 50 % der Haushalte einen Zugang zum Internet. Der Umgang mit dem Internet ist eine wesentliche Seite einer bürgerfreundlichen Verwaltung. Es ist völlig normal und in Hunderten von Verwaltungspräsentationen in der Bundesrepublik üblich, dass ich als Bürger, der ein Anliegen hat, mein Anliegen eingebe und dann Informationen bekomme, wann, wo, wie und auf welche Art und Weise ich das erledigen kann. Wir haben diese Untersuchung gemacht und eine vielbeachtete Veranstaltung durchgeführt.
Gut! – Ein Satz noch: Wir haben eine Veranstaltung gemacht und das nachgewiesen. Wir haben es dokumentiert: In Berlin muss ich die sprachlichen Codes der Verwaltung und die Verwaltungssystematik – welches Amt macht was – beherrschen. – Das ist die Internetpräsentation. Das ist in dieser Form nicht nützlich, und das wissen alle Verantwortlichen seit Jahren. Dafür geben sie sehr viel Geld aus, aber sie ändern es nicht. Und nur in diesem Zusammenhang und nur bezogen auf diesen Prozess ist von mir diese Bemerkung gefallen. Das kann man im Protokoll und auch in meinem Manuskript nachlesen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt viele Gründe für diesen Antrag. Ich nenne hier drei: Erstens ist es einfach nicht mehr hinnehmbar, dass im 56. Jahr nach der Zerschlagung des deutschen nationalsozialistischen Systems in Berlin noch Straßen und Plätze an Personen und Ereignisse erinnern und so den Eindruck erwecken, als gäbe es im offiziellen Gedächtnis der Stadt – und dazu gehören die Straßen- und die Platznamen – irgendwo eine Nische der Ehrung von Nationalsozialismus und Antisemitismus.
Zweitens: Am 27. Januar, also in wenigen Tagen, werden hoffentlich wieder viele Zehntausend an den zahlreichen Veranstaltungen teilnehmen, die anlässlich des Jahrestages der Befreiung des faschistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz als Aktionen gegen Neofaschismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus stattfinden. Der Präsident des Abgeordnetenhauses hat zu Beginn unserer heutigen Sitzung dafür eindringliche Worte gefunden, und die Fraktionen haben sich auch eindeutig und übereinstimmend geäußert. In diesem Zusammenhang würden wir es als ein wichtiges Zeichen betrachten, wenn das Abgeordnetenhaus die Verantwortlichen in den betreffenden Bezirken auffordern und stärken würde, diese dunkle Seite aus unserem öffentlichen Bild zu tilgen.
Drittens will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Gesetzes- und Verordnungslage zur Straßenbenennung in dem Sinne ändern, dass auch Namen gestrichen bzw. ersetzt werden können, die in einem „höchst widersprüchlichen Verhältnis“ – so heißt es dort – zu unserem demokratischen Gemeinwesen und seinen Traditionslinien stehen. Diese Ergänzungsvorschrift wurde dem Rat der Bürgermeister zugeleitet. Ganz sicher gibt es dort allen Anlass, ihr zuzustimmen. Wir haben im Zusammenhang mit dieser aus unserer Sicht lobenswerten Initiative der Senatsverwaltung vorgeschlagen, vor allem solche Namen zu prüfen, die im Traditionsbild des deutschen Nationalsozialismus einen hervorgehobenen Platz eingenommen haben.
Natürlich liegt es nicht in der Kompetenz von Abgeordnetenhaus und Senat, solche Veränderungen auf den Straßenschildern direkt herbeizuführen. Insofern zielt unser Antrag darauf ab, den entsprechenden politischen Willen des Abgeordnetenhauses zu bilden und die verantwortlichen bezirklichen Selbstverwaltungsorgane aufzufordern, anzuregen und im gegebenen Fall auch zu ermutigen und politisch zu unterstützen.
