Protocol of the Session on August 31, 2011

Wir haben es bereits mehrfach thematisiert, und darüber herrscht auch, denke ich, Einigkeit: Das althergebrachte Mobilitätskonzept der Beförderung von Jugendlichen in Linienbussen und Regionalzügen für die Jugendlichen ist gegenwärtig nicht mehr ausreichend. Es fehlt den Jugendlichen an Alternativen. Die schrumpfenden Nahverkehrsangebote in den ländlichen Regionen reichen nicht mehr aus. Daher benötigen die

Jugendlichen die Möglichkeit, die bereits heute üblichen Fortbewegungsmittel früher zu nutzen.

Uns allen ist nicht neu - dies wurde auch heute wieder thematisiert -: Brandenburg schrumpft. Wir werden in den kommenden 20 Jahren einen Verlust von 300 000 Brandenburgern zu verkraften haben. Damit einhergehend - gerade war es wieder Thema - haben wir einen immer dramatischer werdenden Fachkräftemangel. Dieses Phänomen nimmt uns alle in die Verantwortung, sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel und den Handlungsrahmen, den wir in Brandenburg haben, voll auszuschöpfen.

(Beifall CDU und FDP)

Wir wissen auch, dass insbesondere die jungen Menschen Brandenburg verlassen. Sie verlassen die ländlichen Regionen, weil sie sich zum Teil „abgeschnitten“ fühlen. Sie fühlen sich sozusagen jwd, und zwar hoffnungslos jwd, und sind dies zum Teil auch. Wir können es uns nicht leisten, diesbezüglich weiter tatenlos zu bleiben. Die Jugendlichen sollen ihre berufliche und private Zukunft ganz selbstverständlich in ihrer Heimat Brandenburg planen können. Insofern benötigen wir Modelle und Alternativen für mehr Mobilität.

Der Ihnen heute vorliegende Antrag der CDU-Fraktion soll die gebotenen Handlungsoptionen und die Möglichkeiten zugunsten von Mobilität für Jugendliche im ländlichen Raum nutzbar machen - Möglichkeiten, die sich aus der innerstaatlichen Umsetzung der dritten Richtlinie der Europäischen Union ergeben.

Ab dem 19. Januar 2013 ist es möglich, im Rahmen der dann neuen Fahrerlaubnisklasse AM Modellversuche für den früheren Erwerb des Führerscheins für Kleinkrafträder durchzuführen und somit belastbare Erkenntnisse im Hinblick auf Vorund Nachteile zu gewinnen.

(Beifall CDU)

Wenn wir das heute in Brandenburg beschließen, dann gehen wir - ebenso wie die Flächenländer Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt - in die richtige Richtung, und die heißt: mehr Mobilität für die Jugendlichen im ländlichen Raum.

Ich möchte einen letzten Aspekt nicht unbetrachtet lassen: Die frühere Nutzung des Kleinkraftrades bereits ab dem 15. Lebensjahr macht die Jugendlichen nicht nur mobiler, sondern erhöht auch die Verkehrssicherheit; denn anders als beim motorisierten Fahrrad - bisher das klassische Einstiegsfahrzeug der Jugendlichen - erfordert der Erwerb der Führerscheinklasse AM nicht nur eine 90-minütige praktische Einweisung, sondern von Beginn an eine fundierte praktische und eine fundierte theoretische Ausbildung. Das ist eine klare Verbesserung im Hinblick auf die Verkehrssicherheit von 15-Jährigen.

Herr Minister, Sie forderten in der vergangenen Woche in Anbetracht der sich zuspitzenden Situation bei Verkehrs- und Mobilitätsangeboten für Jugendliche relativ konzeptfrei und hilflos Solidarität unter den Generationen. Ich bin froh, dass Ihnen dann seitens der Jugendlichen Vorschläge und Initiativen zuteilwurden: Ausbau von Radwegen, schulinterne Mitfahrzentralen und Elektrobikes.

Aber die bloße Einforderung von Solidarität, Herr Minister, wird in Anbetracht der beschriebenen Probleme hier nicht aus

reichen. Sie haben heute schon die Möglichkeit, von Solidarität nicht nur zu reden, sondern diese auch zu zeigen und konsequent zu sein. Deswegen bitte ich darum: Stimmen Sie unserem Antrag zu! - Vielen Dank.

