Protocol of the Session on June 27, 2018

(Oh! bei der SPD)

findet man vor allem Verständnis für kulturelle Differenzen, den viel gepriesenen Erziehungsgedanken, der sich strafmil dernd auswirkt, oder gleich die Schuldunfähigkeit. Damit wer den schwerste Gewalttaten entpolitisiert und wird Gewalt ver harmlost. Es wird also genau das Gegenteil von dem getan, was den dargelegten früheren Erkenntnissen entspräche.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie Sie Maß und Mitte verloren haben, wurde kürzlich in einem Gutachten des Parlamentari schen Beratungsdienstes bestätigt. Mit dem Plakat „Bunt statt Grauland“ bzw. mit der Broschüre „Die neue Partei am rechten Rand“ wurde die parteipolitische Neutralität auf Steuerzahler kosten eindeutig verletzt. Hier wurden Dritte von der Landesre gierung dazu benutzt, durch gezielte Förderung von Aktivitäten die Neutralitätspflicht gegenüber der AfD zu verletzen

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Ihnen gegenüber kann man nicht neutral bleiben! - Gegenruf von der AfD)

und den politischen Wettbewerb auf unzulässige Weise zuun gunsten der AfD zu gestalten. Sie testen also schon fleißig an allen Hebeln und mit allen von Ihnen selbst geschaffenen und vom Steuerzahler finanzierten Mitteln die Grenzen des Mach baren aus, um zu sehen, wie weit Sie gehen können, um Ihre Macht zu sichern. Uns ist klar: Je bedrohlicher die Lage für Ihre Pfründe wird und je mehr Sie in der Wählergunst abrut schen

Herr Abgeordneter, Sie müssten jetzt einen geeigneten Schluss satz finden.

… desto massiver werden Sie uns - auch unter größter Verbie gung allen Rechts und der Wahrheit - zu beschädigen versu chen. Das hat mit Demokratie und Toleranz nichts zu tun, denn: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. - Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall AfD - Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Es ist eine Kurzintervention angezeigt worden. Herr Abgeord neter Senftleben, bitte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf diese Rede muss man ein Stück weit eingehen. Herr Kalbitz, Ihrer Rede war an zumerken, dass Sie heute wieder einmal händeringend nach ei nem Eklat gesucht haben.

(Zuruf von der AfD: Sie sind der Eklat!)

Sie haben mit üblen Vergleichen und Falschbehauptungen zu provozieren versucht. Ich sage Ihnen: Den Wunsch nach einem Eklat werden wir Ihnen nicht erfüllen,

(Weitere Zurufe von der AfD)

über diesen Stock werden wir nicht springen. - Vielen herzli chen Dank.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE sowie der fraktionslosen Abgeordneten Schülzke)

Es besteht die Gelegenheit zur Reaktion. Bitte sehr, Herr Kal bitz.

Danke sehr. - Sie verkehren in Ihrer Erkenntnisfreiheit wieder einmal Ursache und Wirkung. Hätten Sie Ihren Job richtig ge macht, hätte Ihre Kanzlerin 2015 nicht die Grenzen geöffnet und diese ganzen Probleme verursacht,

(Widerspruch bei der CDU)

dann gäbe es die AfD gar nicht, und dann müsste sich auch Ihre künstliche Empörung in Grenzen halten. Sie nutzen das relativ zweckfreie Instrument der Selbstbeweihräucherung: Alle haben alles gut gemacht; dann sind wir glücklich und haben keine Probleme in diesem Land. - Das ist nicht die Realität. Wenn Sie sich der Realität verschließen - die SPD macht es vor und arbei tet schwer daran, einstellig zu werden, was die Wahlergebnisse angeht; das ist das einzige erfolgreiche Projekt der Sozialdemo kratie der letzten Jahre; da wünsche ich auch weiterhin viel Er folg -, werden Sie den gleichen Weg gehen.

