Deswegen gibt es auch massive Kritik des Deutschen Städteund Gemeindebundes, der in seiner jüngsten Stellungnahme gravierende Mängel an diesem Konzept herausarbeitet hat, auf die bis heute hier gar nicht eingegangen wurde. Der Entwurf berücksichtigt nicht das Bild der kommunalen Selbstverwaltung des Grundgesetzes, weil die Kommunen in der Darstellung auf öffentliche Aufgabenträger reduziert werden. So sagt der Deutsche Städte- und Gemeindebund wörtlich:
„Dem Entwurf ist nicht zu entnehmen, dass er sich mit der Frage der bürgerschaftlichen Erledigung der Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft bei den vorgeschlagenen Strukturmodellen auseinandersetzt.“
Hierzu ein breites Zitat des Deutschen Städte- und Gemeindebundes jenes Urteils des Bundesverfassungsgerichts, welches wir hier im letzten Jahr im Zuge der Diskussion zur Regierungserklärung vorgetragen haben, wo der Deutsche Städteund Gemeindebund auch hier darauf hinweist, dass Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes eine Institutsgarantie für Gemeinden und Kreise bedingt.
Herr Minister, es wäre mir peinlich, an solche Mindestniveaus durch den Deutschen Städte- und Gemeindebund erinnert werden zu müssen. Und es ist mitnichten so, dass die entsprechenden Spitzenverbände das hier unterstützt hätten. Wohlgemerkt: Diese Position kommt vom Deutschen Städte- und Gemeindebund, also von den Personen, die es wissen müssen; denn die werden das umsetzen müssen.
Der Entwurf erfüllt auch nicht die Anforderungen des Landtagsbeschlusses vom Dezember 2014 - Linke und SPD kritisieren das nicht, obwohl es ihr eigener Antrag gewesen ist; das verwundert uns aber nicht -; denn der Grundsatz, die Aufgaben aus der Struktur abzuleiten, wird hier nicht erfüllt. Kreisgrößen werden ganz klar zwingend vorgegeben. Die Übertragung von Aufgaben auf Gemeinden ist kaum substanziell; sie knüpfen nur an bereits bestehende Kompetenzen an. Es werden Mindestgrößen für Gemeinden formuliert, die nicht realistisch sind. Dem Landeshaushalt wird der Vorrang gegeben. 10 000 Einwohner führen zu einer Gemeindegröße von 600 km2; das haben wir gehört. Ämter werden pauschal abgelehnt, obwohl sie anerkannt, etabliert sind, die kommunale Selbstverwaltung erhalten können und auch einen guten Mitarbeiterschlüssel je 1 000 Einwohner aufweisen.
Wenn wir dann vom Fraktionsvorsitzenden der SPD hören, dass die Kreisumlage etwas mit der Einwohnerzahl zu tun habe, dann ist man leicht peinlich berührt. Potsdam-Mittelmark als der größte Landkreis Brandenburgs hat eine Kreisumlage von 43 %, also deutlich mehr als die von Ihnen zitierten 35 %. Der Landkreis Dahme-Spreewald mit 160 000 Einwohnern - er liegt sogar unter dem Schwellenwert von 175 000 Einwohnern, den Sie hier vorschreiben - hat eine Kreisumlage von 39 %. Also erzählen Sie den Leuten nicht, dass das die Bemessungsgrundlage sein müsse!
So verfahren Sie, meine Damen und Herren, auch bei den Landkreisen. Einerseits wird der Erhalt gewachsener Strukturen versprochen; andererseits werden pauschal Sektoralkreise gefordert. Sektoralkreise führen dazu - natürlich -, dass, wenn Landkreise an Berlin grenzen, in den Landkreisen erhebliche Konflikte entstehen, weil die berlinnahen Räume natürlich
dominieren werden. Doch mit den sich dann abzeichnenden Konflikten werden die Kreise alleingelassen.
Genauso ist es im Prinzip bei den Verwaltungsstandorten: Den Menschen wird erzählt: Wir erhalten die Verwaltungsstandorte. - In dem Papier steht aber: Die konkrete Ausgestaltung obliegt dann den neu zu wählenden Kreistagen. - Das heißt, das Land suggeriert nach außen: „Wir wollen ja alle Verwaltungsstandorte erhalten“, die konkrete Entscheidung, also die Probleme, die Diskussion wird aber den Kreisen überlassen. Das heißt, Sie waschen Ihre Hände in Unschuld. Nach außen hin wird suggeriert, man wolle die Verwaltungsstandorte erhalten, überlässt die konkrete Diskussion aber den Kreisen.
