Meine Damen und Herren, es wird schwer sein, alle Tatsachen lückenlos aufzuklären. Wir sprechen uns daher für eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Pharmatests aus. Dabei ist auch die Frage der möglichen Entschädigung zu beantworten. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen wurden Anträge verabschiedet, die von den dortigen CDU- und SPD-Regierungen Aufklärung fordern. Ich wünsche mir im Interesse aller Involvierten - der Opfer -, dass Sie das Anliegen auch hier in Brandenburg mit großer Geschlossenheit unterstützen. - Herzlichen Dank.
Die Medienberichte zu heimlichen Pharmatests, gerade in den letzten Wochen, haben in mir die Vergangenheit aufleben lassen. 1983 wurde unser Sohn an einer wohl unheilbaren Krebserkrankung fünf Monate lang im Klinikum Berlin-Buch behandelt. Sätze wie „Wir haben hier die neuesten Medikamente“, „Ihr Sohn bekommt ein französisches Präparat“, „Auf dieser Station sind wir grundsätzlich optimistisch“ und auch der Satz
beim letzten Anruf von der Klinik „Es wäre nicht gut, wenn Sie in Trauerkleidung kämen“ haben uns damals bereits verunsichert und zum Teil zornig gemacht. Dennoch hat das Fünkchen Hoffnung alles überwogen.
Diese Sätze erscheinen in Verbindung mit der heutigen Debatte nach 30 Jahren in einem neuen Licht, und die damalige Befürchtung, unser Sohn könnte ein Versuchsobjekt gewesen sein, wird neu genährt. Ich kann heute nicht mehr sagen, ob wir etwas unterschrieben haben, aber ich weiß genau: In Gesprächen mit der Klinik, mit der Ärztin ist es vonseiten der Klinik nie angesprochen worden, es war nie ein Thema. Vielleicht war es ja auch kein Thema. Wenn doch, hätte darüber aufgeklärt werden müssen. Dabei ist völlig unerheblich, ob dieses Wissen unsere Entscheidung damals geändert hätte. Alle Beteiligten müssen wissen, was mit ihnen geschieht und warum es geschieht. Risiken und Nebenwirkungen müssen allen allumfänglich bekannt sein. Alles andere ist unethisch, menschenverachtend.
Dieses Thema ist völlig ungeeignet für oberflächliche Aussagen und pauschale Behauptungen, und mit Kleinen Anfragen im Stile einiger CDU-Kollegen ist eine sachgerechte Aufklärung schon gar nicht möglich.
Der heutige Antrag der CDU, der auch von Bündnis 90/Die Grünen unterstützt wird, ist da schon differenzierter und auch sehr sachlich. Bei der Aufklärung kommt dem Bundesgesundheitsministerium - dem Nachlassverwalter des Gesundheitsministeriums der DDR - eine besondere Rolle zu. Insofern hat sich Ministerin Tack richtigerweise an Minister Bahr gewandt und eine vollständige Aufklärung der Medikamententests eingefordert und für die Aufarbeitung ein Forschungsprojekt angeregt. Seitens der Bundesregierung ist solch ein Forschungsprojekt geplant. Über das Ob wird nicht mehr diskutiert, nur noch über das Wie.
Zur Sicherung der Patientenakten und für die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren hat die Ministerin die Landeskrankenhausgesellschaft angeschrieben, um das berechtigte öffentliche Interesse an den Akten zu bekunden, um so die Interessen der damaligen Patientinnen und Patienten zu wahren.
Die besonderen Forderungen und Erwartungen der Bundesländer werden über die Gesundheitsministerkonferenz festgelegt und koordiniert. Die Koalition unterstützt die seitens der Landesregierung eingeleiteten Schritte. Wir sehen - derzeit jedenfalls - keinen Bedarf, hier im Landtag einen zusätzlichen Beschluss zu fassen. Wir werden natürlich am Thema dranbleiben, den weiteren Verlauf sehr aufmerksam begleiten und im Fachausschuss zeitnah Informationen einfordern.
Der Antrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen unterstützt unser Regierungshandeln. Das freut uns, macht uns richtig froh. Der Antrag ist jedoch entbehrlich, weil alles Erforderliche bereits auf den Weg gebracht worden ist. Wir sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion im Fachausschuss weiterführen. - Danke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Auch ich finde, das ist ein richtiges und wichtiges Anliegen, das viel zu ernst für Schnellschüsse, für wohlfeile Schuldzuweisungen ist. Deshalb möchte ich mich auch nicht lange mit der üblichen Strategie, hier den Bund für alles verantwortlich zu machen, aufhalten. Wüssten Sie sich eigentlich noch Rat, wenn Sie diesen Sündenbock nicht hätten?
