In dem vorliegenden Bericht vermisse ich Vorschläge, wie den Vorbehalten und Sorgen unserer Bürger entgegengewirkt werden kann. Grundsätzlich gilt doch, dass die Brandenburger umfassend und rechtzeitig über die sich daraus ergebenden Veränderungen und Chancen informiert werden müssen.
Herr Minister, wenn Sie ans Rednerpult gehen und sagen, das Thema sei gar nicht mehr spannend, dann unterschätzen Sie diese Ängste und Sorgen. Ich vermisse von der Landesregierung Öffentlichkeitsarbeit, eine öffentliche Kampagne. Dazu gehört auch, insbesondere im Niedriglohnbereich gemeinsam mit den Tarifparteien Instrumente zum fairen Miteinander der in Brandenburg Beschäftigten zu entwickeln. Wenn wir eine grenzüberschreitende Wirtschafts- und Arbeitsmarktregion wollen, müssen wir die Wirtschaftsförderung in den Euro-Regionen wie Spree-Neiße-Bober oder Pro Europa Viadrina weiter ausbauen. Nicht zuletzt sollten wir unsere jungen Menschen ermutigen, Polnisch zu lernen. Vielleicht wäre es analog zu dem Witaj-Projekt in Sorbisch möglich, dass schon im Kindergarten Polnisch angeboten wird.
Arbeitnehmerfreizügigkeit ist keine Verdrängung oder Bedrängung, sondern eine Chance. Lassen Sie mich mit einem Zitat enden, das leider nicht von mir ist - der Verfasser ist unbekannt -: „Chancen gehen nie verloren. Die man selbst versäumt, nutzen andere.“ - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schier. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Baer hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Soweit mir bekannt ist, liegt uns heute der erste Bericht einer Landesregierung zu diesem Thema vor. Deshalb zunächst mein herzlicher Dank für die uns vorliegende recht umfangreiche Analyse, Herr Minister Baaske.
Arbeitnehmerfreizügigkeit bedeutet das Recht eines jeden Bürgers der Europäischen Union auf freien Zugang zu einer Beschäftigung innerhalb der EU. Dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit spätestens am 1. Mai dieses Jahres kommen wird, ist nicht neu. Wir wissen dies bereits seit 2004, denn Deutschland hat sich - darauf ist hingewiesen worden - für die längste mögliche Übergangszeit entschieden. Wir hatten also sieben Jahre Zeit, uns auf die neuen Bedingungen vorzubereiten.
Mitte 2010 hat die Brandenburger Regierungskoalition gefragt, ob wir diese Zeit auch genutzt und uns auf die neuen Bedingungen, die ab 1. Mai dieses Jahres gelten, vorbereitet haben. Antworten liefert uns nun der vorliegende Bericht. Die Zukunftsbilder, die darin gezeichnet werden, bereiten mir wenig Sorge. Im Gegenteil, ich bin optimistisch und bin mir sicher,
dass wir die europäische Chance weiterhin nutzen werden. Insbesondere mit unseren polnischen Nachbarn haben wir eine gute Partnerschaft aufgebaut, die wir auch in Zukunft vertiefen werden.
Bereits im Jahre 2006 wurde die Oder-Partnerschaft gegründet, um die Zusammenarbeit im Bereich der Politik und der Wirtschaft entlang der Oder weiter auszubauen und zu stärken. Im Rahmen dieser Oder-Partnerschaft gibt es regelmäßige Treffen auf verschiedenen Ebenen. Die Kommunikation und Abstimmung funktioniert hier bereits seit fünf Jahren.
Inwieweit Zuwanderung aus den anderen EU-Ländern erfolgt, bleibt abzuwarten. Ich sehe das eher etwas verhalten, zumal auch im Bericht der Landesregierung festgestellt wird:
„Ein Großteil der migrationsaffinen Bevölkerung ist in der Folge der zügigeren Implementierung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in anderen EU-Staaten bereits aus Mittelosteuropa ab- bzw. ausgewandert.“
Dies lässt den Schluss zu, dass nur bei uns geringe Auswirkungen auf den regionalen Arbeitsmarkt zu erwarten sind. Auch wenn nicht mit einem Arbeitskräfteschwall zu rechnen ist, nehmen wir die Problemstellungen und Chancen, die mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Brandenburg verbunden sind, sehr ernst.