(Beifall AfD)

Wir setzen die Aussprache fort. - Zu uns spricht die Abgeordne te Nonnemacher für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der Tribüne! Herr Kalbitz, Sie haben nur vergessen, die Kampagne „Schöner leben ohne Nazis“ zu erwähnen.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE sowie ver einzelt CDU)

Am 23. Juni hat das Handlungskonzept „Tolerantes Branden burg“ seinen 20. Geburtstag gefeiert. Es wurde beschlossen, um auf die seit 1991 wütende massive Welle rechter Gewalt zu re agieren, für die die Orte Hoyerswerda und Rostock-Lichtenha gen zum traurigen Sinnbild geworden sind. Mindestens 18 Men schen - der Name Amadeu Antonio mag für sie stehen - sind infolge dieser mörderischen rechten Gewalt in Brandenburg gestorben oder tragen zeitlebens an den Folgen der Übergriffe.

Das „Tolerante Brandenburg“ reagierte nicht nur auf den trauri gen Spitzenplatz bezüglich Gewaltstraftaten, sondern räumte auch mit der Fehleinschätzung auf, dass es sich dabei nur um ein vorübergehendes Jugendphänomen, quasi um einen Kolla teralschaden eines schwierigen Transformationsprozesses mit Verunsicherung, Autoritätsverlust und Massenarbeitslosigkeit handele. Die schmerzhafte Erkenntnis, dass es ein großes frem

denfeindliches, rassistisches und rechtsradikales Potenzial in mitten der brandenburgischen Gesellschaft gab, ermöglichte erst die Entwicklung wirksamer Gegenstrategien.

Fast zeitgleich mit dem 20-jährigen Jubiläum hat der NSUUntersuchungsausschuss Mitte Juni mit Carsten Szczepanski und Uwe Menzel zwei exponierte Gestalten der rechtsextremen Szene vernommen, deren Aktivitäten sie Ende der 90er-Jahre nahe an das untergetauchte Skinhead-Trio führten, das als Kern des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes über zehn Jahre die Bundesrepublik mit rechtsterroristischen Mor den überziehen sollte. Die Aufarbeitung der Geschehnisse ist noch lange nicht abgeschlossen, das anhaltende Wirken von Teilen dieser Szene bedrückend.

Trotz des Vorbildcharakters und der großen Erfolge des Bera tungsnetzwerkes „Tolerantes Brandenburg“ und seiner Koope rationspartner dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben: Die Akzeptanz von fremdenfeindlichen und rassistischen Vorurtei len in der brandenburgischen Bevölkerung steigt wieder und lässt bedenkliche Parallelen zur Atmosphäre in den 90er-Jahren erkennen.

Diese „Boosterung“ rechter Positionen durch die stark gestie gene Zahl von Flüchtlingen seit 2015 weist aber einige Beson derheiten auf. Sie sind bis weit ins bürgerliche Lager hinein salonfähig geworden. Die Trennlinie zwischen offen rechtsextremistischen und nichtextremistischen Positionen ver schwimmt. Ein User auf Twitter hat dies treffend mit den Wor ten ausgedrückt: Meine heile Welt der 90er war, dass Nazis noch wie Nazis aussahen und nicht wie Bundestagsabgeordne te.

(Vereinzelt Beifall B90/GRÜNE und SPD - Kalbitz [AfD]: Oh!)

Durch die zahlreichen bewusst inszenierten Tabubrüche von Politikern der AfD sind menschenverachtende und den Natio nalsozialismus verharmlosende Einstellungen wieder diskurs fähig geworden,

(Kalbitz [AfD]: Ihre Kinderschänderkollegen sind men schenverachtend!)

nach dem Motto: Das wird man ja noch sagen dürfen. - Die mangelnde oder fehlende Abgrenzung von rechtsextremisti schen Positionen oder Rechtsextremisten beobachten wir nicht nur bei der AfD, die solche Personen gerne als Mitarbeiter be schäftigt, sondern auch bei vermeintlich bürgerlichen Protest bewegungen wie „Zukunft Heimat“, die ihnen regelmäßig eine Bühne bieten.

Rechtsextremismus darf nicht als Asylkritik verharmlost wer den. Neu gegenüber den 90ern sind die Möglichkeiten des In ternets mit dem Verbreiten von Hassbotschaften über Social Media und von Falschmeldungen.

(Königer [AfD]: Ist das peinlich!)

