Protocol of the Session on April 10, 2019

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Vertrauen in den Verfassungsschutz ist durch mehrere Skandale und die Arbeits weise vor dem Auffliegen des NSU-Trios erschüttert worden. Gerade weil sie teilweise verdeckt agiert, ist es unabdingbar, dass die Aufgaben dieser Behörde sichtbar und in klaren Geset zen eindeutig formuliert werden. Wir als Gesetzgeber müssen einen klaren Handlungsrahmen abstecken, der definiert, wie im Brandenburger Nachrichtendienst zu arbeiten ist.

Welche Rolle der brandenburgische Verfassungsschutz zukünf tig einnehmen soll, muss neu bestimmt werden. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.

Durch die neu geschaffene Innenrevision wird die Arbeitswei se des Verfassungsschutzes kontinuierlich überwacht und dem Leiter bei Verstößen sofort Mitteilung gemacht. Zusätzlich bauen wir die parlamentarische Kontrolle deutlich aus. Mit ei nem Ständigen Beauftragten bekommt die Parlamentarische Kontrollkommission einen verlängerten Arm, der Einblick in Abläufe und Verfahrensweisen hat und den Mitgliedern der PKK Bericht erstattet.

Damit ziehen wir die Lehren aus den NSU-Untersuchungsaus schüssen. Der Verfassungsschutz muss gegenüber der parla mentarischen Kontrolle in Zukunft den Beweis antreten, dass er die ihm erteilten Befugnisse, Mittel und Methoden verhält nismäßig einsetzt. Wir sorgen damit auch dafür, das ange knackstes oder verloren gegangenes Vertrauen zurückerobert werden kann. Das ist kein generelles Misstrauen, sondern das Schaffen klarer Arbeitsweisen und transparenter Verfahren.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, Transparenz und Verfas sungsschutz sind für mich kein Widerspruch. Es darf kein Wi derspruch sein.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Aber mit der gesetzlichen Beschränkung und Fokussierung der Aufgaben allein ist es nicht getan. Wer möchte, dass der Ver fassungsschutz seine Aufgaben vollumfänglich erfüllen kann, muss ihn auch ausreichend ausstatten. Deshalb legen wir heute einen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Verbesserung der personellen Ausstattung des Brandenburgischen Verfassungs schutzes vor. Damit wollen wir mit dem Inkrafttreten der Drit ten Änderung des Brandenburgischen Verfassungsschutzgeset zes ab dem Haushaltsjahr 2019 37 zusätzliche Planstellen im Verfassungsschutz und drei zusätzliche Planstellen zur Unter stützung der Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags schaffen

(Beifall SPD)

und zukünftig Haushaltsmittel für die Unterstützung der Mitglie der der Parlamentarischen Kontrollkommission bereitstellen.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident, liebe Kolleginnen und Kolle gen, ich bin überzeugt davon, dass der Verfassungsschutz auf grund seiner Analysefähigkeit ein wichtiger und kompetenter Partner in einer gesamtgesellschaftlichen Präventionsstrategie sein muss. Mit den vorliegenden Anträgen schaffen wir die strukturell-organisatorischen und personellen Voraussetzungen dafür. - Danke schön.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Dr. Redmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegen de Gesetzentwurf zum Verfassungsschutzgesetz enthält zu nächst sehr wichtige neue Befugnisse. Ich weiß gar nicht, wie oft mein Kollege Björn Lakenmacher von dieser Stelle aus die Einführung des sogenannten IMSI-Catchers gefordert hat, also die Möglichkeit, beispielsweise bei einer Nazidemo, einem Nazikonzert oder der Besetzung von Häusern Handys in der näheren Umgebung zu identifizieren und Extremisten dann auch habhaft zu werden.

Die Teilnahme an Kommunikationsbeziehungen unter einer Legende ist in der heutigen Zeit ebenfalls sehr wichtig. Wir wissen, dass sich Extremisten vor allem in Internetforen radi kalisieren. Der Attentäter von Christchurch beispielsweise, der der Identitären Bewegung nahestand, nutzte das Forum 8chan. Islamisten radikalisieren sich oft in dem Forum ask. fm, und Linksextremisten - wir wissen das aus dem Umfeld der G-20-Krawalle in Hamburg - nutzen Indymedia oder Ab leger davon. Darauf muss der Verfassungsschutz ein Auge und ein Ohr haben. Das kann er nur mit der Möglichkeit, un ter einer Legende an diesen Kommunikationsbeziehungen teilzunehmen.

