Protocol of the Session on November 9, 2011

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Melior. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Prof. Dr. Schierack hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf zu einem singulären Aspekt einer Zwangsmitgliedschaft der Studierendenschaft erlaubt durchaus verschiedene Betrachtungs- und Herangehensweisen. Aber das Thema gehört mit Verlaub nicht zu den drängendsten Fragen der gegenwärtigen Wissenschaftspolitik.

Meines Erachtens ist das Thema jedoch durchaus geeignet, die Fokussierung auf die eigentliche Debatte, die wir zum Beispiel heute Vormittag geführt haben, zu zerstreuen. Ich glaube nämlich, dass das eher ein Nebenkriegsschauplatz ist.

(Beifall der Abgeordneten von Halem [GRÜNE/B90])

Die Folge ist eine emotional geführte Debatte mit den Studierenden und den Studentenschaften. Ob das gegenwärtig so glücklich ist, wage ich zu bezweifeln.

Der Kern des Vorschlags berührt die normative Ausgestaltung und Entwicklung der studentischen Selbstverwaltung und Mit

bestimmung in Brandenburg. Das ist natürlich auch von der Zustandsbeschreibung - Herr Lipsdorf hat das gerade gesagt der regelmäßig geringen Beteiligung an den Wahlen zu den Gremien, aber auch durch die festgestellten Anhäufungen von Beiträgen in den Studentenschaften auf der anderen Seite, geleitet.

Nun kann man durchaus beides thematisieren. Man kann durchaus ansprechen, dass die Beiträge in den Studierendenschaften regelgerecht und zur rechten Zeit auszugeben sind. Der Gesetzentwurf gibt durchaus die Chance, über die Wahlbeteiligung an den Universitäten zu reden, um diese Gremien entsprechend zu legitimieren. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, es ist nicht der richtige Ansatzpunkt, das in einem solchen Gesetz zu regeln.

Die Regelung, wie sie die FDP vorschlägt, ist nach meinem Dafürhalten so nur in Sachsen-Anhalt gegeben. Man sollte da einmal nachfragen, was sich dort verändert hat, und zwar zwischen den Studenten und den Studierendenschaften. Ich glaube, da hat sich nicht so sehr viel bewegt; das wurde gerade so angedeutet. Deshalb ist das vielleicht ein zahnloser Tiger, den wir hier durch die Lande tragen.

Wichtig bleibt mir nur eines: Studenten brauchen eine Legitimierung, und sie brauchen auch eine Vertretung. Das sollte letztlich unser gemeinsames Interesse sein. Schließlich hoffe ich auf den Schulterschluss der Studierenden und der Studentenschaften, wenn es darum geht, für eine ordentliche Hochschulpolitik in diesem Lande zu streiten. In dem Sinne würden wir uns bei der Abstimmung über die Überweisung enthalten. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Schierack. - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Der Abgeordnete Jürgens hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man kann den Gesetzentwurf der FDP so sehen, wie Herr Prof. Schierack das gerade vorgetragen hat. Ich persönlich finde eher, dass das angesichts der verschiedenen hochschulpolitischen Vorschläge, die die FDP hier in diesem Hause schon gemacht hat, ein Tiefpunkt ist. Sie haben sich vorhin in der Aktuellen Stunde noch sehr für das Hochschulland Brandenburg eingesetzt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Dieser Gesetzentwurf wäre, wenn er umgesetzt würde, zum Schaden der Hochschullandschaft in Brandenburg. Er betrifft eines der zentralen Merkmale unserer Hochschullandschaft, nämlich eine verfasste Studierendenschaft, in der sich die Studierenden gemeinschaftlich engagieren und Aufgaben lösen.

Meine Kollegin Frau Melior hat schon etliche andere Zwangsmitgliedschaften erwähnt. Ich wundere mich, dass Sie sich gerade die verfassten Studierendenschaften herausgreifen, nicht aber andere. Ich kann noch weitere ergänzen: die Versorgungskassen der Künstler, der Ärzte und der Apotheker etc. Ich erwähne auch die Eigentümer von Feldern und Wäldern, die mehr als 75 ha haben; die sind nämlich Mitglied in der Jagdgenossenschaft.

