Protocol of the Session on January 23, 2013

Da wir heute das Behindertengleichstellungsgesetz beschließen - davon gehe ich jedenfalls aus -, dürfen wir auch auf 20 Jahre Behindertenpolitik in Brandenburg zurückschauen. Wir sind uns sicherlich alle einig in der Einschätzung, dass mit erheblichen Fördermitteln - beispielhaft dafür steht das Investitionsprogramm Pflege - eine moderne, gut ausgebaute Pflegeund Behindertenhilfeinfrastruktur aufgebaut worden ist. Es entstanden neue, zeitgemäße, an den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner orientierte Wohnstätten bzw. betreute Wohnformen. Ich darf die Werkstätten für behinderte Menschen nennen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch an die Integrationskindertagesstätten und an die Schulen mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten erinnern. Wenn wir durch das Land fahren und diese Einrichtungen besuchen, stellen wir fest, dass diese sehr modern und gut ausgestattet sind.

Allein über das Investitionsprogramm Pflege wurden dafür vom Bund - ich lobe jetzt den Bund - 530 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, vom Land knapp 600 Millionen Euro. Mit diesen Mitteln konnte diese Infrastruktur geschaffen werden. Zudem etablierten sich ambulante, wohnortnahe Angebote. Moderne, professionelle Unterstützungskonzepte wurden gleichermaßen realisiert.

Dieser unglaubliche Aufbauprozess, der sich in den vergangenen 20 Jahren vollzogen hat, war nur mit Unterstützung der Selbsthilfegruppen und -organisationen möglich. Unabdingbar war zudem die Unterstützung durch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Auch die Landkreise und kreisfreien Städte zeigten großes Engagement. Dafür gilt allen unser herzliches Dankeschön.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir sind uns sicherlich auch in folgender Aussage einig: Menschen mit Behinderung werden heute deutlich besser betreut und versorgt als früher.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Das uns heute vorliegende Behindertengleichstellungsgesetz setzt genau dort an. Es will die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben weiter verbessern und gleichzeitig dazu beitragen, dass diese Teilhabe zur Normalität, zur Selbstverständlichkeit wird.

Die lange Zeitspanne bis zur Vorlage des Gesetzentwurfs ist schon angesprochen worden. Richtig ist: Ursprünglich wollten wir über das Gesetz schon Mitte des Jahres 2011 in diesem Hause debattieren. Bis heute - das räume ich ein - sind ein paar Tage vergangen. Aber es gibt dafür objektive Ursachen. Im Nachhinein zeigt sich: Das ist nachvollziehbar und schlüssig. Ich finde, es ist gut, dass wir uns diese Zeit genommen haben. Denn im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass es vernünftig ist, zuerst das Behindertenpolitische Maßnahmenpaket

zu formulieren und dem Landtag vorzulegen. Auch für die Erstellung dieses Paketes hatte sich die Landesregierung viel Zeit genommen. Es gab einen umfangreichen, sehr intensiven Diskussionsprozess mit allen Beteiligten - landauf, landab. Fünf Regionalkonferenzen haben stattgefunden. Über das Maßnahmenpaket ist dann auch in diesem Hause diskutiert worden.

Danach hat man sich auf den Weg gemacht und das Behindertengleichstellungsgesetz erarbeitet. Auch hierzu gab es einen intensiven Diskussionsprozess. Die Landesregierung hat sich viel Zeit genommen, wofür ich Verständnis habe. Man wollte einen möglichst weitgehenden Konsens bei der Formulierung des Gesetzestextes erreichen.

Heute debattieren wir abschließend über das Gesetz. Es folgt dem Geist der UN-Behindertenrechtskonvention und versteht deren Umsetzung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Gesetz unterstützt den Leitgedanken der Landespolitik hinsichtlich der Chancengleichheit - ob für Mann oder Frau, für Jung oder Alt, für Menschen mit oder ohne Kind, für Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund, für behinderte oder nicht behinderte Menschen. Prägend ist auch der Gedanke „Weg von der Integration, hin zur Inklusion“ der UN-Behindertenrechtskonvention. Damit vollzieht das Gesetz in der Tat einen Paradigmenwechsel. Der Mensch ist nicht mehr Objekt der Fürsorge - von diesem Gedanken müssen wir wegkommen -, sondern er ist ein Subjekt mit Einschränkungen. Die Umweltbedingungen sind so zu gestalten, dass diese Einschränkungen im Grunde genommen keine mehr sind. Das ist Ausdruck der neuen Sichtweise in der Behindertenpolitik.

(Beifall SPD, DIE LINKE und der Abgeordneten Nonne- macher [GRÜNE/B90])

Das Gesetz unterstützt den Grundsatz der Partizipation. Der Gesetzgeber bringt zum Ausdruck: Die behinderten Menschen sind Experten in eigener Sache. Insofern ist auch die Stellung des Landesbehindertenbeirates im Prozess der Erarbeitung des Gesetzentwurfs gestärkt worden. Künftig wird der Landesbehindertenbeirat vor Gesetzes- oder Verordnungsänderungen angehört werden.