Es ist für Sie vielleicht keine Beruhigung, für uns schon: Die Koalition auf Bundesebene, die Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung wahr, und zwar über verschiedene Ressorts hinweg. Verantwortlich für die Diktaturaufarbeitung ist der Beauftragte für die neuen Länder beim Bundesinnenministerium. Der hat bereits angekündigt, dass sich der Bund finanziell beteiligt und ein solches Forschungsprojekt verwirklicht - übrigens in guter Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsminister, der das Seine getan und gesagt hat: Es ist ein gemeinsames Anliegen der Politik und zum Beispiel der deutschen Pharmaunternehmen, lückenlose Aufklärung zu schaffen und diese Dinge sachlich und wissenschaftlich aufzuarbeiten.
Das Thema ist allerdings nicht in erster Linie gesundheitspolitisch angesiedelt. Insofern möchte ich als Mitglied der Enquetekommission unter lauter Gesundheitspolitikern ganz bewusst zu anderen, grundsätzlichen Überlegungen kommen und auch sehr gern die nachdenklichen Töne, die vorhin in der Ausstellungseröffnung zum 17. Juni zum Tragen kamen, aufgreifen: Ich finde, das Thema Medikamententests an früheren DDRBürgern ist Anlass zu Nachdenklichkeit, gerade auch bei früheren Verantwortungsträgern der SED
und auch all jenen, die immer wieder das Hohelied der vermeintlich klassenlosen Staatsmedizin singen. Denn eine ernsthafte und differenzierte Auseinandersetzung mit der Diktatur der DDR - Herr Eppelmann hat sie zu Recht eingefordert - ist eben mehr als das Erinnern an Club-Cola und Schwester Agnes oder das Schwärmen von guten Filmen wie „Paul und Paula“. Es ist auch die Auseinandersetzung mit der Rolle bestimmter Berufsgruppen in Diktaturen, die vor besonderen Herausforderungen und auch moralischen Prüfungen standen. Das trifft für Lehrer, Künstler, Juristen und gerade auch Ärzte zu.
Bei schweren Erkrankungen war es eben häufig eher eine VielKlassen-Medizin. Ich glaube, vom Kreiskrankenhaus bis zum Regierungskrankenhaus gab es sehr unterschiedliche Behandlungen, und das wussten auch viele DDR-Bürger. Dazu gibt es übrigens interessante Dokumentationen, auch von NDR und MDR. Ein System, das sich die Gleichheit auf die Fahne geschrieben hat, hat leider viel zu oft zu sehr feudalen Verhältnissen geführt.
Es gibt bei der Erinnerung an das Gesundheitssystem dieser Diktatur eine einfache menschliche Besonderheit: Jeder, der sich erinnert, war damals jünger und damit tendenziell gesünder, als er heute ist. Bei allen Schwierigkeiten, die es auch heute im Gesundheitssystem gibt, muss man doch sagen, dass die Planwirtschaft oft zu sehr schwierigen Situationen auch für die Ärzte und das Pflegepersonal geführt hat. Deshalb ist das sehr differenziert zu sehen.
Natürlich stand es damals auch nicht in der Zeitung, wenn Patienten nicht das neueste Medikament bekamen oder nicht die
Untersuchungsmethode, die auf dem neuesten Stand war, angewendet wurde, weil die Planwirtschaft nicht in der Lage war, die neusten Geräte vorzuhalten.
- Ja, natürlich! Aber es ist nun einmal Fakt, dass eine Planwirtschaft, die nicht in der Lage war, die wichtige Versorgung bereitzustellen, offenbar intransparente Verhandlungen mit der Pharmaindustrie geführt hat. Das ist das Traurige daran, richtig. Aber es sollte dazu anregen, über die Faktoren nachzudenken, die dazu geführt haben. Deshalb muss sehr genau untersucht werden, was damals los war. Aber es hilft eben nicht, einfach nur Appelle loszulassen, sondern man muss genau darüber nachdenken, um nicht zu falschen Rezepten zu kommen.
