Wir sollten heute die Gelegenheit nutzen, eine sehr sachliche Debatte zu führen und uns schlicht und ergreifend an den Fakten zu orientieren. Die Debatte über die Frage der Direktwahl von Landrätinnen und Landräten hat im Land Brandenburg eine lange Geschichte. In der ersten Landesregierung, gebildet aus SPD, Ihrer Vorgängerpartei Bündnis 90 - einer Ihrer Quellparteien - und FDP, haben wir uns nach langen Diskussionen entschieden, zunächst die Direktwahl der Bürgermeister mit einem 15-%-Quorum einzuführen; das war 1993. Seit 20 Jahren gibt es das 15-%-Quorum bei den Direktwahlen der Bürgermeister. Es hat seitdem Hunderte von Wahlgängen für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gegeben, und nicht bei einer einzigen dieser Wahlen ist das Quorum gerissen worden. Sie haben eben völlig unterschlagen, dass dieses Quorum, das wir für Landratswahlen eingeführt haben, auch für Bürgermeisterwahlen gilt.
2004 haben wir in den Koalitionsverhandlungen, nachdem eine Volksinitiative der FDP zur Direktwahl der Landräte gescheitert war, auf Anregung der CDU entschieden, die Direktwahlen wieder einzuführen und logischerweise das Quorum, das bei Bürgermeisterwahlen gilt, auch auf Landratswahlen zu übertragen.
Unsere Skepsis hat sich leider bestätigt. Die Wahlbeteiligung Sie haben einige Zahlen genannt - war dramatisch niedrig. Ich denke, wir sollten uns das noch einmal vor Augen halten. Wenn bei Wahlgängen in derselben Intensität und mit teilweise größerem materiellem und finanziellem Aufwand - auch nach intensiver medialer Begleitung - in einer Stichwahl Wahlbeteiligungen von 20,4 % herauskommen, sich also fast 80 % - in Teltow-Fläming waren es 77 %, also mehr als drei Viertel - nicht an der Wahl beteiligen, dann kann man daraus den Schluss ziehen, das Quorum sei zu hoch. Man kann aber auch den Schluss daraus ziehen: Die Skepsis gegenüber der Einführung der Direktwahl von Landräten ist berechtigt.
Ich denke, das müssen wir sehr sorgfältig abwägen. Sie haben selbst erwähnt, dass man in Schleswig-Holstein nach denselben Erfahrungen eine bestimmte Konsequenz gezogen hat: Die dortige Koalition - meines Wissens eine Große Koalition aus SPD und CDU - hat die Direktwahl von Landräten wieder abgeschafft. Ich glaube, wir sind nicht dazu da, Volksbeglückung zu organisieren, wenn das Volk an einer bestimmten Stelle nicht beglückt werden will.
(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE: Oh! - Frau Mäch- tig [DIE LINKE]: Keine Polemik, Herr Ness, keine Pole- mik!)
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir bei Bundestagswahlen Beteiligungen in der Größenordnung von 65 bis 70 %,
bei Landtagswahlen in der Größenordnung von 50 bis 55 % und bei Kreistagswahlen - darauf komme ich noch einmal zurück - ebenfalls von 50 % haben. Bei sieben Landratswahlen lag die Beteiligung am ersten Wahlgang aber nur bei 30 %. Ich denke, es wäre vernünftig, sorgfältig zu analysieren, ob das wirklich gewollt ist im Land Brandenburg; wir werden noch weitere Landratswahlen erleben.
Wir fordern nicht, dass die Direktwahlen abgeschafft werden, sondern wir sagen, dass wir sehr sorgfältig weiter beobachten sollten. Insbesondere dann, wenn wir in der nächsten Legislaturperiode in Auswertung der Ergebnisse der Enquetekommission 5/2 zu der Einschätzung kommen, von jetzt 14 auf eine geringere Zahl an Kreisen zu gehen - dazu kursieren unterschiedlichste Zahlen: zwischen sechs und zwölf -, also noch größere Gebilde haben werden, sollten wir zu einer sachlichen Einschätzung darüber kommen, ob es nicht sinnvoll ist, in diesen neuen, noch viel größeren Kreisen, die erst einmal eine eigene Identität herausbilden müssen, zur indirekten Wahl zurückzukehren. Ich denke, dass das vernünftig ist.
