Protocol of the Session on June 14, 2019

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie B90/GRÜNE)

Zurück zum Antrag: Die Forderung nach Gewährung eines Fa milientages für berufstätige Eltern ist dem Kern nach soge nannter Zusatzurlaub, der ohne näheren Bedarfsbezug gewährt werden soll. In Deutschland prägt noch immer die 40-StundenWoche mit einer leider unbestimmten Anzahl von Überstunden das Normalarbeitsverhältnis. Wenn beide Elternteile zusam men 80 oder mehr Stunden die Woche arbeiten, lassen sich Fa milie und Beruf nur schwer unter einen Hut bringen. Da helfen auch drei bzw. sechs freie Tage pro Jahr wenig weiter.

Familien brauchen Flexibilität: Dazu können Heimarbeitsmo delle genauso gehören wie die Möglichkeit, Kinder auch mal zur Arbeit mitzubringen oder Besuche beim Arzt oder bei Be hörden zur Not auch in der Arbeitszeit zu erledigen. Bereits heute haben wir sozial- und tarifrechtliche Ansprüche, die be zahlte Freistellung von der Arbeit im Zusammenhang mit sozi

alen Verpflichtungen der Arbeitnehmer regeln - so zum Bei spiel bei Erkrankung von Kindern, Pflegeaufgaben und vielem mehr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind in erster Linie Tarif regelungen, die für eine ausgewogene Balance zwischen Ar beits- und Privatleben sorgen. Es ist nicht Aufgabe des Staates, familienfeindliche Arbeitsbedingungen zu subventionieren. Darum besteht keine Notwendigkeit für ein solches Landesge schenk, das Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung entlässt,

(Frau Lieske [SPD]: Genau! - Bischoff [SPD]: Ja! - Bei fall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

ein Geschenk, von dem Frau Bessin schätzt, dass es 56 Millio nen Euro kosten würde.

(Frau Bessin [AfD]: Das ist nicht geschätzt, sondern aus gerechnet!)

- Das ist ja noch besser. - Nur mal zum Vergleich: Ein weiteres kostenfreies Kitajahr würde in etwa 44 Millionen Euro kosten.

Was heißt das? Wir müssen eher über eine generelle Arbeits zeitverkürzung sprechen. Unser Ziel ist, dass den Menschen ermöglicht wird, neben dem Beruf Zeit für ihre Kinder, die Pflege der Eltern, das Engagement in der freiwilligen Feuer wehr oder in einem Sportverein zu haben - Zeit für all die Din ge, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Das ist genau der Trend der Zeit, wie die letzten großen Tarifabschlüsse zeigen, nämlich Arbeitszeitregelungen, die flexible Lösungen nach den sozialen Belangen der Arbeitnehmer und für Alltagsthemen er möglichen.

(Dr. Bernig [DIE LINKE]: Jawohl! - Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich bin überzeugt, dass sich dieser Weg in Zeiten des Fachkräf temangels auch so fortsetzen wird. Ein Beispiel hierfür sind die jüngsten Tarifabschlüsse von IG Metall und EVG, um nur zwei zu nennen: Die Kolleginnen und Kollegen haben erkämpft, dass sie in Zukunft die Wahl zwischen mehr Geld oder mehr Urlaub haben; die meisten haben sich im Übrigen für mehr freie Zeit entschieden.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen: Auch beim Thema Ar beitszeiten waren die Gewerkschaften wieder einmal Motor des Fortschritts. Ich bin überzeugt, dass sie das auch in Zukunft sein werden. Umso mehr wünsche ich mir, dass auch der zu künftige Landtag mehrheitlich an der Seite der Gewerkschaf ten stehen wird und die Politik in diesem Land auch weiterhin die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Mittelpunkt stellt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Auf die üblichen Abschiedsworte anlässlich meiner letzten Re de verzichte ich gerne und schenke Ihnen lieber die letzten zweieinhalb Minuten meiner Redezeit. - Vielen Dank und tschüss!

(Starker Beifall SPD, DIE LINKE, CDU sowie B90/ GRÜNE)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht die Abgeordnete Augustin für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her ren! Es sind nicht einmal mehr drei Monate bis zur Landtags wahl, und heute findet die letzte planmäßige Plenarsitzung statt. Der vorliegende Antrag macht deutlich: Der Wahlkampf hat begonnen.

