Protocol of the Session on January 18, 2001

Dies haben wir vorhin auf Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der SPD beschlossen. Ich rufe hierzu auch auf

Drucksache 14/924:

Antrag der Fraktion der PDS über was hat die Gebietsreform den Berlinerinnen und Berlinern wirklich gebracht?

Wird der Dringlichkeit des Antrags widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Wer beginnt für die Koalitionsfraktionen? – Herr Kollege Nippert beginnt. Bitte sehr, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Aktuellen Stunde, die vorhin begründet worden ist, möchten wir auf die Situation aufmerksam machen, dass zu Beginn dieses Jahres, das bekanntlich auch der Beginn eines neuen Jahrtausends ist, die Einheitsgemeinde Berlin eine neue Struktur hat. Ich sage hier bewusst „Einheitsgemeinde“ und nicht „Land Berlin“, denn es geht dabei um eine tief greifende Strukturveränderung der Kommunalstruktur in dieser Stadt.

Wir haben seit dem 1. Januar 2001 nur noch 12 Bezirke, die nach Fläche und Einwohnerzahl zwar noch unterschiedlich, aber doch stark angenähert sind. Das ist das Ergebnis eines langwierigen Verhandlungsprozesses – nach langer, langer Diskussion. Diejenigen, die diesem Hause schon länger angehören oder sich für dieses Thema interessiert haben, wissen, dass die Diskussion darüber in der Tat schon einige Zeit gelaufen ist.

Es hat auch genügend Bedenkenträger gegeben, Egoismen, die überwunden werden mussten, Eifersüchteleien und die Ansicht – ich gestehe, ich selbst war auch der Meinung –, man sollte die von uns allen gewollte und forcierte Verwaltungsreform nicht mit einer überlagerten Gebietsreform belasten. Ich kann mich gut an die Diskussionen in der letzten Legislaturperiode erinnern. Nachträglich muss ich gestehen, dass es richtig war, dass sich die Befürworter der Gebietsreform zum damaligen Zeitpunkt durchgesetzt haben.

Dass die Gebietsreform notwendig war und dass sie kommen musste, war ja weit verbreitet. Es ging schließlich nur noch um das Wie. Hier eine Lösung gefunden zu haben, die die meisten Vorbehalte auch in diesem Hauses auffing, die einen breiten Konsens zwischen Abgeordnetenhaus und Bezirken möglich machte, ist ganz eindeutig das Verdienst der großen Koalition in der letzten Legislaturperiode, nicht zuletzt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Man muss diese Dinge von Zeit zu Zeit in Erinnerung rufen, da sie im Laufe der Zeit in Vergessenheit zu geraten scheinen.

Wie sieht nun das Ergebnis dieser Reform aus? – Die neuen Bezirke haben annähernd gleiche Einwohnerzahl, sind flächenmäßig vergleichbar groß, haben weitgehend eine ausgewogene Infrastruktur. Und was wir für besonders wichtig und erfreulich empfinden: Zwei der neuen Großbezirke sind aus Bezirken über die trennende Mauerlinie hinweg entstanden. Soviel zu den äußeren Veränderungen, die man wohl zu Recht als „Jahrhundertwerk“ bezeichnen muss, allenfalls vergleichbar mit der Schaffung Großberlins vor über 80 Jahren.

Viel wichtiger für uns sind aber die strukturellen Veränderungen, die mit der Gebietsreform einhergehen, wenn sie auch nicht ursächlich durch sie begründet sind. Das ist die größere Eigenständigkeit der Bezirke und damit die erweiterte Verantwortung für die Bezirksämter und die Bezirksverordnetenversammlungen. Da ist die Verlagerung einer Fülle von Aufgaben von der Senatsauf die Bezirksebene, die einhergeht mit dieser größeren Verantwortung. Da ist jetzt mit der Gebietsreform die Zusammenlegung und dabei die Umstrukturierung der Ämter und Arbeitsbereiche durch die Schaffung von Leistungs- und Verantwortungszentren und die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung mit dem Ziel, Kosten transparent darzustellen, damit Vergleichbarkeit und damit wiederum Wettbewerb der Verwaltungen zu ermöglichen.

Im Übrigen ist der Kostenaspekt für uns nicht im Mittelpunkt der Gebietsreform. Für uns ist wichtig, dass die Bezirke ihre kommunale Verantwortung für den Bürger wahrnehmen können und wir sie dazu in die Lage versetzen. Aber – das ist natürlich nicht zu leugnen – die Haushaltssituation Berlins hat mit Sicherheit den Druck verstärkt, die Gebietsreform durchzuführen.

