Protocol of the Session on June 27, 2018

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie recht herzlich zur 63. Sitzung des Landtages Brandenburg.

Am heutigen Morgen sind unsere Besucherreihen schon sehr gut gefüllt, und ich begrüße recht herzlich Berufsschülerinnen und -schüler der Fachschule für Sozialwesen Potsdam sowie eine Gruppe von Nachwuchspolitikern aus Kenia. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Ich begrüße weitere Gäste auf der Besuchertribüne sowie Zu schauer, die unsere Plenarsitzung außerhalb des Saals verfol gen. Als Gäste auf der Besuchertribüne begrüße ich Teilneh merinnen und Teilnehmer des Deutsch-Polnischen Ökumenischen Pilgerweges, die sich heute von Gnesen nach Magde burg auf den Weg und in Potsdam Station gemacht haben. Ich habe Sie schon heute Morgen begrüßt. Schön, dass Sie hier sind! Herzlich willkommen bei uns im Plenarsaal!

(Allgemeiner Beifall)

Ich erlaube mir auch, unsere Abgeordnetenkollegin Frau For tunato hervorzuheben. Sie hat nämlich heute Geburtstag. Herz lichen Glückwunsch und alles Gute! Bleiben Sie schön gesund! Auf gute Zusammenarbeit!

(Der Abgeordneten werden unter dem Beifall der Anwe senden Blumen überreicht.)

Meine Damen und Herren, gibt es Ihrerseits Bemerkungen zum Entwurf der Tagesordnung? - Da das nicht der Fall ist, lasse ich über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr folgt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Da mit ist die Tagesordnung einstimmig beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Stärkung der Zivilgesellschaft - als Garant für den Erhalt und die Sicherung der Demokratie im Land!

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 6/8987

in Verbindung damit:

Umsetzung des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“ der Landesregierung - 8. Bericht der Landesregierung gemäß Beschluss des Landtages vom 12. Juni 2015 „Toleranz und Weltoffenheit erhal ten - Rechtsextremismus bekämpfen“ (Drucksache 6/1601-B)

Bericht der Landesregierung

Drucksache 6/8946

Ich eröffne die Aussprache. Zu uns spricht der Abgeordnete Christoffers für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eine Aktuelle Stunde zu einem Thema, dessen Inhalt in den letzten Wochen und Monaten gesellschaftlich sehr breit disku tiert wurde. Wir befinden uns in einer Situation, in der wir in der gesamten Bundesrepublik Deutschland - und auch darüber hin aus - eine Grundsatzdebatte darüber führen, welche sozialen Bindungskräfte in der Gesellschaft wirken, ob Liberalität, sozi ale Entwicklung, Weltoffenheit und Toleranz einen politischen Stellenwert haben, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Insofern, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, mit Blick auf die Ereignisse - auch auf Bundesebene - deutlich zu machen: Es ist unverantwortlich, mit welcher poli tischen Härte - wie es der Bundespräsident sagte - Parteien die ses Thema instrumentalisieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Meine Damen und Herren, ich empfinde es als schwierig, wenn ein CSU-Landesvorstand kurz vor der Landtagswahl Leitlinien europäischer Politik fast dominiert. Insofern geht es in der heuti gen Debatte nicht mehr nur um Migration bzw. Flüchtlingspolitik, sondern es geht um den Kern eines Werteverständnisses in Euro pa, also unsere politische Fähigkeit, Europa im Sinne eines sozia len und liberalen Werteverständnisses weiter auszugestalten.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Meine Damen und Herren, 20 Jahre „Tolerantes Brandenburg“: Einige im Saal erinnern sich noch an den Hintergrund, warum sich die Landesregierung und das Parlament letztendlich in Brandenburg entschieden haben, hier ein derartiges Vorgehen gesellschaftlich zu initiieren. Sie wissen, wir hatten damals die sogenannten „national befreiten Zonen“. Sie wissen, wir stan den in einem massiven gesellschaftlichen Dialog und Abwehr kampf gegen Rechtsextremismus und Radikalismus. Ich finde, dass in dieser Zeit zivilgesellschaftliche Strukturen entstanden sind, die sich gegen Nationalismus und eine rückwärtsgewand te Politik und für einen sozialen Zusammenhalt aussprechen und dies auch durch ihr Agieren unterstreichen. Es war und ist ein Zeichen, dass Zivilgesellschaft in der Lage ist, mit Konflik ten umzugehen und auch eine Bewegungsform zu finden, die sicherstellt, dass Toleranz, Mitgefühl und vor allen Dingen auch soziales Verständnis zu bestimmenden Faktoren werden.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD und B90/ GRÜNE)