Mir passt an einer Stelle etwas überhaupt nicht: die Behauptung, dass jetzt von Kreistagen in Hinterzimmern etwas entschieden werde.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Kreistage demokratisch legitimiert sind. Die Kreistagsabgeordneten sind gewählt worden - mit einer durchaus höheren Beteiligung, als die Landratswahlen erfahren haben. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine repräsentative Demokratie. Wir diskutieren seit geraumer Zeit darüber, wie wir direktdemokratische Elemente verstärken können. Wir experimentieren dabei herum und manchmal scheitert vielleicht auch ein Experiment. Möglicherweise ist die Direktwahl von Landräten gescheitert.
Ich bitte Sie, auch Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Mit welcher demokratischen Legitimität würde ein Landrat in einer Konfliktsituation gegenüber einem Kreistag, der von 50 % gewählt worden ist, auftreten, wenn er nur - beispielsweise in einer Direktwahl nach Abschaffung des Quorums - von 3, 4 oder 5 % der Bevölkerung gewählt ist?
Ich möchte Ihnen die Zahlen zur Beteiligung an der Landratswahl in Teltow-Fläming aus einzelnen Wahllokalen nennen. Im Wahllokal „Altenpflegeheim“ in Blankenfelde-Mahlow sind von 1 534 Wahlberechtigten lediglich 75 zur Wahl gegangen. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 4,9 % - 4,9 %!
In Großbeeren sind im Wahllokal „Jugendklub“ von 1 207 Wahlberechtigten nur 94 zur Wahl gegangen, was einer Wahlbeteiligung von 7,8 % entspricht. Diese 7,8 % verteilten sich jeweils auf zwei Kandidaten.
Diese Beispiele sind keine Ausnahme, sondern lassen sich fortsetzen. So wollten sich im Wahllokal „Haus der Begegnung“ in Blankenfelde-Mahlow von 2 705 Wahlberechtigten lediglich 236 zwischen Frau Wehlan und Herrn Frank Gerhard entscheiden.
Wenn Sie einen Landrat mit einer Wahlbeteiligung von 8 oder 10 % wählen, der eine Legitimation von 5 % hat, dann stellen Sie sich eine Situation vor, in der der Beschluss des Kreistages angezweifelt wird und folgende Frage in die Diskussion eingebracht wird: Mit welcher Legitimation machst du das eigentlich? Du hast nicht einmal die Legitimation von 5 % der Wählerinnen und Wähler!
Insofern ist die Abschaffung des Quorums das völlig falsche Signal. Vielmehr sollten wir jetzt sorgfältig dafür werben, dass die Beteiligungen an den nächsten Landratswahlen höher ist. Erhöht sie sich nicht, sollte man offen prüfen, ob man nach der nächsten Kreisgebietsreform - wenn wir noch größere Gebilde haben, die noch weniger Heimat für die Bürgerinnen und Bürger sind - möglicherweise zur indirekten Wahl zurückgeht.
Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Der Abgeordnete Schierack erhält das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Direktwahl der Landräte ist kein Experiment, keine Blackbox und auch kein unbekanntes Terrain, das ständig auf den Prüfstand gehört oder ständig infrage gestellt werden sollte. Die Direktwahl ist seit der Einführung im Jahr 1991 in Hessen mittlerweile in 14 Bundesländern sozusagen Bestandteil der Volksabstimmung. Lediglich Schleswig-Holstein hat sie wieder abgeschafft. Baden-Württemberg diskutiert dagegen gerade wieder die Einführung der Direktwahl.
Die Union in Brandenburg hat in der letzten Legislaturperiode eindeutig für die Direktwahl gestritten. Mit dieser grundsätzlichen Position sind wir in die Koalitionsverhandlungen mit der SPD-Fraktion gegangen und haben diese zentrale Forderung im Koalitionsvertrag untergebracht.