Zu den Problemstellungen im Einzelnen: Wir müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unsozialen Niedriglöhnen schützen. Denn - hier wird es interessant in dem Bericht die Landesregierung berichtet von Möglichkeiten, bei denen die Tätigkeiten von ausländischen Arbeitskräften zu niedrigeren Arbeitskosten als von Einheimischen erbracht werden können, was gegebenenfalls auch einen Kostendruck in Brandenburger Unternehmen erzeugt. Dies kann und sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen, durch wirksame Kontrollen verhindert werden. Ich teile daher die Einschätzung der Fachgemeinschaft Bau ausdrücklich, dass Kontrollen verstärkt werden müssen, damit der Mindestlohn in diesem Bereich nicht ins Leere läuft. Der Angst vor Lohndumping, zumindest in Unternehmen, die öffentliche Aufträge übernehmen, können wir damit begegnen, dass wir nun zügig einen entsprechenden Mindestlohn im Brandenburgischen Vergabegesetz festschreiben.
Mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz haben wir ebenfalls bereits eine Regelung, die tariflich festgelegte Löhne garantiert, und zwar in insgesamt neun Branchen, von der Abfallwirtschaft bis zur Pflegebranche, wobei ich aber auf diesem Gebiet noch besonderen Handlungsbedarf sehe; sprich: Wir brauchen eine Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf möglichst viele Branchen.
Wie will man durch Kontrollen verhindern, dass Arbeitnehmer mehr Stunden arbeiten, als ihr Arbeitsvertrag ausweist?
Hier kann ich mich nur dem anschließen, was der Minister vorhin sagte: Hören Sie mir bis zum Ende zu; darauf wäre ich nachher noch gekommen.
Das effektivste Mittel im Kampf gegen Lohndumping, Billiglohnkonkurrenz und eventuell vorhandene Ängste in der Bevölkerung wäre aber - das wissen wir alle - ein gesetzlicher Mindestlohn.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CDU, ich appelliere deswegen auch an dieser Stelle noch einmal an Ihre Vernunft und rufe Sie dazu auf, sich bei der Bundesregierung für einen gesetzlichen Mindestlohn einzusetzen.
Werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, wir sollten die Arbeitnehmerfreizügigkeit also nicht als eine Gefahr wahrnehmen, sondern eher als eine große Chance. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit birgt die Möglichkeit, qualifizierte Fachkräfte aus dem osteuropäischen Ausland zu gewinnen. Dabei ist es wichtig, dass die in anderen europäischen Ländern erworbenen Berufsabschlüsse auch bei uns anerkannt werden. Dabei spielen Zeitpunkt und Nachvollziehbarkeit der Anerkennung eine Rolle. Das Bundeskabinett hat gestern dazu ein Gesetz gebilligt, das hoffentlich noch in diesem Jahr in Kraft treten wird. Zudem könnte das duale deutsche Ausbildungssystem für junge polnische Auszubildende interessant sein, und nicht nur für diese, denn auch die brandenburgische Wirtschaft und das Handwerk können von den Sprachkenntnissen ihrer Auszubildenden profitieren, wenn sie zum Beispiel in Polen investieren wollen.
Zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sowie deren Nachbar-Woiwodschaften koordiniert der DGB BerlinBrandenburg seit einigen Jahren die Vorbereitungen zur Gründung der EURES-T-Partnerschaft. Regelmäßig treffen sich in diesem Rahmen deutsche und polnische Vertreter der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber, der Arbeitsämter, der Unternehmerund Arbeitgeberverbände und der Ministerien. Auch hier erfolgt ein regelmäßiger Austausch über Aktivitäten und Maßnahmen.
