Protocol of the Session on January 26, 2012

Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag hat einen Antrag vorgelegt, in dem sie die „Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur“ fordert.

Deshalb frage ich die Landesregierung: Wie beurteilt sie ihre abweichende Meinung zum Antrag der SPD-Bundestagsfraktion bezüglich der Einstufung des Abiturs im DQR?

Die Antwort gibt uns Frau Ministerin Kunst.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Büttner, Sie sprechen einen Dissens zwischen der Kultusministerkonferenz auf der einen Seite und dem Bundesbildungsministerium und den Sozialpartnern auf der anderen Seite an.

Der hier gegenständliche Dissens muss und wird auch alsbald gelöst werden, weil sich die Bundesrepublik noch in diesem Jahr gegenüber der EU erklären muss. Das ist nur auf der Basis einer gemeinsamen Linie aller Akteure möglich.

Worum geht es im Einzelnen? Der europäische Qualifikationsrahmen ist ein Raster mit acht Niveaustufen, mit dessen Hilfe die unterschiedlichen Bildungsnachweise in der EU vergleichbarer gemacht werden sollen. Das ist an sich, glaube ich, unstrittig eine gute Idee.

Grob gesagt, erstrecken sich die Stufen des europäischen Qualifikationsrahmens von 1 für grundlegende Fertigkeiten, die zur Erfüllung einfacher Aufgaben erforderlich sind, bis zu 8 für Hochschulabsolventen, die nach einem Masterabschluss zusätzlich noch einen Promotionsstudiengang absolviert haben.

Die Mitgliedsstaaten müssen nun ihre unterschiedlichen Bildungsnachweise mithilfe der durch die EU vorgegebenen Merkmale - die sogenannten Deskriptoren - einer bestimmten Stufe des europäischen Qualifikationsrahmens zuordnen. Um dies zu erleichtern, ist jetzt die Schwierigkeit zu meistern, dass die Mitgliedsstaaten einen nationalen Qualifikationsrahmen schaffen, der mit NQR bezeichnet und quasi zwischen den EQR und die unterschiedlichen Qualifikationswege der Nationalstaaten geschaltet wird. Man kann sich diesen NQR wie eine Art Adapter vorstellen, der auf der Ausgangsseite dem europäischen Qualifikationsrahmen entspricht und auf der Eingangsseite den nationalen Besonderheiten angepasst werden kann.

In Deutschland hat man sich jetzt für die Adapterlösung entschieden und einen DQR entwickelt. Beteiligt waren unter anderem - Herr Büttner hatte bereits darauf hingewiesen - die verschiedenen Bundesministerien, die Wirtschaftsministerkonferenz, die Kultusministerkonferenz, die Arbeitgeber, die Kammern, die Gewerkschaften und weitere interessierte Kreise.

Trotz des manchmal gegenteiligen Eindrucks in den Medien verlief die Entwicklung des DQR durchaus erfolgreich, denn im März 2011 konnte der DQR mit acht Stufen und den dazugehörigen Deskriptoren im Konsens aller Beteiligten auf Arbeitsebene beschlossen werden. Geblieben ist nur der Streit, den Herr Büttner skizziert hat: Soll das Abitur und sollen mit ihm die meisten drei- und dreieinhalbjährigen dualen Ausbildungsgänge auf Stufe 4 oder Stufe 5 des DQR verortet werden?

Die KMK möchte für das Abitur die Stufe 5 und beruft sich darauf, dass das deutsche Abitur den vorbehaltlosen Hochschulzugang ermöglicht. Das ist in anderen europäischen Ländern nicht selbstverständlich. Zudem ist es der KMK wichtig, dass die duale Berufsausbildung in Deutschland, zu der es in der überwiegenden Mehrzahl der EU-Mitgliedsstaaten kein Pendant gibt, nicht unter Wert verkauft wird. Man kann diese Position argumentativ vertreten.

