Protocol of the Session on September 27, 2012

Jetzt zu Brandenburg: Hier müssen 20 000 Menschen, die den lieben langen Tag lang arbeiten, dennoch zum Amt gehen, weil sie nicht so viel Geld haben, dass sie davon ihre Familie ernähren können. Sie müssen dann Leistungen nach Hartz IV aufstocken. 20 000 Leute, das ist so viel, wie die Stadt Luckenwalde Einwohner hat. Es ist also in Brandenburg so, als gingen alle, vom Kind bis zur Großmutter, in dieser Stadt zum Amt, um Leistungen aufzustocken, weil das Gehalt, das sie am Ende des Monats bekommen, nicht ausreicht, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. Das ist eine Sauerei, meine Damen und Herren! Es hat auch etwas mit dem Wert von Arbeit und mit der Menschenwürde zu tun, wenn wir zulassen, dass Leute für so wenig Geld arbeiten gehen. Frau Schier, das muss ich Ihnen deutlich sagen: Dagegen kommen Sie mit Ihrem komischen Dumping-Argument gar nicht an.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Selbst unsere Potsdamer IHK sagt: Jawohl, wir brauchen einen Mindestlohn. Der große Vorteil, den diese IHK hat, ist, dass ihr Chef selbst Bauunternehmer ist. Er hat viele Jahre lang erlebt, wie der Mindestlohn auf dem Bau funktioniert, nämlich so, dass sich nicht die Firma bei den Aufträgen nach vorn spielt, die den geringsten Lohn anbietet, sondern die Firma, die am pfiffigsten Marketing betreibt, die tolle Produkte hat und sich damit auf dem Markt auch gut vertreten lässt, aber eben nicht die Firma, die Dumpinglöhne zahlt. Genau deshalb wollen wir den Mindestlohn: um auch die brandenburgische Wirtschaft vor Dumpingfirmen zu schützen, die den Markt verderben.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Homeyer [CDU]: … über dem Mindestlohn! - Senftleben [CDU]: Das ist doch gut so!)

- Das ist doch vollkommen in Ordnung, das will ich ja auch.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Bitte keine Zwiegespräche. Herr Homeyer, Sie waren gemeint.

Sie können sich auch melden und laut sagen, was Sie jetzt meinen.

(Zuruf: Das geht nicht in der Aktuellen Stunde!)

- Schade.

Natürlich ist es so, dass der Mindestlohn eine untere Grenze einzieht, die halbwegs das Lebensniveau sichern soll. Aber wir wollen auch, dass wir starke Tarifpartner haben, die über diese Mindestlöhne sogenannte Lebenslöhne organisieren und festlegen,

(Homeyer [CDU]: Das wollen wir auch!)

Lebenslöhne, von denen man den Kindern zu Weihnachten etwas schenken kann, von denen man in Urlaub fahren kann, mit denen man ein vernünftiges Leben gestalten kann. Aber das kann uns doch nicht daran hindern, eine untere gesetzliche Grenze einzuziehen, über die nachher die Tariflöhne hinausgehen. Das ist doch ein vernünftiger Vorschlag. Wie kann man dagegen etwas haben?!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Aber das Problem liegt bei der Tarifbindung in Brandenburg. Derzeit sind 25 % der Unternehmen in Tarifbindung. Im Jahr 2010 waren noch 55 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Tarifbindung. Im Jahr 2011 waren es nur noch 53 %. Also geht auch hier der Trend eher nach unten als nach oben.

Genau deshalb hat Brandenburg zusammen mit den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften ein Bündnis geschmiedet, wodurch wir in der Tarifpartnerschaft besser werden wollen, wodurch wir mehr Betriebe und mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Tarifpartnerschaft bekommen wollen. Ich hoffe und setze darauf, dass das in Zukunft auch greift und wir an dieser Stelle tatsächlich besser werden.

