Protocol of the Session on March 23, 2011

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur 32. Plenarsitzung.

Ich begrüße unter unseren Gästen die Soldatinnen und Soldaten vom Stabsfernmeldebataillon des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Geltow. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg!

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren! Wie Sie unschwer mitbekommen haben, leben wir in sehr bewegten Zeiten: Neben den Aufständen gegen die Diktaturen in Nordafrika und Arabien und den damit verbundenen Kampfhandlungen und zu beklagenden Toten haben wir einen der größten Unfälle der Geschichte dieser Erde miterleben müssen: das Atomunglück in Japan. Wenn wir die Zahlen hören, die von 20 000 Toten und Vermissten ausgehen - wobei bereits über 8 000 Tote nachgewiesen wurden -, dann erfüllt uns das mit Besorgnis und Trauer.

Sie haben auch erlebt, welche Vielzahl von Solidaritätsaufrufen und Unterstützungsangeboten unterbreitet worden ist. Ich denke, wir sollten uns dem anschließen und unser Mitgefühl mit den Betroffenen durch eine Schweigeminute zum Ausdruck bringen. Ich bitte Sie, sich zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich zu einer Schweigeminute von ihren Plätzen.)

- Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich Ihnen mitzuteilen, dass die Anträge mit den Drucksachennummern 5/2940 und 5/2964 von den Antragstellern zurückgezogen worden sind.

Es liegt Ihnen der Entwurf der Tagesordnung vor. Gibt es hierzu Bemerkungen? - Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich um Zustimmung zur Tagesordnung. - Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Wir müssen heute krankheitsbedingt ganztägig auf den Ministerpräsidenten verzichten, und einige Abgeordnete sind zeitweise nicht anwesend.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Atomkraft, nein danke! - Für eine zukunftsfähige Energieversorgung in Brandenburg und Deutschland

Antrag der Fraktion der SPD

Drucksache 5/2905

Dazu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/2978, ein Entschlie

ßungsantrag der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 5/2979 sowie ein Entschließungsantrag der FDPFraktion, Drucksache 5/2981, vor.

Wir beginnen mit dem Redebeitrag der antragstellenden Fraktion; der Abgeordnete Holzschuher spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Werte Gäste! Das ist ein schwerer Beginn für eine Landtagssitzung ein dramatischer Anlass. Wir haben gerade der Opfer in Japan gedacht. Knapp zwei Wochen ist es her, dass eine unvorstellbare Naturkatastrophe über dieses Land hereingebrochen ist. Wir haben noch die Bilder von den zerstörten Städten im Kopf, die Bilder von dieser gewaltigen Wasserwalze, die alles überrollte: die Häuser, die Straßen, die Menschen. Und es gibt noch andere Bilder im Kopf von einer anderen Katastrophe: die Bilder der rauchenden Kraftwerksruine in Fukushima, einer Katastrophe, bei der die Natur nur eine kleine Rolle spielte, eine menschengemachte Katastrophe. Fukushima - dieser Name klingt in unseren Ohren so ähnlich wie der Name einer anderen japanischen Stadt, die seit 1945 mit Strahlenopfern in Verbindung gebracht wird - Strahlung, die jahrzehntelange Auswirkungen hat. Jetzt wird also auch Fukushima ein Ort sein, an den sich die Welt noch in Jahrzehnten erinnern wird.

Deshalb ist es gut und richtig, dass wir hier und heute darüber reden, was diese Katastrophe für uns, für Deutschland, für Brandenburg, für alle hier im Raume bedeutet. Wir haben erlebt, wie in Fukushima die Mitarbeiter des Kraftwerks unter Aufopferung ihrer eigenen Gesundheit vor Ort alles tun, um die Katastrophe wenigstens zu beschränken, wie sie sich heldenhaft - auch die Feuerwehrleute, die vor Ort sind - ohne Ansehen ihrer eigenen Gesundheit dort einsetzen. Wir haben aber auch erlebt, wie die Betreiber der Reaktoren hilflos und ohnmächtig agiert haben, und wir haben erlebt und erleben noch eine Bundesregierung, die genauso hilflos reagiert. Die Lehre, die wir daraus ziehen ist: Kerntechnologie ist nicht beherrschbar!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vor allem aber gilt: Eine Technologie, die so unendlich viel Leid über Menschen bringt, ist auch nicht verantwortbar.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Katastrophe in Fukushima ist so etwas wie der „11. September der Kernkraft“. Diese Katastrophe wird unsere Herangehensweise an das Thema grundlegend verändern, und sie wird die Art und Weise unserer Energieerzeugung, vielleicht auch unserer Wirtschaftsweise, grundlegend infrage stellen.

Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat eine Reißleine gezogen, sie hat ein Moratorium für die Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke verhängt. Das ist im Prinzip zwar richtig, wäre aber gar nicht nötig gewesen; denn sie hat nur ein Problem in den Griff zu bekommen versucht, was sie selbst geschaffen hat, was sie selbst im vergangenen Herbst ohne Not, und ich sage: auch ohne Verstand angerichtet hat. Sie hat einen gesellschaftlichen Konsens in diesem Lande aufgekündigt, der längst beschlossen war. Es war doch alles klar. Wir wollten in Deutschland aus dieser unverantwortbaren Techno

logie aussteigen, und trotzdem hat diese Bundesregierung die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert.

Angesichts der schrecklichen Bilder aus Japan hat die Bundeskanzlerin nun also die Notbremse gezogen - ein Manöver, leider mehr wahltaktisch begründet als aus später Einsicht; denn es bleiben noch viele offene Fragen: Warum nur ein Moratorium für drei Monate? Das ist wirklich nicht glaubwürdig. Warum wird nicht gleich das Gesetz, das man ohne Not verändert hat, zurück zu den alten, vernünftigen Ausstiegsregelungen geändert? Auch das ist nicht glaubwürdig, was die Bundesregierung dort tut. Warum erzählt sie uns heute, dass Neckarwestheim, Biblis und Isar auf einmal so unsicher sind, dass sie sofort abgeschaltet werden müssen, wo doch noch vor wenigen Monaten alles in Ordnung war? Das ist nicht glaubwürdig.

Meine Damen und Herren! Es waren doch immer CDU und FDP, die dafür eingetreten waren, diese angeblich so sichere Technologie in unserem Land umzusetzen, und die Christdemokraten in diesem Land, in diesem Landtag haben sich daran sehr intensiv beteiligt. Es war die Brandenburger CDU, die sich in ihrem Wahlprogramm 2009 ausdrücklich für die Atomkraft ausgesprochen hat - nicht im eigenen Land, das wissen wir auch. Auch das ist übrigens nicht glaubwürdig. Es war die Brandenburger CDU-Bundestagsabgeordnete Reiche, die vor gut einem Jahr noch Sigmar Gabriel vorwarf, er spiele mit den Ängsten der Menschen, weil er sich um die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke sorgte. Und es war die Brandenburger CDUFraktion, die noch vor wenigen Wochen den Antrag hier im Landtag gestellt hat, die Atomkraftgegner in Brandenburg sollten doch die Polizeieinsätze bei den Castor-Transporten, bitte schön, selber zahlen. Nicht etwa die Betreiber, die Verursacher der Kernenergie, sondern die Demonstranten sollten das nach ihrer Auffassung tun.

Nein, meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie haben Ihre Glaubwürdigkeit in der Energiepolitik verspielt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich habe von niemandem gehört, dass er sich geirrt habe; eine Entschuldigung für die Entgleisungen gegenüber Atomkraftgegnern, die wir in all den letzten Jahren hören mussten, habe ich auch nicht gehört. Das einzige, was der Bundesregierung einfällt, ist, eine Ethikkommission einzurichten, die sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Kernenergie beschäftigen soll.

(Bischoff [SPD]: Warum erst jetzt?)

Fast 40 Jahre nach Beginn der Anti-Atomkraft-Bewegung in Westdeutschland, 25 Jahre nach Tschernobyl, lange, nachdem es einen Konsens in diesem Land gab, einen Atomausstieg herbeizuführen, will man nun eine Kommission einrichten, die sich mit den gesellschaftlichen Konsequenzen der Kernenergie befasst. Was ist das für ein hilfloses, unsinniges Agieren?

