Protocol of the Session on May 15, 2019

Ich liege im Bett, hellwach. Nasse Kleidung, feuchte Haare.

(Frau Schade [AfD]: Oh, Wechseljahre!)

Durst, Zittern in den Gliedern. Das Gehirn schreit: „Ich will Zucker, jetzt! Ich arbeite, ich denke, sage nichts mehr.“ Die Muskeln schreien: „Zucker, los! Wir verweigern sonst den Dienst. Glukose, Magnesium - her damit!“ Der Nacken und die Schultern fangen an zu krampfen, ohne Zucker geben sie keine Ruhe. „Meine Güte“, denke ich, „Zucker her, wenigstens ein Löffelchen Marmelade!“ Blutzucker messen, langsam geht es wieder zurück ins Bett. Zwei Stunden sind rum. Am Morgen danach: völlig kaputt. - Was war das wieder?

Diabetes mellitus ist heimtückisch. Diabetes ist oft ein schmerzloser Begleiter, der genau deshalb unterschätzt wird. Andererseits schlägt er manchmal mit voller Wucht zu, wie ge rade beschrieben - so zum Beispiel in Potsdam, als ein ver meintlich Betrunkener stundenlang ohne jede Hilfe an einer Haltestelle saß. Der Grund war keine durchzechte Nacht, son dern Diabetes mellitus und Unterzuckerung. Diabetes Typ 2 wird als Volkskrankheit bezeichnet, die in hohem Maße von der sozialen Lage und damit verknüpften Risikofaktoren beein flusst wird. Das sagt die Deutsche Diabetes Gesellschaft. Das Auftreten der Krankheit wird durch ein Zusammenspiel von genetischen und erworbenen Risikofaktoren beeinflusst. Volks krankheit heißt aber auch: Je mehr es haben, desto weniger Beachtung gibt es. Es ist nichts Besonderes und erhält deshalb auch keine besondere Bedeutung. Das ist hochgradig gefähr lich, wie wir an dem Potsdamer Beispiel sehen.

Der Bericht zeigt: Die Häufigkeit von Diabetes mellitus Typ 2 ist in den vergangenen Jahren in Deutschland wie auch in Brandenburg gestiegen; meine Kollegen haben bereits darauf hingewiesen. Im Zeitraum von 2007 bis 2016 kam es zu einer Steigerung von 8,7 auf 11,5 %. Es zeigen sich deutliche Unter schiede zwischen den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten Brandenburgs.

Die Landesregierung nimmt durch verschiedene Aktivitäten und in Zusammenarbeit mit wichtigen Partnern mittelbar und unmittelbar Einfluss auf die Gestaltung der Gesundheitsförde rung und der Versorgung, so auch bei Maßnahmen zur Präven tion, Behandlung und Versorgung im Kontext vom Diabetes mellitus Typ 2. Das DMP - meine Kollegen haben auch darü ber schon gesprochen - gibt es im Land Brandenburg seit 2003, und es wird grundsätzlich flächendeckend angeboten. Vor dem Hintergrund, dass 1 454 Ärztinnen und Ärzte - vornehmlich Hausärztinnen und Hausärzte - diese strukturelle Betreuung

und die Koordinierung für die Patienten anbieten und wir weiteren Bedarf sehen, möchte ich die KV und die Kranken versicherungen auffordern, mehr bei den Ärzten zu werben, die wiederum bei ihren Patientinnen und Patienten für dieses Programm werben können.

(Beifall DIE LINKE)

