Protocol of the Session on January 26, 2012

Drucksache 5/4544

in Verbindung damit:

Schallschutz für Betroffene des Flughafens BER sicherstellen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/4635

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Genilke erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An diesem Tag kommen wir nicht umhin, über unseren eigentlichen Antrag hinaus auch über das zu sprechen, was heute offiziell wurde, nämlich die Flugrouten, die das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung bekannt gegeben hat.

Es gibt viele Stellungnahmen, die ich bereits lesen durfte. Das, was an diesem Standort tatsächlich machbar ist, wurde zumindest so, wie es jetzt gestaltet worden ist, hinlänglich - wie ich meine, durchziehend - umgesetzt. Vieles, was in der Fluglärmkommission angesprochen worden ist, ist teilweise, manchmal auch komplett eingeflossen. Daher ist das, was sich jetzt regt, auch eine Ursache dessen, was angefangen hatte mit der falschen Einzeichnung der Flugrouten. Man hatte darauf abgestellt, dass das tatsächlich die Flugrouten sein würden, die mit der Eröffnung des Flughafens in Betrieb gehen würden. Diese Hoffnung konnte sich nicht erfüllen. Aber das, was machbar war, wurde heute, wie gesagt, in einer Abwägung dargestellt.

Unvernünftig finde ich es nicht, Frau Wehlan. Ich finde die Entscheidung, dass Erkner, wie wir heute hören und sehen konnten, bei Abflügen und bei Anflügen nicht doppelt belastet wird, durchaus vernünftig.

(Zuruf der Abgeordneten Wehlan [DIE LINKE])

Dass das Herr Gysi heute anders gesehen hat, hat sicherlich etwas mit seinem Wahlkreis zu tun. Für Erkner ist mit der heutigen Entscheidung eine ganze Menge passiert.

(Beifall CDU)

Jetzt komme ich zu unserem Antrag. Ich spreche hier genaugenommen zu zwei Anträgen, nämlich auch zu dem Antrag der Grünen. Wir haben diesen Antrag bereits vor vier Wochen in

die parlamentarische Diskussion gebracht. Er ist Ihnen hinlänglich bekannt.

Lärmrente - zur Umschreibung dessen, worum es geht - ist etwas, was 1992 aus den Unwägbarkeiten dessen geboren wurde, was sich am Münchener Flughafen zugetragen hatte. Auch der Münchner Flughafen war zu seiner Eröffnung nicht in der Lage, den Lärmschutz darzustellen. In einer außergerichtlichen Einigung hatte man sich auf die sogenannte Lärmrente verständigt. Diesen Namen kann man mögen oder nicht. Er hat zu einer Kompensation für die Betroffenen, die bei Inbetriebnahme nicht mit Lärmschutz ausgestattet worden waren, und zwar nicht, weil sie selbst gebremst hätten und auch nicht deshalb, weil sie getrickst hätten, sondern weil der Flughafen nicht in der Lage war, dies tatsächlich umzusetzen, geführt.

Ich denke: Was für die Münchner gilt, sollte für uns hier auch gelten können. Wir werden mit den Schallschutzmaßnahmen nicht fertig sein. 754 realisierte Schallschutzmaßnahmen waren es im Dezember. Das ist deutlich zu wenig. In Relation dessen, was damals in München bei der Inbetriebnahme fertig war, haben wir etwas mehr umgesetzt. Vielleicht haben wir 4 % der Maßnahmen umgesetzt. Die Münchner hatten etwas über 2 %. Ich denke, wir sind uns einig: Es ist deutlich zu wenig, ob es nun 4 % oder 2 % sind.

Wir haben in klare Richtlinien gefasst, warum wir das so tun und für wen es zutreffen soll. Hier gibt es eine Mitwirkungspflicht der Betroffenen. Es gibt auch ein Datum, nämlich wenn mit Beginn des sechsten Monats nach beidseitiger Unterschrift der Kostenerstattungsvereinbarung nachweislich eigener Bemühungen dem Lärmschutzberechtigten kein Schallschutz gewährt wurde.