Genauso wird mit der Bürgerschaft umgegangen: Es wird suggeriert, man suche jetzt die Diskussion mit der Bürgerschaft. Diese Diskussion wird zu einem Zeitpunkt gesucht, wo das Ganze noch so wenig konkret ist, dass Kritik der Bürgerschaft weggewischt werden kann mit der Begründung: Ist doch noch nicht ausgegoren. - Und wenn es dann ausgegoren ist, in ein oder zwei Jahren, wird es heißen: Na, wir haben euch doch informiert, und damals habt ihr es nicht kritisiert. - Deswegen sagt der Deutsche Städte- und Gemeindebund:
„Leider fehlen auch substantielle Aussagen zur Reform der Landesverwaltung, dem Ausbau des E-Governments und der Entwicklung des Verwaltungspersonals sowie finanzpolitische Zielsetzungen. Schließlich ist dem Entwurf auch kein belastbares Finanzierungskonzept der Reform zu entnehmen, dem einerseits eine dauerhafte Handlungsfähigkeit der Landkreise, Städte und Gemeinden entnommen werden kann und sich andererseits mit der Finanzierung der verbliebenen Landesverwaltung befasst. Mithin fehlt die Grundlage, die zum Gegenstand einer umfassenden Bürgerbeteiligung gemacht werden kann.“
So ist das zu diesem Zeitpunkt. Das sagt der Deutsche Städteund Gemeindebund. Und darüber geht der Innenminister hier einfach hinweg.
Meine Damen und Herren, das Konzept folgt in keiner Weise dem Prinzip „Hypothese, Analyse, Schlussfolgerung“, sondern Ergebnis folgt Dogma, Analyse braucht man nicht: keine fundierte Betrachtung der territorialen Leistungsgrenzen, keine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Strukturreform 2003. Hiergegen kann und muss es direktdemokratische Vetomöglichkeiten geben. Wenn sich der Minister der Diskussion mit der Bürgerschaft stellt, meine Damen und Herren, dann sollte sich der Landtag auch dem Votum der Bürgerschaft stellen. Deswegen fordern wir als BVB/FREIE WÄHLER weiterhin: Durchführung von Bürgerentscheiden in den betroffenen Landkreisen und betroffenen kreisfreien Städten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. - Wir kommen nun zum nächsten Redner. Der Abgeordnete Ness, nutzt seine verbliebene Restzeit für die Fraktion der SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir kommen jetzt zum Ende der Debatte; nach mir wird, glaube ich, der Kollege Scharfenberg noch das Wort ergreifen. Da ist es vielleicht ganz gut, eine Bilanz zu ziehen: Ich fand diese Debatte heute sehr spannend, sehr interessant. Sie war eigentlich ein ganz guter Auftakt für eine Diskussion, die uns wahrscheinlich die nächsten vier Jahre begleiten wird, nämlich bis zur nächsten Kommunalwahl, wo dann die Kreisgebietsreform, die Verwaltungsstrukturreform, die Funktionalreform vollzogen werden sollen.
Ich fand es interessant, wie sich einige positioniert haben. Am meisten war ich ja gespannt: „Wie wird sich die CDU positionieren?“; das hatte ich gestern schon angekündigt und habe es heute in meiner Rede auch noch mal gesagt. Es war interessant, das wahrzunehmen. Ich saß gespannt da und wartete: Was kommt jetzt an Vorschlägen? Gibt es ein Alternativkonzept? Ja, ich bin Ihnen erst einmal dankbar, dass Sie einen Begriff, den ich gern setzen wollte, aufgegriffen und damit verstärkt haben: Die CDU hat sich in der Tat in die Ackerfurche geworfen - das haben wir festgestellt -, sie will sich offensichtlich nicht konstruktiv an dem Diskussionsprozess über eine Kreisgebietsreform beteiligen.
Aber dann kam es ja zum Schluss noch, dann wurden zwei Vorschläge gemacht: ein Vorschlag, den wir eben vom Kollegen Vida auch noch einmal gehört haben, nämlich Freiwilligkeit, Freiwilligkeit! Na gut, man kann ja der Meinung sein. Dann muss man aber auch ehrlicherweise sagen: Wenn Kreiszusammenschlüsse und Eingliederung von kreisfreien Städten nur freiwillig erfolgen sollen, dann gibt man einen landesplanerischen Anspruch dieses Parlaments und der Landesregierung auf.
