Protocol of the Session on June 6, 2012

„Die starken Pendlerströme zwischen den Bundesländern Berlin und Brandenburg - jeder sechste Brandenburger Arbeitnehmer hat einen Arbeitsort in Berlin -... erzwingen... eine regelmäßige Inanspruchnahme von Verkehrsdienstleistungen auf Berliner Gebiet.“

Nun ist es gerade nicht typisch für den eingangs erwähnten berechtigten Personenkreis, dass diese Menschen pendeln müssen. Ich sage das, auch wenn ein Teil der Berechtigten zu den

sogenannten Aufstockern gehört, Personen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber aufgrund ihres geringen Verdienstes ergänzende Sozialleistungen erhalten. Das heißt, nur ein kleiner Teil der Berechtigten bräuchte tatsächlich ein für beide Länder geltendes Mobilitätsticket. Dessen ungeachtet spricht aber ein noch viel gewichtigeres Argument gegen eine Ausweitung. Sie wissen, dass wir bereits 2,5 Millionen Euro für das Mobilitätsticket bereitgestellt haben, eine Menge Geld, wie ich finde. Wenn wir das Angebot nur für die eben erwähnten Aufstocker auf den Tarifbereich Berlin BC oder ABC ausdehnen, kämen weitere 800 000 Euro dazu. Damit wären wir schon knapp bei 3,5 Millionen Euro, und die anderen Anspruchsberechtigten sind hier noch nicht einmal berücksichtigt.

Wenn ich einen Blick auf den Haushalt des Verkehrsministeriums werfe, das rund 50 % seines bisherigen Etats für den Bau und den Unterhalt der Infrastruktur einsparen muss, dann muss ich ehrlich gestehen - fehlt mir die Phantasie zu sagen, woher diese Mittel kommen sollen.

Ein weiteres wichtiges Argument spricht dagegen, das Angebot auszuweiten: Es ist der Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn im Grunde ist es zwar in jedem Fall auch wünschenswert, dass zum Beispiel auch chronisch Kranke unterstützt werden, die zu regelmäßigen Behandlungen nach Berlin fahren müssen, es ist gleichfalls wünschenswert, dass Menschen unterstützt werden, die mit ihren Familien in Brandenburg leben, aber ihre Eltern in Berlin pflegen. Pendler jedoch gegenüber diesem Personenkreis zu bevorzugen ist meines Erachtens unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht vertretbar. So wünschenswert es auf der einen Seite auch ist, möglichst umfassend sozialpolitische Leistungen anzubieten, so realitätsnah sollte der Blick auf das Machbare sein.

Wir müssen gerade angesichts der finanziellen Lage Brandenburgs auch bereit sein, nein zu sagen, wenn wir etwas nicht finanzieren können. Sollten sich jedoch im Etat des Sozialministeriums Finanzierungsmöglichkeiten für weitere Personenkreise finden, dann sähe die Sache anders aus. Insofern freue ich mich auf die Haushaltsberatungen und auf die gemeinsame Suche nach Reserven. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kircheis. - Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Der Abgeordnete Genilke hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag von Rot-Rot steht zum Mobilitätsticket Herr Jungclaus hat es schon gesagt - ganz eindeutig: Die Koalition strebt eine Ausdehnung des Geltungsbereiches auf Berlin, insbesondere für Arbeitspendler, an. In diesem Sinne ist der vorliegende Antrag der Grünen durchaus verständlich. Denn bisher haben weder die SPD noch die Linke irgendetwas dafür getan, das Mobilitätsticket dahin gehend auszuweiten.

Im Gegenteil, erst auf Druck der CDU wurde die Evaluierung des Mobilitätstickets

(Oh! bei SPD und DIE LINKE)

im Herbst 2010 endlich vorgenommen.

(Görke [DIE LINKE]: Sie haben das verhindert!)

- Haben Sie das eingereicht, Herr Görke? Nein, ich kann mich nicht erinnern.

Das interessante Ergebnis dieser Evaluation ist, dass 64 % der Nutzer des Mobilitätstickets aus den vier kreisfreien Städten kommen, darunter sind wiederum 35 % allein aus Potsdam. Das Mobilitätsticket ist also in erster Linie eine Förderung der Mobilität in den kreisfreien Städten.

Die Finanzierung des Mobilitätstickets erfolgt bisher - obwohl es, wie ich meine und wie von Herrn Jungclaus bereits angeführt wurde, eindeutig eine Sozialleistung ist - sachfremd aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes. Gelder, die das Land spart, weil die Bahnen nicht fahren, werden für das Mobilitätsticket verwendet. Pro Jahr sind das etwa die angesprochenen 2,5 Millionen Euro.

