Gerade im Jahr 2001, das die UNO zum Internationalen Jahr der Freiwilligen ausgerufen hat, sollten wir besonders sensibel dafür sein, dass wir zu viele und zu viele sich widersprechende Verwaltungsvorschriften haben, die in ihrem Gesamtgeist die Gesellschaft eher restriktiv reglementieren, bürgerschaftliches Engagement eher erschweren und ein Verwaltungshandeln bewirken, bei dem die Bürgerschaft nebst ihren Anliegen, Vorschlägen und Kritiken eher als Störfaktor denn als Souverän gesehen und behandelt wird. Genau das grundlegend zu ändern und spätestens bis Dezember 2000 – der ist vorbei! –, hatten CDU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen. Aber bislang ist nichts erfolgt. Und jetzt sind Sie auch noch dabei, einen PDS-Antrag, der sich genau auf diesen Punkt Ihrer Koalitionsvereinbarung beruft, abzulehnen.
Drittens wirkt sich sehr nachteilig aus, dass nach wie vor die betriebswirtschaftlichen Instrumente der Verwaltungsreform zu oft noch als Eigenwert gesehen und behandelt werden. Ein unrealistisch auf Vollständigkeit zielender Katalog von etwa 800 Einzelprodukten befördert nicht etwa, sondern behindert die notwendige flächendeckende Durchsetzung der Kosten-Leistungs-Rechnung – des wichtigsten Instruments zum effektiven und effizienten Umgang mit Steuermitteln in den Verwaltungen – und damit die Realisierung eines der wichtigsten Aspekte für eine bürgernahe Dienstleistungsverwaltung.
Viertens zeichnet sich der angestrebte Medienstandort Berlin durch ein äußerst bescheidenes – und das ist höflich ausgedrückt – Niveau bei der Nutzung der neuen Medien in den Ver
waltungen aus, wofür aber dennoch Unmengen von Steuergeldern ausgegeben werden. Das betrifft sowohl die Software innerhalb der Verwaltungsprozesse als auch das Angebot an die Bevölkerung zur Information über die Verwaltung und zur interaktiven Kommunikation mit den Verwaltungen. Hier ist die Berliner Verwaltung zum jetzigen Zeitpunkt mit wenigen Ausnahmen nicht nur nicht bürgerfreundlich, sondern arrogant und ignorant gegenüber den Interessen und Bedürfnissen der Bevölkerung.
Die erforderlichen Sofortschritte liegen auf der Hand. Es müssen schnellstens die Voraussetzungen dafür geschaffen werden,
−dass der Bevölkerung spätestens im Februar verlässliche Informationen über die Erreichbarkeiten und Verantwortlichkeiten in den neuen Verwaltungen übergeben werden können;
−dass wir sehr bald – am besten noch in diesem Jahr – die versprochene Zahl der 40 von den bis 2004 angestrebten 60 Bürgerämtern erreichen, eine Zahl, die allerdings schon 2000 – also vor den Fusionen – erforderlich gewesen wäre;
−dass die Meldestellenaufgaben, die ab Februar 2001 in die Bezirke übergehen, schnell in die Leistungsangebote der Bürgerämter integriert werden können;
−dass auch in Berlin der Behördengang per Internet noch 2001 zur Normalität werden kann, einschließlich der elektronischen Unterschrift und der Bezahlung der Verwaltungsgebühren am heimischen Computer;
−dass der Vorschriftendschungel umgehend gelichtet wird und die Vorschriften bürgerfreundlich gestaltet werden.
Dazu ist es notwendig, dass wir ehrlich und seriös den Stand und die Probleme einschätzen und – wenn Sie von der Koalition können – möglichst gemeinsam die Lösungen anstreben, die sich im Interesse der Bevölkerung als erforderlich erweisen.
Ich bin sofort fertig! – Und genau dafür geeignete analytische Grundlagen zu erhalten, ist der Sinn unseres Antrags: Was hat die Gebietsreform den Berlinerinnen und Berlinern wirklich gebracht?