Und eine letzte Bemerkung: Das Thema der Straßenumbenennungen, auch der Umbenennung aus der Zeit des Faschismus belasteter Straßennamen, ist ja nicht neu in Berlin. Manche Peinlichkeit, die es heute noch gibt, ist entstanden, weil sich die Bevölkerung gewehrt hat; zumeist nicht aus inhaltlichen oder politischen, sondern vor allem aus finanziellen und organisatorischen Gründen. Und insofern finden wir es logisch, und das ist eben der dritte Teil unseres Antrags, dass, wenn es den politischen Willen zur Änderung solcher belasteter Namen von Straßen und Plätzen gibt und die Vertretungsorgane das beschließen, dann Schritte eingeleitet werden, die die finanziellen und die organisatorischen Belastungen der Bevölkerung minimieren bzw. in diesen Fällen vielleicht sogar völlig aufheben. Wir halten das für unumgänglich, um das politische Anliegen nun endgültig durchzusetzen. Denn um ein solches geht es. – Danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wird mit diesem Gesetz zur Neuregelung der Zuständigkeiten des Landeseinwohneramtes eine Normalität hergestellt, wie sie nahezu überall üblich ist. Meldestellenaufgaben sind kommunale Aufgaben, und dagegen ist nichts einzuwenden. Wir wissen alle, dass die jetzige Regelung, die in Berlin mit der Konzentrierung auf die Landesebene noch vorherrscht, eine Regelung ist, die nach 1945 seitens der Alliierten getroffen worden ist – aus guten Grund: weil es um polizeiliche, um Meldestellenangelegenheiten usw. geht. Diese Gründe gibt es seit vielen Jahren nicht mehr. Alle Umfragen: Welche Leistungen hätten Sie gerne im Bürgeramt? – sie werden ja regelmäßig nach dem Verwaltungsreformgesetz gemacht – alle diese Umfragen sagen: Jawohl, wir wollen dort neben diesen und jenen und Auskünften und der Lohnsteuerkarte auch das Pass- und Meldewesen weitestgehend konzentriert haben, und das möglichst nach dem
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Prinzip der sogenannten Allzuständigkeit. – Dafür gibt es auch technische Lösungen. Dieses Bedürfnis war es – darin stimmen nahezu alle Fraktion überein –, weshalb wir im Verwaltungsreformausschuss gesagt haben: Jetzt, mit diesem Gesetz kann der erste Schritt getan werden, auch hin zur Allzuständigkeit, hin dazu, dass die Meldestellen auch in die Bürgerämter integriert werden, was ja mit dem Gesetz noch gar nicht der Fall ist. Da werden sie erst einmal kommunalisiert bzw. in die Bezirksämter delegiert. Das Gesetz sagt ja noch nichts in dem Sinne aus, dass die Aufgabe in die Bürgerämter kommen soll. Aber der Weg ist dazu offen, und das war der Grund, dass wir gesagt haben: Ja, wir wollen dieses Gesetz.
Die Fragen des Datenschutzes sind auch bei uns diskutiert worden. Wir haben uns in anderen größeren Städten umgesehen, wir haben über den Sommer eine Untersuchung über Bürgernähe der Berliner Verwaltung gemacht und haben das auch mit Erfahrungen anderer größerer Städte verglichen. In den dortigen Stadtbüros, Bürgerbüros, wo es schon lange üblich ist, dass alle Aufgaben in dem von mir beschriebenen Sinne aus einer Hand realisiert werden, sind solche Konflikte im Sinne des Verwertungsverbotes relativ selten vorgekommen. Wir haben das auch mit Fachleuten beraten und haben deshalb den Antrag gestellt, dass in jedem Bürgeramt, jedem Bürgerbüro, wo das möglicherweise koordiniert wird, einer der Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter als Datenschutzbeauftragter qualifiziert wird, um die dort auftretenden Einzelfälle im Laufe eines Jahres genau zu qualifizieren, Ratschläge zu geben, um dann möglicherweise gesetzliche Initiativen in dieser Richtung zu ergreifen. Aber wir haben uns auch in einer gewissen Weise beruhigt. Wir haben die Zahlen, den großen Bedarf gesehen. Und ich will Ihnen das sagen: In den nächsten zwei, drei Jahren werden in Berlin etwa 1 Million Personalausweise, nämlich alle aus Ostberlin, ablaufen; die 10 Jahre sind vorbei. In den nächsten Jahren wird es auch einen großen Bedarf geben, was Reisepässe, Führerscheine und dergleichen betrifft; dieser Bedarf, der gewissermaßen danach ruft, diese Aufgaben in Bürgerämter hineinzubringen und mit einer relativen Breite zu erfüllen.