Die von den Sozialpartnern der Bundesregierung und auch von der SPD-Bundestagsfraktion vertretene Position, die drei- und dreieinhalbjährigen Berufsausbildungen sowie die allgemeine und fachgebundene Hochschulreife und die Fachhochschulreife auf dem Niveau 4 zu verorten, lässt sich fachlich auch begründen. Für sie spricht unter anderem, dass diejenigen Staaten, die eine Einstufung ihrer Hochschulzugangsberechtigung in den EQR vorgenommen haben, das Abitur auf 4 gesetzt haben. Dabei gibt es beispielsweise in Frankreich und den Niederlanden Unterschiede bezüglich ihrer nationalen Qualifikationsrahmen. Wir haben also zwei fachlich begründbare Positionen die eine etwas selbstbewusster, was die Wertigkeit der nationalen Bildungsnachweise angeht, die andere europakompatibler -, und diese müssen nun übereingebracht werden.

Nach meiner Wahrnehmung sind beide Seiten sehr bemüht, in dieser Frage einen Konsens zu erzielen. In der vergangenen Woche gab es bereits mehrere Gespräche zur Kompromissfindung. Nächste Woche werden sich auf Einladung des KMKPräsidenten noch einmal hochrangige Vertreter der Bundesministerien für Bildung und Forschung sowie Wirtschaft und Technologie, der Wirtschaftsministerkonferenz, der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften zu einem Spitzengespräch treffen, um mögliche Kompromisslinien auszuloten.

Mir ist selbstverständlich auch der jüngste Vorschlag von Bundesministerin Schavan bekannt. Sie schlägt vor, dem französischen Beispiel zu folgen und die allgemeinbildenden Abschlüsse in Deutschland - Hauptschulabschluss, mittlere Reife und Abitur ganz außen vor zu lassen. Ich teile Frau Schavans Auffassung, dass es wichtig ist, dass wir den hohen Stellenwert der beruflichen Bildung in Deutschland deutlich machen, und hoffe auf eine Verständigung in der nächsten Woche in dem eben skizzierten Sinne. - Danke.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Danke. Es gibt eine Reihe von Nachfragen. Der erste Fragesteller ist Herr Büttner.

Frau Ministerin, Sie haben einen Kompromiss angesprochen, der möglicherweise im Raum steht. Vielleicht können Sie uns

noch einmal erläutern, wie Ihre Position da ist und welche Kompromisslinien Sie da sehen, dass das auch noch mit dem BMBF ausgehandelt werden kann. Insbesondere geht es noch einmal darum: Besteht denn aus Ihrer Sicht die Möglichkeit, dass der EQR durch die deutsche Haltung nicht blockiert wird?

Der EQR wird durch die deutsche Haltung nicht blockiert werden. Insgesamt sind die Verhandlungen auf einen guten Wege, sodass sich als Kompromisslinie abzeichnet, tatsächlich die deutschen Spezialitäten quasi herauszunehmen, also das Abitur in Analogie zu der französischen Lösung nicht weiter zum Streitpunkt zu erheben. Von daher wäre dann auch eine Kompatibilität gegeben.

Herr Jürgens stellt die nächste Frage.

Frau Ministerin, das Projekt heißt ja in Deutschland zu Recht „Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“. Jetzt kann man unterschiedlicher Auffassung sein, ob acht Niveaustufen ausreichen, um den Prozess des lebenslangen Lernens abzubilden. Aber mich würde interessieren, inwiefern der Schwerpunkt auch aus Sicht der Landesregierung bisher auf das lebenslange Lernen gelegt wird. Bisher wird sehr viel über die Einstufung diskutiert, aber der zweite Teil - das lebenslange Lernen - scheint mir in der gesamten Debatte „unterberücksichtigt“ zu sein. Das wäre meine erste Frage.

Die zweite Frage: Es war geplant, ab 2012 die Niveaustufen in alle Zeugnisse aufzunehmen. Können Sie sagen, ob das in diesem Jahr erreicht wird?

Zu Ihrer ersten Frage: Das ist tatsächlich noch eine zweite Ebene, die auch im Folgenden anzugehen ist, in welcher Form noch einmal eine Spreizung unterschiedlicher Abschlüsse, die jetzt gegeben sind, weiterverhandelt und aufdifferenziert wird. Da ist die KMK auf dem Weg und sich bewusst, dass das notwendig und auch der Weg der Zukunft ist.

