Insofern sage ich: Ja, wir haben ein Riesenproblem, das ist unbestritten. Nun können wir zusehen, wie wir es bewältigen. Es gibt also 30 000 Klagen an den Sozialgerichten, mein Kollege sagte es. Wir müssen überlegen, wie wir das bewältigen. Denn 30 000 Klagen sind 30 000 Ratsuchende. Viele von ihnen sind SGB-II-Leistungsempfänger. Bei vielen - das sage ich aus bitterer Erfahrung - geht es wirklich um die Frage, ob es morgen noch frisches Brot oder nur noch Knäckebrot gibt. Bei manchen ist es tatsächlich eine Frage, ob sie heute die Mietstreit
entscheidung bekommen oder ob sie, weil die Mietstreitentscheidung nicht kommt, umziehen müssen und damit natürlich auch Kommunen belastet werden.
Wir sind hier also wirklich in einem Laufrad: Wenn Rechtsprechung nicht rechtzeitig funktioniert, ist die Folge, dass sich die Probleme wie in einem Laufrad immer wieder im Kreise drehen und der Einzelne an irgendeiner Stelle in eine Überforderungssituation kommt.
Ja, ich wäre für den Vorschlag mit den 10 Proberichtern, wie das Berlin macht. Sie sind dann aber so nett und sagen uns noch - denn das habe ich bisher nicht gefunden und bitte ernsthaft um Hilfe -, mit welcher Finanzierungsquelle wir das ausstatten.
Ich bitte jetzt die Opposition um Hilfe. Versuchen Sie es doch einmal! Wenn Sie es nicht können, dann lassen Sie es sein, Herr Senftleben.
Ich würde gern darüber nachdenken, welche Möglichkeit wir haben, dass Anträge von Hartz-IV-Empfängern gar nicht erst zur Gerichtsbarkeit kommen, denn auch die Qualität der Anträge in unseren Jobcentern entspricht nicht immer den Anforderungen der Rechtsprechung.
Hier gibt es die Erfahrungen von Pirmasens und TeltowFläming - diesbezüglich herzlichen Dank an meine Kollegin Wehlan, die dort tätig ist -, dass man sagt: Okay, wir können nicht nur über das Erklären von Bescheiden, sondern auch über eine Rückkopplung zwischen Leistungsabteilung und Widerspruchsabteilung tatsächlich etwas leisten.
Wir müssen zwei Dinge tun: Zum einen sollten wir die Kommunen sensibilisieren. Wenn diese sich tatsächlich in eine Reduzierung der Verfahren und damit natürlich in eine schnellere Leistungsbearbeitung einbringen - das ist für mich der Maßstab: der Betroffene muss schneller zu seinem Geld kommen - und diese Verantwortung zum Beispiel über Abteilungen zur Bescheiderklärung bzw. über eine wirksamere Widerspruchsabteilung wahrnehmen, haben wir etwas erreicht.
Zum anderen geht es um die Überlastung der Gerichte. Hier müssen wir einen Weg finden, und ich bin mir sicher, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatung auch einen Weg finden werden. Dennoch mache ich Sie darauf aufmerksam, dass der Haushalt diesbezüglich einer hohen finanziellen Belastung ausgesetzt ist.
Allerdings - das werden wir uns ebenfalls genau ansehen, das ist gar keine Frage -, sind wir uns darüber im Klaren, dass der Schadensersatz bei überlangen Verfahrensdauern immer mehr in die Höhe schnellt. Wir werden sehen, ob wir dafür oder möglicherweise für mehr Proberichter Geld ausgeben. Geben Sie uns dafür in der Haushaltsberatung Zeit. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die angespannte Situation bei den Sozialgerichten ist bundesweit, aber insbesondere auch in Brandenburg leider seit Jahren weitgehend gleichbleibend. Von 2005 bis 2010 hat der Anteil der Klagen in Angelegenheiten des SGB II bundesweit von 12,6 auf 42 % zugenommen. In Brandenburg lag der Anteil 2010 zwar niedriger als in den anderen ostdeutschen Ländern, aber auch hier machen die Klagen gegen die Hartz-IV-Gesetze mehr als 50 % aus.