Es sind andere Felder, auf denen Sie sich austoben können. In dem Fall hier ist es eher nicht so.

Ich will Ihnen drei Gründe nennen, warum wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen:

Erstens haben die Studierendenschaften im Hochschulgesetz festgelegte Aufgaben zu erfüllen. Von den insgesamt sechs nenne ich an dieser Stelle vier: Interessenwahrnehmung, Stellungnahme in hochschulpolitischen Belangen, Unterstützung der sozialen Belange ihrer Mitglieder, Förderung der politischen Bildung. Diese vier richtig großen, wichtigen Aufgaben haben sie wahrzunehmen. Das können Sie nur schaffen, wenn die Gemeinschaft aller Studierenden die notwendigen Gelder zahlt und wenn - wiederum in der Gemeinschaft aller Studierenden die Aufgaben diskutiert und umsetzt werden. Wenn wir anerkennen, dass die Studierendenschaften große, wichtige Institutionen sind, die die genannten Aufgaben erfüllen, dann ist es wichtig, dass alle Studierenden Mitglieder sind. Frau Kollegin Melior hat von „Solidargemeinschaft“ gesprochen; dieses Wort finde ich sehr passend.

Der zweite Grund für unsere Ablehnung Ihres Gesetzentwurfs ist das Semesterticket. Dem VBB, mit dem die Studierendenschaften es aushandeln, geht es nur um die Höhe der Zahlungen, die dafür geleistet werden müssen, also um das Semesterticket überhaupt. Es ist wichtig, dass alle Studierenden mitbezahlen, damit sie als große Gemeinschaft dem VBB mit der Forderung gegenübertreten können: „Wir wollen das Semesterticket!“ Wenn wir die Möglichkeit einräumen, dass sich Studierende, die mit dem Auto fahren oder zu Fuß unterwegs sind, herauslösen, dann wäre die Verhandlungsmasse gegenüber dem VBB deutlich geringer, und gegebenenfalls fiele das Semesterticket ganz weg, was eine Belastung für diejenigen bedeuten würde, die darauf angewiesen sind.

Wir wollen das Semesterticket. Deswegen brauchen wir verfasste Studierendenschaften.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Der dritte Grund für unsere Ablehnung ist schon genannt worden. Ich halte es für sehr fragwürdig, ob die Beteiligung an Wahlen zu studentischen Gremien irgendetwas mit der Zwangsmitgliedschaft zu tun hat. Ich hoffe und glaube, dass wir es schaffen können, gemeinsam mit den Studierendenschaften für mehr Akzeptanz dieser Gremien zu sorgen und damit die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Möglichkeiten gibt es durchaus. Wir erreichen das aber definitiv nicht, wenn wir die Möglichkeit eröffnen, dass Studierende aus der Studierendenschaft austreten können.

Deswegen lehnen wir den Antrag der FDP-Fraktion ab.

Wir lehnen auch die Überweisung ab. Ich glaube, darüber braucht sich der Ausschuss nicht zu unterhalten.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jürgens. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Es hat wiederum Frau Abgeordnete von Halem das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorneweg ein Dank an Herrn Prof. Schierack: Das, worüber wir gerade reden, ist tatsächlich nicht der Hauptkampfplatz. Wir sollten uns die Relationen vor Augen halten: Wie viel Zeit brauchen wir hierfür, und wie viel Zeit haben wir heute früh gebraucht?

FREIHEIT wird bei der FDP ganz groß geschrieben. Deshalb sollen künftig die Studierenden die Freiheit haben, nach einem Semester aus der Studierendenschaft auszusteigen, FREI nach dem Motto: Wenn mir eure Politik nicht passt oder mein Geld nicht lohnend für mich eingesetzt wird, dann nehme ich mir die Freiheit und steige aus.

