Protocol of the Session on June 28, 2017

Das Zeichen, das an die Bürger unseres Landes gesendet wird, lässt sich so zusammenfassen: Ihr könnt euch zusammenschlie ßen, Bürgerinitiativen bilden und Volksentscheide herbeifüh ren, aber uns ist das wurscht. - Wenn Sie sich für die Forderun gen des Volkes nicht mehr interessieren, Herr Ministerpräsi dent Dr. Woidke, muss ich Sie dazu auffordern: Treten Sie ein mal aus Ihrem Arbeitszimmer heraus, gehen Sie aus der Staats kanzlei heraus, treten Sie bis an den Zaun, drehen Sie sich um, gucken Sie an den Giebel und dann sehen Sie Worte, die lau ten: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.

Die Alternative für Deutschland wird sich immer daran aus richten. Wir werden uns weiterhin gegen die geplante Kreisge bietsreform stemmen und werden für den Erhalt unserer jetzi gen Landkreise und kreisfreien Städte streiten. Wir werden weiterhin den vernünftigen Protest der Bürger gegen dieses Vorhaben unterstützen, ob uns nun die Macher der überparteili chen Initiative dabeihaben wollen oder nicht.

Mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln werden wir die Bürger mobilisieren. Ich freue mich jetzt schon auf den Start des Volksbegehrens. 80 000 gültige Unterschriften müssen bin nen eines halben Jahres bei den Ämtern geleistet werden. Das ist eine große Aufgabe. Ich bin sehr optimistisch, dass auch die Alternative für Deutschland einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann.

Herr Minister Schröter, lassen Sie mich meine Rede mit einer Äußerung von Ihnen vor Kurzem schließen: Sie sagten, jetzt sei eine Bergetappe zu bewältigen. Das gleiche gelte für all je ne, die sich gegen dieses Vorhaben stellen. Um im Bilde zu bleiben, Herr Minister, und weil die Tour de France am 1. Juli anfängt: Es mag ja sein, dass Sie das weiße Bergtrikot mit den roten Punkten davontragen und sich zu Hause in den Schrank hängen können. Für uns ist es viel wichtiger, dass auf der Champs-Élysées die Brandenburger als Sieger und Träger des Gelben Trikots die Ziellinie überqueren und danach in die 14 Landkreise und die vier kreisfreien Städte zurückkehren können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht Frau Abgeordnete Nonnemacher für die Fraktion BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Verehrte Besucher! Endlich, so möchte man sagen, hat das Schattenboxen ein Ende. Endlich wird nicht mehr nur über

Pläne und Vorschläge diskutiert, sondern über konkrete Ge setzentwürfe. Fast ein Jahr ist vergangen, seit der Landtag das Leitbild zur Verwaltungsstrukturreform beschlossen hat - ein Jahr, das es in sich hatte und bestimmt war von den Diskussio nen über Kreiszuschnitte und Aufgabenübertragungen vom Land an die Kommunen, über Geld, das die Reform kosten würde, und nicht zuletzt über die Unruhe, die bei diesem The ma bei den Regierungsparteien herrschte - Unruhe, die nicht zuletzt auch von den eigenen Leuten von SPD und Linken in den Landkreisen und kreisfreien Städten angefacht wurde.

Auch uns machten Sie es, meine Damen und Herren der Koali tion, nicht leicht. Wir haben aber vom Beginn der Legislaturpe riode an gesagt, dass wir den Reformbedarf, der Teilen des Leitbildbeschlusses zugrunde liegt, ebenfalls sehen. Wir haben immer zum Ausdruck gebracht, dass wir als Opposition das Vorhaben kritisch aber konstruktiv begleiten werden. Das gilt auch weiterhin. Vielfach wird ja eingewandt, dass es zurzeit gar keinen Reformbedarf gebe: Die finanzielle Situation des Landes habe sich besser als erwartet entwickelt, aus Berlin steige die Zahl der Zuzüge nach Brandenburg an und selbst die Geburtenrate würde wieder steigen. Aber nein, die langfristi gen Trends wirken weiter, und gerade deshalb ist es jetzt not wendig, die gute Ausgangslage dafür zu nutzen,