Die konsequente Ahndung der Verstöße - damit komme ich zu Ihrer Frage, Frau Blechinger - gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen ist mindestens genauso wichtig wie die Information und Vermittlung von sozialen Standards und die entsprechenden Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beiderseits der Oder. Bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit arbeitet das Landesamt für Arbeitsschutz mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung zusammen. In ihrem Bericht geht die Landesregierung von der möglichen Notwendigkeit vermehrter Kontrollen aus, die eine Personalaufstockung beim Zoll notwendig machen könnte.
Ich gehe davon aus, dass auch beim Landesamt für Arbeitsschutz von Mehrarbeit ausgegangen werden muss. Allerdings sehe ich dort mögliche Schwierigkeiten; denn für die nächsten Jahre sind beim Landesamt für Arbeitsschutz aufgrund der Haushaltskonsolidierung Personaleinsparungen vorgesehen. Es wird sich zeigen, ob die Arbeit in der jetzigen Form dann noch leistbar ist oder hier ein Nachsteuern erforderlich wird.
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit hält aber auch noch andere Aufgaben für die Bundesregierung bereit, und zwar dann, wenn es um eine unbürokratische Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge gegenüber den polnischen Behörden geht. Im Pflegebereich wird es bestimmt Auswirkungen davon geben. Die in diesem Bereich mutmaßlich häufiger anzutreffende Scheinselbstständigkeit wird ab dem 1. Mai 2011 voraussichtlich in legale Beschäftigung münden. Auch hier steht die Beschäftigung qualifizierter Fachkräfte im Vordergrund.
Eine Internetseite wird derzeit durch das brandenburgische Arbeitsministerium aufgebaut. Es ist wichtig, dass auch hier das Internet als Informationsquelle angezapft werden kann. Allerdings - erlauben Sie mir bitte diese Kritik - finde ich es etwas spät, die Menschen über eine Internetseite erst gut einen Monat vor dem Stichtag über die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu informieren. Aber auch ich sehe es als unabdingbar an, dass dieses Informationsangebot ständig aktualisiert wird und so auch in Zukunft Antworten geben kann.
Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, sehe ich den Abbau der Sprachbarriere. Die Angebote an all jene, die die Sprache des polnischen Nachbarn erlernen wollen, sind zahlreich und sollten auch verstärkt genutzt werden, um die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht zu einer Einbahnstraße werden zu lassen. Das Interesse der Polinnen und Polen an der deutschen Sprache ist ungleich höher.
Ich komme zum Schluss. Wer den Bericht der Landesregierung gelesen hat, wird erkennen, dass wir auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit gut vorbereitet sind; wie gut, das wird die Zeit nach dem 1. Mai zeigen. Manche Schwierigkeiten werden vielleicht auftreten, mit denen wir vorher nicht gerechnet haben. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir sie bewältigen werden. Vielen Dank für Ihre Geduld.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Baer. - Frau Abgeordnete Blechinger hat eine Kurzintervention angemeldet, zu der sie jetzt die Gelegenheit hat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da weder der Minister noch der Abgeordnete Baer auf meine Frage geantwortet haben, möchte ich Ihnen noch einmal erläutern, worum es mir geht. Weder der Zoll noch sonst jemand kann kontrollieren, ob ein Arbeitnehmer, der einen Arbeitsvertrag über 30 Stunden hat, 35 Stunden arbeitet - es sei denn, er steht 35 Stunden neben dem Arbeitnehmer.
- Natürlich gilt das auch für Deutsche. Deshalb sage ich ja: Etwas, das ich nicht kontrollieren kann, brauche ich nicht gesetzlich zu vereinbaren. Wenn es ein gemeinsames Interesse an dem auskömmlichen Lohn gibt, dann wird ein auskömmlicher Lohn vereinbart werden. Wenn es ein gemeinsames Interesse an einem darunter liegenden Lohn geben wird, wird man Wege finden, das auch so zu dokumentieren, wie es jetzt schon in vielen Bereichen Praxis ist. Wenn man weiß, dass man das durch keine Zollkontrolle oder andere Kontrollen überprüfen kann, dann heißt das, dass ich eigentlich die Bürger eher zu ungesetzlichem Verhalten dränge, weil sie dann versuchen, das zu umgehen.