Der Ausbau von demokratischen und zivilgesellschaftlichen Strukturen hat in Brandenburg große Fortschritte gemacht. Sie erwiesen sich auch als tragfähig, als 2015 staatliche und kom munale Einrichtungen bei der Versorgung vieler Geflüchteter auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen waren. Von der Arbeit die

ser Tausenden von Menschen und den erzielten Erfolgen hört man wenig, weil in unserer Medienwelt nicht der kontinuierli che Fortschritt, sondern das verabscheuungswürdige Verbre chen und der Skandal Nachrichtenwert haben.

Damit wir auch in Zukunft unserem Verfassungsauftrag genü gen können, nämlich das friedliche Miteinander der Menschen zu garantieren und der Verbreitung von rassistischem Gedan kengut entgegenzuwirken, brauchen wir eine starke Zivilgesell schaft und eine klare Haltung von Staat und Politik, damit rote Linien nicht überschritten werden.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE sowie des Abgeordneten Wichmann [CDU])

Ich erlaube mir zum Abschluss noch eine Bemerkung zu den Feierlichkeiten des Bündnisses. Das „Tolerante Brandenburg“ besteht nicht nur aus Männern. Ich hätte mir gewünscht, dass hier auch die Leistungen von Almuth Berger, Uta Leichsenring, Anna Spangenberg, Frauke Postel, Angelika Thiel-Vigh öfter zur Sprache kommen.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Wir haben hier kein reines Männerbündnis. - Vielen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, CDU und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht der Abgeordnete Vida.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Stärkung der Zivilgesellschaft beginnt immer mit einer selbst kritischen Lageanalyse. Mit dem Eingeständnis, dass Probleme bestehen und angegangen werden müssen, wurde das „Toleran te Brandenburg“ vor 20 Jahren ins Leben gerufen. Seinerzeit war die Bereitschaft, eigene Probleme zu benennen und auch zu reflektieren, nicht populär. Aber der Mut von damals - das wis sen wir - hat sich heute ausgezahlt. Die gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung dafür, gegen extremistische Entwicklungen aufzustehen, hat sich seitdem positiv entwickelt. Und es ist der beharrlichen, oft leisen und schweren Arbeit vor Ort zu verdan ken, dass sich ein immer engeres Netz von zivilgesellschaftli chen Akteuren geknüpft hat.

(Vereinzelt Beifall CDU sowie des fraktionslosen Abge ordneten Hein)

Nur in einer friedlichen Umgebung kann Demokratie wachsen und gedeihen. Und dazu gehört eben nicht nur, alle vier bis fünf Jahre das Wahlrecht wahrnehmen zu können, sondern auch die Möglichkeit zur angstfreien Entfaltung vor Ort, sei es in Vereinen, in Initiativen oder ehrenamtlich in der kommunalen Arbeit. Diese Freiheit hat man nur, wenn man nicht durch extrmistische Drohungen eingeschüchtert wird. Deswegen ist auch der Ansatz so wichtig, dass nicht nur große Appelle for muliert und Bekenntnisse abgelegt werden, sondern die klein teilige Arbeit vor Ort sorgt für eine freiheitlich-demokratische Basis für alle und überall.

Nun benennt der Bericht aber auch negative Alarmsignale, die wir ernst nehmen müssen. Wenn die Zahl rechtsextremistischer Personen heute ungefähr wieder auf dem Stand des Jahres 2000 ist, dann muss erneut eine selbstkritische Reflexion möglich sein.

Aus meiner Arbeit im Migrationsbeirat Barnim und im Migra tionsrat des Landes kann ich berichten - und ich bleibe dabei -: Zum Aufbau von Toleranz gehört der Abbau von Ignoranz. Überall dort, wo Migrantenorganisationen kulturellen Aus tausch leben und interreligiösen Dialog pflegen, haben Extre misten keine Chance.

(Beifall des fraktionslosen Abgeordneten Hein)

Im Rahmen dieser Arbeit - die von der Landtagspräsidentin vorbildlich unterstützt wird, wofür ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken möchte - erleben wir das dort stetig: Das Präsentieren der unterschiedlichen Kulturen, der Dialog vor Ort führen zum Abbau von Ressentiments, sodass extremis tische Gesinnungen bei Deutschen, aber auch bei Migranten zurückgedrängt werden. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Beitrag zum Kampf gegen Extremismus jedweder Couleur.