Für uns ist auch besonders wichtig, dass sich die Bezirke selbst als Dienstleister verstehen, d. h. auch in ihrem Selbstverständnis dazu kommen, dass sie Dienstleister für die Bürger und die Unternehmen sind. So haben wir auch unsere Aktuelle Stunde untertitelt. Es ist ganz klar, dass es dazu der Überzeu

gung der Mitarbeiter bedarf, die müssen sehen, wie es gehen soll. Und sie müssen es so wollen, wie wir es erwarten. Nach allem, was wir wissen, ist ein Großteil der Mitarbeiter mit auf dem Weg.

Aber natürlich bringt der Prozess auch Gefahren: Frustrationen, Rückschläge und sonstige Schwierigkeiten werden nicht ausbleiben, besonders nicht in der ersten Zeit. Die Opposition wird sicher die Möglichkeit finden und die Gelegenheit wahrnehmen, – auch in dieser Debatte – darauf hinzuweisen. Aber wir sollten das Ergebnis nicht kleinreden. Dass es Übergangsschwierigkeiten in einer Anfangsphase einer solch neuen Struktur in der Größenordnung geben wird, ist verständlich. Und es muss auch Verständnis dafür aufgebracht werden, dass es in einzelnen Bereichen noch nicht gleich läuft und es bei einzelnen Mitarbeitern eine Weile dauert, bis sie sich in der neuen Struktur zurechtgefunden haben. Das alles darf uns nicht daran hindern zu erkennen, dass mit dieser Gebietsreform – vielleicht ist das ein abgedroschener Begriff – der große Sprung nach vorn in diese Richtung gelungen ist.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wenn es dann zu Schwierigkeiten und zu Frustrationen kommt, dann ist es Aufgabe der Führungskräfte, die Mitarbeiter mitzunehmen und zu motivieren.

[Beifall der Frau Abg. Flesch (SPD)]

Gerade deshalb müssen Führungskräfte besonders sorgfältig ausgewählt und gegebenenfalls auch geschult werden. Vor allem muss unserer Überzeugung nach dem Aspekt Menschenführung bei der Auswahl von Führungskräften mehr Beachtung als bisher geschenkt werden. Nicht jede gute Fachkraft ist auch eine gute Vorgesetzte oder ein guter Vorgesetzter. Und häufig besitzt er oder sie nicht die notwendige Managementerfahrung, die wir von der neuen Form der Bezirke im Rahmen der Verwaltungsreform und von den Großbezirken schon lange erwarten müssen. Es gibt also noch viel zu tun.

[Niedergesäß (CDU): Packen wir’s an!]

Eine wesentliche Etappe ist mit der Bezirksgebietsreform geschafft, damit sind auch die Voraussetzungen geschaffen, dass die Bezirke sich unserer Erwartung gemäß zu starken Dienstleister für die Bürger Berlins entwickeln können. Ein wesentlicher Beitrag dazu ist die Schaffung von Bürgerämtern, in denen die Bürger einen Großteil der Anliegen erledigen können, wegen derer sie ein Amt aufsuchen. Das ist eine wirkliche qualitative Verbesserung des Services. An der Verbesserung der Öffnungszeiten dieser Bürgerämter müssen wir allerdings noch etwas arbeiten, wie wir gestern im Hauptausschuss erfahren mussten. Wir danken trotzdem dem Innensenator, dass er im vergangenen Jahr finanzielle Unterstützung der Bezirke für die Einrichtung von bis zu 60 Bürgerämtern zugesagt hat, wenn auch nicht ganz ohne sanften Druck des Hauptausschusses. Wie wir gestern in diesem Ausschuss erfahren konnten, geht die Einrichtung der Bürgerämter schneller als erwartet voran. Bis Ende des Jahres waren bereits 22 eingerichtet, bis Ende dieses Jahres werden weitere 20 bis 25 erwartet. Dies ist ein Zeichen, dass der Senat und die Bezirke die Wichtigkeit dieser Servicestationen für die Bürger erkannt haben, und dafür danke ich namens der CDU allen Beteiligten.