Die anderen Fraktionen haben darauf hingewiesen - da bin ich auch den Grünen sehr dankbar -, dass es bei dieser Verwaltungsstrukturreform darum geht, dauerhaft - auch noch im Jahr 2030 und im Jahr 2040 - gleichwertige Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Das heißt, dass wir uns freiwillige Zusammenschlüsse nach dem Motto der Rosinenpickerei - jeder sucht sich einen, mit dem er gut auskommt, wo sich zwei Starke noch einmal gegenseitig stärken - nicht erlauben können. Mit unserem landesplanerischen Anspruch müssen wir vielmehr gewährleisten, dass starke Regionen im Berliner Umland ihren Beitrag leisten, um ökonomisch etwas schwächere Regionen in der Tiefe des Landes zu stärken und dort auch gute Verwaltung aufrechtzuerhalten.
Das wird auf freiwilliger Basis nie gelingen, da müssen wir wieder einen Blick auf das gesamte Land Brandenburg haben; diesen Anspruch müssen wir haben.
Deshalb sage ich Ihnen auch, dass Ihr zweiter Vorschlag, liebe Frau Richstein, nämlich dass es eine Volksabstimmung geben soll, im Widerspruch zum ersten steht. Entweder macht man alles freiwillig; dann braucht man auch keine Volksabstimmung. Dann sagt man vor Ort in der Prignitz: Wir gehen mit OPR zusammen, oder eben nicht. Wofür brauchen wir dann noch eine Volksabstimmung? Aber das ist wahrscheinlich die kurze - jetzt hören die Kollegen von der Linken mal weg -, die Syriza-Anwandlung bei der CDU. Da hat man offensichtlich gelernt und gesagt: Na, da holen wir uns ein Referendum. Also, es ist eine neue Erkenntnis, dass die CDU jetzt doch ein bisschen Populismus an den Tag legt und eine Volksbefragung anmahnt. Ich glaube, wir brauchen keine Volksbefragung - wir brauchten auch 1993 keine Volksbefragung -, sondern wir haben jetzt ein Leitbild, und dieses Leitbild ist die Grundlage der Diskussion.
Ich sage Ihnen, für dieses Leitbild gilt wie für viele Gesetze Folgendes: Es wird nicht so aus dem Landtag herausgehen, wie es hereingekommen ist, sondern jetzt wird der Innenminister durch das Land reisen, und wir alle werden uns vielen Diskussionen stellen. Ich bin mir sehr sicher, dass nicht nur ich, sondern auch die Mitglieder meiner Fraktion, der Koalitionsfraktionen und auch der Landesregierung bei diesem Prozess lernen und dass das Leitbild, wenn wir es im Juni des nächsten Jahres verabschieden werden, auch Vorschläge enthalten wird, die die Opposition formuliert.
Ich habe Frau Nonnemacher sehr aufmerksam zugehört. Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen. Ich glaube, dass auf Ihrer Seite viele konstruktive Ideen sind, die wir aufgreifen und einbeziehen können.
Von Ihnen, der AfD-Fraktion, erwarte ich nichts, seit Ihrem Bundesparteitag ohnehin nichts mehr. Ich kann mir aber vorstellen, dass die CDU-Fraktion, wenn sie mit ihren Landräten und Bürgermeistern vor Ort diskutiert, in der Tat einige Anregungen bekommt, wenn nämlich dieser Prozess aufs Gleis kommt und Sie feststellen, dass es keine Volksbefragung und keine freiwilligen Zusammenschlüsse geben wird.
Es gibt Ideen: Ich habe heute beispielsweise einen interessanten Beitrag über eine Diskussionsveranstaltung im Norden Brandenburgs gelesen, bei der Unternehmer aus OstprignitzRuppin und Prignitz zusammengekommen sind und eigene Vorschläge entwickelt haben. Die sagen: Okay, wir wollen nicht aufgeteilt werden, wir wollen das zusammennehmen. Das sind konstruktive Ideen. Ich stelle jetzt fest, dass es im Süden Brandenburgs, in Spree-Neiße und OSL, Ambitionen gibt zu sagen: Wir können uns gut vorstellen, dass Cottbus unsere Kreishauptstadt wird.