(Vereinzelt Beifall SPD)

dass das Land Brandenburg auch künftig unter veränderten fi nanziellen und demografischen Bedingungen in allen Landestei len eine leistungsfähige und bürgernahe Verwaltung haben wird.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich die Landesregierung ge rade nicht als beratungsresistent herausgestellt, sondern auf die herbe Kritik am Referentenentwurf aus den Kreisen und kreis freien Städten substanziell reagiert hat. Es wurden Änderungen vorgenommen, die auch von unserer Partei vehement von allen gefordert worden sind. Statt 14 Landkreise und vier kreisfreie Städte soll es nun künftig elf Landkreise und mit der Landes hauptstadt Potsdam nur noch eine kreisfreie Stadt geben. Der große Lausitzkreis ist genauso vom Tisch wie auch die Zusam menlegung der wirtschaftsstarken Landkreise Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald. So reden wir in den nächsten Wochen neben der Einkreisung der kreisfreien Städte Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt (Oder) über die lange avisier te Fusion der Landkreise Prignitz und Ostprignitz-Ruppin, Uckermark und Barnim und jetzt auch Elbe-Elster und Ober spreewald-Lausitz. Damit hat sich die Landesregierung zu ei ner „Kreisgebietsreform light“ entschieden; denn auch in die sen neuen Strukturen werden drei Landkreise sein, die 2030 nicht über die im Leitbild bestimmte Regeleinwohnerzahl von mindestens 175 000 Einwohnerinnen und Einwohnern verfü gen. Das gilt auch für den neuen Prignitzkreis. Auch wird die ser genau wie die beiden neuen Landkreise im Süden nicht dem Sektoralkreisprinzip entsprechend Anteil am Berliner Umland und somit Schwierigkeiten haben, Ungleichgewichte innerhalb des Kreises eigenständig auszugleichen.

Schon jetzt gibt es Stimmen, die die Reform als nicht weitge hend genug erachten. Komplexe Reformprozesse im Verwal tungsbereich unterliegen aber verschiedenen Rationalitäten. Politische Kompromisse werden selten bejubelt, sind aber not wendig. Nur die, die alles ablehnen, sind von der Zumutung der Konsensbildung befreit.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Umso wichtiger ist es, die Reform finanziell gut abzufedern und auch eine Lösung insbesondere für die hochverschuldeten Kommunen zu finden. Es ist sinnvoll, dass die Teilentschul dung jetzt vollständig vom Land übernommen wird und nicht von den Kommunen durch einen Griff in die Finanzausgleichs masse mitfinanziert werden soll; wir hatten das immer gefor dert. Wir finden aber, dass das Land perspektivisch eine Ent schuldungsstrategie der kommunalen Ebene insgesamt anstre ben sollte. Das kann dann nicht nur für die hochverschuldeten kreisfreien Städte gelten, sondern muss auch für die anderen Städte und Gemeinden möglich sein.

(Beifall B90/GRÜNE)

Zu dieser Thematik legen wir Ihnen schon heute einen Ände rungsantrag zu § 65 Kreisneugliederungsgesetz vor.

Ein besonderes Augenmerk möchte ich auch auf den § 21 Kreisneugliederungsgesetz lenken. Darin soll festgelegt wer den, dass die erste Landratswahl in den neu zu bildenden Land kreisen nicht direkt durch die Bürgerinnen und Bürger im Landkreis erfolgen soll, sondern durch den neu gewählten Kreistag. Herr Innenminister, ich weiß ja, dass Sie kein Freund der Direktwahl von Landrätinnen und Landräten sind, aber derart dreist in die hart erkämpfte Direktwahl einzugreifen wird auf unseren erbitterten Widerstand treffen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie der Abgeordneten Johlige [DIE LINKE] und Bretz [CDU])

Es wäre geradezu ein Fehlstart für die neuen Landkreise, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihre Landrätin oder ihren Landrat nicht direkt wählen könnten. Wir haben eine in unseren Augen berechtigte Reform der Verwaltungsstrukturen immer mit ei nem Zugewinn an demokratischen Teilhabemöglichkeiten flan kieren wollen. Das Aussetzen von Direktwahlen ist das Gegen teil davon.