[Beifall bei der CDU]

Es zeigt aber auch, dass die Reform, wenn sie denn einmal stattgefunden hat, unmittelbare Ergebnisse und damit Verbesserungen für die Bürger zeitigen kann. Hier erwarten wir noch viel mehr. Wir müssen uns immer wieder darum bemühen, wenn der Bezirk Reformen unterliegt, wenn das Abgeordnetenhaus und der Senat Reformen einleitet und durchführt, dass diese auch wirklich dem Bürger dienen. Dies hier und heute noch einmal darzulegen, den Beteiligten, besonders auch den Mitarbeitern der Verwaltungen Dank zu sagen für die geleistete Arbeit und sie ermuntern fortzufahren, das war unser Anliegen in dieser Debatte. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Nippert! – Für die Fraktion der PDS hat Herr Dr. Zotl jetzt das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es darum geht, die Berliner Verwaltung zu einer konsequent bürgerorientierten Dienstleistungsverwaltung umzugestalten, in dem Sinn, in dem es auch der Kollege Nippert gesagt hat, dann passt hinsichtlich des grundsätzlichen Anliegens zwischen die PDS-Fraktion und den Innensenator kein Blatt Papier.

[Niedergesäß (CDU): Hört, hört!]

Doch wenn es darum gehen soll, auf der Hand liegende Missstände und Versäumnisse schönzureden, ist es mit der grundsätzlichen Übereinstimmung schon zu Ende. Mit Vollzug der Bezirksfusionen sind die neuen 12 Berliner Großbezirke keine, wie es im Thema der Aktuellen Stunde heißt, starken Dienstleister für die Bevölkerung und die Wirtschaft geworden. Die Gebietsreform ist nicht ein Beschleuniger dieses Prozesses, sondern eher ein beträchtlicher Bremsfaktor.

[Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Ach!]

Da geht es nicht, Kollege Nippert, um Nörgeln und Kleinreden oder ungeduldiges Warten, sondern das ist eine realistische Einschätzung der entstandenen Situation. Ganz sicher wurde in den Bezirken vieles zu spät angegangen. Ganz sicher gab es auch die Praxis, dass anderes – z. B. die offenen Personal-, Organisations- und Strukturfragen – als wichtiger betrachtet wurden als beispielsweise die Errichtung weiterer Bürgerämter. Und ganz sicher gibt es auch Bremspotentiale gegen den angestrebten Wandel zur Dienstleistungsverwaltung. Das alles wollen wir gar nicht leugnen. Aber die zwei entscheidenden Gründe für die Blockadewirkung dieser Gebietsreform auf die Entwicklung einer bürgerorientierten Dienstleistungsverwaltung liegen in der Verantwortung des Senats. Zum Ersten wurden mit der Reform riesige Bezirke mit durchschnittlich 250 000 Einwohnerinnen und Einwohnern gebildet. Aber politisch sind diese Riesen Zwerge geblieben.

[Niedergesäß (CDU): Naja!]

Es wurden zwar umfassende neue Aufgaben in die Bezirke verlagert, nicht aber das entsprechende Maß an Personal und Finanzen und vor allem an politischen und Entscheidungskompetenzen, letztere weder für die Bevölkerung dieser zwölf faktischen Großstädte noch für die BVV noch für die Bezirksämter. Starke bezirkliche Dienstleister, wie Sie im Thema der Aktuellen Stunde schreiben, können die Bezirke aber nur sein, wenn die Bedingungen stimmen, und diese stimmen nicht.

[Niedergesäß (CDU): Das muss sich doch einspielen!]

Die Bezirke haben zwar mehr Verantwortung erhalten, aber weiterhin wenig Entscheidungsfreiheit sowie immer weniger Budget. Dieser krasse Auseinanderfall von Verantwortung, Entscheidung und Budget macht das eigentliche Dilemma nach der Gebietsfusion aus. Und dafür – meine Damen und Herren von CDU und SPD – tragen Sie die Verantwortung.

[Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Das kann man doch so nicht sagen!]