Wir wollen - das ist auch nicht neu, das haben wir schon mehrfach gesagt - eine unabhängige Koordinierungsstelle. Warum wollen wir das? Ich meine, wir können uns angesichts von 754 Schallschutzmaßnahmen - vielleicht sind es jetzt schon 1 000 - nicht zurücklehnen. Wir können uns auch nicht zurücklehnen und sagen: 4 000 haben nun schon beidseitig unterschrieben. - Es sind immerhin noch 11 000, die nicht beidseitig unterschrieben worden sind. Die Maßgabe unseres Hauses hier kann doch nicht sein, unsere Schallschutzmaßnahmen danach auszurichten zu sagen: Wir haben 11 000 Zettelchen verschickt, die bloß noch nicht zurückgekommen sind. Unser Anspruch muss sein, den realisierten Schallschutz und nicht das Versenden irgendwelcher Kostenerstattungsvereinbarungen als Maßgabe dafür, wie erfolgreich wir sind, zu nehmen.

(Beifall CDU und FDP)

Die Ursache dafür, dass die Kostenerstattungsvereinbarung nicht unterschrieben wird, ist zu einem großen Teil auf Verunsicherung zurückzuführen. Sie ist der Verunsicherung geschuldet, dass es unterschiedliche Aussagen dazu gibt, welchen Stand der Umsetzung desselben wir tatsächlich haben.

Wir hatten eine Ausschusssitzung beantragt, die in der letzten Woche stattfand. In der Sitzung wurde auf die Aussagen des Flughafenbetreibers Rücksicht genommen, wonach der Schallschutz so, wie er im Planfeststellungsbeschluss festgeschrieben ist, nicht verwirklicht werden könne. Das ist schon ein starkes Stück. Ich möchte von einem auch von uns initiierten Besuch einer Wohnung in Blankenfelde zitieren. Dort sagte Herr Lange, Prokurist der Flughafengesellschaft, man halte die Vorga

ben korrekt ein. Er räume ein, dass es eine große Schere zwischen den Anforderungen des Beschlusses und dem, was die Bürger erwarten, gebe. Genau das ist falsch. Es gibt eine Schere zwischen dem, was im Planfeststellungsbeschluss steht, und dem, was FBS und Landesregierung bis heute zulassen.

(Beifall des Abgeordneten Goetz [FDP])

Worin besteht der Unterschied? Im Planfeststellungsbeschluss steht auf Seite 105:

„Die [Schallschutz-]Vorrichtungen haben zu gewährleisten, dass durch die An- und Abflüge am Flughafen im Rauminnern bei geschlossenen Fenstern keine höheren A-bewerteten Maximalpegel als 55 dB(A) auftreten.“

Interpretation des Flughafens: Kriterium sind die sechs höchsten Pegel am Durchschnittstag. - Dann reden wir von 1 079 Maximalpegeln über 55 dB(A)! Da muss man schon froh sein, dass wir diese Ausschusssitzung durchgeführt haben; denn am 24. Januar dieses Jahres ging ein Brief aus dem Infrastrukturministerium an den BER. Auch daraus möchte ich gerne zitieren; das ist interessant. Im vorletzten Absatz heißt es nämlich - Sie beziehen sich auf die derzeit vom Flughafen angewandten NAT-6-Kriterien mit 1 079 Maximalschallpegelüberschreitungen -:

„Dem steht aus meiner Sicht allerdings entgegen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Begründung zu seinen Urteilen vom 16.03.2006 die Ansicht geäußert hat, dass die Tagschutzregelung keinen Raum für die Deutung zulasse, dass im Tagschutzgebiet im Innern der in Satz 1 genannten Räume der Maximalpegel von 55 dB(A) auch nur einmal überschritten werden dürfe.“

Das stellen Sie fest. Interessant ist die Schlussfolgerung daraus. Einen Absatz weiter - es sind vielleicht nur zehn Zeilen - liest man:

„Sie haben umzusetzen: Es ist sicherzustellen, dass in den sechs verkehrsreichsten Monaten durchschnittlich weniger als einmal pro Tag ein Maximalpegel von 55 dB(A) im Rauminnern auftritt.“

Das verwundert mich schon einigermaßen, Herr Minister. Nachdem Sie zunächst festgestellt haben, dass das zu keinem Zeitpunkt passieren dürfe, schließen Sie, dass 179 Mal im Jahr der Maximalpegel überschritten werden dürfe. Das ergibt für mich - zumindest nach dem vorliegenden Planfeststellungsbeschluss - überhaupt keinen Sinn. Es eröffnet sich mir auch nicht, wie Sie diese Lesart haben können.

