Protocol of the Session on March 24, 2011

Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, eine Analyse des deutschen und des polnischen Arbeitsmarktes zu erstellen, indem sie unter anderem die Fachkräftepotenziale untersucht und die jeweiligen Eckdaten der Arbeitsmärkte in einen Bericht einarbeitet, den sie bis Ende 2011 vorlegt.

Herr Minister Baaske, diese Arbeitsgruppe kann man bilden; das ist durchaus richtig. Ich hätte sie mir allerdings deutlich früher gewünscht. Wir wissen nicht erst seit August 2010, dass wir uns auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorbereiten. Die Daten, die dort zusammengeführt werden sollen, sind bereits heute bei der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der BA, den zuständigen Arbeitsdirektionen in den Woiwodschaften und im Amt für Statistik des Landes Brandenburg bzw. im Hauptamt für Statistik, dem GUS, in Polen zu haben - vorausgesetzt, man bemüht sich darum.

Herr Minister Baaske, Sie reden nachher noch einmal. Ich bitte Sie, in diesem Beitrag darauf einzugehen, was diese Arbeitsgruppe konkret macht. Das haben Sie nämlich vorhin nicht gesagt. Sie haben lediglich gesagt, dass es Meetings gegeben hat. Das ist nett. Aber mich würde auch interessieren, was in den Meetings besprochen wird und welche konkreten Schritte Sie unternommen haben, um sich auf die am 1. Mai einsetzende Arbeitnehmerfreizügigkeit vorzubereiten.

Der Gesamteindruck, den der vorliegende Bericht vermittelt, ist der, dass Brandenburg in den vergangenen acht Jahren - seit bekannt ist, dass die Öffnung der Märkte nach Osten kommt zu wenig unternommen hat, um Brandenburg auf diese Herausforderungen vorzubereiten.

Wir hätten in Brandenburg bereits eine gemeinsame Datenbank haben können. Das Personal in den zuständigen Landesbehörden hätte interkulturell geschult und mit der polnischen Sprache vertraut gemacht werden können. Da ist zu wenig passiert. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Landesregierung und de

ren Einstellung zu einem gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt.

(Zuruf der Abgeordneten Stobrawa [DIE LINKE])

- Frau Stobrawa, ich habe Ihren Zwischenruf gehört. Ich will Sie gleichwohl als Linke ansprechen, weil ich glaube, dass insbesondere Ihre Fraktion, die sich gerne als die Partei positioniert, die die Kooperation mit Polen vorantreiben möchte, das Thema der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu lange auf den Aspekt des Lohndumpings, wie Sie es nennen, reduziert hat.

Herr Baer, auch ich weiß: Der Fachkräftebedarf, den wir in Brandenburg haben, wird am Ende nicht gedeckt werden, nur weil wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit haben. Wir werden einen sich wechselnden Arbeitsmarkt bekommen. Das wird wahrscheinlich so ähnlich sein wie an der deutsch-französischen Grenze. Wenn Sie sich in Stettin und Breslau umschauen, werden Sie feststellen, dass auch viele Deutsche bereits dort arbeiten. Demzufolge wird dieser Arbeitsmarkt mit ständigem Wechsel verbunden sein.

Brandenburg kann von einer besseren Anrechenbarkeit von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen profitieren.

Auf meine Mündliche Anfrage am 11. November 2010 gab Herr Minister Baaske an, dass wir derzeit in Brandenburg rund 64 000 Personen mit Migrationshintergrund haben, die über einen beruflichen Abschluss verfügen.

Herr Abgeordneter Büttner, Sie haben leider keine Zeit mehr, das auszuführen.

Dann gestatten Sie mir bitte noch den letzten Satz.

Wir wollen, dass wir uns mit konkreten Schritten auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorbereiten. Herr Minister Baaske, ich bitte Sie einfach, in Ihrem Redebeitrag noch einmal auf konkrete Maßnahmen dazu einzugehen. Ich glaube auch, dass wir das Thema, weil wir es bisher nicht ausführlich genug behandelt haben, im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie noch einmal intensiv beraten sollten. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP sowie vereinzelt CDU)

Vielen Dank, Herr Büttner. - Herr Abgeordneter Dr. Bernig von der Fraktion DIE LINKE hat das Wort.

Bevor Herr Dr. Bernig mit seiner Rede beginnt, begrüße ich ganz herzlich hier in diesem Hause Schülerinnen und Schüler des Christa-und-Peter-Scherpf-Gymnasiums Prenzlau in der Uckermark. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Beitritt von zwölf mittel-ost- und südosteuropäischen Ländern

zur Europäischen Union 2004 bzw. 2007 hatten die Regierungen der Mitgliedsstaaten die Aufgabe, so schnell wie möglich in ihren Ländern die Voraussetzungen für die Aufhebung von Übergangsbestimmungen zu schaffen.