Dass die verfasste Studierendenschaft eine große Errungenschaft auch der liberalen Studierendenbünde ist - egal. Das von der FDP angestrebte Modell gibt es in Sachsen-Anhalt. Wir haben es schon gehört: Der Blick in die Praxis zeigt, dass nur wenige Studierende von der Austrittsoption Gebrauch machen. Der Handlungsdruck kann also nicht so riesig sein.

Wir Bündnisgrünen sehen in den verfassten Studierendenschaften eine Errungenschaft, die wir unterstützen. Wir betrachten sie als Solidargemeinschaft, die den Studierenden Selbstverwaltung und demokratische Rechte garantiert. Wir begrüßen auch, dass bald nur noch Bayern keine verfasste Studierendenschaft mehr haben wird. In Baden-Württemberg, so habe ich mir sagen lassen, freuen sich Studierende darauf, dass sie die demokratischen Rechte wieder erhalten, die 1977 abgeschafft worden waren.

Warum brauchen wir die verfasste Studierendenschaft in Brandenburg? Ohne sie gäbe es kein Semesterticket - denn die Studierendenschaft führt die Verhandlungen -; keinen Sozialfonds für Studierende in Notlagen; keine Beratungsangebote, wie Rechtsberatung, BAföG-Beratung und Jobberatung; keine Wohnungsbörsen; keine Vertretung der Interessen gegenüber den Hochschulleitungen. All diese Angebote lassen sich wesentlich besser aushandeln, wenn die Grundlage die Solidargemeinschaft aller Studierenden ist.

Liebe Kollegen von der FDP, dass die Umsetzung Ihres Gesetzentwurfs bedeuten würde, dass die Studierenden auch aus den Fachschaften austreten müssten, ist Ihnen glücklicherweise noch rechtzeitig klar geworden. Das ist wohl der Anlass für den Neudruck gewesen. An den Fachschaften wollen sicherlich auch Sie nicht rütteln.

Wer sich in einer Demokratie schlecht vertreten fühlt, kann entweder resignieren, nicht mehr zur Wahl gehen und sich damit die Freiheit des persönlichen Ausstiegs nehmen, oder er kann mit seinen eigenen Positionen die politischen Prozesse befördern und bereichern. Darüber hinaus gäbe es gegen Wahlmüdigkeit an den Hochschulen durchaus das Mittel, den Anteil der Studierenden in den Beteiligungsgremien zu erhöhen.

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE)

Aus unserer Sicht ist genau das der Ansatzpunkt, wenn es darum geht, gegen Wahlmüdigkeit anzugehen. Sich beteiligen, sich einbringen - das ist das Mittel der Wahl.

(Beifall GRÜNE/B90 und der Abgeordneten Melior [SPD])

Vielen Dank, Frau Abgeordnete von Halem. - Wir sind damit beim Beitrag der Landesregierung. Frau Ministerin Prof. Dr. Kunst hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Landtag hat bereits mit Beschluss des ersten Hochschulgesetz entschieden, an den Hochschulen des Landes Brandenburg Studierendenschaften zu bilden. Das Brandenburgische Hochschulgesetz verleiht der Gesamtheit der Studierenden die Natur eines öffentlich-rechtlichen Interessenverbandes. Nur damit werden die Studierenden als Gruppe wirklich handlungsfähig - um sich selbst zu organisieren, um in geordneten Verfahren Repräsentanten zu wählen und um Positionen in Gremien und Ausschüssen zu bestimmen. Die Studierenden werden aber auch handlungsfähig, wenn es darum geht, ein hochschulpolitisches Mandat wahrzunehmen, sich um die sozialen Belange der Studierenden zu kümmern, ausländische Studierende zu integrieren und überregionale Kontakte zu pflegen. Die Studierenden werden schließlich handlungsfähig gegenüber den Rechtsträgern der Hochschule, gegenüber dem Landtag, der Landesregierung und der übrigen Öffentlichkeit, um ihre Interessen zu vertreten.

Lassen Sie mich an dieser Stelle festhalten: Mit der Einrichtung verfasster, also rechtsfähiger und organisierter Studierendenschaften haben die Studierenden an den Hochschulen des Landes Brandenburg mehr Rechte und mehr Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. Das ist nichts, was man schmälern oder abschaffen sollte.