Das Instrument der Zielvereinbarung - ebenfalls im Gesetz geregelt - soll insbesondere die spezifischen Kompetenzen einzelner Verbände, auch der Wirtschaftsverbände, sowie der Verwaltungen und - natürlich - der Behindertenverbände zusammenfassen, um die Barrierefreiheit noch besser und allumfassender im Land zu gestalten.

Die Funktion des Landesbehindertenbeauftragten wird durch den Gesetzentwurf ebenfalls gestärkt. Dessen Aufgaben und Befugnisse werden deutlich erweitert.

Bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention übernimmt er die Aufgabe der Koordination, um die Einbindung aller Beteiligten zu gewährleisten. Zudem erhält er Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht, um dem Diskriminierungsverbot stärker Nachdruck zu verleihen.

Bei der Formulierung unserer Änderungsanträge haben wir uns an die in der Anhörung gegebenen Hinweise gehalten. Über die Stellung des Landesintegrationsbeauftragten ist intensiv diskutiert worden. Dazu gab es insbesondere die Forderung: Er muss

unabhängig und ressortübergreifend arbeiten dürfen und solle kein weiteres Referat unter sich haben.

Dazu sagen wir: Es ist der Integrationsbeauftragte der Landesregierung. Unabhängig davon haben wir die Hinweise der Anzuhörenden aufgegriffen. In unserem Änderungsantrag heißt es, dass er hinsichtlich seiner spezifischen Aufgaben weisungsfrei arbeiten soll. Ferner soll er ressortübergreifend tätig werden.

Der Landesintegrationsbeirat hat aber die Sorge geäußert, dass mit der neuen Formulierung, insbesondere mit der Zusammensetzung des Beirates, die Interessen der Behindertenvertretungen in der Diskussion in diesem Beirat möglicherweise untergehen. Auch diese Sorge haben wir aufgegriffen und die entsprechenden Wünsche berücksichtigt. Die entsprechende Formulierung des bisherigen Gesetzes wird übernommen. Der Landesintegrationsbeirat hat also die gleiche Zusammensetzung wie bisher. Diesen Wunsch haben wir zu 100 % umgesetzt.

Zur Frage der Gebärdendolmetscher: Es geht um das Recht für Eltern, im Schulbereich mit entsprechenden Hilfsmitteln in deutscher Gebärdensprache kommunizieren zu können.

Frau Abgeordnete Lehmann, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Blechinger zu?

Ja, klar.

Frau Abgeordnete, ich habe Probleme, Ihrer Rede zu folgen. Sie sprachen vom Integrationsbeauftragten und dem Landesintegrationsbeirat. Meinen Sie den Landesbehindertenbeauftragten und den Landesbehindertenbeirat?

Danke, das meinte ich natürlich. Entschuldigung, Frau Blechinger! Meine Damen und Herren, ich meinte selbstverständlich den Landesbehindertenbeauftragten - in gewisser Weise integriert er auch, aber das meinte ich nicht.

Zu den Gebärdendolmetschern: Bisher ist das im Entwurf des Behindertengesetzes für den Schulbereich geregelt. In der Anhörung ist deutlich geworden, warum. Wenn aber die Regelung für den Schulbereich gilt, warum dann nicht auch für den Vorschulbereich? Das ist eine Frage, die uns logisch erschien. Wir werden die Gewährleistung von Dolmetschern für Eltern, die dies benötigen, auch für den Kitabereich regeln. Auch diesen Hinweis haben wir aufgenommen und wir haben das sehr gerne getan.

Bei unseren Änderungsanträgen …

Frau Abgeordnete Lehmann, Ihre Redezeit ist beendet.

Dann komme ich nur noch kurz zu unserem Entschließungsantrag, meine Damen und Herren.

(Unruhe bei der CDU)

Wir gehen ganz bewusst auf das Behindertenpolitische Maßnahmepaket ein. Ganz bewusst formulieren wir noch einmal die Landesverordnungen, die dieser UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen sind; das war uns ganz wichtig. In dem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich unserem Gesetzentwurf mit dem Änderungsantrag zuzustimmen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Lehmann. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Büttner hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Lehmann, ich nehme das gleich vornweg: Wir haben in der Fraktion noch einmal intensiv beraten; wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, wir werden uns enthalten.

(Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE: Oh! - Schade!)

Meine Damen und Herren, die Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes ist mit Blick auf das Gesellschaftsprojekt Inklusion eines der wichtigsten Projekte im Bereich der Sozialpolitik in dieser Legislaturperiode. Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland war ein Meilenstein auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft.

(Frau Prof. Dr. Heppener [SPD]: Das war ein langer Weg!)

Es ist zumindest formal richtig, dass im § 1 dieses Gesetzentwurfs der Landesregierung auf eben diese UN-Konvention abgehoben wird. Leider wird aber - ja, Frau Prof. Heppener, leider - beim Lesen des Gesetzentwurfes, des Gesetzestextes wir haben das ja auch im Ausschuss diskutiert und mit einem Änderungsantrag deutlich gemacht - deutlich, dass der Entwurf der Landesregierung nur in Teilen, wenn überhaupt, auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eingeht.