Diejenigen, die als Person oder Institution in diesem Bereich tätig sind, sind nicht die Weltfremden oder Gutmenschen. Sie sind nicht diejenigen, die Konflikte kleinreden, sondern sie nehmen sie auf und versuchen, Lösungen zu schaffen, und lie fern damit ein Beispiel, wie Gesellschaft mit sozialen, politi schen und auch religiösen Konflikten umgehen könnte. Das Agieren des „Toleranten Brandenburgs“ ist auch ein Beispiel dafür, dass Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam die Kon flikte in der Gesellschaft lösen können. Dafür gebührt allen Be teiligten ein herzlicher Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, B90/GRÜNE sowie verein zelt CDU)

Daraus leitet sich eine weitere Schlussfolgerung ab: Das Bei spiel, wie hier Konflikte gelöst werden bzw. mit Konflikten um gegangen wird, wird zunehmend auch für andere Politikberei che relevant. Wir wissen, dass wir in der Gesellschaft soziale Fragen neu zu beantworten und neu zu lösen haben. Das wird nur gelingen, wenn wir uns ein Beispiel daran nehmen, mög lichst viele soziale Gruppen und Institutionen in einen gesell schaftlichen Dialog einzubeziehen. Wir sollten das Beispiel „Tolerantes Brandenburg“ in seiner Wirkung als Institution nehmen, um hier zu Entscheidungen zu gelangen, die nicht nur für die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch Ihnen wichtig sind. Das „Tolerante Brandenburg“ kann als Beispiel dafür stehen, wie sich Politik entwickeln kann und muss. Insofern geht die heutige Aktuelle Stunde weit über die Glückwünsche zum 20. Jubiläum „Tolerantes Branden burg“ hinaus.

Meine Damen und Herren, ich kann nur hoffen, dass die sozia len und politischen Auseinandersetzungen, die mittlerweile bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen, dazu führen, dass die Fragen von liberalen Grundwerten und sozialer Entwicklung, aber auch von wirtschaftlicher Vernunft gesellschaftlich so be antwortet werden, dass wir keine Zunahme von Konflikten und keine Ausgrenzung, sondern ein Miteinander haben. Dieses Miteinander schließt ausdrücklich ein, dass längst vorhandene Konflikte - niemand sagt, dass das ein reibungsfreier Prozess ist - sowohl angesprochen als auch gelöst werden, aber immer im Sinne des Erhalts der Weltoffenheit und Solidarität, weil sie Grundwerte unserer Demokratie darstellen. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, B90/GRÜNE sowie verein zelt CDU)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht der Abgeordnete Senftleben für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lie be Kollegen! Wir würdigen heute 20 Jahre „Tolerantes Bran denburg“. Der Bericht, den uns die Regierung dazu vorgelegt hat, schlägt zu Recht einen nachdenklichen Ton an. Gleich zu Beginn kommt Manfred Stolpe zu Wort. Er hat vor 20 Jahren den Anstoß zu einem Umdenken gegeben. Dem Bericht entneh me ich - sinngemäß -, dass er bzw. dass wir uns damals einge stehen mussten, was er, was wir zuerst nicht glauben konnten oder wollten, nämlich dass nur wenige Jahre nach der friedli chen Revolution ausgerechnet ein Teil unserer Jugend zu Fein den der neuen Demokratie geworden war, dass Menschen ein geschüchtert, angegriffen und ermordet wurden, nur weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Herkunft oder eine andere Weltanschauung hatten. Für die CDU Brandenburg füge ich heute hinzu: Ja, auch bei uns musste erst die Einsicht reifen, dass es Zeit war zu handeln - oder sagen wir besser: höchste Zeit.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Das „Tolerante Brandenburg“ ent springt dem Gedanken, dass wir mehr als Polizei und Verfas sungsschutz brauchen, nämlich ein breites Eintreten aller Men schen im Land Brandenburg für Demokratie, für eine Gesell

