Protocol of the Session on February 24, 2011

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir setzen mit dem Beitrag der Abgeordneten Heppener fort. Sie spricht für die SPD-Fraktion.

Ich begrüße inzwischen unsere Gäste, Schülerinnen und Schüler des Goethe-Gymnasiums in Pritzwalk und Schülerinnen und

Schüler des beruflichen Gymnasiums Falkenberg/Elster. Herzlich willkommen im Landtag! Viel Spaß bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um von vornherein allen Gerüchten entgegenzutreten, möchte ich erklären, dass die Tatsache, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion hier zu diesem Thema gesprochen hat, mein Wunsch war, meine Bitte und eigentlich auch meine Forderung, weil dieses Thema für mich politisch so wichtig ist, dass ich denke, dass es legitim und selbstverständlich ist, dass die Spitze der Fraktion der SPD dazu spricht.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Es ist hier schon verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass das Ringen der Frauen um ihre gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft älter ist als dieser 100. Internationale Frauentag. Ich danke Monika Schulz-Höpfner sehr für den Hinweis auf die Große Französische Revolution. Frau Vogdt, es ist doch gar nicht die Frage, ob sich da eine bürgerliche Frau im 19. Jahrhundert auch für die Frauen eingesetzt hat. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen: Als der vierte Stand die Bühne der Geschichte betrat, als es nicht mehr darum ging, dass die Stellung des Menschen in der Gesellschaft von seiner Geburt und von dem Vermögen seiner Familie abhängt,

(Beifall der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

sondern darum, dass die Stellung des Menschen in der Gesellschaft von den eigenen Kräften des Menschen abhängt, dass in dieser Situation die Frauen aufstanden und sagten: Wir sind Teil der Gesellschaft, und auch wir wollen eine solche Stellung haben, dass wir selbst über unser Schicksal entscheiden können.

(Beifall SPD und vereinzelt DIE LINKE)

Das haben sie auch auf den Barrikaden der Großen Französischen Revolution verteidigt, das hat um die Jahrtausendwende politisch die Frauen in ihrem Kampf um das gleiche geheime allgemeine Wahlrecht angetrieben. Wir wissen heute, nach 1990, wie wichtig es für Demokratie ist, ein gleiches geheimes allgemeines Wahlrecht zu haben. Die Frauen haben ökonomisch diese Rechte eingefordert in ihrem Kampf um einen guten Lohn und gute Arbeitsbedingungen und darum, dass ihre Familien ein anständiges Leben führen können.

Wir haben - das wurde heute auch schon gesagt - auf diesem langen Weg viel erreicht. Es war ein steiniger und dornenreicher Weg, wenn man einmal die Geschichte betrachtet. Es gab große Kriege, es gab Hunger, es gab Krankheiten. Günter Baaske hat schon davon gesprochen, aber ich möchte, dass wir uns das noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wir haben das Frauenwahlrecht seit 1918/1919, und wir haben das allgemeine Wahlrecht hier bei uns wieder seit 1990.

Ja, das Beschäftigungsverbot verheirateter Frauen im öffentlichen Dienst wurde 1954 in der Bundesrepublik aufgehoben, ja, erst 1957 wurde die 1949 im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau bürgerliches Recht. Der Ehe

mann verlor sein Letztentscheidungsrecht in allen Eheangelegenheiten. Frauen durften ihr in die Ehe eingebrachtes und in der Ehe erarbeitetes Vermögen seit 1957 in der Bundesrepublik selbst verwalten.

Ja, seit 1957 durfte der Ehemann ein Dienstverhältnis seiner Frau nicht mehr fristlos kündigen, und ja - Günter Baaske hat das Datum genannt -, seit 1977 darf eine Frau ohne Einverständnis ihres Ehemanns eine Berufstätigkeit aufnehmen. Wir Frauen - selbstverständlich standen da auch Männer an unserer Seite - haben also, was unsere rechtliche Stellung angeht, viel erreicht. Aber echte Gleichstellung, Chancengleichheit und gleichberechtigte Teilhabe, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich, ist doch viel, viel mehr. Jede Generation von Frauen und Männern stellt da ihre Forderungen und Ansprüche. Uns geht es um die Ansprüche der jungen Brandenburgerinnen an ihr Leben hier und heute sowie an ihr Leben von morgen. Damit werden wir uns in der Frauenwoche beschäftigen.

Schönen Dank für die Erwähnung von Bebels „Die Frau und der Sozialismus“. Es erschien 1878 und erreichte bis 1914 fünf Auflagen. „Die Frau und der Sozialismus“ war das meistgelesene Buch in dieser Zeit der deutschen Arbeiterbewegung. Es ging darum, dass die ganze Gleichstellung nichts wert ist, wenn es keine ökonomische Gleichstellung gibt und die Frauen für ihr Leben ökonomisch nicht selbst eintreten können. Dazu gehören der Mindestlohn und die Sicherheit, dass eine Frau ihre Familie selbst ernähren kann. Darüber, dass wir davon noch weit entfernt sind, haben meine Vorrednerinnen und mein Vorredner schon gesprochen.

Wir haben in Brandenburg die prekären Arbeitsverhältnisse, wir haben viele Teilzeitverhältnisse, wir haben die Situation, dass gerade die Frauen in Arbeitsverhältnisse mit niedrigen Löhnen und unsicherer Beschäftigung gedrängt werden und dass überdurchschnittlich viele Frauen in gesellschaftlich notwendigen, aber schlecht bezahlten Jobs arbeiten und damit den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder nicht verdienen können. Die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist in Deutschland immer noch nicht durchgesetzt; dazu haben meine Vorredner viel gesagt.