Zurzeit jedoch erinnert mich das Bestreben, zu einer Erfolgsstory zu machen, was – noch – keine ist, fatal an jene Leute, die in einem schwarzen Raum eine schwarze Katze suchen, die aber gar nicht da ist, die aber dennoch lauthals immer wieder rufen: Ich hab’ sie, ich hab’ sie. Und das ist weder dem so wichtigen Anliegen einer bürgerorientierten Dienstleistungsverwaltung noch den realen Problemlagen angemessen. – Schönen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Zotl, Sie haben das Wort Jahrhundertwerk in Ihrem Redebeitrag in Anführungszeichen gesetzt, wie viele Pressemitteilungen in den letzten Wochen. Aber ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass es nach meiner Kenntnis in Friedenszeiten – wir haben heute Morgen doch etwas viel über Krieg gehört – noch nicht so vorgekommen ist im Gebilde Deutschland, Bundesrepublik Deutschland, dass ein politisch-administrativer Bereich sich so radikal verringert. Wir haben die Anzahl der Bezirksamtsmitglieder um über ein Viertel verringert, und wir haben insbesondere die Führungsebene der Amtsleiter in den Bezirken allein fusionsbedingt halbiert und reformbedingt noch einmal halbiert. Und das hat nicht nur Gründe in der fiskalen Not Berlins, sondern es hat auch etwas damit zu tun, dass wir Reibungsverluste verringern wollen, dass
wir eine straffe Hierarchie in den Bezirken haben wollen und dass wir in den einzelnen Bezirken, in den einzelnen Dezernaten und selbstverständlich auch in den einzelnen Leistungs- und Verantwortungszentren genau das haben wollen: mehr Verantwortung; und Verantwortung im Sinne von Rechten und Pflichten, die auch wahrgenommen werden.
Meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen: Diese Reform ist keine isolierte Reform, sondern in einem ganzen Bündel von Maßnahmen verpackt, angefangen von der Verkleinerung dieses Hauses und des Senats über die Aufgabenverlagerung über die am 1. Februar zu den Bezirken kommenden Meldestellen und weiteren Durchführungsaufgaben, die in den kommunalen städtischen Bereich gehören und nicht auf Senatsverwaltungsebene verbleiben sollen. Da haben auch wir hier noch, insbesondere etliche Fachpolitiker von uns allen hier, einiges zu leisten. Das Ziel dieses ganzen Bündels von Maßnahmen ist durchaus eine Stärkung der bezirklichen Kompetenzen im Rahmen ihres verfassungsgemäßen Status, eben als Teil der Verwaltung. Aber was wir, die SPD-Fraktion dieses Hauses, auch mit gewollt haben: Wir wollten auch, dass Schluss ist mit diesem Schwarzer-Peter-Spiel. Denn dieses Spiel zwischen Hauptverwaltung und Bezirksverwaltung geht immer zu Lasten des Bürgers, zu Lasten eines Unternehmens, zu Lasten der Interessen von Bürgergruppen vor Ort. Wir kennen alle das Thema Fußgängerüberwege, Ampeln, Verkehrsberuhigung; das ist ein klassisches Schwarzer-Peter-Spiel, das weg muss. Klare Verantwortung heißt dann aber auch für die Bezirke, dass sie sich ihrer Verantwortung stellen müssen, so sie sie haben, auch gegenüber ihren Bürgern. Vielleicht fürchten das manche.
Natürlich gibt es Umsetzungsschwierigkeiten. Alle wissen Sie, wenn Sie eine neue Telefonanlage in Ihrem Rechtsanwaltsbüro oder wo auch immer installieren, gibt es Umsetzungsschwierigkeiten. Die funktioniert erst mal drei Tage nicht. Na und! Na und!
Natürlich müssen wir mit solchen Schwierigkeiten auch leben. Und ich glaube, die Berliner Bürger sind mündiger, als sich manch einer hier denkt, dass sie solche Geschichten auch vertragen können.