schaft, die Gewalt ächtet, die vor Ort berät, die in der Jugendar beit rechtzeitig Prävention betreibt und die stolz ist auf ein Brandenburg mit seiner langen Tradition der Toleranz. Deshalb danken wir heute allen, die das möglich gemacht haben: den Mitarbeitern des „Toleranten Brandenburg“ und der Mobilen Beratungsteams, die genau dorthin fahren, wo Demokratie stattfindet, wo Demokratie entsteht, gelebt und manchmal auch gelernt wird, nämlich in den Kommunen. Und natürlich danken wir auch den vielen Netzwerkpartnern des „Toleranten Bran denburg“, die dem Handlungskonzept den Rückhalt im Land gegeben haben, der damals nötig war, heute nötig ist und mor gen nötig sein wird.

(Beifall CDU, SPD und des Abgeordneten Vogel [B90/ GRÜNE])

Es schmälert den Erfolg keinesfalls, wenn wir heute feststellen, dass wir das „Tolerante Brandenburg“ noch immer brauchen. Manche Herausforderungen der 90er-Jahre sind leider geblie ben. Leider gibt es noch immer Opfer rechtsextremer Gewalt. Leider gibt es Menschen, heute vielleicht sogar mehr als da mals, für die nicht der Rechtsextreme ein Problem ist, sondern der, der darüber spricht. Hinzugekommen sind andere, neuarti ge Extremisten. Ich denke da an Islamisten und Reichsbürger. Ich denke aber auch an etwas viel Grundsätzlicheres: Die Ängs te der Mitte scheinen den Rändern eine neue Berechtigung zu geben. Die Ideen des Untergrunds sind auf einmal auf den Stra ßen und in den Salons zu hören. Um einmal den Titel der Aktu ellen Stunde aufzugreifen: Wir erleben gerade, dass sich die Zivilgesellschaft spaltet und ein Teil gegen das aufbegehrt, was sie als angeblich etablierte Ordnung beschimpfen. Da frage ich mich, ob die Zivilgesellschaft womöglich Garant und Heraus forderung der Demokratie zugleich ist.

Wir alle wissen: Das kann am „Toleranten Brandenburg“ nicht vorbeigehen. Wer bei den Feierlichkeiten am Wochenende da bei war, der wird auch wissen, dass wir vor der Frage stehen: Wie geht es weiter? Genau darüber ist zu reden, und ich sage heute für die CDU Brandenburg: Fest steht, wir brauchen einen Prozess der Weiterentwicklung, und wir stehen für entspre chende Gespräche jederzeit gern zur Verfügung.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE und des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE])

Gefragt sind nicht nur die Akteure und Partner des „Toleranten Brandenburg“, gefragt sind gerade wir, die Politiker. Wie vor 20 Jahren müssten wir schonungslos mit uns selbst sein und wieder etwas Schmerzhaftes eingestehen, nämlich: Wir haben verdrängt, was Demokratie uns abverlangt - zuzuhören und auch dann ein offenes Ohr zu haben, wenn sich unser Herz bei dem, was wir hören, eigentlich verschließen will.