Die AfD öffnet mit dem Antrag eine Schublade und präsentiert ein Geschenkpaket an die Familien im Land Brandenburg. Weitere sechs Urlaubstage für Behördengänge oder Arztbesu che - das klingt per se erst einmal richtig gut und ist gefälliges Wortgut für die Wählerschaft.

Neu ist dieses Wahlkampfmittel nicht, zog schon der damalige Landesvorsitzende Alexander Gauland dieses familienfreundli che Wahlgeschenk aus der Schublade und verkündete 2014 im Interview mit der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“, dass die Wiedereinführung des sogenannten Haushaltstages aus DDRZeiten überlegenswert sei, und - so kommentierte die „Märki sche Allgemeine Zeitung -, „buhlt[e] die eurokritische ‚Alter native für Deutschland‘ mit Anleihen bei der DDR-Familien politik um die Stimmen der Brandenburger“. „Es gibt ein Be dürfnis“, so sagte Alexander Gauland damals zur „MAZ“, „Dinge, die aus ideologischen Gründen abgebaut wurden, neu zu prüfen, ob sie nicht vernünftig waren.“

Im heute vorliegenden Antrag „Einführung eines Familienta ges für berufstätige Eltern“ der AfD heißt es: „Vor knapp 30 Jahren wurde der arbeitsfreie Haushaltstag in der DDR abge schafft. Nun soll dieser als moderner Familientag wieder ein geführt werden, jetzt aber für Mutter und Vater.“

In der Begründung des Antrags wird darauf verwiesen, dass die AfD mit ihrem Antrag gesetzliche Regelungen wiederaufgrei fen würde, die sowohl in der DDR ab 1952 als auch in einigen westdeutschen Bundesländern galten. „Die positiven Erfahrun gen aus der Vergangenheit sollen in die Neuregelungen einflie ßen und diese Entlastung sowohl Männern als auch Frauen zu gutekommen.“ So viel zu dem Geschichtsverweis der AfD in ihrem Antrag, der mich auf die Idee brachte - wahrscheinlich ähnlich wie den Kollegen Baer -, einmal in der Historie des immer mal wieder geforderten Haushaltstages, Behördentages oder in diesem Fall Familientages zu forschen. Hierzu kann ich nur jedem die Veröffentlichungen der Berliner Historikerin Ca rola Sachse nahelegen. Frau Bessin ist in ihrer Rede darauf ein gegangen, auch noch auf eine Zeit davor, auf 1890; und der Kollege Baer hat es bereits angesprochen: Der Zeitraum da zwischen wurde irgendwie ausgelassen, denn auch da gab es einen Haushaltstag.

Frau Sachse hat sich in einer viel beachteten Studie mit der na tionalsozialistischen Familienpolitik der Firma Siemens be schäftigt und ist dabei der Geschichte des deutsch-deutschen Hausarbeitstages nachgegangen. Ihr erstaunlichstes Ergebnis ist, dass dieser ursprünglich von den Nationalsozialisten zwi schen 1939 und 1942 etappenweise eingeführt wurde. Selbstre dend stand dieses Sonderrecht nur den arischen Frauen zu. Mit

der Einführung freier Haushaltstage wurde das Ziel verfolgt, möglichst viele Frauen für die Rüstungsindustrie zu rekrutie ren. Den Frauen standen bis zu zwei unbezahlte freie Tage zu, die in der sogenannten Freizeitanordnung 1943 auch gesetzlich verankert wurden.

In der DDR war der Haushaltstag ein monatlicher arbeitsfreier Tag, der es vor allem Frauen ermöglichen sollte, sich um Fami lienangelegenheiten zu kümmern. Und ja, auch in der Bundes republik gab es in einigen Bundesländern den Haushaltstag, wie es im Antrag der AfD heißt. Dort wurde er vor allem von der KPD gefordert.

Die sukzessive Einführung der Fünftagewoche, durch die der Samstag als Arbeitstag wegfiel, hebelte allerdings den An spruch auf den Hausarbeitstag im Westen dauerhaft aus, bis er 1979 auch vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Un gleichbehandlung zwischen Männern und Frauen verworfen wurde. Im Osten dagegen sorgte das zwar verbriefte, aber um strittene Recht auf den monatlichen Putztag - wie er auch ge nannt wurde - für Unruhe an der Haushaltsfront.