Deshalb ist die angekündigte Aufarbeitung so wichtig. Der Bund hat zugesagt, sich zu beteiligen. Übrigens ist die Berufsgruppe der Ärzte schon weiter, denn auch Landesärztekammern - nicht nur die Bundesärztekammer - haben angekündigt, sich finanziell zu beteiligen. Ich glaube, auch das Land Brandenburg wäre gut beraten, alles in seiner Macht Stehende zu tun, sich daran zu beteiligen und nicht auf andere mit dem Finger zu zeigen. Das würde, glaube ich, dem Schicksal der Betroffenen viel besser gerecht werden. - Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Medikamententests, beauftragt von westlichen Pharmafirmen, durchgeführt an Patientinnen und Patienten in der DDR, sorgen für Empörung und verlangen nach einer systematischen Aufarbeitung.
DDR-weit wurden 50 000 Testpersonen für nicht zugelassene Medikamente wie Blutdrucksenker oder Antidepressiva in über 600 Medikamentenstudien an mindestens 50 Kliniken herangezogen. Niemand weiß, ob diese Zahlen das Ende der Fahnenstange markieren oder gar erst deren Anfang. Die Arzneimitteltests wurden von Pharmafirmen aus der Bundesrepublik, der Schweiz und den USA beauftragt. Bekannte Firmennamen wie Merck, Ciba-Geigy, Hoechst, Boehringer Mannheim und Sandoz sind unter den Auftraggebern zu finden. Die Auftragnehmer in der DDR vereinbarten die klinischen Tests mit einem Beratungsbüro, das dem DDR-Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski unterstand.
Noch in der Zeit von 1989 bis Oktober 1991 sollen Medikamententests mit zwölf verschiedenen Wirkstoffen und mehr als 300 Patienten in Brandenburg beauftragt gewesen sein - Kollege Schierack hat die hier in Brandenburg beteiligten Krankenhäuser benannt.
2012 berichtete ein Fernsehteam des MDR von mehreren Testreihen, die aufgrund von Todesfällen abgebrochen wurden. Als
Beispiele wurden Tests an einer Magdeburger Klinik mit dem ACE-Hemmer Spirapril angeführt. Nach Angaben der MDRAutoren habe eine Sonderklausel im DDR-Arzneimittelrecht besagt, dass bei Phase-III-Studien - solchen mit Anwendung am Menschen - auf die eigenhändige Unterschrift des Patienten verzichtet werden könne. Ungeklärt ist bislang, ob die Patientinnen und Patienten Kenntnis hatten, dass sie als Testpersonen an Medikamentenstudien teilnahmen.
Es spricht einiges dafür, dass die Betroffenen im Unklaren gelassen wurden. Mit Aufklärung oder Mitsprache war es im DDR-Sozialsystem nicht weit her; die Opfer des DDR-Zwangsdopings erinnern heute immer wieder schmerzhaft daran. Wenn es um Goldmedaillen oder um Devisen ging, trat der Einzelne schnell hinter das Ganze zurück. Nicht nur bei Gefangenenverkäufen hat die DDR ihre Bürger regelmäßig kapitalisiert. Die Firmen beteuern, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer seien aufgeklärt worden und hätten schriftlich in die Versuche eingewilligt. Laut Verband forschender Arzneimittelhersteller hätten Studien „dem damals Üblichen“ entsprochen, jedoch tauchen die Einwilligungserklärungen bisher weder in den Akten des ehemaligen DDR-Gesundheitsministeriums noch in den Krankenhausarchiven noch bei den Pharmafirmen auf.
Auftraggebende Pharmafirmen, der Verband forschender Arzneimittelhersteller, Krankenhäuser, ärztliche Standesorganisationen, das Bundesgesundheitsministerium, das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte und die Ländergesundheitsministerien sind aufgefordert, das Unterlaufen ethischer und rechtlicher Standards bei Medikamentenversuchen rückhaltlos aufzuklären. Da bringt es auch nichts, wenn alle auf die anderen zeigen - die Länder auf den Bund, der Bund auf die Einrichtungen, die Konzerne auf die kollektive Amnesie. Das Unterlaufen ethischer Standards ist generell gesellschaftlich zu ächten, auch wenn heutzutage versucht wird, entsprechende Tests in Dritte-Welt-Ländern durchzuführen.
Die Landesregierung muss jetzt dafür sorgen, dass Patientenakten bzw. Dokumentationen der Arzneimitteltests von medizinischen Einrichtungen in Brandenburg gesichert werden. Sie muss dafür sorgen, dass Brandenburg am Forschungsprojekt des Bundes angemessen beteiligt wird, und es spricht sicher auch nichts dagegen, einen Schritt weiter zu gehen und es zum Beispiel Thüringen gleichzutun und Arbeitsgruppen an den betroffenen Einrichtungen zu unterstützen, denn die Betroffenen haben ein Recht auf lückenlose Aufarbeitung. Auch die Frage der Entschädigung bedarf einer grundsätzlichen Klärung.