(Beifall CDU)

Sicherlich hätten wir uns weitere Befugnisse gewünscht, zum Beispiel die verdeckte Onlinedurchsuchung oder die QuellenTKÜ. In unserem Änderungsantrag legen wir Ihnen hierzu Vorschläge vor, über die wir gerne im Ausschuss diskutieren können.

Der Gesetzentwurf hat aus unserer Sicht aber auch sehr große Schattenseiten. Zu den großen Schattenseiten gehört, dass er gerade nicht Bezug auf die Erkenntnisse aus dem NSU-Unter suchungsausschuss nimmt. Ich weiß gar nicht, liebe Kollegin nen und Kollegen von der SPD-Fraktion, wie und an welcher Stelle Sie zu dieser Erkenntnis gelangen.

Ich nehme ein konkretes Beispiel, und zwar das V-Mannwesen. Sie benennen es um, aber damit ist es doch nicht getan. Wir haben an verschiedensten Stellen im Untersuchungsausschuss die Erfahrung sammeln müssen, wie hochproblematisch der Einsatz von V-Personen ist.

(Beifall der Abgeordneten Nonnemacher [B90/GRÜNE])

Sie sind häufig nachrichtenunehrlich, sie unterstützen die Szene, sie verwenden häufig die ihnen zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel, um ihren extremistischen Kontakten dienlich zu sein, und man kann sich im Zweifel nicht auf sie verlassen. Deshalb stellte Herr Lancelle zum Beispiel im Ausschuss eindeu tig klar: Der Einsatz von V-Männern kann nur Ultima Ratio sein.

(Beifall CDU und des fraktionslosen Abgeordneten Köni ger)

V-Manneinsätze müssen auf das fachlich unbedingt gebotene Mindestmaß reduziert werden. Wo aber findet sich in Ihrem Gesetzentwurf dazu die Beschränkung? Wo ist die Handrei chung für den Verfassungsschutz, anhand derer er die Verhält nismäßigkeitsprüfung konkret durchführen kann? Die allge meine Verhältnismäßigkeitsprüfung steht seit 1993 im Gesetz. Die Beschränkung des V-Mannwesens auf dieses unbedingt notwendige Mindestmaß findet sich an keiner Stelle in Ihrem Gesetzentwurf - so ist es leider.

(Beifall CDU und der Abgeordneten Vogel und Nonne macher [B90/GRÜNE] sowie des fraktionslosen Abge ordneten Hein)

Es fehlt eine wirksame Innenrevision des Verfassungsschutzes. Sie wird beim Abteilungsleiter angesiedelt. Hätten wir ein Lan desamt für Verfassungsschutz, gäbe es im Ministerium eine Fachaufsicht und eine Rechtsaufsicht über dieses Landesamt. Da es bei uns aber eine Abteilung ist, wäre diese Innenrevision Teil des Verfassungsschutzes. Wenn Sie eine Innenrevision wollen, dann siedeln Sie sie bei der Hausleitung außerhalb des Verfassungsschutzes an, damit auch wirklich eine Kontrolle stattfinden kann.

(Beifall CDU sowie der Abgeordneten Vogel und Nonne macher [B90/GRÜNE] und der fraktionslosen Abgeord neten Königer und Hein)

Auch die echte parlamentarische Kontrolle bleibt hinter den Er wartungen zurück, denn einen Anspruch auf Unterrichtung und Einsicht in die Akten hat nur die Mehrheit des Ausschusses - und das ist die regierungstragende Mehrheit. Wir wollen, dass bereits ein Drittel der Ausschussmitglieder solche Befugnisse ausüben kann. So, wie es jetzt geregelt ist, reicht es nicht aus.

Wir wollen zudem, dass ein Sondervotum für Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission eingefügt wird, damit man weiß, wer sich wie entschieden hat.

(Beifall CDU und B90/GRÜNE)

Wir befürworten den Stellenantrag, denn der Verfassungs schutz braucht dringend mehr Personal, um den Gefahren der Gegenwart gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren von den Linken, ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie die Schaffung dieser zusätzlichen Stellen bekämpfen. Wir erleben doch jeden Tag, wie die Be drohung gerade durch Rechtsextremisten in Brandenburg um sich greift. Dem muss begegnet werden, und zwar mit dem Dienstleister für die Demokratie, dem Verfassungsschutz.