(Heiterkeit der Abgeordneten Nonnemacher [B90/GRÜ NE])

Gerade aber die flächendeckende Einführung der Fünftagewo che machte den Samstag zum Haushaltstag, und auch den Fakt, dass es dann mehr Urlaubstage als in der DDR gab, darf man, wenn man in die Geschichte blickt, nicht ganz ausblenden.

Zum Blick zurück gehört natürlich auch der Blick in die Ge schichte der nationalsozialistischen Zeit, wenn man sagt, dass man Dinge, die aus ideologischen Gründen abgeschafft wur den, neu bewerten möchte.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

So viel zum kurzen Einblick in die Historie des sogenannten Haushaltstages.

Nun aber einmal der Blick auf die Forderung des Antrages. Ja, für die Familien klingt die Forderung weiterer sechs Urlaubsta ge sicher gut. Wer sagt dazu schon Nein? Geschenke sind si cher immer schön. Allerdings ist der vorliegende Antrag ein reines Wahlkampfmittel. Um Familien zu unterstützen, gibt es andere Wege als die Einführung eines Familientages, die einen erheblichen Eingriff - auch darauf ist mein Kollege Baer einge gangen - in den Arbeitgeberbereich darstellt.

Auch weil es nunmehr weniger um den verpönten Putztag geht, sondern vielmehr um die Möglichkeit von Arzt- oder Be hördengängen, bleibt die Frage nach der Notwendigkeit und ob es der richtige Weg ist, diese durch zusätzliche Urlaubstage zu schaffen. Sollte gerade im Behördenbereich das Angebot nicht so gestaltet sein, dass es Arbeitnehmern möglich ist, nach der Arbeit vorzusprechen, und ist dies nicht vielerorts schon umge setzt? Auch hinsichtlich des Termins beim Zahnarzt oder wei terer Termine ist die Frage, ob sie nur durch die Einführung des Familientages abgedeckt werden können oder die Wahrneh mung nicht bereits jetzt durch halbe Urlaubstage möglich ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, Sie nennen es Fami lientag. Korrekt wäre es, diesen auch klar als zusätzlichen Ur

laubstag für Behördengänge zu benennen. Aber das klingt als Wahlkampfmittel sicherlich nicht so griffig. Wir lehnen ab. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht die Abgeordnete Nonnemacher für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Danke schön. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol legen! Viele Menschen sehnen sich nach mehr Zeit: berufstäti ge Eltern oder Berufstätige, die ihre alten Eltern pflegen, Men schen, die sich in ihrer Erwerbsarbeit und im Ehrenamt enga gieren. Aus einer eher philosophischen Perspektive betrachtet verlieren sich viele Menschen auch einfach in den vielen Mög lichkeiten, die ihnen die Freizeit zu bieten hat, und fühlen sich dadurch wie gehetzt. Zwischendurch wird medial immer mal wieder sogar von Schulkindern berichtet, die schon in Zeitnot seien. Ich möchte daher bereits zum Anfang sagen: Das Thema Zeitknappheit hat sehr viele Facetten.

Die AfD-Fraktion möchte mit ihrem Antrag eine einfache Ant wort auf dieses Lebensgefühl geben, und wie so oft greift sie ganz tief in die Mottenkiste der deutschen Vergangenheit. Die Nationalsozialisten führten 1943 einen monatlichen Hausar beitstag für Mütter von Kindern unter 14 Jahren ein. An dieser Altersgrenze der Kinder orientiert sich nun auch die Fraktion der AfD im Brandenburger Landtag. In den Leistungen in den Sozialgesetzbüchern gelten teilweise ganz unterschiedliche Al tersmaxima der Kinder. Kongruent und empirisch begründbar sind diese meist nicht, und auch die AfD begründet die Wahl der Altersgrenze nicht. Sie lehnt sich an die damals gewählte Regelung an. Dass aber nicht mehr 1943, sondern 2019 ist, an erkennt die AfD dann offenbar doch ein wenig, indem sie auch die Väter in die Regelung aufnehmen möchte.