Aber auf der anderen Seite haben wir uns beruhigt und gesagt: Wir haben Fachleute. Der Innenausschuss hat einen Unterausschuss Datenschutz.
Und da haben wir gesagt, selbstverständlich, dort müssen diese Vorschläge zur Datenschutz-Übergangsregelung beraten werden, die im Verwaltungsreform-Ausschuss keine Mehrheit fanden, die wir vorgeschlagen hatten. Wir verstehen es ganz einfach nicht, dass die Koalition diese Chance vertan hat. Und das ist der Grund, weshalb unsere Fraktion gewissermaßen ein doppeltes, ein unterschiedliches Stimmverhalten bisher gezeigt hat, die Zustimmung im Verwaltungsreform-Ausschuss und die Enthaltung im Hauptausschuss und im Innenausschuss. Und jetzt lese ich, dass in der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses das Einführungsdatum noch verlängert wird. Da ist es doch eigentlich das Normalste von der Welt, wenn wir einen solchen Konflikt haben in einer Sache, die eigentlich alle gemeinsam wollen, den Vorschlag der Grünen aufzugreifen, den Monat Januar zu nutzen, der steht noch zur Verfügung, und diese Datenschutzprobleme dort auszudiskutieren, auf Relevanz zu prüfen und anderes mehr.
Wir empfehlen also, diesem Vorschlag der Fraktion der Grünen zu folgen. Das wäre ein guter und ein gütlicher Weg zur möglichen Konfliktlösung, und den sollten wir nicht ausschlagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der POS stimmt diesem Antrag zu. Es geht darum, dass die wichtige Arbeit der Expertenkommission und die ganz wichtige und legitime Fragestellung der Kommission, auch wenn die Arbeit bereits begonnen worden ist, zumindest ergänzt wird durch einen wichtigen Teil der Akteure dieses Prozesses, die von der Staatsaufgabenkritik betroffen sind, den Beschäftigten, und die Forderung, die Gewerkschaften und Personalräte. den Hauptpersonalrat daran zu beteiligen, ist mehr als legitim. Zugleich ist dies die Forderung, die Debatte öffentlich zu führen, weil es eben nicht um irgendeine Form von Ungeduld geht, Kollege Brauner, sondern weil es um ein höchst sensibles Thema geht, welches nicht in der klassischen Art und Weise diskutiert werden kann, dass zunächst eine Gruppe etwas vorlegt und dann darüber gesprochen wird.
Zu den Ausführungen von Frau Werner möchte ich einige Anmerkungen machen, die die Argumente noch erweitern sollen.