Eine wichtige Aufgabe ist für mich vorrangig die Aufklärung über die verschiedenen Risiken. Die Deutsche Diabetes Gesell schaft sagt, dass besonders bei Kindern und Jugendlichen Be wegungsmangel einen erheblichen Einfluss auf Neuerkrankun gen hat. Von 1 000 Kindern erkranken im Durchschnitt 15 an Diabetes mellitus. Der sogenannte Alterszucker ist eben nicht nur eine Krankheit für die ältere Generation. In der Pflicht sind aber vor allem die Unterzeichner der Landesrahmenvereinba rung zur Umsetzung der nationalen Prävention. Die Unterstüt zung gesundheitsförderlicher Lebensverhältnisse ist die ge meinsame Aufgabe aller Akteure. Hierzu zählt auch die soziale Teilhabe aller Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Geburts- oder Wohnort. Wichtig ist für uns die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Betroffenen. Es braucht dabei unterschiedliche Herangehensweisen für jüngere und ältere Patienten, denn, wie gesagt, die oft schmerzfreie Krankheit ist nicht für jeden einfach hinnehmbar. Es bleibt also eine Menge zu tun.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Nonnemacher.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Krankheiten, die sind die manifest gewordenen Folgen sozialer Ungerechtigkeit. Diabetes mellitus Typ 2 gehört definitiv dazu. Wenn wir es ernst damit meinen, das Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindern zu wollen, müssen wir unser Augen merk unbedingt auch auf die Verteilung von gesundheitlichen Chancen legen. Es kann uns nicht egal sein, dass ausgerechnet die mit niedrigem Sozialstatus assoziierten Gesundheitslagen im Land Brandenburg besonders stark ausgeprägt sind.

Der Bericht benennt deutlich die Sozialstruktur einer Region als eigenständigen Risikofaktor für die Auftretenshäufigkeit von Diabetes Typ 2. Das ist keine neue Erkenntnis. Ich hatte dazu bereits in meiner Rede im Juni 2017 den folgenden Ver gleich gebracht: Während in Hamburg-Blankenese das Diabetesrisiko bei nur 3,8 % liegt, erkranken in der Prignitz 14,1 % der Menschen im Laufe ihres Lebens daran. Aber auch im restlichen Land Brandenburg ist das Diabetesrisiko mit 11,5 % im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt von 9,2 % deutlich erhöht.

Besonders verheerend ist, dass sich das Diabetesrisiko in einer ungünstigen Vergesellschaftung mit anderen verhaltensbezoge nen und potenziell lebensverkürzenden Risikofaktoren befin det. Dazu zählen das Adipositasrisiko, namentlich aufgrund fehlender Bewegung und falscher Ernährung, sowie das Rauchen.

Was wir angesichts dieser Befundlage jedoch ausdrücklich nicht brauchen, ist ein moralisch erhobener Zeigefinger. Viel eher ist die hohe bevölkerungsmedizinische Relevanz ein deut licher Auftrag an uns, endlich die Gesundheitschancen armer Menschen zu verbessern.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE)

Nun müssen mit Nachdruck Strategien für Prävention und Früherkennung vorangetrieben werden. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass wir bereits seit dem Jahr 2003 durch große Studien wissen, was in diesem Bereich machbar ist. Wis senschaftlerinnen und Wissenschaftler weisen unter dem Motto „Lebensstil als Medizin“ darauf hin, dass bis zu 90 % der Erkrankungsfälle beim Typ-2-Diabetes verhindert werden können.

Vor diesem Hintergrund kritisieren wir viele Entscheidungen auf Bundesebene. Dazu gehören die beschlossenen Änderun gen beim Check-Up für über 35-jährige, der zukünftig nur noch alle drei Jahre in Anspruch genommen werden darf und noch dazu keine regulären Blut- und Urinuntersuchungen mehr zur Aufdeckung eines Diabetes beinhalten soll. Geradezu fahr lässig ist aus unserer Sicht angesichts der Trias Armut, Adipo sitas und Diabetes die gezielte Verschleppung der Einführung einer Nährwertkennzeichnung - auch als Lebensmittelampel bekannt - durch Bundesministerin Klöckner.

Aber auch auf Landesebene könnten wir mehr tun. Die Landes regierung nennt als eine Maßnahme die Diabetesprävention über das Bündnis Gesund Älter werden. Das ist richtig und sinnvoll, sie vergisst jedoch angesichts der im Bericht aufge zeigten deutlichen Verschlechterung des Diabetes: Bei hinzu kommender Demenz gehört das Thema unbedingt auch in das Kompetenzzentrum Demenz.