Ich habe auch deshalb diese Ausschusssitzung einberufen. Nicht herausgekommen ist eine Lösung, das muss ich an der Stelle sagen. Es wurde zugesagt, noch einmal darüber zu sprechen. Es gibt auch einen Antrag auf Richtigstellung.

Ich denke, hier gibt es nichts richtigzustellen und auch nichts zu deuten. Lärmschutz ist nicht etwas, worum die Menschen betteln müssten, sondern sie haben darauf einen verbrieften Anspruch. Sie können nicht verlangen, dass wir den Menschen sagen: Das steht im Planfeststellungsbeschluss. Ihr müsst euch dem unterordnen. Aber dort, wo wir Verantwortung tragen für die Umsetzung dessen, was dort steht, sagen wir: Wir brauchen uns nicht daran zu halten, sondern legen das einfach anders

aus. - Damit machen wir Planfeststellungsbeschlüsse von vornherein zunichte, und von Akzeptanz können wir an der Stelle überhaupt nicht reden.

Was ebenfalls zur Verunsicherung beiträgt: Vielleicht hat der eine oder andere die Sendung „Frontal 21“ gesehen, die am Dienstag lief. Darin sagte der Vertreter des Flughafens sinngemäß: Das ist ja alles ganz nett. Wir legen den Lärmschutz für die nächsten 15, 20 Jahre aus. - In der Sondersitzung des Ausschusses wurde uns jedoch erklärt, der Lärmschutz, den wir gerade verwirklichen, gelte nur bis zum Jahr 2015. Da es in den Aussagen derer, die Verantwortung tragen, offensichtlich große Spannbreiten der Auslegung gibt, werden diese Kostenerstattungsvereinbarungen schlichtweg nicht unterschrieben. Wer unterschreibt denn so etwas, wenn es zudem noch eine Abgeltungsregelung gibt? Wer also einmal eine Schallschutzmaßnahme bewilligt bekommen hat, kann demnach davon ausgehen, keine weitere Maßnahme bewilligt zu bekommen. All das juristische Geplänkel, auf das wir schon eingegangen sind, ist durchaus nachvollziehbar. Vielleicht haben Sie sogar Recht. Aber die Menschen werden dadurch davon abgehalten, entsprechenden Vereinbarungen zuzustimmen. Schon deshalb muss diese Abgeltungsklausel aus den Kostenerstattungsvereinbarungen verschwinden.

Ich möchte auf den Zusammenhang mit dem neuen Münchener Flughafen zurückkommen. Dort gab es nur 4 200 Berechtigte für Lärmschutzmaßnahmen. Bei uns sind es 25 500! Das zeigt, in welches Gebiet wir diesen Flughafen gestellt haben.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Wir? Sie!)

In der Umgebung des Münchener Flughafens sind für Lärmschutz 60 Millionen Euro ausgegeben worden, bei uns sind es 140 Millionen Euro. In Anbetracht dessen, dass wir vier Monate vor dem Eröffnungstermin stehen - am 24. Mai soll der BER eingeweiht werden -, ist es dringend erforderlich, dass das Ministerium mit aller Kraft das umsetzt, was im Planfeststellungsbeschluss niedergeschrieben ist. Gerade im Hinblick auf das, was uns das Umweltbundesamt mit auf den Weg gegeben hat, möchte ich noch einmal - obwohl wir von allen Parteien eine ablehnende Haltung erfahren haben - für unser Ansinnen werben. Wir sollten uns dringend an einen Tisch setzen und auch über die Auswirkungen der Vorgaben des Umweltbundesamtes diskutieren.