Tatsächlich, meine Damen und Herren von SPD und Linke, reden Sie den Gesetzentwurf besser, als er ist, da er nur in Ansätzen eine Umsetzung der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention ist. Größtenteils begnügt sich der Entwurf damit, eine Reihe von Regelungen aus dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes zu übernehmen und das dann als Fortschritt bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu verkaufen. Das Bundesgesetz ist aber überhaupt noch nicht an die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention angepasst worden. Also bewegt sich die Landesregierung, also bewegen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von SPD

und Linken, sich damit aus unserer Sicht im falschen Orientierungsrahmen. Das ist nicht das, was wir als Liberale unter vorausschauender Politik für Menschen mit Behinderungen verstehen.

Wir sind in den Ausschuss und in die Diskussion mit vier grundsätzlichen Forderungen hineingegangen, die auch Eingang in unsere Änderungsanträge gefunden haben:

Erstens muss sichergestellt sein, dass der Gesetzentwurf dem Konnexitätsprinzip entspricht. Schon daran haben wir ernsthafte Zweifel, da der Gesetzentwurf keine konkreten Aussagen über die Finanzierung zusätzlicher Leistungen für Menschen mit Behinderungen enthält und die in Ihren Landeshaushalt eingestellten 100 000 Euro für Kommunikationsmittel mit Sicherheit nicht ausreichen werden, um die Anforderungen, die sich Ämtern, Behörden, Schulen stellen, zu bewältigen. An dieser Stelle muss durch die Landesregierung, muss durch Sie nachgebessert werden. Es bringt uns überhaupt nichts, wenn wir das Behindertengleichstellungsgesetz verabschieden und hinterher in die Konnexitätsfalle hineinlaufen und uns am Ende vor dem Landesverfassungsgericht wiederfinden und der Gesetzentwurf gekippt wird. Damit hätten wir nichts erreicht, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Zweitens möchten wir erreichen, dass sich das Recht, in deutscher Gebärdensprache, mit Lautsprache begleitenden Gebärden oder mit anderen geeigneten Hilfen zu kommunizieren, auf die Rechte und Pflichten von Eltern minderjähriger Kinder in pädagogischen und verwaltungstechnischen Angelegenheiten in Kita und Schule erstreckt.

Drittens kämpfen wir für die Stärkung der Kompetenzen des Landesbehindertenbeauftragten. Meine Damen und Herren von SPD und Linken, ich habe Sie da nicht verstanden: Er soll auch künftig dem für Soziales zuständigen Mitglied der Landesregierung unterstellt sein, er soll aber in seiner Tätigkeit unabhängig, weisungsungebunden und ressortübergreifend tätig sein. Dass Sie sich von SPD und Linken eben nicht darauf eingelassen haben, dem Landesbehindertenbeauftragten die Bezeichnung „unabhängig“ zu geben, verdeutlicht eigentlich vielmehr, Frau Lehmann, dass bei Ihnen der Wille zur Machtdemonstration gegenüber diesem Antrag größer war als der fachliche Aspekt.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Viertens setzt sich die FDP-Fraktion dafür ein, dem Landesbehindertenbeirat mehr Kompetenzen und damit auch mehr Verantwortung zu übertragen. Deswegen hatten wir im Ausschuss einen Änderungsantrag, demzufolge dem Landesbehindertenbeirat als stimmberechtigte Mitglieder künftig nur noch Vertreter der landesweit tätigen Behindertenverbände und -vereine im Land Brandenburg angehören sollten. Weitere Regelungen zur Mitarbeit nicht stimmberechtigter Mitglieder sollen nach unserer Auffassung nicht im Gesetz getroffen werden, sondern in der Geschäftsordnung des Beirats. Dies stärkt nicht nur die Kompetenz des Behindertenbeirates, sondern macht die Arbeit des Beirats auch unabhängiger von politischer Einflussnahme, wenn wesentliche Inhalte, die jetzt im Gesetz geregelt sind, auf die Arbeitsebene des Beirats verlagert werden.

(Frau Lehmann [SPD]: Zulasten der Behinderten!)

Frau Kollegin Blechinger hat es vorhin erwähnt: Leider sind Sie, die regierungstragenden Fraktionen, auf diese Forderungen auch in der Diskussion nicht mit echtem Interesse eingegangen. Statt sich mit den Vorschlägen der Opposition auseinanderzusetzen und sie ernsthaft zu prüfen, hat man die gute Arbeit der Opposition unter Angabe fadenscheiniger Argumente abgewiesen, immer getreu dem Motto: Was wirklich gut für die Menschen im Land ist, wissen nur Sozialdemokraten und DIE LINKE. Das mag politisch verständlich sein - rein inhaltlich ist es eine Bankrotterklärung.

(Beifall FDP und CDU)

Meiner Fraktion fehlt bei diesem Gesetz auch der fachbereichsübergreifende Ansatz. Die Landesregierung hat es versäumt, alle Ministerien gleichmäßig für das Thema zu sensibilisieren und ins Boot zu holen.