Im November 2011 hat sich der Rechtsausschuss bereits mit den langen Verfahrensdauern bei den Sozialgerichten befasst und hierzu die Präsidentin des Landessozialgerichts BerlinBrandenburg umfassend befragt. Die Fakten sind also bekannt und liegen auf dem Tisch. Die Landesregierung hat jetzt das Heft des Handelns in der Hand.
Insofern wundere ich mich ein wenig über Ihren Antrag - Herr Kollege Eichelbaum hat gesagt, es sei ein Placebo-Antrag, ich sage, es ist ein Schaufenster-Antrag -, in dem Sie als Regierungsfraktion Ihre Landesregierung jetzt auffordern, endlich tätig zu werden und dafür zu sorgen, dass unsere Sozialgerichte entlastet werden und die Bürger effektiven, nämlich zeitnahen Rechtsschutz erhalten. Sie brauchen es doch einfach nur einmal zu tun.
Gestern haben wir von Frau Ministerin Münch gehört, die Landesregierung sei dafür gewählt, Dinge umzusetzen, und könne sich nicht dauernd mit dem Parlament beschäftigen. Dann setzen Sie, Herr Justizminister, doch einfach einmal um, was von Frau Blechinger längst im Haushalt eingestellt wurde. Die Richterstellen sind noch nicht gänzlich besetzt. Das ist eine Ihrer Aufgaben, wozu Sie keinen Antrag benötigen.
Mir ist bewusst, dass das alles nicht so einfach ist. Gleichwohl müssen wir die kommenden Haushaltsberatungen dazu nutzen, die Situation der Sozialgerichte maßgeblich zu verbessern und so sicherzustellen, dass Hartz-IV-Bezieher, die gegen Bescheide klagen, schneller zu ihrem Recht kommen. Aus diesem Grund möchten wir Sie, Herr Staatssekretär Schröder - Minister Baaske ist leider nicht anwesend -, aber auch Sie, Herr Minister Dr. Schöneburg, ermuntern, sich gegen Ihren Kabinettskollegen Herrn Minister Dr. Markov bei der Frage der künftigen Personalausstattung der Sozialgerichte in Brandenburg durchzusetzen.
Hier darf es keinerlei Einsparungen geben; denn auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sind bei den Sozialgerichten langfristig stabile bis steigende Eingänge zu erwarten.
Lassen Sie mich nun zu den konkreten Forderungen des Antrags der Koalitionsfraktionen kommen. Ein ProberichterModell bei den Sozialgerichten ist sicherlich sinnvoll, um einen punktuellen Abbau von Altfällen zu erreichen. Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine vorübergehende Maßnahme, die allein keine dauerhafte Entlastung verschafft.
Eine gemeinsame Arbeitsgruppe der zuständigen Ministerien kann dazu dienen, die bereits vorhandenen Ansätze zu bündeln und funktionierende Modellprojekte auszubauen. Frau Kolle
gin Mächtig hat bereits auf das Pirmasenser Modell hingewiesen. Insofern sollten hierbei die Erkenntnisse des Pirmasenser Modells in die Überlegungen einbezogen werden.
Der Weg zur Eindämmung der Klageflut an den Sozialgerichten wird darüber hinaus aber nur erfolgreich beschritten werden können, wenn die Mitarbeiter in den Jobcentern nicht alleingelassen, sondern regelmäßig und umfassend geschult werden. Sie sind derzeit die Leidtragenden einer gut gemeinten, aber technisch schlecht ausgearbeiteten Arbeitsmarktreform von SPD und Grünen. Das, meine Damen und Herren, haben sie nicht verdient.