Ein besonders bedrückender Befund ist zudem die steigende Zahl von Kindern, die unter Adipositas leiden. Auch hier sind besonders häufig arme Kinder betroffen, mit allen negativen gesundheitlichen Folgen für den Rest ihres Lebens. Im Bünd nis Gesund Aufwachsen findet sich bisher aber viel zu wenig zur Diabetesprävention. Dabei müssen wir bei den Kindern an fangen. In höherem Lebensalter sind Lebensstiländerungen viel schwieriger umzusetzen.

Die Einflussnahme der Landesregierung auf den ambulanten Sektor hinsichtlich der Ausweitung der Teilnahme an struktu rierten Behandlungsprogramm - die DMP-Programme sind von der Ministerin angesprochen worden - ist sicher sinnvoll. Die Digitalisierung bietet für die lebensstilbezogene Präven tion, das Selbstmanagement und die Überwachung relevanter Parameter in der Behandlung des Diabetes ein erhebliches Po tenzial.

Unambitioniert zeigt sich die Landesregierung jedoch bisher mit ihrer Digitalisierungsstrategie. Der Aspekt Gesundheit als eigenes Handelsfeld kommt darin gar nicht vor. Das ist ein Fehler, der schnell korrigiert werden muss.

(Beifall der Abgeordneten Schade [AfD])

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen ein risikobehaftetes

Gesundheitsverhalten zeigen. In dem wichtigen Lebensaspekt der Gesundheit müssen wir ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindern. - Danke.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank. - Wünscht die Landesregierung noch einmal das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Aussprache. Damit ist der Bericht der Landesregierung zur Kenntnis ge nommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 14 und rufe Tagesordnungs punkt 15 auf:

Bericht der Landesregierung zum Beschluss des Landtages Brandenburg „Gebührenfreiheit im Be reich der Berufsqualifikation und -fortbildung“ (Drucksache 6/7419-B)

Bericht der Landesregierung

Drucksache 6/11198

Die Aussprache eröffnet Minister Prof. Steinbach, er spricht für die Landesregierung. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrter Gast! Einen haben wir noch dort oben.

Der Landtagsbeschluss „Gebührenfreiheit im Bereich der Be rufsqualifikation und -fortbildung“ greift ein wichtiges Thema auf. Der Fachkräftemangel insbesondere im Handwerk nimmt zu und droht - um es ganz offen zu sagen - zu einem Wachs tumshemmnis zu werden. Auch bei den vielen anstehenden Betriebsübergaben wird es schwierig, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden, wenn entsprechend qualifiziertes Fachpersonal zum Beispiel ohne den dazugehörigen Meister abschluss fehlt. Die Stärkung der beruflichen Aus- und Weiter bildung sowie der beruflichen Aufstiegsfortbildung ist daher ein Anliegen, das auch von der Landesregierung explizit unter stützt wird. Wenn für eine Aufstiegsfortbildung aber hohe Kosten anfallen, die sich erst langfristig amortisieren, dann schreckt das junge Menschen eher ab. Die Gleichwertigkeit von akademischen und beruflichen Bildungswegen darf nicht nur im DQR, im Deutschen Qualifikationsrahmen für lebens langes Lernen, auf dem Papier stehen, sondern muss auch mit einer finanziellen Gleichstellung widergespiegelt werden. Während die Hochschulausbildung weitestgehend gebühren frei angeboten wird, fallen für eine Meisterausbildung Lehr gangs- und Prüfungsgebühren an, Kosten für Lehrmaterial, gegebenenfalls Kosten für das Meisterstück oder die Inan spruchnahme von Ausbildungseinrichtungen wie Werkstätten oder Laboratorien.

Insgesamt variieren die gesamten Lehrgangs- und Prüfungs kosten im Land Brandenburg je nach Beruf und Gewerk, aber auch je nach Kammerbezirk sehr stark. Das ist ein dreidimen

sionaler Raum. Die Spannweite reicht von 2 500 bis 15 000 Euro - also je nach Gewerk und Kammerbezirk.