Zur Übernahme in alle Zeugnisse gibt es zurzeit keine Beschlusslage, soweit ich weiß.

Die Nachfrage von Herrn Hoffmann hat sich erledigt. - Dann danke ich Ihnen herzlich und rufe die Frage 846 (Entwidmung von Bahnstrecken) auf, die der Abgeordnete Jungclaus stellen wird.

Das Brandenburger Schienennetz verliert durch Entwidmungen Entlastungsmöglichkeiten für die zukünftige Aufgabenerfüllung. Aktuell steht die Bahnstrecke Templin-Prenzlau vor dem endgültigen Aus. Seit dem 12.12.2011 wird die Entwidmung durch die Veröffentlichung im Bundesanzeiger zur Freistellung von Bahnbetriebszwecken vorangetrieben. Außerdem wird der

zeit die Bahnstrecke der Städtebahn zwischen Brandenburg und Belzig abgebaut. Diese Vorgänge stehen im Widerspruch zu den Zielen des Koalitionsvertrages. Dessen Ziele sind eindeutig: Die Koalition strebt eine Stärkung des Bahnverkehrs durch Erhalt, Lückenschluss und Ertüchtigung des Schienennetzes und Qualitätsverbesserungen in der Fläche an.

Daher frage ich die Landesregierung: Wie bewertet Sie die Entwidmung und den Abbau dieser Bahnstrecken?

Eine klassische Frage für Minister Vogelsänger.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die genannten Vorgänge stehen nicht im Widerspruch zu den Zielen des Koalitionsvertrages. Sie betreffen Bahnstrecken im schienengebundenen Personennahverkehr, die bereits lange nicht mehr genutzt werden. Die Abwicklung nicht mehr genutzter Bahnstrecken unterliegt strengen bundesgesetzlichen Regularien, die auch die Landesregierung binden.

Unterschieden werden die Verfahren zur Stilllegung und Freistellung von Eisenbahninfrastruktur. Für die Durchführung des Verfahrens zur Freistellung von Bahnbetriebszwecken nach § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz bedarf es in der Regel eines vorhergehenden Verfahrens zur Abgabe und Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen nach § 11 Allgemeines Eisenbahngesetz.

Im Verfahren nach § 11 Allgemeines Eisenbahngesetz wird der Betreiber verpflichtet, die Eisenbahninfrastruktureinrichtungen vor einer beabsichtigten Stilllegung durch öffentliche Bekanntmachung einem neuen Betreiber anzubieten. Sofern sich im Ergebnis dieses Verfahrens kein neuer Betreiber findet und alle weiteren Voraussetzungen des § 11 Allgemeines Eisenbahngesetz erfüllt sind, muss die Infrastruktur stillgelegt werden.

Da nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger zur Abgabe der Strecken Templin-Prenzlau und Brandenburg-Belzig keine Interessenten gefunden werden konnten - bereits vor Jahren waren die Strecken von der DB AG an private Betreiber übergeben worden - und die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen, waren nach dem Ergebnis des Verwaltungsverfahrens die Stilllegungen vom MIL zu erteilen. Auch für eine Freistellung von Bahnbetriebszwecken nach § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz müssen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Diese werden durch die zuständige Planungsbehörde geprüft und im Ergebnis durch Genehmigung oder Versagung beschieden.

Das MIL kann weder die Stilllegung noch die Freistellung von Bahnbetriebszwecken oder den Rückkauf von stillgelegten und freigestellten Eisenbahnstrecken verhindern, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Genehmigungen erfüllt sind. So ist es nun einmal. Die Stilllegung ist vor Jahren erfolgt und eine Perspektive im schienengebundenen Personennahverkehr existiert da nicht.

Jetzt komme ich zu einem sehr engagierten Abgeordneten, dem Abgeordneten Udo Folgart. Er sammelt jetzt Unterschriften gegen den Flächenverbrauch. Jetzt sage ich einmal etwas zu einer

Bahnstrecke, die nicht mehr betrieben wird, der zwischen Bad Saarow und Beeskow - Frau Alter, Sie kennen das.

(Frau Alter [SPD]: Genau!)

