Protocol of the Session on February 23, 2012

„2. Schutzbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und dritte Start- und Landebahn ausschließen.“

Dann folgt noch eine ganze Reihe von weiteren Punkten.

Frau Melior hat ihren heutigen Redebeitrag mit den Worten „panta rhei“ des Philosophen Heraklit eingeleitet. Darauf setze auch ich. Ich setze darauf, dass sich die Empathie, dass sich das Verantwortungsbewusstsein weiterentwickeln. Ich setze darauf, dass man Dinge, die man gestern noch für falsch hielt, heute vielleicht anders sieht. Wir werden es sehen. Ich habe die Hoffnung auf eine sachliche Korrektur in bestimmten Grundsatzpunkten jedenfalls nicht aufgegeben.

Ich will es noch einmal klarstellen: Die allermeisten Menschen in der Region haben sich mit der Tatsache, dass dieser Flughafen da ist, abgefunden. Das ist so; er ist eine Lebensrealität.

Aber jetzt geht es um etwas anderes. Es geht darum, wie das Zusammenleben gestaltet werden soll. Insoweit ist auf die Worte Ihres Beschlusses vom 16.12.2011 leider nicht viel gefolgt. Es ist viel geredet worden. Man hatte sechs Jahre Zeit, seit dem Planfeststellungsbeschluss sogar acht! Was ist passiert? Ein großer Scherbenhaufen! Von dem Schallschutzprogramm ist

im Wesentlichen nichts umgesetzt worden, und dennoch geht der Flughafen bald in Betrieb. Das ist ein großes Problem.

Wir alle werden nur an der Realität gemessen, nicht an warmen Worten oder Versprechungen für die ferne Zukunft. Das Leben in seiner Realität in der betroffenen Region wird sich ab dem 3. Juni zeigen. Wir wissen noch nicht, wie es wirklich werden wird. Deswegen will ich mich auch deutlich zurückhalten und nicht polemisieren. Ich gehe jedoch davon aus, dass es dort eine neue Situation geben wird. Wir werden lernen müssen, damit umzugehen.

Wir - nicht nur ich; einige Kolleginnen und Kollegen haben mitgemacht - haben Ihnen drei Anträge vorgelegt. Ich will sie kurz begründen.

Der erste Antrag steht unter der Überschrift: „Die Gesundheit der Bürger schützen“. Er baut letztlich auf dem Antrag vom 16. Dezember auf, den Sie damals mit großer Mehrheit ablehnten. Aber es gibt eine neue Situation. Mittlerweile liegt das Gutachten des Umweltbundesamtes vor. Jeder, der es gelesen und auch verstanden! - hat, muss sich nun fragen: Wie kommt es, dass die unabhängige Bundesfachbehörde zu solchen Schlussfolgerungen kommt? Diese sind doch nicht politisch motiviert. Dort sitzen Experten zusammen, die Erfahrungen an deutschen und internationalen Flughäfen gesammelt haben und diese in eine Grundsatzbewertung einfließen lassen. Sie sagen neben vielem anderen -: Ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr ist eigentlich unverzichtbar.

Ich kann verstehen, dass jemand, der sich für die Wirtschaft einsetzt, argumentiert: Wir wollen so wenige Behinderungen wie möglich. Wir wollen, dass das Ganze läuft, dass es ein Erfolg wird.

Kollege Vogel hat, was die „schönen Aussichten“ angeht, schon aus dem Wirtschaftsplan der FBB zitiert. Nichtsdestotrotz: Wenn man tatsächlich der Meinung ist, alle Schutz- und Grundrechte könnten über Bord geworfen werden, nur damit es flutscht und der Rubel rollt, dann frage ich mich, warum wir dann nicht das Umweltschutzrecht, das Arbeitsschutzrecht und viele andere Schutzrechte abschaffen. Dann würde es noch viel besser flutschen und der Rubel noch viel besser rollen. Das tun wir nicht, und zwar aus gutem Grund: Nicht alles kann mit dem Hinweis auf den zu erwartenden wirtschaftlichen Erfolg gerechtfertigt werden.