Darüber hinaus mahnen wir die Umsetzung des Entschlie ßungsantrages vom Juli letzten Jahres zum Ausbau direktde mokratischer Verfahren in den Kommunen und zur Veranke rung der Kinder- und Jugendbeteiligung in der Kommunalver fassung an.

(Beifall B90/GRÜNE)

Meine Damen und Herren, nicht wiederzuerkennen ist das, was uns die Landesregierung als Funktionalreformgesetz vorgelegt hat.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Tja!)

22 Aufgaben sah das Leitbild zur Verlagerung auf die kommuna le Ebene vor, im Wesentlichen auf die Landkreisebene. Wir Bündnisgrünen haben immer gesagt, dass die Kommunalisie rung von Aufgaben kein Selbstzweck sein kann, sondern gut be gründet sein muss. Die Sicherstellung von Fachlichkeit hatte für uns oberste Priorität. Deshalb haben wir insbesondere gegen die Übertragung der Aufgaben im Bereich des Natur- und Arten schutzes, des technischen Emissionsschutzes, der Heimaufsicht und des Denkmalschutzes gekämpft. Auch der Vorschlag, das Landesamt für Versorgung und Soziales in einen kommunalen Sozialverband zu überführen, haben wir sehr kritisch gesehen.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

Das und noch einiges mehr ist jetzt vom Tisch.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

Von den 22 Aufgaben des Leitbildes sind noch fünf übrig ge blieben, von denen lediglich die Übertragung der hoheitlichen Aufgaben im Forstbereich mit dem Übergang einer erhebli chen Mitarbeiterzahl vom Landesforstbetrieb auf die Landkrei se verbunden sein wird. Als interessante Option sehen wir die Übertragung der Aufgaben für die Entwicklung des ländlichen Raumes nebst Fördermitteln in der nächsten EU-Förderperiode an. Dies würde einen wirklich relevanten Zuwachs an Aufga ben, untersetzt mit hohen Budgets für die Kommunen, bedeu ten. Für uns Bündnisgrünen hat die qualitativ hochwertige Auf gabenwahrnehmung gerade bei hochspezialisierten Aufgaben immer Priorität gehabt. Auch dem falschen Axiom, dass nur eine umfängliche Funktionalreform begründend für notwendi ge Anpassungsprozesse sei, sind wir nie gefolgt. Allerdings se hen wir es als notwendig an, uns in der nächsten Wahlperiode näher über die Funktionalreform II, die Aufgabenübertragung von den gestärkten Kreisen auf die Kommunen, zu unterhalten.

(Beifall B90/GRÜNE, vereinzelt SPD und des Abgeord neten Domres [DIE LINKE])

Meine Damen und Herren, parallel zur Diskussion über diese Gesetzentwürfe in den Ausschüssen wird das Volksbegehren „Kreisreform stoppen“ laufen und bis zum Februar nächsten Jahres Unterschriften sammeln. Für uns ist die direkte Demo kratie eine willkommene Ergänzung der repräsentativen De mokratie. Aber es ist auch normal, dass ein Parlament seine Arbeit macht und einen Gesetzgebungsprozess voranbringt und nicht abwartet, bis ein dreistufiges und mitunter jahrelang dauerndes Verfahren der Volksgesetzgebung abgeschlossen ist.

BVB/FREIE WÄHLER haben jetzt Last-Minute ihren Antrag substanziell geändert und sind nicht mehr der Versuchung erle gen, erneut die Forderungen des Volksbegehrens zur Abstim mung zu stellen. Wir haben uns - im Unterschied zur Landesre gierung - mehrfach eindeutig dazu positioniert, dass wir das Ergebnis eines möglichen Volksentscheids akzeptieren werden. Käme es bei einem möglichen Volksentscheid im Frühsommer 2018 tatsächlich zu einem Nein, wäre das Projekt abzublasen.