Also werden wir beim Leitbild darüber diskutieren müssen, ob der Vorschlag, beispielsweise Volksabstimmungen über die künftigen Kreissitze durchzuführen, wirklich so sinnvoll ist. Ich persönlich kann mir sehr gut vorstellen, dass man über Folgendes nachdenkt: Um die Oberzentren zu stärken, sollen diese auch, wenn sie denn eingekreist werden müssen, Kreis
sitze werden. Das wäre eine interessante Diskussion. Ich freue mich darauf, und ich freue mich auf gute Anregungen und Ihre Unterstützung dabei.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ness, Sie sprachen noch einmal die Ackerfurche an. Denken Sie an das Ende des Märchens: Der Hase hat verloren, und der kluge Igel war derjenige, der zum Schluss mit dem Gewinn nach Hause gegangen ist.
Sie sagten, wir hätten zwei Vorschläge. Ich darf Ihnen verraten, wir haben mehr Vorschläge, aber wir befinden uns am Beginn der Diskussion. Warum sollen wir Ihnen unsere Vorschläge jetzt schon in einer Parlamentsdebatte auf den Tisch legen, wo wir doch noch am Anfang sind und auch Ihre Argumente, die heute nicht überzeugt haben, erst einmal hören wollen? Wir haben ein Jahr Diskussionszeit. Sie haben es gesagt: Der Minister wird durchs Land fahren. - Im Innenausschuss haben wir gehört, dass er bereits angekündigt hat, nicht bei jeder Informationsveranstaltung anwesend zu sein, was ich bedaure. Ich hoffe aber, dass wir trotzdem eine konstruktive Diskussion haben werden.
Freiwilligkeit und eine Bürgerbefragung schließen sich nicht aus. Entgegen Ihren Ausführungen haben wir nicht eine Volksabstimmung, sondern die Forderung nach einer Bürgerbefragung beschlossen. Das ist durchaus ein Unterschied, aber darüber können wir uns auch noch einmal unterhalten. Wenn Sie sagen, dass die Freiwilligkeit nicht funktioniere, weil wir uns damit unserer gestalterischen Möglichkeiten berauben, frage ich mich: Wie wollen Sie dann die Freiwilligkeit auf Gemeindeebene gestalten? - Danke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, nach den neuerlichen Ausführungen von Frau Richstein ist es ganz gut, einiges noch einmal in Erinnerung zu rufen. Das Land Brandenburg hat so seine Erfahrungen mit kommunalen Gebietsreformen. Die Kreisgebietsreform 1993 war alles andere als unumstritten, aber im Endeffekt hat sich die Auseinander
setzung damals darauf konzentriert, sich über die Kreissitze zu streiten. Ich denke, das ist symptomatisch und zeigt, dass und wie man zwischen Kreisreform und Gemeindegebietsreform unterscheiden muss. Ich finde, dass eine Kreisgebietsreform einen anderen Charakter hat, anderen Anforderungen genügen muss, als das bei einer Gemeindegebietsreform der Fall ist.
Bei der Gemeindegebietsreform von 2003 waren die Voraussetzungen anders und war die öffentliche Diskussion eine ganz andere. Dabei hat die CDU vorexerziert, wie sie es mit Wahlversprechen hält und welches Verständnis sie von kommunaler Selbstverwaltung hat. Im Landtagswahlkampf 1999 hat der damalige Landesvorsitzende Schönbohm für den Erhalt der Gemeinden gekämpft, und Sie haben auch für den Erhalt der ganz kleinen Gemeinden gekämpft. Als er wenige Monate später als Innenminister genau für diesen Bereich verantwortlich war, galt das alles nicht mehr. Aus dem CDU-Innenministerium kam 2000 ein Leitbild, das von der Landesregierung beschlossen und dann weitgehend umgesetzt wurde. Der Landtag hatte dazu nichts zu bestimmen. Das Leitbild wurde den Betroffenen erläutert, aber sie hatten keine Möglichkeit, inhaltlichen Einfluss zu nehmen.
Nach einer sogenannten Freiwilligkeitsphase mit Fusionsprämien wurden über den gesetzlichen Weg mehr als 400 Gemeinden zwangsweise zusammengeschlossen. Deswegen staune ich, welchen Wert die CDU-Fraktion jetzt der Freiwilligkeit beimisst.