Nach Aussagen vieler Beteiligter gab es ein zähes, aber konstruktives Ringen, und letztlich hat sich das Bohren dicker Bretter gelohnt: Die Direktwahl wurde im Jahr 2007 - damit waren wir das Schlusslicht der ostdeutschen Länder - auf den Weg gebracht, allerdings mit einigen Kompromissen. Erstens: Die Direktwahl war erst ab dem Jahr 2010 möglich. Zweitens: Der damalige Koalitionspartner SPD bestand auf dem 15-%Quorum, nach dem mindestens 15 % der Wahlberechtigten für den erfolgreichen Kandidaten gestimmt haben müssen.
Dieses Quorum wurde bei sechs der sieben Landratswahlen leider nicht erreicht, meine Damen und Herren. Nun kann man
sicherlich sehr unterschiedlich mit dieser Erfahrung umgehen, weshalb wir dieses Thema heute auch diskutieren. Jedoch darf es nicht sein - das ist sowohl meine Meinung als auch die der Union insgesamt -, dass Teile der SPD - ich betone: Teile der SPD - nun immer wieder andeuten, das ungeliebte Projekt bereits nach zwei Jahren infrage zu stellen.
Politik lebt von Verlässlichkeit und den langen Linien. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, der Argumentation folgen, die Wahlbeteiligung sei an der gescheiterten Direktwahl schuld, sollten Sie vielleicht einmal die Gründe für die geringe Wahlbeteiligung analysieren. Vor allem angesichts der Landratswahl in Teltow-Fläming - das war die letzte Landratswahl; das meine ich jetzt nicht polemisch - sollten Sie als SPD sich erstens fragen, ob Sie mit Ihren Kandidaten dazu beigetragen haben, dass die Bürger zur Wahl gegangen sind.
Zweitens müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass zu diesem Quorum nur wenige Stimmen gefehlt haben, womit die Wahl gültig gewesen wäre.
Drittens, meine Damen und Herren, ist die niedrige Wahlbeteiligung nach Auffassung vieler Wissenschaftler verfassungsrechtlich völlig unerheblich; denn jede Person hat die Möglichkeit, in diesem Land zu wählen oder auch - leider - nicht.
Ich gebe weiter zu bedenken, dass im Vorjahr das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt wurde, was auch nicht zu einer höheren Wahlbeteiligung geführt hat. Wenn Sie nach zwei Jahren zu der Erkenntnis kommen, dass die Senkung des Wahlalters nicht zu einer höheren Wahlbeteiligung führte, wollen Sie dann etwa wieder über das Wahlalter 16 diskutieren? Das hielte ich nicht für vernünftig, meine Damen und Herren.
Sieht man von Brandenburg ab, so liegt deutschlandweit bei Landratswahlen die Wahlbeteiligung zwischen 40 und 50 %. Insofern frage ich mich: Warum ist das in Brandenburg nicht möglich? Ich sage Ihnen: Unser Ziel sollte es sein, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes dieses Quorum schaffen.
Anschließend kann man darüber diskutieren, was die Ursache dieser mangelnden Wahlbeteiligung ist. Meines Erachtens liegt es nicht an der fehlenden Identifikation der Bürger mit der Region. Vielmehr müssen wir die Frage stellen: Was kann zu einer Erhöhung der Wahlbeteiligung in diesem Land führen?
men; denn dazu stehen wir. Das 15-%-Quorum sollte für uns eher Ansporn sein, es tatsächlich zu erfüllen. Aus diesem Grund möchte ich zwei Aspekte in die Diskussion einbringen, wie wir die Wahlbeteiligung in diesem Land deutlich erhöhen können.
Erstens: Rolle und Bedeutung der Landräte müssen noch deutlicher herausgestellt werden. Landräte können natürlich mit ihrer Amtsführung für die Entwicklung im Landkreis etwas tun. Es gab in den letzten zwei Jahrzehnten viele gute Beispiele, wie das Engagement, die Kompetenz und die Weitsicht verantwortlicher Landräte zu der Entwicklung ihrer Landkreise entscheidend beigetragen haben.
Wir alle im politischen Raum sind verantwortlich, mehr dafür zu tun, den Menschen die Bedeutung des Landrates für das unmittelbare Lebensumfeld deutlicher zu vermitteln. Insbesondere vor dem Hintergrund einer Funktional- und Kommunalreform wird die Bedeutung von Landräten erheblich steigen.