Das heißt jedoch nicht, dass ich für nicht auskömmliche Löhne bin. Ich bitte Sie, mich hier nicht misszuverstehen. Ich sage nur, man sollte nur das gesetzlich regeln, bei dem man eine Chance hat, die Einhaltung des Gesetzes zu kontrollieren. Diese Chance sehe ich hier nicht.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Blechinger. - Der Abgeordnete Baer hätte nunmehr die Möglichkeit, innerhalb von drei Minuten zu reagieren. Da auch Herr Baaske angesprochen wurde, hat auch er noch Redezeit. - Beide verzichten darauf. Dann setzen wir die Debatte fort. Im Rahmen der Aussprache erhält für die FDP-Fraktion nunmehr der Abgeordnete Büttner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Baaske und Herr Baer, ich werde mit Ihnen jetzt keine Diskussion über Mindestlohn führen, weil die diesbezüglichen Argumente bereits ausgetauscht sind und ich nicht sehen kann, dass wir uns hier aufeinander zubewegen.
Der Landtag hat am 2. Juli 2010 die Landesregierung beauftragt, bis zum I. Quartal 2011 einen Bericht über den Stand der Vorbereitungen auf die ab 1. Mai eintretende Arbeitnehmerfreizügigkeit vorzulegen. Wir hatten die Erwartung, dass dem Parlament ein Tätigkeitsbericht der Landesregierung vorgelegt wird, in dem auf konkrete Maßnahmen eingegangen wird, mit denen Brandenburg von der Öffnung der Arbeitsmärkte profitieren kann.
Ich sage ganz offen, Herr Minister Baaske: Diese Erwartungen wurden mit dem Bericht nicht erfüllt. Herr Baer, deswegen kann ich auch nicht verstehen, dass Sie diesen Bericht so gelobt haben. Das muss mit Ihrer Rolle als Mitglied der Regierungsfraktion zu tun haben.
Im Land Brandenburg haben wir drei zentrale Probleme in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Zum einen betrifft das das ist schon mehrfach angesprochen worden; da stimme ich Ihnen sogar zu - die Situation im Fachkräftebereich. Das betrifft den akuten Fachkräftemangel, den wir haben. Wir haben in den vergangenen Sitzungstagen und auch im letzten Monat darüber bereits diskutiert.
Des Weiteren fehlen rechtliche Grundlagen für die Anrechnung ausländischer Berufsabschlüsse. Dazu komme ich nachher erneut; denn dazu liegt jetzt etwas vor.
Schließlich gibt es sprachliche Barrieren zwischen Deutschen und Polen. Der Bericht listet eine Reihe von Projekten auf, welche insbesondere Bildungseinrichtungen betreffen. Ich will als Beispiel die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit erwähnen. Beide haben viele Projekte unternommen und sich auf den Weg gemacht, um sich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorzubereiten.
Die Bundesagentur organisiert den Austausch von Mitarbeitern zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Informationstransfer. Es werden bidirektional Stellenangebote sowie Statistikdaten ausgetauscht. Es finden Absprachen zu gemeinsamen Teilnahmen an Veranstaltungen und Messen statt. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund, dass ein gemeinsamer deutschpolnischer Arbeitsmarkt auch einer gemeinsamen deutsch-polnischen Arbeitsverwaltung bedarf.
Die Universitäten kooperieren im Bereich des Studentenaustausches mit polnischen Partneruniversitäten. Darüber hinaus ist Polnisch als Sprache an den Universitäten aufgewertet worden. Der brandenburgische Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie und der Marschall der Woiwodschaft Lubuskie haben im August 2010 verabredet, eine deutsch-polnische Arbeitsgruppe zu bilden, die den Prozess der Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit begleiten soll.
Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, eine Analyse des deutschen und des polnischen Arbeitsmarktes zu erstellen, indem sie unter anderem die Fachkräftepotenziale untersucht und die jeweiligen Eckdaten der Arbeitsmärkte in einen Bericht einarbeitet, den sie bis Ende 2011 vorlegt.