Die Bundesrepublik war neben Österreich der einzige alte Mitgliedsstaat, der im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit die vollen sieben Jahre in Anspruch genommen hat. Hauptgrund dafür war das Agieren der Bundesregierungen. Auch die jetzt im Amt befindliche Bundesregierung weigert sich, wirksame nationale Regelungen zu schaffen, die Lohndumping und ruinösem Lohnwettbewerb unter den Bedingungen der Öffnung des Arbeitsmarktes entgegenwirken. Nicht die Landesregierung, wie kürzlich ein Kommentar in der „Märkischen Oderzeitung“ überschrieben war, nein, die Bundesregierung hat das Thema verschlafen.

(Beifall der Abgeordneten Stobrawa [DIE LINKE])

Das macht der vorliegende Bericht der Landesregierung, für den ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte, in zahlreichen Details deutlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in Brandenburg haben Menschen Angst vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1. Mai. Die Prognosezahlen, die uns auch aus dem Bericht vorliegen, scheinen diese Ängste nicht zu bestätigen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Berlin-Brandenburg geht von einer begrenzten Zuwanderung aus den neuen Mitgliedsstaaten nach Brandenburg in einer Höhe von jährlich 1 500 Arbeitskräften aus.

Beunruhigend sind hingegen die Rahmenbedingungen, unter denen die Öffnung des Arbeitsmarktes auch in Brandenburg erfolgt. Der deutsche Arbeitsmarkt wird geöffnet, ohne dass es einen wirklichen europäischen Arbeitsmarkt mit eindeutigen Regeln gibt, die für Beschäftigte und für Arbeitgeber gleichermaßen gelten. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass Unternehmen bestehende Regelungen und Regelungslücken nutzen, um Wettbewerbsvorteile zu erheischen, die einseitig zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen.

Was ist vor diesem Hintergrund politisch notwendig? Dazu kann ich nur einige Punkte nennen:

- Wir brauchen endlich einen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

- Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und generell gleiche Arbeitsbedingungen muss für Leiharbeitnehmer und Stammbelegschaften gleichermaßen gelten.

- Über die besonders vordringliche Leiharbeit hinaus müssen weitere Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen werden und Tarifverträge in diesen Branchen für allgemein verbindlich erklärt werden.

- Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen muss in Deutschland zügiger und transparenter erfolgen.

- Es muss endlich eine vollständige statistische Erfassung aller im Bereich der Entsendearbeit Beschäftigten geben,

differenziert nach Branchen, Herkunftsland und Beschäftigungsdauer. Das wäre auch eine wichtige Grundlage für die Bekämpfung von Schwarzarbeit.

- Bestehende rechtliche Barrieren im Bereich der Sozialund Steuergesetzgebung zwischen Deutschland und Polen sind zügig abzubauen.

- Durch eine Revision der Entsenderichtlinie muss klargestellt werden, dass die Richtlinie lediglich Mindestanforderungen an den Bereich der Lohn- und Arbeitsbedingungen formuliert und nicht als Maximalrichtlinie missbraucht werden darf.

Diese und weitere Punkte - wie eine soziale Fortschrittsklausel standen und stehen auf der Agenda der Koalition von SPD und der Linken in Brandenburg. Sie wurden auch in unserer Anhörung in der vergangenen Woche bestätigt. Hier wurde auch deutlich, dass die zügige Verabschiedung des Vergabegesetzes mit seinen Kontrollmechanismen eine weitere wichtige Grundlage für die Bekämpfung von Schwarzarbeit sein kann.

Auf der Agenda der Bundesregierung, die nach dem Grundgesetz in diesem Politikfeld alleinig zuständig ist, haben diese Punkte jedoch nicht die notwendige Priorität. Ganz im Gegenteil, aus ideologischen Gründen verweigern sich alle drei Koalitionspartner wichtigen politischen Entscheidungen, die Lohndumping und Sozialabbau in Deutschland nach dem 1. Mai entgegenwirken könnten. Dieser Politik werden wir weiter Widerstand entgegensetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Koalition betrachten den Einsatz des Landes für einen gesetzlichen Mindestlohn sowie für gleichen Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen am gleichen Arbeitsort auch als wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Brandenburg und überall in der Bundesrepublik. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Bernig. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Herr Abgeordneter Vogel hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Sieben Jahre lang hat Deutschland die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die im Jahr 2004 der EU beigetretenen Mitgliedsstaaten eingeschränkt - und, Herr Dr. Bernig, auch mit Unterstützung des Landes Brandenburg in den letzten Jahren. Andere europäische Mitgliedsstaaten forcierten die europäische Integration und profitierten von Zuwanderinnen und Zuwanderern aus Mittelosteuropa. Denn die Erfahrung dieser Länder zeigt: Die Integration aus Mittelosteuropa ist zumeist eine Migration von Qualifizierten. Bisher erfolgte die Zuwanderung aus Osteuropa in den Arbeitsmarkt und nicht in die Sozialsysteme.