Eine umfassende und langfristige Lösung wird aber nur gelingen, wenn auf Bundesebene eine Revision der Hartz-IV-Gesetze gelingt. Die FDP hat mit dem Bürgergeld ein unbürokratisches, transparentes und rechtssicheres Modell vorgeschlagen. Das ist eine echte Alternative zum gegenwärtigen System, das die Betroffenen zu Bittstellern degradiert, in den Amtsstuben regelmäßig für Verwirrung sorgt und die Gerichte völlig unnötig mit zusätzlicher Arbeit belastet. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Andreas Büttner, auf jeden Fall gehöre ich zu dem Personenkreis unter den Mitgliedern von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der die Hartz-IV-Gesetze unmöglich findet. Ich gestehe: Ich bin zu jener Zeit in der Attac-Gruppe gegen Hartz IV mitgelaufen und gehörte zu einer der ersten, die diese Leistung „genießen“ mussten. Ich gehörte auch zu denen, die erkannt haben, dass Frauen - ich habe drei Kinder - nicht ihrem Beruf entsprechend vermittelt werden, sondern alles annehmen müssen, was ihnen angeboten wird. Deswegen habe ich mithilfe eines Privatdarlehens ein Hochschulstudium aufgenommen und habe jetzt zwei Berufe.
Aber wie können wir denn im Jahr 2012 über die rot-grüne Gesetzgebung meckern? Schwarz-Gelb gibt es nun auch schon eine Weile, oder? Mann, Mann, Mann! Das ist die eine Seite. Wir haben auf Bundesebene Hartz-IV-Gesetze, die nicht besser, sondern eher schlechter geworden sind. Leider hat es der Gesetzgeber auch nicht geschafft, einmal vernünftige Bedarfe für Kinder zu berechnen. Wir können auch darüber klagen, dass die merkwürdige Zahlpraxis des Kindergeldes nicht hinhaut, weil die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, Kindergeld tatsächlich bedarfsgerecht auszuzahlen, nicht erfüllt ist.
Nur, wir sind hier im Landtag und haben begrenzte Möglichkeiten. Ich möchte mich auch der Kritik, dass der Antrag relativ spät kommt und erst einmal nur hier und dort eine Prüfung vorsieht, nicht verschließen. Allerdings muss man dazusagen: Immerhin und vielen Dank. Die Möglichkeit, eine Ombudsfrau oder einen Ombudsmann in den Jobcentern zu etablieren, um die Bescheide zu verbessern und zu qualifizieren - darüber redet der Rechtsausschuss seit zweieinhalb Jahren -, ist doch eine gute Sache. Ich gehöre zu denjenigen, die es in der zweiten Instanz geschafft haben, einen Hartz-IV-Bescheid erfolgreich anzugreifen. Ich weiß, es ist immer existenziell. Ich habe viele Jahre gewartet, und es war völlig hirnrissig, dass ich nach drei Jahren eine Nachzahlung bekommen habe. In der Zeit musste ich auf private Hilfen zurückgreifen, was als Mutter von drei Kindern im Alter von Mitte 30 nicht so lustig ist.
Es geht ständig um soziale Härten, und deswegen sagen wir: Wir stimmen dem Antrag zu, denn wir müssen alles tun, was wir tun können. Vor allem brauchen wir die Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium und müssen die Kommunen darin unterstützen, eine qualifizierte Arbeit zu leisten.
Jetzt kommt etwas, was keiner vor mir getan hat: ein Bashing der Mitarbeiter. Ich habe mehrere Antragstellerinnen und Antragsteller begleitet. Was ich in den Kommunen erlebt habe, wie mit den Menschen umgegangen wird, zieht mir die Schuhe aus.
Mich selbst hat man auch erst respektvoll behandelt, als ich in den Landtag gewählt worden war. Vorher hieß es immer: Wir haben keine Akte. Sie haben gegen uns geklagt. Sie sind das Allerletzte. - Man hat mich zwei Stunden belatschert, um sich freizusprechen. Ich werde - das sage ich hier für alle - mit jedem, der mich anruft und meine Begleitung wünscht, dorthin gehen, wo man Hartz-IV-Anträge stellt. - Danke.