Nun ist es aber so, dass die Sehnsucht nach Zeit eben nicht durch drei respektive sechs zusätzliche freie Tage gestillt wer den kann. Wir brauchen keine Antwort aus dem letzten Jahr hundert, als Familien- und Erwerbsarbeit noch völlig anders und deutlich patriarchaler organisiert waren als heute, und ja, das gilt auch für die ehemalige DDR, in der dieser Tag den Frauen vorbehalten war - übrigens ohne Altersgrenze der Kin der. Das war kein emanzipatorischer Akt, sondern ein gesetz geberischer Minimaltribut an die gewollte Berufstätigkeit von Frauen. Die Geschlechterrollen hat die DDR-Regierung damit sogar regelrecht zementiert.

Im 21. Jahrhundert brauchen wir dagegen einen ganzen Strauß an Antworten, und zwar solche, die in unsere Zeit passen. Digi talisierung kann für mehr Zeitsouveränität sorgen. Behörden gänge können online vorbereitet, und zukünftig kann ganz si cher vieles auch ohne Besuch des Amtes erledigt werden.

Das ist aber nur ein kleiner Baustein. Viel wichtiger sind Ar beitsmodelle, die den Beschäftigten mehr Möglichkeiten ein räumen, über das Wieviel, Wann und Wo ihrer Arbeitsleistung mitzubestimmen. Auch ein echtes Rückkehrrecht in Vollzeit kann berufstätigen Frauen und Männern ermöglichen, sich um

andere Menschen zu kümmern, ohne sich sorgen zu müssen, beruflich aufs Abstellgleis zu gelangen. Eine bundesgesetzli che Pflegezeit setzt hier an, ebenso wie eine Berücksichtigung von Pflege- und familiären Sorgezeiten bei der Berechnung der gesetzlichen Rente.

Ein weiterer Baustein wäre eine Weiterentwicklung der berufli chen Weiterbildung. Manchmal passen eine veränderte Le benssituation und die Erfordernisse des ursprünglich erlernten Berufes nicht mehr zusammen. Den Menschen hier über einen Aus- und Umbau des Systems der beruflichen Weiterbildung mehr Handlungsspielräume zu ermöglichen, ist nachhaltig und stärkt die Eigenbestimmung der Menschen.

Die Gewährleistung von drei bzw. sechs freien Tagen pro Jahr bedeutet kein Mehr an Selbstbestimmung und entspricht eher einer paternalistischen Grundhaltung.

(Beifall B90/GRÜNE)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht Frau Ministerin Karawanskij für die Landesre gierung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Mit schöner Regelmäßigkeit kom men solche Vorschläge auf den Tisch bzw. ins Plenum. So sympathisch dieser Vorschlag auf den ersten Blick scheinen mag, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vor allem jene mit Familienaufgaben, durch einige freie Tage für die Abstimmung von Behördengängen, Arztbesuchen oder Handwerksterminen zu entlasten, so wenig durchdacht ist er beim genauen Hin schauen.

Wir haben in der Debatte schon einige Argumente gehört. Zum einen ermöglichen bestehende Arbeitszeitregelungen bereits einige Flexibilität für die angedachte Terminfindung. Zum an deren gibt es Gleitzeitregelungen, die andere Freiräume er möglichen; der Abgeordnete Baer ist darauf eingegangen. Al len berufstätigen Müttern und Vätern ist bewusst, dass die Zeit immer zu wenig ist. Deshalb jetzt aber eine Gruppe der Berufs tätigen herauszunehmen und mit zusätzlichen freien Tagen zu bedenken halte ich für einen falschen Ansatz.

Meines Erachtens bräuchten wir eher Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Alltag. Auch wenn sich auf diesem Gebiet gerade in den letzten Jahren einiges getan hat, sind noch weitere Erleichterungen und Flexibilisierungen im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglich.

Zahlreiche Firmen - auch bei uns in Brandenburg - haben das bereits erkannt und reagieren darauf. Bei der Entscheidung für oder gegen einen Arbeitsplatz spielen die betrieblichen Rege lungen im Sinne von Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine große Rolle und gewinnen immer mehr an Bedeutung für die Familien. Diese Entwicklung zum großartig.