Ein zweiter Fakt, für den Senat und Koalition verantwortlich sind: Gegenwärtig lesen und erfahren wir täglich, dass in vielen neuen Bezirken weder Verantwortlichkeiten noch Dienststellen geklärt, Telefonnummern und Umzugstermine nicht bekannt sowie Telefonnetze nicht kompatibel sind. Das neu eröffnete Bürgeramt in Treptow war überfällig, aber es ist wohl nicht wegen, sondern trotz der Gebietsreform zur Eröffnung gekommen. Ansonsten bieten die internen Personal-, Struktur- und Organisationsfragen, die allein durch die Gebietsreform entstanden sind, genügend Problemstoff, der – und zwar für lange Zeit – das Thema „Bürgernähe“ einfach verdrängen wird. Mehr noch: Die Gebietsreform wurde beschlossen, nachdem die Verwaltungsreform seit langem in Angriff genommen und Wichtiges bereits vereinbart und eingeleitet worden war. Jetzt aber gab es neue und dringliche Prioritäten, nämlich die Bildung neuer Bezirksämter mit weniger Posten, die Erbringung der von Ihnen als „schnelles

Geld“ proklamierten fusionsbedingten Einsparkosten, den Abbau von Personal im Zuge der Ämterreduzierung, die Standortfragen für die Verwaltungsdienststellen, die vielfältigen Probleme in den Ost-West-Bezirken einschließlich der ungeklärten und ungerechtfertigten tarif- und beamtenrechtlichen Probleme.

[Niedergesäß (CDU): Das Problem sehen wir auch!]

Das wurde alles schon thematisiert. –

[Beifall bei der SPD]

So haben Sie den latent vorhandenen Widerstand in Politik und Verwaltung gegen leistungsstarke Bürgerämter sowie gegen eine bürgerorientierte Verwaltungskultur quasi legitimiert, weil jede und jeder sich jetzt darauf berufen kann, etwas anderes tun zu müssen.

Doch die Ursachen dafür, dass die bürgerorientierte Dienstleistungsverwaltung auf dem besten Wege ist, eine zwar schöne, aber eben eine Utopie zu werden, liegen tiefer als allein in den Schwierigkeiten mit der Gebietsreform. Insofern ist auch die Beschwichtigung nicht angemessen, man solle nicht so ungeduldig sein, weil jedes „Jahrhundertwerk“ seine Anfangszeit brauche und seine Startprobleme habe. Es geht um Grundsätzlicheres. Erstens sitzen bei allen Beratungen und Entscheidungen zur Herausbildung einer bürgernahen Dienstleistungsverwaltung nur Binnenakteure, vor allen Dingen aus den Verwaltungen, am Tisch. Und bei der Sicht auf die Reformprozesse dominieren deren Binneninteressen. Das ist ganz natürlich. Nicht natürlich ist, dass die eigentliche Zielgruppe – die Gesellschaft, die Bevölkerung, bestimmte Vertretungen, die deren Interessen repräsentieren – nicht dabei ist. Deren Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse an eine bürgernahe Dienstleistungsverwaltung kommen immer nur dann auf den Tisch, wenn einer der Binnenakteure daran denkt, und das heißt im Umkehrschluss und in der Realität: Sie fallen viel zu oft u n t e r den Tisch.

Zweitens sind – da hat Kollege Nippert Recht – leistungsstarke Bürgerämter ein Eckpunkt in der bürgernahen Dienstleistungsverwaltung. Gerade deshalb ist es unverständlich, dass die existierenden Bürgerämter untereinander ein gravierendes Leistungsgefälle aufweisen; dass die formal verbindlichen Mindeststandards und nicht nur die Öffnungszeiten in nur 50 % der Bürgerämter erbracht werden; dass diese Mindeststandards wiederum nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der Verwaltungsinteressen und nicht der Bevölkerungsinteressen bilden. Gar nicht berechtigt aber ist die De-facto-Reduzierung von Bürgernähe und Dienstleistungsverwaltung auf die Bürgerämter.

[Beifall bei der PDS]

Gerade im Jahr 2001, das die UNO zum Internationalen Jahr der Freiwilligen ausgerufen hat, sollten wir besonders sensibel dafür sein, dass wir zu viele und zu viele sich widersprechende Verwaltungsvorschriften haben, die in ihrem Gesamtgeist die Gesellschaft eher restriktiv reglementieren, bürgerschaftliches Engagement eher erschweren und ein Verwaltungshandeln bewirken, bei dem die Bürgerschaft nebst ihren Anliegen, Vorschlägen und Kritiken eher als Störfaktor denn als Souverän gesehen und behandelt wird. Genau das grundlegend zu ändern und spätestens bis Dezember 2000 – der ist vorbei! –, hatten CDU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen. Aber bislang ist nichts erfolgt. Und jetzt sind Sie auch noch dabei, einen PDS-Antrag, der sich genau auf diesen Punkt Ihrer Koalitionsvereinbarung beruft, abzulehnen.