Erstens - und das wissen wir alle - befinden wir uns im Prozess einer laufenden Verwaltungsreform, die mit gewaltigen Umstrukturierungen verbunden ist. Dazu kommt die Bezirksgebietsreform. Jeder von uns weiß, welche Komplikationen das mit sich bringt, damit alles bis zum 1. Januar 2001 auf die Reihe gebracht ist. Es laufen parallel dazu ganz intensive. aber auch zähe Abschichtungsverhandlungen also was wird von der
Hauptverwaltung aufdie Bezirke im Einzelnen abgeschichtet, mit welchen finanziellen und welchen personellen Ressourcen. ln (D) dieser Situation. in der ohnehin schon ein Konfliktbündel vorhanden ist, wird die- ich sage es noch einmal- völlig legitime Frage der Staatsaufgabenkritik gestellt und wird diese Expertenkommission mit der Zielstellung eingesetzt. so etwa im September bereits erste Ergebnisse vorzulegen - von Mai bis September. Das bedeutet unter Umständen in diesem Problembündel eine grundsätzliche Infragestellung sehr vieler Aufgaben, die gerade abgeschichtet, neu strukturiert, neu verteilt oder gebündelt werden in der Neustruktur der Bezirke. Das kann. wenn es nicht miteinander verbunden wird, eine Konterkarierung des Prozesses der Verwaltungsreform werden und ist nur vereinbar- hier teilen wir völlig die Intention des Antrags der Fraktion der Grünen -, wenn alle Akteure beteiligt sind, auch wenn der eigentliche Prozess der Arbeit bereits begonnen hat.
Ein zweites Moment, aufdas ich aufmerksam machen möchte: Es gibt einen Einsetzungsbeschluss von Anfang März dieses Jahres durch den Senat. ln diesem elfzeiligen Einsetzungsbeschluss wird sehr viel Lyrik verkündet, aber ein Satz, der letzte, ist ganz konkret. Da heißt es:
Diese Kommission soll Vorschläge erarbeiten für einen wirkungsvollen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung durch den Abbau von Aufgaben.
An anderer Stelle wird bereits die Erwartung geäußert, dass das für die Haushaltsberatungen 2001 relevant werden muss. Auch hierzu sagen wir: auch das ist legitim, selbstverständlich, Aufgaben abzusenken. Es ist auch ein Recht des Steuerzahlers. der die Verwaltung finanziert. Sie ist sehr teuer, es muss Leistung kommen, man muss sparsam mit den Mitteln umgehen. Aber es besteht doch - hier sind wir doch nicht blauäugig - die reale Gefahr, dass in dieser Situation der Staatsaufgabenkritik einfach Aufgaben - Frau Werner, Sie haben das Papier der Innenverwaltung gelobt, es ist ja nur ein Diskussionspapier, wir loben es nicht, weil es in dem Papier nicht um das Verhältnis geht, in welchem Maße Staat und Gesellschaft Aufgaben übernehmen, sondern darin einfach zusammengetragen ist, was woanders auch getan wird. es sich quasi um ein Möglichkeitsbündel han
Dr. Zoll
(A) delt -verlagert, abgelagert werden aus staatlicher, kommunaler
Hand, wie es im Einsatzbeschluss heißt und das so die Nichtrealisierung auch der gewerkschaftlichen Forderung nach einem mittel- und langfristig tragfähigem Personalkonzept legitimiert wird.
Und ich möchte drittens noch anmerken, dass im Einsetzungs
beschluss gefordert wird, dem neuen Bild staatlicher und kom· munaler Tätigkeit zu entsprechen. Das ist pure "Lyrik''. Ein solches Bild gibt es noch nicht. Das diskutieren wir ja die ganze Zeit. Es gibt eine Debatte, und in dieser Debatte schälen sich zwei Momente des neuen Bildes staatlicher und kommunaler Tätigkeit heraus: Eine Komponente ist die Dienstleistungsver· waltung für die Gesellschaft und die andere ist ein die Gesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger aktivierender Staat.
Ja. ich bin sofort fertig. -Aber wenn es darum geht, so intensiv in das Beziehungsgeflecht zwischen Staat und Gesellschaft zu zielen - und das ist mit Staatsaufgabenkritik verbunden -. dann muss doch nicht nur der Staat, dann muss doch auch die Gesellschaft am Tisch sitzen und so früh wie möglich mitreden können.