(Starker Beifall CDU - Bischoff [SPD]: Ja, macht euch Mut!)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lakenmacher. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Kircheis hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will ehrlich sein, meine Damen und Herren von der CDU: Als ich den Titel Ihres Antrages zum ersten Mal las, dachte ich, da könne es eigentlich nur um den ÖPNV gehen.

(Vereinzelt Beifall GRÜNE/B90)

„Mobilität von Jugendlichen im ländlichen Raum gewährleisten“ heißt er. Man sollte meinen, davon müsse er auch handeln. Denn tatsächlich sind Jugendliche im ländlichen Raum nur eingeschränkt mobil. Sie sind auf den Omnibus, manchmal noch auf die Regionalbahn, aber vor allem auf ihre Eltern angewiesen, darauf, von ihnen gefahren zu werden, wenn sie zur Schule, zur Ausbildung, ins Kino, zum Einkaufen, zum Sportverein oder wohin auch immer wollen. Damit sind sie übrigens nicht allein. Vor allem ältere Menschen sind genauso abhängig, abhängig vom Nahverkehr oder von gutwilligen Bekannten und Verwandten, weil sie kein Auto mehr haben oder nie selbst gefahren sind. Diesen Menschen wäre mit der Absenkung der Altersgrenze für den Mopedführerschein ebenso wenig geholfen wie Rollstuhlfahrern oder Familien, die sich nur ein oder gar kein Auto leisten können.

(Petke [CDU]: Nur ein Auto?)

So zeigt sich die erste Fehleinschätzung Ihres Antrages: Wenn wir über Mobilität im ländlichen Raum sprechen, sollten wir unsere Energie nicht auf Speziallösungen für kleine Gruppen verwenden. Der Bedarf, oft genug auch die Notwendigkeit, mobiler zu sein, beschränkt sich keinesfalls auf die Zeit, in der man zwischen 15 und 16 Jahre alt ist. 13- und 14-Jährige wollen genauso zur Musikschule oder Freunde besuchen. Auch sie sind Jugendliche, und ihnen ist mit Ihrem Vorschlag überhaupt nicht geholfen. Ihnen und vielen anderen helfen solche individualisierten Lösungen nicht. Für sie brauchen wir auch in Zukunft einen gut funktionierenden und ausfinanzierten Nahverkehr; darauf sollten wir uns konzentrieren.

(Senftleben [CDU]: Unser Vorschlag kostet keinen einzi- gen Cent!)

Dazu kommt, dass Ihre reizende Idee tatsächlich überhaupt nicht die Mobilität aller Jugendlichen verbessern hilft.

(Frau Dr. Ludwig [CDU]: Blasphemie!)

Nur wer das Geld hat, um seinen Führerschein zu machen und sich dann ein Moped zu kaufen, kann von dieser Ausnahme profitieren. Diejenigen 15-Jährigen, denen das Geld dafür fehlt

- oder richtiger: diejenigen, deren Eltern das Geld dafür nicht haben -, müssen weiter zu Hause sitzen bleiben.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

Kommen Sie mir jetzt nicht damit, sie könnten ja arbeiten gehen und selbst Geld für ein Moped ansparen! Solange sie nicht 15 Jahre alt sind, dürfen Jugendliche allenfalls Zeitungen austragen. Aber so viele Zeitungen kann man gar nicht austragen, um damit die Fahrschule zu bezahlen.

(Zuruf des Abgeordneten Bommert [CDU])

Es wäre also richtiger gewesen, Sie hätten den Antrag folgendermaßen genannt: „Mobilität von Jugendlichen aus gutsituierten Elternhäusern verbessern“. Dann hätten Sie möglicherweise auch gleich erkennen können, dass es sich nicht lohnt, diesen Antrag zu stellen. Denn wer das Geld übrig hat, kann schon heute mit 15 seinen Mofaschein machen und ist dann mobil. Ihre absurde Begründung allein, meine Damen und Herren von der CDU, ist freilich kein Grund, einen Modellversuch zum Mopedführerschein mit 15 abzulehnen.

Frau Abgeordnete Kircheis, es gibt eine Zwischenfrage vom Abgeordneten Genilke. Möchten Sie diese zulassen?