Wir hatten einmal, Herr Homeyer, einen Wirtschaftsminister. Dieser Wirtschaftsminister hat noch vor wenigen Jahren auf seiner Homepage damit geworben, dass Brandenburg ein Niedriglohnland ist: Liebe Unternehmerinnen und Unternehmer, kommt nach Brandenburg, hier müsst ihr euren Leuten nicht so viel bezahlen. - Wohin hat das geführt, meine Damen und Herren? Wir hatten im vergangenen Jahr, was Fachkräfte betrifft, eine Nichtbesetzungsquote von 27 %. Das heißt, jede fünfte Stelle in Brandenburg konnte nicht innerhalb eines halben Jahres besetzt werden.

Bei den kleinen und mittleren Unternehmen - Frau Schier, damit komme ich zu den kleinen Unternehmen, die wir angeblich schützen wollen - waren es 56 % der Stellen, die 2011 innerhalb eines halben Jahres nicht besetzt werden konnten. Das hat natürlich auch mit der Höhe der Löhne zu tun, die da gezahlt werden. Aber am Ende des Tages wird eine Wirtschaft auch nur dann überleben können, wenn sie entsprechend bezahlt.

Wir haben nach wie vor eine hohe Abwanderung der 18- bis 30-Jährigen aus ungekündigten Arbeitsverhältnissen in Richtung Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg, weil schlicht und ergreifend jenseits von Harz, Thüringer Wald und Elbe etwas mehr gezahlt wird als hier.

Herr Homeyer möchte eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?

Ich denke, das geht nicht.

Herr Homeyer, bitte.

Das ist sehr freundlich. - Herr Minister, Sie haben gerade gesagt: Wir hatten mal einen Wirtschaftsminister in diesem Lande - Sie nannten keinen Namen, aber Sie meinten sicherlich Ulrich Junghanns -,

(Minister Baaske: „Wirtschaftsminister der CDU“, habe ich gesagt!)

der weltweit geworben hat, dass Brandenburg ein Land der Niedriglöhne sei“, dass wir hier Arbeitsplätze haben, wo Menschen von ihrem Lohn nicht leben können, und der damit für Brandenburg Arbeitsplätze generiert hat. So habe ich Sie verstanden.

(Minister Baaske: Das habe ich so nicht gesagt!)

Herr Minister, Sie waren zu dieser Zeit in führender politischer Position in diesem Lande. Herr Platzeck war Ministerpräsident, und wir hatten eine gemeinsame Große Koalition in diesem Lande. Wenn Sie so dagegen opponieren und sagen, das sei so unmöglich, fast skandalös gewesen, hätte doch der Ministerpräsident sagen müssen: „In unserem Lande nicht!“ Das hat er aber nicht getan. Nein, Sie meine Damen und Herren von der Regierungsbank, sind bei den Einweihungsfeiern, bei den

Grundsteinlegungen all dieser Werke dabei gewesen und haben sich über die Ansiedlung dieser Unternehmen sehr gefreut. Danke schön.

Wie lautet die Frage?

Meine Frage lautet: Herr Minister, wie haben Sie, als es um diese Ansiedlungen gegangen ist, reagiert? Haben Sie sich öffentlich dazu geäußert? Haben Sie das damals öffentlich abgelehnt? Haben Sie es skandalisiert? Ich habe von Ihnen nichts gehört.

Das kann an Ihren Sinnesorganen gelegen haben. Natürlich habe ich das getan. Ich weiß auch ganz genau, dass das meine Vorgängerin getan hat. Sie hat sich mit Ihrem Kollegen angelegt und gesagt: „Streich das von deiner Homepage!“

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Es ist ja am Ende auch geschehen. Ich habe aber, mit Verlaub, von Ihnen dazu nichts gehört. Es hätte mir Spaß gemacht, wenn ich das vernommen hätte. Es war aber nicht so.

Jetzt muss ich aber Herrn Lipsdorf einen kleinen Nachhilfekurs, nachdem ich vorhin schon bei Mathematik nachgeholfen habe, zur Volkswirtschaftslehre geben. Sie haben vorhin bemängelt, dass das Bruttoinlandsprodukt und die Produktivität in Brandenburg nicht so hoch seien, und wollen das dem Wirtschaftsminister ankreiden.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Vogdt?

