Protocol of the Session on October 12, 2000

Vielen Dank, Herr Senator Böger! – Wer weitere Fragen hat, möge jetzt drücken. – Der Schnellste war Herr Over.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Böger, es ist zwar sehr bedauerlich, dass Sie zentrale Auseinandersetzungen um demokratische Rechte der Jugend in den letzten 30 Jahren nicht mitverfolgt haben. Werden Sie sich jetzt auf den Stand bringen und diese ausgesprochen demokratieproblematische Situation der SVen in Berlin verbessern?

Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Over! Ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten: Es gibt ein Elend in der Diskussion, wenn man über die Fragen des Extremismus einen klaren Konsens hat, wie dies auch in Ihrer Fraktion deutlich geworden ist, und wenn dann parallel in Ihrer Frage eine komplette Verwischung von Realitäten dargestellt ist. Es kann selbstverständlich keine Rede davon sein, dass in den letzten Jahren – – Sie meinen bestimmt, in der Bundesrepublik Deutschland alt und neu. Hinsichtlich der DDR würde ich das anders sehen. Ich habe mich länger theoretisch mit der Schulwirklichkeit und der Freiheit der Meinungsäußerung dort beschäftigt. Wenn Sie diese gemeint haben, gebe ich Ihnen Recht. Diese Knebelung von Schülerinnen und Schülern wie in der DDR ist aber vorbei. Wenn Sie die Bundesrepublik Deutschland alt und neu gemeint haben, kann ich nicht erkennen, wie man in Fragen von Schülerorganisationen ernsthaft von „Demokratieunterdrückung“ reden kann. Wir leben offensichtlich – und das bedauere ich – in diesen zentralen Fragen in unterschiedlichen Wahrnehmungswelten. interjection: [Over (PDS): Das mag sein!] Man kann zu Recht darüber streiten, was Schüler resolutionieren können. Das ist die Frage des speziellen politischen Mandats. Das ist mir geläufig. Diese Frage ist aber nicht so hochrangig, dass ich sagen kann, jetzt sei Demokratie an sich im Verlust; diese Frage ist eine praktische. Im Übrigen betone ich noch einmal: Ich finde Zivilcourage – sie kann manchmal auch unangenehm sein – gerade in solchen Punkten außerordentlich positiv. Wir sollten nicht durch absurde Vergleiche gerade diesen wichtigen Punkt kaputtreden.

Vielen Dank, Herr Senator Böger! – Als Letzte hat die Frau Abgeordnete Thieme-Duske eine Frage.

Danke schön! – Herr Senator! Sie haben – nach meiner Auffassung ganz zu Recht – darauf hingewiesen, dass gerade in diesem äußerst sensiblen Punkt Zivilcourage, Gesicht zeigen außerhalb von Richtlinien, auch im Vorfeld von Disziplinarermittlungen, in den Schulen außerordentlich wichtig ist. Wie könnten Schulen im Vorfeld von disziplinarrechtlichen Konsequenzen noch agieren, um solche Vorfälle präventiv zu vermeiden?

[Frau Richter-Kotowski (CDU): Prävention ist immer besser!]

Vielen Dank, Frau ThiemeDuske! – Herr Senator Böger! Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Thieme-Duske! Sie haben in einer Zusatzfrage einen sehr umfangreichen, schwierigen und wichtigen Komplex angesprochen. Sie werden demnächst eine Aktuelle Stunde erleben zur Frage, wie man rechtsextreme Anschläge auf Synagogen angeht und vor allem bekämpft. Das ist ein bedeutender strafrechtlicher Teil, den diese Gesellschaft leistet. Den viel wichtigeren Teil haben wir jetzt in einem Fall diskutiert. Es ist ganz klar: Die Frage von Extremismus und rechtsextremistischen Einstellungen ist immer am nachhaltigsten im Bereich von Erziehung, Bildung und Jugendarbeit anzugehen, und zwar langfristig und dauerhaft. Es ist keine Alltagsaufgabe. Und als ein Teilmoment gehört dazu, dass man Schüler und Schülerinnen – übrigens auch Kolleginnen und Kollegen – dazu ermuntern muss, sich bei bestimmten Aussagen, die nicht hinzunehmen sind, zu äußern und den bzw. diejenige zu stellen und klarzumachen, dass man das Verhalten nicht hinnimmt. Das gilt in Lehrerzimmern und bei Kegelvereinen; das gilt in der Freizeit und auf der Arbeitsstelle – eben generell und nicht nur bei Feiertagsreden. So kann ich mir das vorstellen.

Ansonsten gibt es ein weites Feld in der Schule. Es gibt einmal den fachspezifischen Unterricht. Aber darüber hinaus gibt es den Schulalltag, die Schulwirklichkeit, die prägen muss. Und am wichtigsten ist der tägliche Umgang in der Schule. Wenn so etwas vorkommt, darf auch eine Direktorin oder ein Direktor nicht wegschauen, sondern muss das in den Konferenzen ansprechen. Die Behörde kann auf Grund der beamtenrechtlichen Sachverhalte zwar sehr kontinuierlich, aber nur langsam wirken. Wir müssen erst prüfen. Bei einem Disziplinarverfahren gibt es ganz bestimmte Rechte. Ich persönlich kann mich dann nicht mehr äußern, weil wir Beteiligte sind. Das Wirksamere ist, mit Schülern, Lehrern und Eltern gegen solche Vorfälle vorzugehen.