(Beifall GRÜNE/B90 und des Abgeordneten Goetz [FDP])

Das hat auch etwas mit unserem Menschenbild zu tun. Wir sind gegen Kinderarbeit, wir stehen Nachtarbeit und Überstunden kritisch gegenüber. Es wird für die 38-Stunden-Woche gekämpft, manche kämpfen sogar für die 34-Stunden-Woche. Das hat alles seinen Sinn. Es gibt Gesetze über die Nachtruhe. Diese ist einzuhalten, weil der Mensch nun einmal Erholung braucht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich setze darauf, dass das Gutachten des Umweltbundesamtes und die Diskussion darum bei Ihnen Spuren hinterlassen hat. Ich glaube auch nicht, dass der Antrag, den wir hier vorlegen, unzumutbar ist. Was hindert uns, den Landtag Brandenburg, daran zu erklären, dass wir das Gutachten des Umweltbundesamtes zustimmend zur Kenntnis nehmen und sagen: Da hat eine unabhängige Bundesfachbehörde wichtige Grundsätze zur Gesundheit und zum Leben for

muliert, das machen wir uns zu eigen. Wer oder was hindert uns daran, uns das zu eigen zu machen? Was ist daran politisch inopportun?

Die zweite zentrale Frage lautet: Warum fordert dieser Landtag die Landesregierung nicht auf, dieses Gutachten - im übertragenen Sinne - über Schönefeld drüberzulegen und zu schauen, was machbar und was nicht machbar ist? Es steht schließlich nicht im Antrag drin, dass alle Empfehlungen umgesetzt werden sollen. Zunächst einmal geht es nur um die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung damit und darum, dem Landtag zu sagen, was geht und was nicht geht. Aber es kann nicht sein, dass immer gleich gesagt wird: „Das geht alles gar nicht!“ Meine Oma hat immer gesagt: „Geht nicht“ heißt „will nicht“.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Meine Oma hat immer ge- sagt: Nicht alles, was das Kind will, kann es auch krie- gen!)

„Will nicht“ akzeptiere ich nicht. „Will nicht“ kann auch keine politische Kategorie sein. Man kann sagen: „Es funktioniert nicht, weil...“, und dann müssen Gründe angegeben werden. Aber zu sagen: „Ich will nicht!“, ist nicht hinnehmbar und auch nicht zeitgemäß.

(Beifall GRÜNE/B90)

Der dritte Punkt in dem Antrag lautet, dass wir, der Landtag Brandenburg, die Landesregierung auffordern, noch einmal zu prüfen, was im Hinblick auf ein Nachtflugverbot noch möglich ist. Wer bei der Anhörung am 7. April 2011 dabei war, weiß, dass uns das Tauende langsam durch die Finger rutscht und es irgendwann nicht mehr festzuhalten sein wird. Ich glaube aber, dass es noch nicht zu spät ist.

Deswegen appelliere ich an Sie: Springen Sie über Ihren Schatten! Denken Sie daran, dass mindestens 40 000 Menschen direkt betroffen sind! Diese Zahl nennen übrigens diejenigen, die die Zahlen kleinrechnen. Diejenigen, die die Zahlen hoch ansetzen, gehen von bis zu 120 000 direkt Betroffenen aus. Die Wahrheit liegt vermutlich, wie fast immer, in der Mitte.

Ich möchte insbesondere an die Kollegen, die schon länger im Landtag vertreten sind, appellieren: Wir haben uns in den vergangenen 20 Jahren für viele Menschen in unserem Land eingesetzt. Ich erinnere an die Oderflut und die Situation rund um den Nationalpark Unteres Odertal. Damals waren wesentlich weniger Menschen betroffen, und es gab wesentlich weniger einschneidende Konsequenzen. Wir haben uns damals voll ins Zeug gelegt und Dinge ermöglicht, die vorher als nicht machbar galten. Warum in drei Gottes Namen setzt sich dieser Landtag Brandenburg nicht für so viele Menschen, die essentiell betroffen sind, ein?

(Beifall GRÜNE/B90 und des Abgeordneten Goetz [FDP])

Der zweite Antrag lautet: „Fluglärm begrenzen“. Es ist hier hoch und heilig versprochen worden - der Landtag hat am 16. Dezember einen entsprechenden Beschluss gefasst -, dass die dritte Start- und Landebahn nicht kommen soll. Heute soll das mit dem Entschließungsantrag bestätigt werden.

Ich sage: Wenn man das ernst meint - warum fixiert man es nicht dort, wo es hingehört, nämlich im LEPro und im Landes

planungsstaatsvertrag mit Berlin? Wenn man der Auffassung ist, eine dritte Start- und Landebahn ist falsch und soll auch nicht kommen, dann kann man es doch dort hineinschreiben, wo es zementiert und damit unverrückbar ist.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie der Abgeordneten Goetz [FDP] und Frau Dr. Ludwig [CDU])

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie alle wissen, was Diskontinuität bedeutet. Es mag sein, dass dieser Entschließungsantrag ernst gemeint ist. Aber nach der nächsten Landtagswahl ist er nichts weiter als ein Stück Papier, dann bedeutet er nichts mehr. Wir alle wissen, wie schnell die Zeit vergeht. Möglicherweise gibt es dann eine andere Situation. Man wird sich jedenfalls mit dem Willen, den wir heute bekunden, nicht mehr auseinandersetzen müssen.