Nach der Nachhilfestunde.

Jetzt muss man doch aber wissen, dass Produktivität und Bruttoinlandsprodukt nach einer Formel berechnet werden. In dieser Formel sind ein ganz großer Faktor, der über dem Bruchstrich steht, die Arbeitnehmergehälter eines Landes. Wenn die Arbeitnehmergehälter über dem Bruchstrich permanent niedrig sind, dann kann doch als Ergebnis bei Produktivität und Bruttoinlandsprodukt nur eine kleine Zahl herauskommen. Natürlich sind auch deshalb Produktivität und Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland so niedrig, weil die Löhne so niedrig sind. So wird sich ewig die Katze in den Schwanz beißen, wenn wir nicht politisch einmal diesen Schwanz abschlagen und sagen: Liebe Leute, wir legen hier höhere Löhne fest!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ist die Mathestunde jetzt zu Ende?

Ja.

Dann können Sie, Frau Vogdt, Ihre Frage stellen.

Herr Minister Baaske, Sie führten Großbritannien als hervorragendes Beispiel an. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, dass sich die Arbeitslosenquote in Großbritannien seit 17 Jahren auf einem Rekordniveau befindet und dass vor allem die Zahl der arbeitslosen jungen Leute höher ist als jemals zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahre 1992?

Danke, Frau Vogdt, dass Sie das Jahr mit dazugesagt haben: Seit 17 Jahren. Das gehört also noch in die Zeit, als die Dame mit dem Handtäschchen, Frau Thatcher, in England regiert hat. Damals ist tatsächlich die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, massiv angestiegen. Das jetzt aber wie Kollege Lipsdorf daran festzumachen, dass dies wegen des Mindestlohns eingetreten wäre, ist ja hanebüchen. Dann könnten Sie genauso sagen, es liege daran, dass es sich um eine Insel handelt, dass dort Englisch gesprochen wird und dass London die Hauptstadt ist. Wo kämen wir denn da hin?

Es gibt doch sehr gute Erfahrungen, im Übrigen auch nachweisbar. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat festgestellt, dass es in den Branchen, wo Mindestlöhne existieren, keinesfalls zu Kündigungen, zu Entlassungen gekommen ist und dies keinesfalls zur Schädigung dieses Marktes geführt hat. Es gibt Studien in Ihrem Ministerium, die genau das belegen. Daher ist auch Frau von der Leyen eine der wenigen in der CDU, die einen allgemeinen Mindestlohn überhaupt noch auf der Fahne hat. Darum möchte ich auch, dass Sie endlich einmal begreifen, dass das nicht unbedingt der Punkt ist, der die Wirtschaft zerstört.

Machen Sie doch mit! Reden Sie mit Ihren Leuten in der Bundestagsfraktion, damit wir endlich einen einheitlichen Mindestlohn bekommen. Ich möchte das aus Gerechtigkeitsempfinden heraus, dass wir den Leuten sagen können: Diese Republik handelt, sie wird einen gerechteren Staat organisieren. Zum Ende des Tages kann man vielleicht einmal den guten alten Brecht zitieren:

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der Arme sagte bleich: ‚Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.‘“

So ist es.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Zu diesem Punkt hat die Abgeordnete Blechinger eine Kurzintervention angemeldet. Bitte sehr.

Herr Minister Baaske, ich will Ihnen den Glauben an das Gute nicht nehmen. Ich nehme Ihnen auch ab, dass Sie glauben, was Sie sagen. Ich glaube auch, dass es im Bundesministerium für Wirtschaft Studien gibt, die solche Dinge prophezeien, weil man dort nur die offiziellen Zahlen kennt. Hier war von 27 europäischen Ländern, in denen der Mindestlohn funktioniert, die Rede. Da ich familiäre Beziehungen zu einem dieser Länder habe, weiß ich, dass dort Löhne weit unter der Hälfte des Mindestlohns gezahlt werden.

(Zuruf von der SPD: Wo denn?)