(Beifall CDU und des fraktionslosen Abgeordneten Köni ger)

Die Stellen müssen den Aufgaben folgen; so haben wir es im mer gehalten. Deshalb können wir heute nicht losgelöst vom Gesetz über Stellen entscheiden. Vielmehr müssen wir den Stellenantrag mit dem Gesetz an den Ausschuss überweisen und beide Anträge im Zusammenhang beraten. Dann wird am Ende auch ein vernünftiges Ergebnis herauskommen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜ NE] sowie des fraktionslosen Abgeordneten Hein)

Vielen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abge ordnete Christoffers.

(Zuruf: Schade, dass das Herr Schönbohm nicht hören konnte! - Ministerpräsident Dr. Woidke: Es rappelt gera de auf dem Friedhof! - Heiterkeit)

- Ich kann einen Moment unterbrechen, wenn das gewünscht wird.

(Ministerpräsident Dr. Woidke: Entschuldigung, Herr Prä sident!)

- Nein, der Abgeordnete müsste sich entschuldigen, Herr Mi nisterpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Redmann, Sie haben mich überrascht. Ich hoffe sehr, dass Ihre politische Linie die bestimmende Linie auf Bundesebene im Umgang mit dem vorgelegten Entwurf des Kollegen Seehofer sein wird.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das wäre ein Stück weit politische Innovation. Auf Ihre Argu mentation werde ich in meiner Rede noch eingehen.

Meine Damen und Herren, die Koalition hat in ihrem Koaliti onsvertrag vereinbart, dass ein umfassender Sicherheitsbericht gegeben wird. Wir haben immer deutlich gesagt, dass wir den Zusammenhang zwischen sozialer und innerer Sicherheit ge meinsam ausgestalten wollen.

Naturgemäß fällt einem das bei der Frage sozialer Sicherheit leichter. Wenn ich mir die Wahlprogramme oder die Entwürfe der demokratischen Parteien ansehe, scheint es ein genereller

Trend zu sein, sich hier relativ zeitnah über Sachverhalte eini gen zu können.

Bei der inneren Sicherheit ist es selbstverständlich etwas kon fliktreicher. Wir reden über die Sicherheitsarchitektur, die wir für notwendig erachten, um neben sozialer Sicherheit auch in nere Sicherheit zu gewährleisten. Wir alle kennen den Diskus sionsprozess, der nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern geführt wird.

Ich darf daran erinnern: Nach dem Attentat von Breivik in Nor wegen hatte der damalige norwegische Ministerpräsident ge sagt: Wir sind nicht naiv, aber wir lassen uns unsere Freiheit auch nicht nehmen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Dieser Kontext, einschließlich des Handelns der neuseeländi schen Premierministerin nach dem verheerenden Terroran schlag, macht deutlich, dass es nicht einfach darum geht - das hat die Koalition auch nicht vorgehabt -, über eine Verschär fung von Sicherheitsgesetzen zu reden, sondern einen Abwä gungsprozess in Gang zu setzen.

Wir alle wissen - und ich bin davon überzeugt -, dass die De batte über den Verfassungsschutz kontrovers und auch poli tisch intensiv betrieben wird. Hintergrund dieser politischen Kontroverse ist ein Punkt, den Claus Leggewie, bis 2017 Di rektor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, in einer Analyse so gefasst hat:

„Wenige Jahre nach dem Ende des Naziregimes, das von außen herbeigeführt werden musste, war keineswegs si cher, ob die Deutschen die demokratische Staatsform zu ihrer Sache machen würden. […] Im vorbeugenden Kampf gegen die ‚Feinde der Demokratie‘ glaubte man, wirkli che Gefahren gar nicht erst abwarten zu dürfen - also machte man den bloßen politischen Verdacht zur allge meinen Geschäftsgrundlage des Verfassungsschutzes. Er wurde der institutionelle Arm eines westdeutschen Son derweges, wie er in keiner westlichen Demokratie exis tiert.“

Meine Damen und Herren, ausgehend von der Entwicklung der letzten Jahrzehnte wird diese Analyse unterschiedlich beant wortet. Die Diskussion darüber wird auch weiter anhalten. Trotzdem bin ich sehr froh und möchte mich herzlich bei allen Gesprächspartnern bedanken, dass es uns als Koalition gelun gen ist, einen Weg zu finden, der einerseits unterschiedliche Interessenlagen aufnimmt und andererseits eine Entwicklung der Sicherheitsarchitektur zulässt. Herzlichen Dank dafür, auch weil die Gespräche - und das ist kein Geheimnis - nicht immer einfach waren.