Die Katastrophe von Fukushima sollte uns allen Anlass sein, unsere Energiepolitik gründlich zu analysieren. Wir müssen alle Fragen von Versorgungssicherheit, von Umwelt- und Klimaschutz, von Verlässlichkeit, von Gesundheit und auch von den Preisen noch einmal genau analysieren. Dabei können wir in Brandenburg nun wirklich selbstbewusst in diese Debatte gehen; denn wir haben mit Rheinsberg einen Atomreaktor in diesem Land gehabt, der nach der Wende sofort abgeschaltet wur

de, und wir haben dort gezeigt, wie es ist, wie aufwändig, aber technisch möglich es ist, einen solchen Reaktor zurückzubauen.

(Bischoff [SPD]: Auch wie teuer!)

- Auch wie teuer es ist, haben wir gezeigt, in der Tat, und wie teuer es wird, diese ganze unverantwortbare Technologie wieder aus der Welt zu schaffen. Das haben wir in Brandenburg ein bisschen vorführen können. Aber wir haben eben auch begonnen, in diesem Land auf erneuerbare Energien zu setzen, gleich 1990, und wir haben heute im bundesweiten Vergleich einen Spitzenplatz. Wir können uns bundes- und auch europaweit als Vorreiter bei der Einführung der erneuerbaren Energien fühlen. Wenn es eine Lehre aus dieser Katastrophe in Japan gibt, dann doch die, dass es langfristig keine Alternative dazu gibt, die erneuerbaren Energien als das einzige, nicht nur das zentrale, sondern als das einzige Mittel zur Erzeugung von Strom einzusetzen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich weiß wohl, dass das noch Jahrzehnte dauern wird, weil die Technologie, insbesondere die Speichertechnologie, noch nicht ausgereift ist. Deswegen brauchen wir für diese Zeit auch andere Möglichkeiten der Stromerzeugung. Aber eines brauchen wir nicht, nein, dürfen wir nicht weiter verfolgen: Das ist - das wissen wir nun - die Kernenergie in Deutschland und überall in Europa.

(Bischoff [SPD]: Ja!)

Denn es ist ja nicht so - das wissen wir nun spätestens seit Tschernobyl -, dass die Strahlung an den Grenzen haltmachen würde. Es ist ein gesamteuropäisches Problem. Deswegen sollten wir uns dafür einsetzen, sollten wir alles tun, was wir tun können, auch hier in Brandenburg mit unserer Vorreiterrolle für erneuerbare Energien, um über den Bund und die EU zu erreichen, dass es europaweite einheitliche Standards und vor allen Dingen ein europaweites Signal zum Ausstieg aus der Kernenergie gibt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Diese EU, die Regelungen bezüglich Gurken und Glühbirnen erlässt, aber keine Standards für Kernkraftwerke, muss endlich auf eine Spur gebracht werden, die sich für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und Brandenburg wirklich auszahlt.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Nicht einmal 250 Kilometer von der Grenze zu Brandenburg entfernt, wird nach derzeitigen Plänen in Polen ein Kernkraftwerk gebaut. Wir sollten alles tun, dass dies, wenn es denn nicht verhindert werden kann, nach Standards erfolgt, die uns nicht gefährden. Ich hoffe, dass es gelingt, über die EU eines Tages den Ausstieg zu regeln.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Das ist das Ziel, das uns bleibt. - Ich danke Ihnen, und ich freue mich auf die Debatte am heutigen Tage in der Hoffnung, dass wir weiterkommen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Für sie spricht der Abgeordnete Bretz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bilder, die Nachrichten, die Ereignisse, die uns aus Japan in diesen Tagen erreichen, machen uns betroffen, sie ergreifen uns und sie treffen uns in unserm tiefsten Innern. Ich will diesen menschlichen Aspekt in einen Satz packen, den wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, als ein Japaner sagte, er habe zwar überlebt, wisse aber nicht, ob er froh darüber sein solle. Auch dieser Satz gehört in diesen Tagen zur Wahrheit.

Ich verneige mich vor dem japanischen Volk, das mit unglaublicher Selbstaufopferung und Selbstdisziplin bis über die Grenze des menschlich Erträglichen hinaus, auch unter dem ZurVerfügung-Stellen des eigenen Lebens, versucht, diese Katastrophe in den Griff zu bekommen. Ich denke, auch diese Tatsache ist eine Erwähnung wert.