Nun haben wir in der vergangenen Woche bereits intensiv über das zukünftige SPNV-Angebot im Land Brandenburg debattiert. Ich sage Ihnen, mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass wir über Stilllegungen beim SPNV diskutieren, während wir gleichzeitig eindeutig für den SPNV vorgesehene Mittel für Sozialleistungen sachfremd verwenden.

Ein Mobilitätsticket kann man sich leisten, wenn man gewährleisten kann, dass man keine Abbestellungen bzw. Quasi-Abbestellungen durch massive Ausdünnungen von Leistungen vornimmt. In Brandenburg passiert derzeit genau das Gegenteil. Die Forderung der Grünen, die Finanzierung aus dem Sozialhaushalt zu erbringen, unterstützen wir ganz eindeutig. Denn das Mobilitätsticket ist eine Sozialleistung. Wenn man eine solche Sozialleistung anbieten möchte, dann gefälligst auch mit Landesmitteln und nicht mit Bundesmitteln, die für andere Aufgaben bestimmt sind.

(Beifall GRÜNE/B90)

Die Regionalisierungsmittel werden den Ländern vom Bund nur für die Bestellung und die Erbringung von SPNV-Leistungen zugewiesen. Hier gibt es im Land Brandenburg genügend Baustellen.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Eine Ausweitung des Mobilitätstickets auf die Berliner Tarifbereiche BC und ABC würde nach den Vorstellungen der Grünen nun 1 Million Euro Mehrkosten verursachen. Insgesamt müssten somit 3,5 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt aufgebracht werden. Dafür schlagen die Grünen in ihrem Antrag die Zuführung an den Landesbetrieb Straßenwesen für Personalkosten vor. Diesem Anliegen allerdings kann sich die CDU-Fraktion - Sie werden es fast erahnen, Herr Vogel - nicht anschließen.

Wir alle wissen, dass der Straßenbau im höchsten Maße unterfinanziert ist. Noch nie wurde so wenig Geld in den Straßenbau investiert wie unter Rot-Rot. Der Landesbetrieb läuft in vielen Bereichen heute schon auf dem Zahnfleisch, vielleicht auch schon einen Zentimeter darunter.

Meine Damen und Herren von den Grünen, bitte schauen Sie sich einmal die Krankenrate beim Landesbetrieb Straßenbau

an, und Sie werden sehen, dass die Mitarbeiter dort bereits heute oftmals an die Grenzen der Leistungsfähigkeit kommen.

Das Land Brandenburg ist ein Flächenland, und der erste Verkehrsträger - bei aller Sympathie für die Notwendigkeit einer guten Schieneninfrastruktur - ist in den ländlichen Räumen nach wie vor die Straße. Dafür müssen wir ebenfalls Verantwortung übernehmen. Wir haben Gelder für den öffentlichen Beschäftigungssektor, für Imagekampagnen des Landes usw. Es gäbe also durchaus andere Quellen, die man anzapfen könnte, um diese Sozialleistungen tatsächlich zu bezahlen. Aber die Pflichtaufgabe der Erstellung einer intakten Verkehrsinfrastruktur gerade auch im ländlichen Bereich lehnen wir ab. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Genilke. - Für die Fraktion DIE LINKE wird die Abgeordnete Wehlan die Aussprache fortsetzen.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Mobilitätsticket in Brandenburg wurde geboren, weil eine Volksinitiative in der letzten Wahlperiode für den entsprechenden Druck auf die Politik gesorgt hat. Auch meine Fraktion hatte sich 2008 klar mit einem Antrag für ein Sozialticket in Brandenburg ausgesprochen, so der damalige Text der Volksinitiative.

(Beifall DIE LINKE)

Insofern ist es nur folgerichtig, dass das Mobilitätsticket Bestandteil der rot-roten Regierungskoalition wurde. Dabei legen SPD und Linke auf die Ausfinanzierung des Mobilitätstickets großen Wert.

Die in Ihrem Antrag unter Punkt 2 vorgesehene Herausnahme des Sozialtickets aus den Finanzierungsmitteln des Einzelplans 10 ist bereits Diskussionsstand mit der Landesregierung in Vorbereitung der Haushaltsaufstellung 2013/2014.

Ob die Zuordnung durch die Landesregierung zum Verantwortungsbereich des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie oder anders erfolgt, sollten wir nicht über einen Antrag in einem für die Entscheidungsfindung viel zu engen Raster regeln. Was nicht geht - da stimmen wir mit Ihnen überein -, ist, dass das Mobilitätsticket als Leertitel im Etat des Infrastrukturministeriums stehen bleibt und die Maßnahme global aus Regionalisierungsmitteln finanziert wird. Diese Zweckentfremdung von Bundesmitteln müssen wir heilen - auch im Sinne einer transparenten Haushaltsführung.