Aus diesen Gründen stimmen wir diesem Antrag zu, und wir befürworten auch den Antrag auf sofortige Abstimmung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor knapp einem Jahr – Sie werden sich vielleicht daran erinnern – erfolgte hier in diesem Haus die Verabschiedung des 3. Verwaltungsreformgesetzes, des Verwaltungsreformgrundsätzegesetzes. Und seit der Veröffentlichung im Amtsblatt – etwa auch zu dieser Zeit – ist dieses Gesetz in Kraft. Dieses Gesetz hatte eine sehr schwere Geburt. Es hat über zwei Jahre gedauert; es hat auch eine namentliche Wandlung vom 2. zum 3. Verwaltungsreformgesetz und vor allen Dingen eine inhaltliche Metamorphose erfahren müssen.
Aber das hatte nichts mit den Fragen zu tun, die heute zur Debatte stehen. Damals hatten wir die Befürchtung – und wir glauben, dass sich diese nach wie vor noch nicht erledigt hat –, dass mit der Erhöhung der Kompetenzen und vor allen Dingen der Übertragung des Budgetrechts an die Leistungs- und Verantwortungszentren, also an Organisationsformen in der Verwaltung, keine adäquate Stärkung der Bezirksämter und vor allen Dingen der Bezirksverordnetenversammlungen einhergeht, und dass damit eine Verschiebung der Gewichte innerhalb der bezirklichen Selbstverwaltungseinheiten erfolgen kann. Das war der Grund, weshalb wir damals diesem Gesetz nicht zustimmen konnten.
Zum anderen aber haben wir auch nicht gegen das Gesetz gestimmt, weil wir sowohl die Grundidee der Verwaltungsreform als eben auch die Momente der Bürgerorientiertheit und der Bürgernähe, die in diesem Gesetz enthalten waren, als positiv und richtig bewerteten und bewerten. Das betrifft vor allen Dingen § 3 dieses Gesetzes.
Genau diesen § 3 mit seinen einzelnen Absätzen haben wir in den Mittelpunkt unserer Großen Anfrage gestellt. Denn dieser § 3 ist überschrieben mit „Bürgerorientiertheit“. Dort geht es darum, dass die Bürgerorientiertheit gewissermaßen als zentraler Grundsatz des Verwaltungshandelns definiert wird. Es geht darum, dass Bürgerinnen und Bürger durch Befragungen regelmäßig Einfluss nehmen sollen auf den Gang und auf die Entwicklung der Verwaltung. Es geht darum, dass die Antragsbearbeitung, die Vorschläge, die Ideen, aber auch die Kritiken zügig, in ganz kurzen Zeiten, bearbeitet und viele Bürgeranliegen möglichst in den Sprechzeiten realisiert werden sollen. Es geht auch darum, dass leistungsstarke Bürgerämter eingerichtet werden sollen, einschließlich der uns bekannten Experimentierklausel, dass Meldestellenaufgaben des Landeseinwohneramtes in Bürgerämtern untergebracht werden können und dass nach einem Jahr etwa darüber berichtet werden soll. Auch das ist jetzt alles so etwa im zeitlichen Ablauf.
Darüber hinaus haben wir zwei Fragen gestellt, die sich aus essentiellen Positionen der Koalitionsvereinbarung ergeben, die sowohl die gesamte Frage der bürgernahen Behördenstrukturen im Zuge der Gebietsreform als auch das Thema Einsetzung einer Expertenkommission zur Durchforstung des Verwaltungsdschungels betreffen. Diejenigen, die schon länger in diesem Parlament sind, wissen, dass das 1997 schon einmal versucht worden ist. Damals hatte der Senat an die einzelnen Senatsverwaltungen den Auftrag gegeben, alle 2 500 Verwaltungsvorschriften zu durchforsten und zu entscheiden, was man noch braucht und was man ersatzlos streichen kann. Alle wussten, dass eigentlich viele zu streichen sind. Am Ende kamen aber nach einem Jahr sieben gestrichene heraus. Das ist ein blamables Ergebnis. Wir finden es richtig, dass die Koalition gesagt hat: Auf diesem blamablen Ergebnis darf man nicht sitzen bleiben. Es muss eine Expertenkommission heran, die das durchforstet.