Ich appelliere an Sie: Machen Sie Nägel mit Köpfen! Sorgen Sie dafür, dass die Festlegung auf ein Nein zur dritten Startund Landebahn dort hineinkommt, wo sie hineingehört: in das LEPro, § 19 Abs. 11! Dann wäre es fixiert. Das ist nur eine Frage des politischen Willens, dazu bedarf es gar keiner großen geistigen Anstrengungen.

Der dritte Antrag, der, was die Frage der Zustimmung betrifft, vermutlich noch hoffnungsloser ist als die beiden bisher von mir genannten, fußt übrigens auch auf Ihrem Beschluss vom 16. Dezember vergangenen Jahres. In diesem Beschluss heißt es:

„Eine Doppelbelastung durch An- und Abflüge im direkten Umfeld des Flughafens soll weitgehend vermieden werden.“

Nun stellen wir fest, dass es eine Gemeinde gibt, die volle Kanne, bei Tag und bei Nacht, bei Ost- und bei Westwind 365 Tage im Jahr überflogen werden wird. Ich weiß nicht, wie das auszuhalten sein soll. In dem Antrag wird nicht gefordert, dass dort gar nicht mehr geflogen werden soll. Es geht lediglich um die Aufforderung an die Landesregierung, sich Gedanken darüber zu machen, wie man das Los der Menschen, die dort wohnen, verbessern kann. Warum das nicht zustimmungsfähig sein soll, weiß ich nicht. Wir werden sehen; ich bin sehr gespannt darauf.

Ich würde mich freuen, wenn Kolleginnen und Kollegen, die dazu eine sehr dezidierte Meinung haben, sich schlicht und einfach mal in der Region blicken ließen. Frau Kollegin Ness ist heute nicht da. Am 27. Januar gab es eine Zusammenkunft des Bündnisses der Bürgerinitiativen mit der Landesregierung. Das ist eine Sache, die seit einigen Jahren läuft. Ich bin nicht ganz unschuldig daran, dass es diese Kommunikationsebene gibt.

Es war erschütternd. Auch die anwesenden Vertreter des Landtages und der Landesregierung waren relativ erschüttert über das, was sie dort hören bzw. zur Kenntnis nehmen mussten, was den Stand des Schallschutzprogramms betrifft etc., etc., etc.

Ich will Sie alle einfach nur ermutigen: Wenn man über Afrika reden will, dann sollte man wenigstens einmal nach Afrika gehen; sonst sehen Giraffen und Elefanten ganz merkwürdig aus.

Wenn man über den Flughafen und die Konsequenzen, die er für die Menschen hat, reden will, dann sollte man in die vom Flughafen betroffenen Gemeinden gehen und mit den Bürge

rinnen und Bürgern, den Gemeindevertretern, den Bürgermeistern und/oder den Bürgerinitiativen sprechen. Lassen Sie sich deren Sicht der Dinge schildern! Vielleicht machen Sie sie sich doch zu eigen. Nach solchen Gesprächen sieht die Welt manchmal ganz anders aus. Schreiten Sie zur Tat! Machen Sie ernst, nehmen Sie Ortstermine wahr und reden Sie mit den Menschen vor Ort!

Wenn Sie das getan haben und dann immer noch der Auffassung sind, dass die Kritik Murks sei und man gar nichts tun müsse, dann bin ich bereit, das zu akzeptieren. Aber ehe Sie das nicht getan haben, können Sie nicht guten Gewissens sagen: Das interessiert mich nicht, das geht mich nichts an, lasst mich damit in Ruhe!

Häufig wird nach dem Motto, die Mehrheit sei doch dafür, das Mehrheitsargument gebracht. Das zählt doch nicht! Demokratie heißt doch nicht nur, dass die Mehrheit bestimmt, sondern Demokratie heißt auch Toleranz der Minderheit. Auch der Minderheit muss es erlaubt sein, im Rahmen der Möglichkeiten ein gesundes Leben zu führen.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und des Abgeordneten Goetz [FDP])