Hier läge auch eine Chance für Brandenburg. Denn in Brandenburg ist der Fachkräftemangel keine angedeutete Gefahr am

Horizont, er wird nicht erst in Zukunft Thema, sondern der Fachkräftemangel ist in vielen Berufsgruppen in Brandenburg bereits heute Realität. Inzwischen geht der Fachkräftemangel dabei über die klassischen Ingenieurberufe hinaus. Jedes dritte Unternehmen sieht laut einer aktuellen DIHK-Umfrage den Fachkräftemangel als ein wesentliches Risiko für die eigene wirtschaftliche Entwicklung. Vor einem Jahr war es nur die Hälfte.

Die heutige Mammutaufgabe der brandenburgischen Wirtschaftspolitik heißt daher eindeutig Fachkräftesicherung. Die Industrie- und Handelskammern in Brandenburg haben auch bereits zu handeln begonnen. Sie zeigen Präsenz auf vielen Ausbildungsmessen in Polen, um Auszubildende für die Brandenburger Wirtschaft zu gewinnen, weil nicht mehr genügend hier aufgewachsene Jugendliche als Auszubildende zur Verfügung stehen. Die brandenburgische Wirtschaft hat begriffen: Eine Zuwanderung aus anderen Regionen der Europäischen Union kann den Fachkräftemangel in Brandenburg abmildern.

(Beifall der Abgeordneten von Halem [GRÜNE/B90])

Aber ist Brandenburg überhaupt prädestiniert für Einwanderung? Deutschland kann, durch die bundesrepublikanische Zuwanderungsgeschichte gerechtfertigt, als ein Einwanderungsland bezeichnet werden, auch wenn die Wanderungsbilanz Deutschlands gegenüber dem Ausland in den letzten zwei Jahren negativ war.

Brandenburg ist dagegen zwar ein Wanderungs-, aber kein Einwanderungsland. In den letzten 20 Jahren sind laut Statistischem Landesamt rund 1,3 Millionen Menschen nach Brandenburg zugewandert. Im gleichen Zeitraum sind aber auch 1,2 Millionen Menschen aus Brandenburg abgewandert. Also die Hälfte unserer Bevölkerung wurde ausgetauscht. Dabei handelt es sich aber im Wesentlichen um sogenannte Binnenmigratinnen und -migranten aus anderen Bundesländern.

Einwanderung aus dem Ausland spielt dagegen in Brandenburg bis heute eine völlig untergeordnete Rolle. Zwischen 1991 und 2008 standen 300 000 ausländischen Zuwanderern 237 000 Fortzüge von Ausländern gegenüber. Brandenburg ist also offenkundig bislang für Ausländerinnen und Ausländer nicht attraktiv genug, um auch länger hierbleiben zu wollen. Die kleinteilige Brandenburger Wirtschaft und die strukturschwachen Räume stellen auch keine besonderen Anreize für Migrantinnen und Migranten dar. Entsprechend liegt der Ausländeranteil in unserem Bundesland unter 3 %.

Die größte Chance für unsere Wirtschaft durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit liegt gegenwärtig in unserer Nachbarschaft zu Polen. Die bisherige Entwicklung an der deutsch-polnischen Grenze ist laut Institut für Wirtschaftsforschung Halle auch bemerkenswert. Die geografische Nähe ermöglicht einen Zustrom, obwohl die Arbeitsmöglichkeiten bisher begrenzt sind. Die räumliche Nähe zum Herkunftsgebiet kann bestehende Attraktivitätshemmnisse Brandenburgs teilweise kompensieren. Eines ist dennoch klar: Eine Einwanderungswelle wird uns nicht erreichen.

Die großen Unterschiede im Nettoeinkommen zwischen Polen und Brandenburg, kombiniert mit der räumlichen Nähe, können attraktiv sein. Aber darin liegt auch gleichzeitig das Problem des Lohndumpings und der ruinösen Lohnkonkurrenz. Die bis

herige Prüfung der Lohnhöhe durch die Bundesagentur für Arbeit wird in Zukunft entfallen. Deshalb müssen wir unseren Beitrag leisten, damit ordentliche Rahmenbedingungen die Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit begleiten. Hierauf legt der Bericht der Landesregierung in Ziffer 3 auch zu Recht seinen Schwerpunkt. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort muss das Ziel sein, und hier haben wir völlige Übereinstimmung mit der SPD und den Linken. Selbstverständlich treten wir mit ihnen auch dafür ein, dass die längst überfällige Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland stattfindet.