Wir bewerten also den § 3 und auch die übrigen Aussagen des Verwaltungsreformgrundsätzegesetzes zu Fragen der Bürgerorientiertheit als ganz wichtigen Schritt – nicht als den einzigen, aber als wichtigen Schritt – in die richtige Richtung, um Bürgerorientiertheit, Transparenz und möglichst auch mehr Demokratie im Verwaltungshandeln durchzusetzen. Wir haben Interesse an der Durchsetzung des § 3 und der darüber hinausgehenden Vorschriften. Insofern meinen wir, dass die Antworten auf die Große Anfrage und die Debatte dieser Großen Anfrage – deshalb haben wir sie auch ins Plenum und nicht in den Ausschuss gebracht – uns Aufschluss und analytisches Material für weiteres parlamentarisches Handeln geben kann. Es war das Parlament als Ganzes, das die Verwaltungsreform beschlossen hat und das auch in einer Entschließung zu Beginn der 13. Legislaturperiode beschlossen hat, dass Bürgernähe und Bürgerorientiertheit zentrale Orientierungspunkte dieser Verwaltungsreform sein müssen. Das Parlament muss sich auch damit beschäftigen; deshalb haben wir es hier eingebracht.
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Für uns ist das Hinterfragen der Aussagen und der Festlegungen zu Bürgernähe und Bürgerorientiertheit aus fünf Gründen wichtig; ich will sie hier anführen. Eigentlich müsste das gar nicht ins Gesetz, denn eigentlich ist Bürgerorientiertheit im Verwaltungshandeln eine Selbstverständlichkeit. Es müsste eine Selbstverständlichkeit sein; es ist aber keine Selbstverständlichkeit. Denn nach wie vor wird das Problem der Bürgerorientiertheit, der Bürgernähe, des Dienstes und der Dienstleistung am Bürger und an der Bürgerin so behandelt, als sei es eine besondere Gunst, als sei es ein gewisser Gnadenakt von Behörden gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber das ist nicht so. Und um mich im betriebswirtschaftlichen Ansatz der Verwaltungsreform auszudrücken: Die Bürgerinnen und Bürger haben mit ihren Steuern die Verwaltung bereits bezahlt, und sie haben viel bezahlt, und sie haben sie – was heutzutage überhaupt nicht üblich ist – im Voraus bezahlt. Sie haben nicht das Recht auf einen Gunsterweis, sie haben das Recht darauf, dass Verwaltung bürgernah und bürgerorientiert arbeitet.
Diese Selbstverständlichkeit zur Alltäglichkeit werden zu lassen, dafür bietet das Gesetz günstige Ausgangsbedingungen, und das wollen wir hinterfragen.
Ein zweiter Grund ist, dass diese Verwaltungsreform – und das sagen alle, auch die Befürworter der Verwaltungsreform – zu einseitig und zu sehr eine Binnenreform ist. Auch die guten Instrumente wie Zielvereinbarungen, Kontrollsysteme usw. bis hin zur Budgetierung richten sich stark auf das interne Verwaltungshandeln. Die Tatsache, dass hier eine Reform stattfindet, die für die Bürgerinnen und Bürger etwas bringen kann, übersetzt und realisiert sich stark über das, was in § 3 über Bürgerorientiertheit und vor allen Dingen über die Bürgerämter genannt worden ist. Wir meinen, dass man diesen Widerspruch zwischen der Binnenausrichtung der Verwaltungsreform in ihrer Praxis und der Bürgerorientiertheit als Potenz auflösen muss. Das ist der zweite Grund, weshalb wir das Problem hinterfragen.