Daran anschließend möchte ich dafür plädieren, dass man die Leute in Blankenfelde-Mahlow und in anderen Gemeinden nicht einfach unterbuttert. Ich weiß, dass das viel verlangt ist, aber die spannende Frage ist, wie Sie mit den Anträgen umgehen. Es gibt ja mehrere Möglichkeiten. Man kann es heute direkt beschließen, man kann es direkt ablehnen, man könnte es auch überweisen. Ich fände die Frage der Überweisung die ehrlichste und die redlichste. Man kann nach einer Überweisung immer noch der Auffassung sein, dass es falsch ist, und es ablehnen. Aber man muss sich wenigstens der Mühe unterziehen, die Dinge sorgfältig zu prüfen. Wenn Sie das nicht tun, dann zeigt das für mich ein gewisses Maß von Oberflächlichkeit, das ich dann ertragen muss, aber das natürlich nicht meine Zustimmung finden kann. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, ein paar nachdenkliche Gedanken in Ihren zerebralen Hirnwindungen geweckt zu haben.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und des Abgeordneten Goetz [FDP])

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schulze. - Wir kommen nunmehr zum Redebeitrag der SPD-Fraktion. Frau Abgeordnete Kircheis erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Christoph, ich finde es schade und auch ein wenig traurig, dass immer wieder der Eindruck erweckt wird, wir würden das Thema Fluglärm auf die leichte Schulter nehmen. Das ist erstens falsch, und zweitens darf sich Politik diesem Problem gegenüber auch nicht so undifferenziert und einfach verhalten.

Wir wollen einen internationalen und leistungsfähigen Flughafen. Wir haben immer betont: Wenn es um Sicherheit und Fluglärm geht, steht für die SPD-Landtagsfraktion die Sicherheit an erster Stelle, an zweiter Stelle steht der Lärmschutz. Wir haben

uns immer dafür eingesetzt, zuletzt in der Landtagssitzung im Januar, die Lärmbelastungen und die Störungen so gering wie möglich zu halten. Das gilt für die Nachtflugregelung genauso wie für die Flugrouten.

Aber wenn wir darüber sprechen und wenn wir Entscheidungen fällen, müssen wir dabei auch den Realitäten ins Auge sehen. Die Entscheidung für den Flughafen an diesem Standort ist vor Langem gefallen, und die Konsequenzen dieser Entscheidung sind ebenfalls seit Langem klar und kommen für niemanden wirklich überraschend. Jedem ist klar: Wer einen Bahnhof baut, der braucht auch Gleise. Genauso klar ist, dass zu einem Flughafen auch Flugrouten und Flugzeuge gehören. Das kommt für niemanden wirklich überraschend, nicht für uns und auch nicht für die Gemeinden rund um Schönefeld.

Als 1996 der Beschluss für den Standort Schönefeld fiel, waren die Schließung der Berliner Flughäfen und die Verlagerung des gesamten nationalen und internationalen Fracht- und Passagierverkehrs nach Schönefeld ausgemacht. Dass der neue Flughafen im relativ dicht besiedelten Berliner Umland die Lärmbelastung für die Anrainer erhöhen wird, war unstrittig und wurde von Anfang an mit bedacht.

Wir alle wissen: Ab dem 3. Juni wird die Zahl der dauerhaft von hohem Fluglärm Betroffenen kaum mehr ein Viertel der heute Betroffenen sein. Aber wir haben auch von Anfang an gesagt: Wir wollen den Betroffenen so gut wie möglich helfen, mit dem Lärm leben zu können. Als sich abzeichnete, dass die Umsetzung des Lärmschutzprogramms nicht ganz rund lief, hat der Landtag mit mehreren Beschlüssen eingegriffen, um Forderungen und Bemühungen zur rechtzeitigen Umsetzung von Maßnahmen des passiven Schallschutzes zu verstärken und die Optimierung von Flugrouten und Betriebsabläufen im Sinne eines größtmöglichen Schutzes vor Fluglärm vorzunehmen.

Schon früh haben wir die Landesregierung bei aktiven Lärmschutzmaßnahmen wie keine regulären Flüge zwischen 22 und 6 Uhr, Kontingentierung der Flüge in den Tagesrandzeiten, Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten für baulichen Lärmschutz und Entschädigung, Ansetzung deutlich höherer Maßstäbe für Entgelte als in den meisten anderen Flughäfen der Republik unterstützt.

Wenn wir mal einen Schritt zurücktreten und ehrlich sind, müssen wir also anerkennen, dass die Menschen keineswegs allein gelassen werden, dass kein Ort aufgegeben wird und dass niemand, lieber Christoph, zynisch wegschaut. Wir haben geprüft und abgewogen, was für den ordentlichen Betrieb eines Flughafens zumutbar ist und was den Bürgerinnen und Bürgern zuzumuten ist.