Sehr geehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es besteht weitgehender Konsens darüber, dass die Zahl der Widerspruchsverfahren und der Klagen zu hoch ist und hier etwas passieren muss. Wir sprechen hier nicht über ein Landesgesetz, sondern über ein Bundesgesetz, und dieses ist seit 2005 etwa 60-mal verändert worden. Das heißt, es gibt nachvollziehbare Ursachen dafür, dass die Sachbearbeiter erhebliche Probleme haben, die Anträge und die Verfahren so zu optimieren, wie es in unser aller Interesse ist. In Brandenburg sind allein im Jahr 2011 1 Million Bescheide ergangen. 1 Million Bescheide! Es sind etwa 40 000 Widersprüche eingegangen und knapp 10 000 Klageverfahren eröffnet worden. Damit liegen wir im Bundestrend. Das ist alles zu viel. Das ist weder für die betroffenen Mitarbeiter der Sozialgerichte noch für die betroffenen Hartz-IV-Empfänger akzeptabel.
Insofern ist es in der Tat, wie es im Antrag auch formuliert ist, höchste Zeit, dass wir mehr tun. Dazu sind wir gerne bereit. Wir richten eine Arbeitsgruppe ein, die sich dem Inhalt und dem Sinn dieses Auftrages widmet, das heißt die Kräfte zusammenzubringen, die in der Lage sind, eine Optimierung der Verfahren zu ermöglichen, die in der Lage sind, neue Positionen in den Sozialgerichten einzubinden, die für eine bessere Bescheidung und Antragstellung Sorge tragen können. Vor allen Dingen - da gibt es in unseren engen Gesprächen mit den Sozialgerichten uns gegenüber einige Hinweise - wollen wir darauf drängen, dass durch Ombudsfrauen und -männer und andere Instanzen die Erklärungen in den Bescheiden verbessert werden und damit die hohe Zahl von Klagen und Widerspruchsverfahren reduziert werden kann.
Wir sind ebenfalls offen für eine Prüfung, die sich der Frage widmet, inwieweit Proberichter aus dem Verwaltungsgerichtsbereich in den sozialgerichtlichen Bereich transferiert werden können. Das ist ein Gegenstand, der in den Gerichten und seitens des Justizministeriums hoch kontrovers diskutiert wird. Es ist also notwendig, dass wir durch Klärung der Sachverhalte eine Verbesserung der Lage herbeiführen. Wir werden auch nicht umhinkommen, uns die Sozialgerichte, die eine sehr gute Arbeit leisten, genauer anzuschauen, das heißt, Modellprojekte zu identifizieren, die in der Lage wären, die Arbeitsfähigkeit der Sozialgerichte zu verstärken.
Aber das alles wird nicht genügen. Deshalb unser starker Appell natürlich an die CDU und an die FDP, eine bessere Gesetz
gebung im Bereich von Hartz IV zu bewirken, die den Betroffenen entgegenkommt und sie in die Lage versetzt, eine bessere Bearbeitung der dort vorhandenen Fälle zu ermöglichen. Das Ganze gipfelt letztendlich in der Position: Veränderung ist notwendig im Sinne aller Betroffenen. Wir werden das mit aller Kraft unterstützen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir kommen zur Beschlussfassung. Ihnen liegt der Antrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 5/5421, vor. Wer ihm Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit großer Mehrheit angenommen.
Ich schließe Tagesordnungspunkt 16 und die heutige Sitzung und habe noch zwei Erinnerungen für Sie: Wir treffen uns gleich anschließend zum Parlamentarischen Abend unter dem Thema Energie mit Vattenfall. Der morgige Tag, Festveranstaltung zur Verfassung, beginnt um 9 Uhr mit Kardinal Woelki und Bischoff Dröge in der Nicolaikirche in Potsdam. Es gibt einen Busshuttle vom Landtag zur Nicolaikirche. - Schönen Dank.