Der dritte Grund besteht darin, dass durch die Haushaltsmisere, aber auch durch den vorgelegten Haushaltsplan diese Ansätze und vor allem der Ansatz Bürgeramt zur Zeit außerordentlich gefährdet erscheinen. Wir wissen alle – und kennen die Aussagen der Innenverwaltung –, dass es etwa um Anschubfinanzierungen von insgesamt 14 Millionen DM geht, wenn das Ziel erreicht werden soll, bis zum Jahr 2004 etwa 60 Bürgerämter einzurichten. Das ist eine sehr gute Sache. Wir wissen auch, dass dann eine Erklärung des Senats zu Beginn der Haushaltsdebatte und noch vor Vorlage des Haushaltsplans erfolgte, in der gesagt wurde, es sollen etwa 3,5 Millionen DM freigesetzt werden. Dann erlebten wir, wie das alles im vorgelegten Haushaltsplan gestrichen war. Dann ist der Innensenator in den Verwaltungsreformausschuss gekommen und hat darum gebeten, ihn zu unterstützen und die Haushälter in den Fraktionen zu animieren, nicht gleich wieder den Finger heraufzulegen, wenn man Geld innerhalb des Innenhaushalts zusammenkratzt, etwa 2 Millionen DM. Da haben wir gesagt: Die Sache ist ganz furchtbar, aber das werden wir auf jeden Fall unterstützen. – Nun haben wir mit großer Zufriedenheit zur Kenntnis genommen, dass die Fraktionen übergreifend im Hauptausschuss erklärt haben, man wolle doch etwa auf 12 oder 14 Millionen DM Anschubfinanzierung kommen; sie sollen eingestellt werden. Aber es ist eine Aufforderung an den Senat, es ist kein Auflagenbeschluss, und die Situation scheint – auch wenn wir nicht so in den internen Prozessen stecken – so zu sein, dass der Innensenator möglicherweise erst einmal im Regen steht und dass die Bereitschaft, das freizuschaufeln, was jedem einzelnen Politikfeld nutzen würde, weil es den Bürgerinnen und Bürgern nutzt, sich zur Zeit offensichtlich gegen Null hält.
Und 4. haben wir Grund, diese Fragen zu stellen, weil es offensichtlich eine Tendenz gibt, wichtige inhaltliche Instrumentarien der Verwaltungsreform formal abzuhandeln. Ich erinnere einfach an die Zielvereinbarungen, die ein wirkliches Vertragsinstrument sein könnten, die aber in vielem – zumindest die, die uns bekannt sind – unkonkret sind, allgemein sind usw.
Aber jetzt müssen wir doch alle ein Interesse daran haben, dass es am 1. Januar 2001 mit Bürgerorientierung, mit Bürgernähe usw. nicht noch schlechter wird, sondern dass das, was im Gesetz beschlossen ist, was seit einem Jahr gültig ist, auch greift. Und da haben wir noch ein Dreivierteljahr Zeit, über die Defizite zu reden, über die Konfliktstellen zu reden, und das wollen wir heute tun.
Letzter Satz: Wir werden zur nächsten Tagung des Abgeordnetenhauses ein Antragspaket, ein Gesetzespaket einreichen, das über diese im Gesetz festgelegten Schritte hinaus geht, wo es um verbindliche bezirkliche Bürgerentscheide geht, wo es auch um Änderungen im Wahlrecht für die BVV geht, wo es um Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, aber auch um die Erweiterung der Rechte der BVV und der einzelnen Verordneten geht. Das werden wir einreichen, weil wir meinen, das gehört genauso dazu, um den ganzen Ansatz Bürgernähe – Bürgerorientierung zu komplettieren, wie – was wir auch bis zum Jahr 2004 noch angehen müssen – das politische Bezirksamt. – Herzlichen Dank!