Ich beantrage deshalb, unseren Antrag zum Lärmschutz in den Ausschuss zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Der Abgeordnete Jungclaus setzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Debatte fort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Seit der Eröffnungstermin für den BER in greifbare Nähe gerückt ist, beschäftigen wir uns im Landtag regelmäßig mit den Themen Flugrouten, Schallschutz und Nachtflugverbot. Wenn man sich die letzten Landtagsbeschlüsse zu diesen Themen anschaut, dann meint man, bei Titeln wie „Alle

Fakten auf den Tisch - Lärmschutz zügig umsetzen“ oder „Schallschutz der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen“ zunächst annehmen zu müssen, dass sich in der Umsetzung vieles verbessert habe. Nach einem Blick auf die Umsetzungspraxis vor Ort und die Beschwerden der Betroffenen wird aber schnell klar, dass dies leider nicht der Fall ist. Die erforderlichen Schallschutzmaßnahmen werden weder zügig umgesetzt, noch hat der Schallschutz bei den Verantwortlichen den Stellenwert, den er eigentlich haben müsste. Das Schallschutzprogramm läuft bisher schleppend, wird fehlerhaft umgesetzt und entscheidet eben nicht im Zweifel immer für den Schallschutz der Anwohnerinnen und Anwohner.

Wie die Antwort auf unsere Kleine Anfrage kürzlich ergeben hat, weiß die Landesregierung schon seit Mai 2011, also seit über acht Monaten, dass der Flughafen bei der Berechnung der Schallschutzmaßnahmen ein zu niedriges Schutzniveau zugrunde legt. Wir haben dieses Thema mehrmals im Ausschuss angesprochen. Dort wurde dann zwar zwischen Ministerium und Flughafengesellschaft eifrig debattiert; an der Praxis geändert hat sich bisher aber nichts, rein gar nichts.

Dabei ist das Ministerium als Genehmigungsbehörde in der Pflicht, einzuschreiten, wenn der Planfeststellungsbeschluss nicht ordnungsgemäß umgesetzt wird. Gerade das Land Brandenburg - als Gesellschafter und als Genehmigungsbehörde! hat beim Flughafen BER die Möglichkeit, Einfluss auf die Umsetzung des Schallschutzprogramms zu nehmen. Doch ist Ihr Ministerium, Herr Vogelsänger, anscheinend nicht in der Lage, sich gegenüber der Flughafengesellschaft durchzusetzen.

Deshalb fordern wir, dass Ministerpräsident Platzeck als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft endlich ein Machtwort spricht. Es kann doch nicht sein, dass das Land als Gesellschafter einen Antrag auf Klarstellung des Sachverhalts bei sich selbst stellt und bei Nichtgefallen womöglich noch gegen sich selbst klagt. Die Genehmigungsbehörde muss hier durchgreifen, bevor noch mehr Zeit ins Land geht. Lärmschutz ist nicht verhandelbar!

(Beifall GRÜNE/B90)

Es wäre ein Unding, wenn Sie die Betroffenen womöglich noch bis zur Flughafeneröffnung mit der Begründung vertrösten würden, Sie müssten erst noch klären, auf welcher Grundlage Sie Ihre Schallschutzmaßnahmen berechnen. Wenn es nicht die traurige Wahrheit wäre, könnte man meinen, es handele sich um einen schlechten Aprilscherz.

Wir erwarten von Ihnen, Minister Vogelsänger, dass Sie endlich die Karten auf den Tisch legen. Auf unsere Anfrage, wie viele Kostenerstattungsvereinbarungen fehlerhaft sind, konnte Ihr Ministerium keine Antwort liefern. So müssen wir wohl vom Schlimmsten ausgehen, also von 11 345 fehlerhaften Vereinbarungen. Wie diese bis zur Eröffnung des Flughafens in vier Monaten korrigiert werden sollen, können Sie vielleicht in Ihrem Redebeitrag erläutern.

Auch auf unsere Frage, was die Landesregierung gegen diese Missstände zu tun gedenkt, haben wir bisher keine Antwort erhalten.

Um für Transparenz und Klarheit zu sorgen, fordern wir Sie deshalb in unserem Antrag auf, die Missstände und Probleme

bei der Umsetzung des Schallschutzprogramms gegenüber der Öffentlichkeit umfassend und zügig zu kommunizieren. Wir erwarten, dass möglichst schnell alle fehlerhaften Kostenerstattungsvereinbarungen korrigiert werden und dass das korrekte Schutzniveau - keine Überschreitung des Maximalpegels von 55 dB(A) tags im Rauminneren - zugrunde gelegt wird. Sofern erforderlich, müssen alle unzureichenden Schallschutzvorrichtungen durch angemessene ersetzt werden.