Sehr geehrte Kollegin Kircheis, ich gehe von Ihren Äußerungen aus. Deshalb frage ich Sie, ob Sie der Meinung sind - wenn Sie diesem Antrag schon nicht zustimmen, mit dem die Mobilität von Jugendlichen bedeutend erhöht werden könnte -, dass wir im ÖPNV und SPNV mit einer Verdichtung des Verkehrs rechnen dürfen bzw. dass Sie es mit einer haushalterischen Meisterleistung erreichen werden, den Trägern des öffentlichen Personennahverkehrs mehr Geld zur Verfügung zu stellen?

(Starker Beifall CDU sowie vereinzelt FDP)

Herr Genilke, Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir uns gemeinsam immer für einen starken Nahverkehr einsetzen. Was ich nicht will, ist, durch individualisierte Lösungen diesen dann auch noch zu schwächen. Wir brauchen ihn flächendeckend - ja, das ist richtig -, aber je mehr individuelle Lösungen wir für einzelne Gruppen anbieten, desto mehr stellen wir den ÖPNV und vor allem den Nahverkehr in der Fläche infrage. Genau das wollten Sie nie, und das will ich natürlich auch nicht.

(Genilke [CDU]: Der ist schon schwierig! - Weitere Zurufe von der CDU)

Der wirkliche Grund, warum wir diesen Antrag ablehnen werden, ist, dass wir uns um die Verkehrssicherheit in Brandenburg sorgen, um die Gesundheit der jungen Leute.

(Genilke [CDU]: Die Sorge ist berechtigt, denn wir haben ja dann keine Polizei mehr!)

Allein im Jahr 2010 - das können Sie nachlesen - gab es mehr als 1 300 Verkehrsunfälle mit Kradfahrern hier in Branden

burg. Die Hälfte davon war von den Fahrern selbst verursacht. 22 Kradfahrer kamen bei diesen Unfällen zu Tode. Das ist eine deutlich höhere Todesrate als bei allen anderen Verkehrsteilnehmern. Das liegt daran, dass man auf dem Moped oder Motorrad deutlich schlechter gegen Unfälle geschützt ist als im Auto. Es liegt auch daran, dass ein Zweirad lange nicht so stabil und sicher fährt wie ein Auto. Und es liegt vor allem daran, dass junge Leute im Straßenverkehr deutlich mehr und deutlich schwerere Unfälle verursachen als andere Verkehrsteilnehmer. Das war ja auch der Grund für die Einführung des Probefahrens ab 17.

Insofern bleibe ich dabei - meine Redezeit ist zu Ende -: Wir werden diesen Antrag ablösen, da er uns keine Gesamtlösung bietet.

(Genilke [CDU]: Das kostet aber, wenn Sie uns den ablö- sen wollen!)

- Entschuldigung, man darf sich auch mal versprechen. Wir werden ihm jedenfalls nicht zustimmen.

(Vereinzelt Beifall SPD)

Der Abgeordnete Büttner setzt für die FDP-Fraktion fort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kircheis, den ersten Teil habe ich überhaupt nicht verstanden.

(Heiterkeit und Beifall CDU und FDP)

Die Begründung, die Sie hier gegeben haben, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Ich bin aber ziemlich sicher, Frau Kircheis, dass wir heute hier gar nicht über diesen Antrag diskutieren würden, wenn wir einen gut ausgebauten ÖPNV und SPNV im Land hätten.

(Beifall CDU)

Dann hätten wir auch die Problematik der Immobilität im ländlichen Raum hier nicht auf der Tagesordnung. Dann, liebe Frau Kircheis, sollten Sie aber Ihre Fraktion, den Finanzminister und den Infrastrukturminister davon überzeugen, den Trägern in den Landkreisen das Geld zur Verfügung zu stellen, damit wir eben nicht permanent die Leistungen kürzen müssen und nicht - wie in meiner Region, der Uckermark - im nächsten Jahr 1,8 Millionen Kilometer einsparen müssen. Das schwächt den ÖPNV und verstärkt die Immobilität der jungen Menschen in diesem Land.

(Beifall CDU sowie vereinzelt FDP)

Ich gebe zu: Bei dem Antrag der CDU schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Auf der einen Seite gibt es sehr gute Argumente, warum man dem Antrag zustimmen sollte, und es gibt wohl auf der anderen Seite auch gute Argumente, warum man ihm nicht zustimmen sollte.