Da gibt es Bürger, die sich sehr engagiert dafür einsetzen, dass auf dieser Bahnstrecke ein Radweg entsteht, weil auf der Bundesstraße kein straßenbegleitender Radweg vorhanden ist. Herr Jürgens bestätigt das. Deshalb muss man genau überlegen: Wofür braucht man Infrastruktur? Die Möglichkeit, dort einen Radweg zu bauen, könnte auch den Verbrauch von landwirtschaftlicher Fläche minimieren. Insofern muss man das alles mit Fingerspitzengefühl behandeln. Es gibt gesetzliche Bestimmungen, die einzuhalten sind, und man muss abwägen, wozu man die Infrastruktur braucht. - Herzlichen Dank.

Vielen Dank. - Wir sind damit bei der Frage 847 (Kontodaten- abfrage), die von der Abgeordneten Kircheis gestellt wird. Bitte sehr!

Laut Bundesdatenschutzbeauftragtem hat die Zahl von Kontendatenabfragen durch Behörden in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen: Von 2010 auf 2011 sei die Zahl der Überprüfungen um fast 10 % auf knapp 63 000 gestiegen. In Brandenburg würden mehr Abfragen als in vergleichbaren Bundesländern stattfinden.

Finanzämter, Sozialämter, Arbeitsagenturen und BAföG-Stellen haben seit April 2005 die Möglichkeit, über das Bundeszentralamt für Steuern Kontodaten von Bürgern abzufragen. So soll Steuerhinterziehung und Sozialleistungsmissbrauch vorgebeugt werden.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte fordert eine verbesserte Begründungspflicht, ein Höherlegen der Messlatte und ein verstärktes Nachfragen beim Steuerzahler selbst.

Ich frage die Landesregierung: Welche Beweggründe lagen für die Behörden Brandenburgs vor, um seit 2005 vermehrt Kontendatenabfragen durchzuführen?

Die Beweggründe nennt uns der Finanzminister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Das Institut des Kontenabfragens gibt es seit dem 01.04. - das ist kein Aprilscherz - 2005, und es wurde ursprünglich mit dem Ziel der Verifizierung von nicht erklärten Kapitaleinkünften eingeführt. Nachdem 2009 dann die Abgeltungssteuer für die Kapitaleinkünfte eingeführt worden war, ist das von der Wertigkeit her natürlich in den Hintergrund getreten. Seitdem geht es vorrangig darum, um bei Steuerpflichtigen, von denen man keine Auskunft bekommen hat und auch keine oder nur eine geringe Chance auf Erfolg besteht, die Konten abfragen zu können.

Die Kontenabfragung bezieht sich auf die Stammkontendaten, also vorrangig darauf: Wem gehört das Konto? Welches Bank

institut steckt dahinter und um welche Kontonummer handelt es sich?

In der Bundesrepublik Deutschland gab es 2011 insgesamt rund 63 000 Kontenabfragungen. Das ergibt bei 80 Millionen Einwohnern - nun ist ja nicht jeder Einwohner steuerzahlender Bürger, aber diese Zahl sei genannt, damit man einen Vergleichsmaßstab hat - einen Prozentsatz von 0,076. Daran können Sie sehen, dass es keine flächendeckende Abfragung ist, dass es keine Rasterfahndung ist, sondern dass immer sozusagen ein begründeter Grund vorhanden sein muss. In Brandenburg sehen die Zahlen wie folgt aus: 2011 sind 3 450 Kontenabfragungen der Finanzämter und 380 Anfragen anderer Behörden vorgenommen worden. Brandenburg lag - wie alle ostdeutschen Länder - von Anfang an unter dem Durchschnitt der bundesrepublikanischen Länder-West. Mittlerweile liegt Brandenburg im oberen Mittelfeld. Wenn man das nur auf die ostdeutschen Länder bezieht, liegen wir hinter Berlin auf dem 2. Platz; das hat aber etwas mit der Sonderzuständigkeit des Landes für bestimmte Fälle zu tun, wodurch die Nachfragefälle automatisch höher werden - etwa um ein Drittel.

(Zuruf)

Wenn Sie das Mikrofon drückten, würde ich Ihre Frage gern beantworten.

Das geht nicht, die Antwort war schon zu Ende. Aber sagen Sie es noch.