Viel wichtiger als solche technischen Schwierigkeiten finde ich – dessen müssen wir uns viel intensiver annehmen – die Verunsicherung der Mitarbeiter, die z. B. in der Mitarbeiterzeitschrift „direkt“ schreiben: Man weiß ja gar nicht mehr, welche Aufgabe, hier werden Aufgaben von oben umverteilt. – Genau das ist falsch. Und da sind die Führungskräfte in den Bezirken wirklich gefordert, da kann ich dem Kollegen Nippert nur zustimmen, da muss dann auch Führungsverantwortung in soziale Kompetenz umgemünzt werden, da muss der Dialog zwischen den Mitarbeitern und ihrer jeweiligen Führung noch stärker betont werden. Denn nur gemeinsam werden sie in der Lage sein, ihre Arbeiten zu schaffen.
Aber ich rufe auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen auf: Nutzen Sie die Chance, auch selber Verantwortung tragen zu können! Das kann wirklich motivieren. Und es bringt einem einen Freiraum, mit dem man sich in der eigenen Arbeit besser wiederfinden kann, und Arbeit kann vielleicht auch in der Verwaltung Spaß machen.
Ich bin der Meinung, für diese Kritik, die Sie, Herr Dr. Zotl, geäußert haben, ist es wirklich zu früh. Sie haben gerade mal zwei Wochen,
und deshalb müssen wir, was manche Probleme anbelangt, wirklich noch etwas Geduld haben. Und, Herr Dr. Zotl, das ist mir bei Ihnen gerade besonders in Ihrem Redebeitrag aufgefallen, wir müssen auch anfangen, darüber nachzudenken, an wen wir unsere Kritik richten. Denn viel von der Kritik, die Sie geäußert haben, ist an die Bezirke zu richten. Dort sollten auch, das ist meine feste Überzeugung, die BVVen selbstbewusster mit den Problemen vor Ort umgehen. Nur dann, wenn auch die BVVen
stärker ihre Verantwortung wahrnehmen, wir uns hier ein wenig zurückziehen, kann das Spiel auch funktionieren, so wie es idealtypisch angedacht wurde.
Lassen Sie mich ausblicken: Am 1. Februar kommen die Meldestellen in die bezirkliche Verantwortung. Sukzessive – da bin ich dankbar für die Nachricht aus dem Hauptausschuss – werden Bürgerämter eingerichtet werden, bis – so ist es geplant – am Ende dieser Legislaturperiode 60 in Berlin. Und auch hier sind in meinen Augen die Bezirke ganz besonders gefordert, mit Augenmaß und an den Kunden orientiert Bürgerämter einzurichten. Es macht keinen Sinn, drei große Bürgerämter rings ums Rathaus einzurichten, und in dem kleinen Ortsteil Müggelheim ist nicht eins. Nein, wir sollten darauf drängen, auch in unseren eigenen Bezirken, dass dort mit Vernunft, an den Kunden orientiert kleine Bürgerämter in die Randbereiche gehen. Nur das macht Sinn. [Beifall bei der SPD]
Und der weitere Ausblick wird sein: Es werden in Berlin auch Callcenter eingerichtet werden. Und natürlich wird Berlin online gehen, wie es in Neuhochdeutsch so schön heißt. Nur – lassen Sie uns doch mal bitte schön sehen, wie der Pilotversuch in Bremen ausgeht. Wenn der abgeschlossen ist, dann stehe ich dazu, dem Senat zu sagen: Und nun, liebe Leute, sofort in die Umsetzungsphase. Aber dafür sind Pilotprojekte vereinbart, dass sie erst einmal erprobt werden.
Sind die fusionierten Bezirke leistungsstarke Dienstleister für Bürger und Unternehmen? – Heute noch nicht. Aber sie sind auf dem Weg dazu. Ich denke, auch wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie es werden können. Ich denke, die Bezirke, die neuen genauso wie die alten, mit neuen Aufgaben, müssen sich und ihre Aufgaben noch finden. Sie müssen ihre Mitarbeiter finden und die Mitarbeiter sich selber in den neuen Gebilden. Ganz wichtig in meinen Augen ist, dass die Bezirke viel stärker als bisher miteinander kommunizieren und dass sie auch die Rechte, die wir in der letzten Verfassungsänderung von 1998 verstärkt haben, selbstbewusst wahrnehmen.