Meine Damen und Herren! Die Initiatoren des uns vorliegenden Gesetzentwurfs möchten Studierenden die Möglichkeit geben, die organisierte Studierendenschaft zu verlassen. Das klingt auf den ersten Blick harmlos, ist es aber nicht. Die Studierendenschaften nehmen Aufgaben wahr - ich habe es bereits geschildert -, an deren Erfüllung die einzelnen Studierenden erhebliches Interesse haben, die sie aber als Einzelne oder durch einzelne Gruppierungen nicht gleichwertig wahrnehmen können. Es ist eine völlig andere Qualität der Vertretung, ob ich mit jemandem verhandle, der durch die gesamte Studierendenschaft legitimiert ist, oder ob die Verhandlung mit einem Vertreter oder einer Vertreterin einer Teilgruppe - und sei sie noch so groß - erfolgt.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie mich an dieser Stelle festhalten: Es geht bei diesem Gesetzentwurf nominell darum, dem Einzelnen mehr Freiheit zu geben; tatsächlich geschieht dies um den Preis einer massiven Entwertung der studentischen Vertretung. Diesen Preis sollten wir nicht zahlen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Ich war lange genug im Hochschulbetrieb tätig, um zu wissen, dass auch bei den verfassten Studierendenschaften nicht alles Gold ist, was glänzt; das wurde schon herausgearbeitet. Auch ich kenne Fälle, in denen sich Studierendenschaften das vielzitierte „allgemeinpolitische Mandat“ anmaßen. Dann sind die zugehörigen Studierenden zu Recht darüber verärgert, dass man versucht, sie vor einen Kar

ren zu spannen. Ich kenne aber auch die Fälle, in denen für einzelne Studierende das Engagement in der Studierendenschaft zur Hauptsache und das Studium zur Nebensache wird. Weil ich aber den Hochschulbetrieb lange und genau kenne, weiß ich, dass das nicht die Regel, sondern die seltene Ausnahme ist.

Gerichte sehen es heute wie folgt:

„Die der Studierendenschaft übertragenen Aufgaben verlieren nicht dadurch ihren Charakter als legitime öffentliche Aufgaben, dass sie von den Studierendenvertretungen im Einzelfall bzw. von einzelnen Studierendenvertretern unzulänglich wahrgenommen werden.“

Dieser Auffassung schließe ich mich uneingeschränkt an. Wir sind uns in diesem Saal sicherlich einig, dass die Fähigkeit zur Selbstorganisation, zur demokratischen Meinungsbildung, zur sozialen Verantwortung und zur argumentativen Interessenvertretung unverzichtbarer denn je ist.

Die Zeit an der Hochschule ist nicht die schlechteste, dies zu erlernen bzw. zu vertiefen. Auch diese Grundlage legt die Selbstverwaltungskörperschaft Hochschule. Lehr- und Studienbetrieb sind eben keine reinen Dienstleistungen, die gegen ein Geldäquivalent abzurechnen sind. Hochschulen und ihre verfassten Studierendenschaften leisten weitaus mehr. Sie prägen die Wertvorstellungen einer demokratischen Gesellschaft und gestalten damit Zukunft. Hierin sollten wir sie bestärken. Ich bitte Sie daher, den Antrag abzulehnen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Ministerin Prof. Dr. Kunst. - Wir setzen mit dem Beitrag der einbringenden Fraktion der FDP fort. Herr Abgeordneter Lipsdorf hat noch einmal das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Wo bitte steht bei uns etwas von „Abschaffung der Studierendenschaften“? Wir haben dazu kein Wort geschrieben und kein Wort gesagt. Die Zwangsmitgliedschaft soll abgeschafft werden, nicht die Studierendenschaft an sich. Einige Argumente, die Sie gebracht haben, kann ich nachvollziehen, aber nicht alle. Ich sage nochmals, dass wir uns das nicht ausgedacht haben, sondern dies aus Gesprächen mit Studierenden resultierte.