(Beifall B90/GRÜNE, CDU sowie der Abgeordneten Schade und Königer [AfD])

Gleichwohl missfällt uns im Antrag von BVB/FREIE WÄH LER diese „Wir-sind-das-Volk!“-Attitüde. Wir werden diesem Antrag inhaltlich in der Hauptforderung zustimmen, uns aber von diesen Zumutungen, immer zu sagen, dass Sie die Einzi gen sind, die den Volkswillen interpretieren können, distanzie ren.

(Beifall DIE LINKE)

Bis wir aber so weit sind, erwarten die Menschen von uns, dass wir unsere Arbeit im Parlament tun. Dies werden wir Bündnis grünen, wie Sie es gewohnt sind, kritisch und konstruktiv ma chen. Auf weitere Änderungsanträge von uns im parlamentari schen Verfahren können Sie sich jetzt schon einstellen und sich dafür bereitmachen. - Vielen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort erhält die Fraktion DIE LINKE. Zu uns spricht der Abgeordnete Dr. Scharfenberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit den beiden Gesetzentwürfen werden die Grundlagen für eine Reform mit Augenmaß gelegt. Ich sage das deshalb, weil wir im Rahmen der Enquetekommission über verschiedene Modelle diskutiert haben. Da gab es das Modell mit fünf Kreisen und Modelle mit acht Kreisen. Die Enquetekommission hat in ihrem Abschluss bericht einen Korridor zwischen sieben und zehn Landkreisen vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf zur Kreisneugliederung sieht jetzt vor, dass wir der Gebietsreform ein Modell 11+1 zu grunde legen. Eine Reform mit Augenmaß.

Ich bin erstaunt, dass die Diskussionen jetzt in die Richtung gehen, zu sagen, es sei nur noch ein Reförmchen. Das kommt zum großen Teil von denjenigen, die vorher vom Übermaß ge sprochen haben

(Beifall SPD)

und davon, dass wir wie in Mecklenburg-Vorpommern dieses Land völlig umpflügen würden. Meine Damen und Herren und Herr Petke, diesbezüglich sind Sie ja ein besonderer Protago nist, Sie reden hier über Dinge, ohne sich an dem messen zu lassen, was Sie selbst mitverantwortet haben und was der ob jektive Rahmen dieser Diskussion ist. Sie wollen ja gar keine inhaltliche Befassung mit diesen Gesetzen,

(Beifall DIE LINKE und SPD)

sondern Sie praktizieren eine reine Abwehr.

Vielleicht nur noch einmal zur Erläuterung für Sie, wobei ich mir sicher bin, dass Sie das eigentlich wissen: Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen der Zwangsfusion von 400 Gemeinden und einer Kreisgebietsreform - Sie haben diese Zwangsfusionsgesetze damals ja wesentlich mitverantwortet -: Eine Gemeinde ist eine Selbstverwaltungseinheit - kommunale Selbstverwaltung pur. Bei den Kreisen ist die Qualität eine et was andere. Es sind auch kommunale Selbstverwaltungsein heiten, aber zugleich untere Landesbehörden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Bei einem Blick ins Grundgesetz und in die Landesverfassung können Sie das entdecken.

(Petke [CDU]: Und warum sagen Sie mir das jetzt?)

- Ich meine, ich habe nicht die Hoffnung, dass Sie das jetzt verstehen werden, aber ich wollte es zumindest in diesem Krei se noch einmal kenntlich machen.

(Petke [CDU]: Nein, ich meinte: Worin besteht der politi sche Sinn?)

Meine Damen und Herren! Es ist hier aufgezeigt worden, dass es einen lebendigen Diskussionsprozess gegeben hat, und ich lege großen Wert darauf festzustellen: Dieser Prozess und das,

was jetzt als Ergebnis vorliegt, ist jenseits jeder Rechthaberei. Das Ansinnen Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand hat zu keiner Zeit bestanden, sondern wir wollen in diesem Diskussionspro zess - er wird im Laufe der parlamentarischen Beratung ja wei tergehen - erreichen, dass es ein Ergebnis gibt, das den Bedürf nissen bzw. dem Bedarf im Land möglichst weit angenähert ist. Das ist die Diskussion, die wir führen. Die Veränderungen, die an diesem Gesetzentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf vorgenommen worden sind, sprechen für sich. Ich will sie nicht alle wiederholen.