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Hoff (PDS)]

Vielen Dank, Herr Senator Böger! – Damit ist die dritte Mündliche Anfrage beantwortet. Die Frage Nr. 4 wurde zusammen mit Frage Nr. 2 gestellt.

Frau Abgeordnete Richter-Kotowski stellt nun die Mündliche Anfrage Nr. 5 zu

Schulhort der Papageno-Grundschule an freien Träger übertragen

Herr Präsident! Heute ist der Senat vollzählig. Daher tut es mir Leid, dass es offensichtlich zu einer Häufung der Fragen an Herrn Böger kommt. Nichtsdestotrotz frage ich den Senat:

1. Warum wurde die Übertragung des Schulhortes der Papageno-Grundschule auf den freien Träger „Pfefferwerk e. V.“ durch die zuständige Senatsverwaltung abgelehnt, obwohl mehr als die Hälfte der Erzieher den Wechsel zum freien Träger mitmachen würden?

(A) (C)

(B) (D)

2. Hält der Senat an dem Ziel noch fest, den Anteil von Plätzen bei freien Trägern zu steigern und diesbezüglich Übernahmen zu unterstützen?

Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete Richter-Kotowski! Ich beantworte Ihre Fragen wie folgt – ich ziehe Frage 2 vor:

Der Senat hält unverbrüchlich an seiner Auffassung fest, dass wir in Fragen der freien Trägerschaft zu einer 50/50-Ausstattung in den Bezirken kommen. Daran kann es keinen Zweifel geben.

In dem konkreten Fall gibt es insofern ein kleines Problem – jedenfalls wird es von meiner Verwaltung so gesehen –, dass hier eine schulische Anstalt und Konzeption an einen freien Träger gegeben wird. Das ist ein Systemproblem. Das nächste ist ein anderer Punkt: Meine Verwaltung arbeitet an einem sehr wichtigen Programm. Wir wollen erreichen, dass die verlässliche Halbtagsschule in ganz Berlin in der Wirklichkeit verlässlich wird und nicht nur vom Konzept her. Das heißt, dass man das in ganz Berlin durchsetzt. Und da gibt es „ministerielle“ Vorbehalte; man fragt: Warum macht er das denn da und da noch nicht? – Ansonsten beantworte ich Ihre Frage ganz unbürokratisch: Beim Lesen der Antworten aus meinem Hause ist mir eingefallen, dass ich sagen sollte: Ich werde diesen Vorgang noch einmal überprüfen.

Vielen Dank, Herr Senator Böger! – Frau Richter-Kotowski hat eine Nachfrage.

Herr Böger! Über den letzten Teil freue ich mich besonders. Das ist auch der Sinn von Mündlichen Anfragen im Plenum. – Nichtsdestotrotz: Meinen Sie nicht auch, dass einige Teile – Jugend- und Schulverwaltung sind nicht so weit voneinander entfernt – an dieser Stelle voneinander lernen könnten?

Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete Richter-Kotowski! Es ist so: Beim Ressortzuschnitt hat man nicht einfach nur gewürfelt und gefragt: Was passt noch zum Ressort Schule? – Die Überlegung, Schule, Jugend und Sport zusammenzufassen, war die Überlegung, dass diese Bereiche in bestimmten Punkten zusammenarbeiten – um nicht zu sagen zusammenkommen, nicht nur bei Betriebsfeiern. Das ist durchaus ein fruchtbarer Prozess im Hause, aber man kann ihn noch optimieren. Wir müssen gerade an dieser Fragestellung – ich kenne das Projekt relativ genau – noch einmal sehen, ob man zu einer Lösung kommt, ohne gleich die Grundsatzfrage zu thematisieren. Diese ist, ob freie, private, Träger etwas im Kontext von Schule übernehmen sollten, was bisher im Bereich von Kita so gesehen wird.

Daneben treibt uns die andere Frage um, dass wir in ganz Berlin ein solches System schaffen wollen und damit auch ressourcenschonend arbeiten müssen. Wir können nicht sagen: Wir geben alles nur an einen Ort. – Wir müssen sehen, dass wir vergleichbar gute Situationen haben. Aber ich sage Ihnen noch einmal: Ich überprüfe das gern noch einmal, ohne dass ich den Beamten Boshaftigkeit oder schlechte Arbeit vorwerfen wollte.

Vielen Dank, Herr Senator! – Eine Nachfrage von Frau Richter-Kotowski!

Herr Böger! Wie wollen Sie denn die Erzieher weiter motivieren, den Wechsel zum freien Träger zu vollziehen, wenn die Ministerialebene offensichtlich bereits Schwierigkeiten macht? Hier sind die Erzieher offensichtlich wesentlich weiter, als die Beamten es wollen.

Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Frau Kollegin Richter-Kotowski! Die Motivation der Erzieherinnen und Erzieher liegt immer in deren Arbeit selbst und nicht in der einzelnen Frage, ob übertragen wird oder nicht. Das wäre schlimm; dann wäre es keine intrinsische Motivation, sondern die Erzieherinnen und Erzieher wären nur motiviert durch die Frage, von wem die Arbeit bezahlt wird. Das kann ich nicht glauben. Ansonsten stecken dahinter auch noch einige Fragen, die ein Außenstehender nicht unbedingt vermutet. Es gibt Schlüsselzahlen, wie viel die Zuweisungen jeweils ausmachen. Das muss man im Einzelnen noch einmal angucken. Also noch einmal gesagt: Wir werden diesen Einzelfall zum Anlass nehmen, sowohl die grundsätzliche Frage zu besprechen, aber die Einzelfrage, ohne dass eine Grundsatzentscheidung damit vollzogen ist, noch einmal überprüfen.

Vielen Dank, Herr Senator! – Frau Jantzen! – Die Technik scheint nicht gut zu funktionieren. Jetzt steht Frau Dr. Barth als Erste hier. – Bei mir habe ich zunächst Frau Jantzen gesehen, dann sind Sie jetzt mit der Frage dran, Frau Jantzen!

Herr Senator Böger! Ist Ihnen eigentlich das Papier aus Ihrer Schulverwaltung bekannt, das da heißt „Jugendhilfe und Schule – Kooperationsformen entwickeln und stärken“, und die allgemeinen Aussagen Ihrer Verwaltung, dass die Schule sich öffnen soll auch in Richtung freier Träger?– Wie vereinbart sich dann eigentlich diese Ablehnung, einen Schulhort in freie Trägerschaft zu geben, um da wirklich mal Kooperation von Schule und Jugendhilfe in Schule dann auch konkret zu machen, mit diesen Papieren?

Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Ich habe Ihre Frage akustisch nicht ganz genau verstanden, und zwar die Einleitung nicht. So hatten Sie gesagt, ob mir Papiere aus meiner Verwaltung bekannt sind. Ich sage, in der Regel ja, glücklicherweise vielleicht nicht alle. interjection: [Heiterkeit]

Jetzt im Ernst: Dieses Papier, das ja die Maßnahme, die hier offensichtlich noch geprüft wird, eher anregt, ist ganz offensichtlich nicht in allen Teilen meiner Verwaltung, die mit dieser Frage befasst sind, bekannt. Das hebt wieder ab auf die Fragestellung, um die es vorhin schon mal ging: Es gibt ganz offensichtlich zwischen der Schul- und der Jugendverwaltung noch nicht ganz parallele Sichtweisen, und ich will mich bemühen, die dahin zu bringen.

[Frau Jantzen (Grüne): Das ist von Herrn Sommerlatte, Schulverwaltung!]

Wir werden dies noch einmal angehen. Ich verstehe diese Fragestunde ja so, dass zum Verwaltungshandeln ermuntert wird. Das ist Ihnen gelungen.

Vielen Dank, Herr Senator! – Als letzte Nachfrage Frau Dr. Barth!

Herr Böger, ich stimme Ihnen in vielen Positionen zu und gehe auch von der realen Situation aus, dass die Personalausstattung im offenen Ganztagsbetrieb oder im Schulhort eine andere ist als im Kitahort. Wenn jetzt die Übertragung an einen freien Träger erfolgt, haben Sie vor, die Personalverordnung aus dem Kitabereich auch im Schulhort einzuführen?

Herr Senator Böger!

(A) (C)

(B) (D)

Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Barth, Glückwunsch, Sie haben den ökonomischen und personalpolitischen Kern dieser Fragestellung exakt getroffen. Und da möchte ich in der Tat sagen, das muss man wirklich genau prüfen. – Es wäre für Sie schön, ich machte jetzt eine Generalzusage und -aussage, und nach drei Monaten halten Sie mir das vor die Nase. Das ist genau der Kern, deshalb prüft die Verwaltung. Das müssen wir uns noch einmal angucken.

Vielen Dank, Herr Senator Böger. Damit ist die fünfte Frage beantwortet.

Wir kommen jetzt zur Frage Nr. 6 der Abgeordneten Frau Sarantis-Aridas über

Beitritt Berlins zur Deklaration von Barcelona „Die Stadt und ihre Behinderten“

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Welchen Stellenwert misst der Senat der am 24. März 1995 verabschiedeten Deklaration von Barcelona „Die Stadt und ihre Behinderten“ zu, die bisher von 297 europäischen Städten unterschrieben worden ist?

2. Warum hat sich Berlin der Deklaration bis jetzt noch nicht angeschlossen, obwohl dadurch die Kontinuität der Behindertenpolitik des Senats seit 1991 deutlich gemacht werden könnte?