Ich hatte gehofft, wir würden uns alle für die wissenschaftliche und historische Aufarbeitung aussprechen, in der geklärt werden kann, ob und in welchem Ausmaß Patientinnen- und Patientenrechte missachtet wurden. Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, Sie haben doch in allen inhaltlichen Punkten Zustimmung signalisiert. Die Verrenkungen, die Sie hier vornehmen, um einen völlig unstrittigen Antrag nicht anzunehmen, sind schon fast gesundheitsschädlich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben das haben alle unterstrichen - ein großes Interesse, dass das Thema Arzneimitteltests in der DDR zügig und umfassend aufgeklärt wird. In dem Zusammenhang erinnere ich daran, dass die Rechtsnachfolge des DDR-Gesundheitswesens das Bundesgesundheitsministerium analog für das Staatswesen insgesamt übernommen hat. Deshalb habe ich auch mit meinem Kollegen Bahr und dem Chef der Charité Prof. Einhäupl darüber gesprochen, denn das Institut für Geschichte der Medizin gehört zur Charité. Ich habe ihm empfohlen - ich glaube, das habe ich Ihnen im Ausschuss schon berichtet -, eine unabhängige Historikerkommission einzusetzen, damit es nicht allein Sache der Untersuchenden der Charité ist, die möglicherweise in Pharmatests mit einbezogen war - was ich nicht weiß, was sich aber möglicherweise herausstellt. Eine unabhängige Wissenschaftlerkommission kann dazu beizutragen, Klarheit herzustellen.
Wir haben erstens - darauf ist schon eingegangen worden - das Forschungsprojekt unterstützt. Ich habe es dem Kollegen Bahr und an der Charité beschrieben. Die Charité hat in dieser Sache die Initiative ergriffen. Sie haben es gehört, am 3. Juni waren verschiedene Institutionen eingeladen, darunter Vertreter der Ärzteschaft, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur, Vertreter der Bundes- und Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen und auch des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller. Zeitplan und Finanzierung der Studie wurden mit dem Bundesinnenministerium diskutiert, auch die Finanzierung ist klar. Gestern haben Sie es möglicherweise in den rbb-Nachrichten gehört. Ob die Studie durchgeführt wird, ist gar keine Frage mehr - sie wird durchgeführt -, auch mit den Beteiligten ist es besprochen.
Wir haben - auch darüber habe ich Sie informiert - die Verantwortung der Gesundheitsminister der Länder, sich dazu positionieren, deutlich gemacht. Ich hatte Sie informiert, dass wir zur Gesundheitsministerkonferenz am 23. und 24. Juni hier in Potsdam einen politischen Beschluss dazu fassen werden. Dazu haben meine Kollegen und ich in der Telefonschaltkonferenz auch das habe ich Ihnen schon gesagt - die Meinungsbildung durchgeführt und Anträge, die in anderen Ländern eine Rolle gespielt haben, in die Meinungsbildung einbezogen. Im Übrigen hatte die VSMK, die Verbraucherschutzministerkonferenz, in ihrer Sitzung im Mai bereits einen einstimmigen Beschluss gefasst - die Arzneimittelverantwortung fällt als Thema in die Verbraucherschutzministerkonferenz.
Wir haben zur Sicherung der Patientenakten veranlasst, das zu tun, was dem Land rechtlich und tatsächlich möglich war: Wir haben uns rechtzeitig an die Landeskrankenhausgesellschaft gewandt und sie gebeten, Krankenhäuser aufzufordern, über das Thema zu informieren, und auch die Krankenhäuser zu veranlassen, entsprechende Akten zu sichern.
Sie wissen, dass das datenschutzrechtlich ein Problem ist, denn wenn per Gesetz vernichtet werden muss, braucht man eine Ausnahmegenehmigung. All das ist mit der Krankenhausgesellschaft und den Krankenhäusern besprochen, um die Akten der damaligen Patientinnen und Patienten vorsorglich zu si
Das alles haben wir getan. Ich sehe also, dass sich die Landesregierung dem Thema rechtzeitig zugewandt und alles Nötige und Mögliche veranlasst hat, um diesbezüglich aktiv zu werden. All das ist in Verantwortung der Landesregierung gewissenhaft geleistet worden, sodass wir uns zu gegebener Zeit Experten in den Ausschuss einladen können, die uns über den Fortgang der Dinge berichten. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Abgeordneten! Liebe Frau Lehmann, ich habe kein Verständnis für die Ablehnung unseres Antrags.