Ich reise derzeit mit meinem Familientisch durch die Branden burger Dörfer. Der Tisch gehörte einst meinen Großeltern, da nach meinen Eltern, und heute gehört er meiner Frau und mir. Damit will ich den Leuten sagen: Alles kann wie in einer Fami lie angesprochen werden. Alles kann auf den Tisch kommen. - Ich bekomme an diesem Tisch, bei diesen Gesprächen viel zu hören: Bewundernswertes, Rührendes, aber leider Gottes auch Hässliches, was mir einen Stich versetzt. Aber es geht nicht um meine Gefühle, sondern darum, dass auch andere starke Gefüh le haben. Die einen haben Frust, Wut oder auch Angst. Und ja, es gibt diese neue Angst, die ich vorher so nicht kannte, die

Angst vor einer Welt in Aufruhr, vor einer Welt, die etwas ver ändert. Deshalb müssen an meinem Tisch auch die Fragen, die so viele Menschen umtreiben, erlaubt sein: Wie bewahren wir die Heimat? Wie begegnen wir dem Fremden und wie gehen wir mit den Fremden in der Mitte unserer Gesellschaft um? Nicht obwohl, sondern gerade weil das die Themen der Rechts extremen sind, dürfen diese Fragen nicht unter den Tisch fallen, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE und des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE])

Zuhören heißt aber nicht zustimmen. Auch das ist Demokratie. Jeder hat ein Recht darauf, dass ihm widersprochen wird. Jeder sollte am eigenen Leibe erfahren, dass er oder sie eben nicht die schweigende Mehrheit bildet, selbst wenn es im Internet anders aussehen mag. Zuhören heißt, zugehörig zu machen. Es heißt, dem anderen zu sagen: Es kommt in unserem Land Branden burg auch auf deine Meinung an. - Wer dann krakeelt, dass in Deutschland niemand mehr seine Meinung sagen darf, dem sage ich: Du willst selbst nicht zuhören. Du hast ein Recht auf deine Meinung, aber nicht darauf, dass andere oder ich dir recht geben.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE und des fraktionslosen Abgeordneten Hein)

Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Es bleibt uns nicht erspart, über diese Welt, die Angst macht, zu reden. Wie schwer das ist, zeigt die Debatte über das Flüchtlingsthema leider Got tes sehr eindringlich. Wo eben noch extreme Euphorie herrsch te, macht sich auf einmal nicht weniger extreme Hysterie breit. Wir müssen deshalb nicht mehr, aber besser streiten, und viel leicht ist der Schlüssel dazu die Erkenntnis, dass ein vermeint licher Widerspruch kein Widerspruch ist: Erst wenn wir den Gefühlen Raum geben, schaffen wir Platz in der Gesellschaft für den sachlichen Streit. Das Ringen in der Gesellschaft um die Demokratie ist heute genauso aktuell wie vor 20 Jahren. Demo kratie ist - das ist meine Botschaft - mehr, als nur eine Haltung einzufordern. Demokratie fordert von uns auch, unterschiedli che Meinungen und Haltungen zu ertragen.

(Beifall CDU, DIE LINKE und der Abgeordneten Koß [SPD] und Vogel [B90/GRÜNE])

Zum Schluss eine klare Ansage: Den gesellschaftlichen Kampf gegen Rechtsextremismus brauchen wir weiterhin. Aber allein ist er keine Antwort auf die Fragen einer verunsicherten Gesell schaft. Genauso brauchen wir die Einsicht, dass der Kampf ge gen die Extreme den Streit in der Mitte der Gesellschaft voraus setzt. Ich bin ganz sicher: In einem toleranten Brandenburg können wir auch bei Reizthemen wesentlich mehr Streit wa gen. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Der nächste Red ner ist der Abgeordnete Bischoff; er spricht für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Ralf Christoffers, lieber Ingo Senftleben, die 90er-Jahre

waren für die Menschen in Brandenburg eine schwierige Zeit. Viele von uns haben sie hautnah erlebt. Die meisten können sich gut daran erinnern. Das hatte nicht nur mit wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen zu tun. Sehr bald nach der friedlichen Revolution haben auch Rechtsextremisten angefangen, ihren Hass an Minderheiten, Ausländern, Obdachlosen und Punks auszulassen. Es waren feige Angriffe auf schwächere Men schen bzw. Angriffe auf die Menschlichkeit.