Herr Jungclaus, ja, Ihr Antragspunkt 1, das Angebot des Brandenburger Mobilitätstickets in seiner Reichweite auf Berlin zu erweitern, ist wichtig. Ihnen ist in Vorbereitung auf die heutige Landtagssitzung sicherlich nicht entgangen, dass sich meine Partei dazu im Landtagswahlprogramm geäußert hat. Mobilität und öffentlicher Personennahverkehr sind für die Linke ein wichtiger Grundsatz der öffentlichen Daseinsvorsorge. Der Zugang für die Menschen und die Familien mit geringen Einkommen muss gesichert sein.

Mit einem Schuldenstand von zwei kompletten Landeshaushalten, 19 Milliarden Euro, dem Auslaufen der Solidarpaktmittel

bis 2019, einer Zukunftsaussage für die Enkelgeneration - Nettokreditaufnahme bis 2014 auf null, eine rot-rote Schwerpunktsetzung auf mehr Qualität in der Bildung von Anfang an, Arbeit, von der man leben kann, und keine Leistungskürzungen im Sozialbereich - stehen Erweiterungswünsche unter dem Vorbehalt der Finanzierung bzw. der Deckungsquelle. Ihre Deckungsquelle ist dabei wenig hilfreich und eher Ihrer ideologischen Herangehensweise geschuldet.

(Frau Nonnemacher [GRÜNE/B90]: Wie schön, dass Sie so unideologisch sind!)

- Wir hatten hier im Landtag eine Debatte über die Ausfinanzierung der Grundsanierung der Landesstraßen. Da gab es das Spannungsfeld zwischen den Grünen, die alles streichen wollten, und der CDU, die noch mehr wollte.

(Senftleben [CDU]: Jetzt sind wir schuld!)

In diesem Spannungsfeld, das ein Stück weit ideologisch begründet ist, befinden wir uns auch mit dieser hier benannten Haushaltsstelle, Landesbetrieb Straßenwesen. Wir brauchen also noch das notwendige Geld, möchte ich an dieser Stelle sagen. Die Haushaltsberatungen stehen unmittelbar bevor. Nach der Sommerpause werden wir sicherlich von den Haushaltsdokumenten für die Jahre 2013/14 beglückt werden. Deswegen werden wir Ihren Antrag heute ablehnen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wehlan. - Wir setzen mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Der Abgeordnete Beyer hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Sie eingangs meiner Ausführungen gleich beruhigen. Ich scheine offensichtlich der einzigen Fraktion anzugehören, die die gigantischen Erfolge des Mobilitätstickets nicht für sich reklamieren will.

(Beifall FDP)

Aber das hängt ganz einfach damit zusammen - in den Ausschüssen haben wir bereits mehrfach darauf hingewiesen -, dass zwar die Idee, die dahintersteht, grundsätzlich berechtigt, aber die Umsetzung ordnungspolitisch mangelhaft ist. Von daher könnte ich es mir jetzt relativ leicht machen und grundsätzlich darauf verweisen, dass wir das Mobilitätsticket ablehnen. Das will ich aber ganz bewusst nicht tun.

Auch wir haben uns den Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durchgelesen. Beim ersten Lesen kann man sagen: Okay, das kann man lesen. Aber man liest solche Anträge auch ein zweites Mal. Wenn es um Anträge der Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geht, dann liest man sie mindestens ein drittes Mal. Dann fangen die Probleme an. Im Prinzip sind es zwei wesentliche Punkte.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Nicht aus dem Nähkästchen plaudern!)

- Lassen Sie uns den Antrag ruhig drei Mal lesen.

Erstens geht es um die Ausweisung des Mobilitätstickets auf die Tarifgebiete, sodass Berlin und Brandenburg umfasst sind. Zweitens geht es um die Finanzierungsfrage. Wir haben das eben mehrfach gehört. Es geht um die Frage, welches Ressort eigentlich für die Finanzierung zuständig sein soll.

Punkt 1 steht im Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen. Das ist nicht verboten. Es ist durchaus logisch, dass man sagt: Wenn man ein Mobilitätsticket in einem Raum wie BerlinBrandenburg haben will, muss es natürlich für den gesamten Raum gelten. Das ist erst einmal nicht verwerflich. Es ist letzten Endes sogar verständlich. Dazu bedarf es allerdings der Klärung des Ausgleichs der Mindereinnahmen mit den Aufgabenträgern. Das könnte man technisch vielleicht noch lösen, wenn man das wollte.

Der zweite Punkt ist die Übertragung der Finanzierung aus dem Verantwortungsbereich des MIL in den Verantwortungsbereich MASFF. Damit haben wir eigentlich auch kein Problem. Es ist richtig, die Finanzierung auf ein solides Fundament zu stellen. Das klingt auch gut. Dem kann man sich grundsätzlich nicht verwehren.