Wir teilen das Anliegen, dass die Ausbildung und Prüfung zum Meister, zum Techniker und vergleichbare Aufstiegsfortbildun gen gebührenfrei sein sollen. Dadurch würde auch die Attrakti vität erheblich gesteigert. In den Abstimmungen mit den zu ständigen Kammern und Organisationen wurde deshalb ge prüft, welche Rahmenbedingungen landes- und bundesweit geschaffen oder angepasst werden müssen, um dieses zu er reichen.

Das erste Ergebnis ist zunächst enttäuschend. Eine Gebühren befreiung ist nicht möglich, sondern nur eine nachträgliche Entlastung im derzeit gegebenen rechtlichen Rahmen. Also keine Gebührenbefreiung, sondern nur -entlastung. Dies er folgt bereits partiell über das Aufstiegsfortbildungsförderungs gesetz. Unter anderem werden dabei bisher bis zu 64 % der Lehrgangs- und Prüfungsgebühren erstattet. Damit verbleibt der Rest als Eigenanteil. Eine stärkere Entlastung könnte über eine Erhöhung des Zuschussanteils erfolgen. Das ist in den Eckpunkten zur Novelle des Aufstiegsfortbildungsförderungs gesetzes auch vom Bund geplant. Wir hoffen, dass das Gesetz gebungsverfahren hierzu möglichst schnell starten kann. Vor her soll allerdings noch die Novelle des Berufsbildungsgeset zes umgesetzt werden.

Zur Überbrückung dieses Zeitraums und bis zum Inkrafttreten der neuen Fördermöglichkeiten haben viele Bundesländer des halb zeitlich befristete Förderangebote aufgelegt - so auch wir. Das prominenteste Beispiel im Land Brandenburg ist der 2018 eingeführte Meisterbonus, der aus Landesmitteln finanziert wird. Dieses Programm war zunächst nur bis zum 31.12.2018 befristet, wird aber auch im Jahr 2019 gewährt bzw. befindet sich im Augenblick bereits in der Auszahlung.

Optimal wäre natürlich eine bundesweit einheitliche Lösung, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Aber ich glaube, da müssen wir noch einen langen Atem haben. - Danke schön.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Bommert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letzte Woche habe ich zu dem Thema ein bisschen recherchiert und folgende Schlagzeile gelesen:

„Gebührenfreiheit von der Krippe bis zum Master oder Meister: Das gibt es nur mit der SPD“

(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Freude war groß, bis ich sah, dass es sich nicht auf Brandenburg, sondern auf Schleswig-Holstein bezieht. Die SPD in Brandenburg sieht das wahrscheinlich anders.

18 Monate lang hat unser SPD-geführtes Wirtschaftsministeri um das Problem geprüft. Was kam heraus? Herr Steinbach hat

schon einiges dazu gesagt und auch die Schwierigkeiten er kannt. Trotzdem ist an der Umsetzung noch nicht viel passiert. Und: Es wird eine bundeseinheitliche Lösung präferiert. Nur: Bis sie da ist, kann und wird vieles nicht passieren. Deshalb sollte auf Landesebene dazu etwas getan werden.

Die Bedeutung scheint aber Rot-Rot noch nicht ganz bewusst zu sein: Uns - ich spreche jetzt auch von mir als Unternehmer - fehlt es an allen Ecken und Enden an Auszubildenden und an Nachwuchs, auch für Betriebsübernahmen. Das ist ein großes Problem. Wenn Betriebe erst einmal nicht mehr da sind, wird Fachwissen nicht weitergegeben. Das wiederaufzubauen ist äußerst schwierig. Wir brauchen dringend junge Meister, um die Unternehmensnachfolge zu sichern.

Die Handwerkskammern können belegen, dass Meisterbetrie be eine größere Überlebenschance haben. Sie schaffen durch Meistergründungen nachhaltig Wertschöpfung und Arbeits plätze vor Ort.

Noch wichtiger ist: Mit der Befreiung von Lehr- und Prüfungs gebühren würden wir junge Menschen, die in Brandenburg bleiben, die gern in ihrer Heimat sein wollen, unterstützen. Und gerade Unternehmen im ländlichen Raum würden damit gestützt, und die Zukunft in diesen Bereichen würde gesichert.