Ich finde, wir sollten auch unsere Mitbürger, die Bürger dieser Stadt, die Unternehmen dieser Stadt, die Vertreter der Verbände auffordern, konstruktive Kritik an den Bezirken zu üben; warum nicht? Kundenmonitoring von Seiten der Bezirke wäre eine hilfreiche Maßnahme, schneller herauszukriegen, die Interaktion zwischen Kunden und Dienstleister zu beschleunigen. Aber wir sollten auch, sage ich hier, Nachsicht einfordern mit Umsetzungs- und Übergangsschwierigkeiten.
Das Abgeordnetenhaus sollte sich stärker aus Bezirksangelegenheiten heraushalten und mehr seine Verantwortung als gesamtstädtisches Parlament und Landesgesetzgeber wahrnehmen. Wir sollten aber unser Augenmerk auf die Entwicklungen in den Bezirken, insbesondere in Bezug auf Vergleichbarkeit und Gleichbehandlung, halten. Ich denke dabei auch an den Wertausgleich.
Das betrifft die Finanzzuweisungen, aber auch die Strukturvereinheitlichungen in allen Bezirken, die wir zumindest im Auge haben müssen. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Frau Flesch, für Ihren Beitrag! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Werner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Flesch! Ich glaube nicht, dass jetzt der Zeitpunkt für Kritik zu früh ist, denn wir müssen den Status quo betrachten. Aber es ist auf jeden Fall zu früh für Jubelarien und Überschriften, die Berlins neue Bezirke in dieser verworrenen Situation als „leistungsstarke Dienstleister für Bürger und Unternehmen“ darstellen. Sie haben leider kein Fragezeichen hinter ihre Überschrift und das Thema der Aktuellen Stunde gesetzt.
Was meinen Sie eigentlich damit? Wollen Sie die Situation in den Bezirken nach der Fusion, die gerade einmal 18 Tage zurückliegt, mit diesem Titel beschreiben? Dann haben Sie allerdings die Überschrift gewählt, die am weitesten von der Realität entfernt ist.
Wir haben es bisher mit nichts anderem zu tun als der Verschiebung von Bezirksgrenzen, garniert mit ein paar Versprechungen zum Thema Bürgernähe. Von „modernen Dienstleistern“ kann überhaupt keine Rede sein. Wie steht es denn mit der Bürgernähe, mit der modernen Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürger? Der Innensenator geht überall herum und erzählt, die Bürgerämter seien „das Herzstück der Reform“. In der Werbebroschüre des Senats von 1998 kann man nachlesen, dass sich die Bürger künftig „einfach an das Bürgeramt in ihrer Nähe wenden“ sollen. Auch Abgeordnete sind Bürger. Haben Sie in Ihrer Nähe in letzter Zeit ein neues Bürgeramt entdeckt?
Wohl kaum – ich jedenfalls nicht. Es ist gerade dieses so genannte „Herzstück“, das der Senat vernachlässigt. Die Bezirke wollen diese Bürgerämter, aber es ist in der Praxis der Senat, der blockiert.
Seit zweieinhalb Jahren weiß der Senat, dass die Fusion kommt. Doch was ist in dieser Zeit geschehen? Wir haben jetzt seit Neuestem 25 Bürgerämter – geplant sind 60. Aber die jetzigen so genannten Bürgerämter sind zum überwiegenden Teil die alten Standorte in den alten Rathäusern, von denen wir bekanntlich 23 hatten. Es ist also nicht allzu viel hinzugekommen. Dafür muss man sich nicht selbst belobigen. Da sind neue Türschilder angebracht worden, mehr erst einmal nicht.
Wir benötigen aber in der Stadt die flächendeckende Verbreitung von Bürgerämtern, die dann wirklich wohnortnah gelegen sind und die einen umfassenden Service liefern. Andere Städte sind da sehr viel weiter als Berlin.
Nehmen wir die Standorte für die Bürgerämter. Das Konzept steht und fällt mit der wohnortnahen Versorgung. Es hat keinen Sinn, ein Bürgeramt einfach in ein leerstehendes öffentliches Gebäude in einer einsamen Gegend zu verbannen. Wir werden also auch um Anmietung an zentralen Punkten in der Stadt nicht herumkommen. Doch diese Anmietungen werden zurzeit vom Senat verzögert.