Es gelingt uns meines Erachtens immer noch ungenügend, Mädchen für die Ausbildung in technisch qualifizierten und damit besser bezahlten Berufen zu gewinnen. Wir haben aus dem jährlichen „Girl's day“ den „Zukunftstag“ gemacht. Das war richtig, aber wir dürfen nie vergessen: Es ist der „Girl's day“, wir müssen Frauen in besser bezahlte Berufe bringen und Arbeitsbedingungen schaffen, die Berufstätigkeit und Familie miteinander vereinen. Wir werden über das Maßnahmenpaket sicherlich noch reden, und dann kann ich das sagen, was ich heute nicht mehr sagen kann. - Schönen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ja, auch die Begrenzung der Redezeit gehört zur Gleichberechtigung. - Wir kommen zum Beitrag der Abgeordneten Kaiser; sie spricht für die Linksfraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 100 Jahre Internationaler Frauentag - wir durchmessen ein Jahrhundert, und

Frau Nonnemacher und die Grünen fragen: Wo stehen wir bei der Gleichberechtigung von Frauen im Land Brandenburg? Ich plädiere als Erstes dafür, dass wir diese Fragestellung regelmäßig und öfter auf die Tagesordnung dieses Parlaments setzen. Denn das, was wir hier im Parlament mit 40 % weiblichen Abgeordneten abbilden, ist bei Weitem nicht der Maßstab für die Gleichberechtigung im Land. Die Probleme der Frauen im Land Brandenburg, die der Mädchen in der Kita, die der Schülerinnen, der Studentinnen, die heute Morgen mit ihren dicken Heftern zu Prüfungen fuhren, die der Frauen, die zur Arbeit fahren, die der arbeitslosen Frauen in entwürdigenden HartzIV-Bedarfsgemeinschaften, die der älteren Frauen im Land haben wir heute überhaupt nicht besprochen - jedenfalls nicht in dieser Konkretheit und über alle Fraktionen hinweg. Das ist bedauerlich.

Die Bundesrepublik diskutiert, warum Deutschland die Frauenquote braucht. Das ist bemerkenswert. Allerdings hätte mich gefreut, wenn „Der Spiegel“ getitelt hätte: Was fordern, wollen und brauchen Frauen in der Bundesrepublik? Denn gern vergessen macht man an dieser Stelle, dass es seit 1979 die UNKonvention über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung der Frau gibt. Die Inhalte sozialer, grundrechtlicher Gleichberechtigung werden in der Bundesrepublik eben nicht debattiert, da ist eine Kanzlerin davor - schlimm genug. Ich kann nur sagen: Artikel 16 dieser Konvention und der unselige § 218 im Strafgesetzbuch, den wir seit 1990 nicht streichen können, sind ein Zeichen dafür, dass 100 Jahre Internationaler Frauentag zwar wichtig sind als Kampferfahrung, aber die wirklich wichtigen Fragen - nämlich die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die Gleichheit im Arbeitsleben, gleiche Bezahlung und Schutz vor Gewalt - auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht verwirklicht sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb lassen Sie uns dieses Thema auf die Tagesordnung setzen. Wir 40 % weiblichen Abgeordneten - da bin ich sehr bei Frau Nonnemacher - werden am Ende der Legislaturperiode dafür eingeschätzt werden, was wir partei- und fraktionsübergreifend an politischen Erfolgen für die Frauen im Land Brandenburg abgeliefert haben. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.

(Beifall DIE LINKE)

Zugegeben, Frau Kollegin Vogdt und ich haben beim FrauenNetworking noch Reserven.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Auch die Linke, Frau Kollegin Nonnemacher, ist ausdrücklich für ein Paritätsgesetz, für eine Quote in Parteien und Parlamenten, für Mentoring, für Netzwerke und für die Stärkung der kommunalen hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten. Herr Kollege Holzschuher und Frau Prof. Heppener haben uns geschichtliche Zusammenhänge plastisch gemacht - Clara Zetkin wurde genannt, Rosa Luxemburg füge ich hinzu -, aber Quote ist ja kein Selbstzweck, sondern ein Instrument zur Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeit und sozialer Zusammenhänge für Frauen und Männer; dabei sollten wir bleiben. Dabei geht es dann wieder um Emanzipation im ganzheitlichen Sinn. Natürlich sind die Frauengleichstellung und gleiche Rechte nicht ohne die Veränderung der Lebenswirklichkeit der Männer zu ha

ben, die vor diesem Hintergrund im Übrigen bitte auch humaner, gerechter werden kann.

Da sind wir dann allerdings bei den Verhältnissen, die wir abwerfen wollen. Gemeint sind die Verhältnisse, die Menschen erniedrigen, unterdrücken und demütigen. Damit sind wir wieder bei Marx; das darf ich an der Stelle einfügen. Ich wünsche mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir vor diesem Hintergrund in der Lage sein werden, parteiübergreifend die Fragestellung der Landesregierung zu bewerten, inwiefern diese Verhältnisse für die Gleichstellung der Frauen eine Rolle spielen. Es geht hier um Mindestlohn - beim Vergabegesetz - und um öffentlich finanzierte Beschäftigung, mittels derer wir von entwürdigenden Förderbedingungen, zum Beispiel den EinEuro-Jobs im Rahmen des Hartz-IV-Gesetzes, wegkommen wollen. Wir wollen verlässliche und gut bezahlte Arbeit im Land. Wir wollen ökologische Projekte und Selbsthilfeprojekte stärken. Daseinsvorsorge - professionelle Strukturen stärken und absichern - ist ein Thema dieser Landesregierung. Wir reden über Bildung, über soziale Gerechtigkeit in der Bildung - ja, auch über Schüler-BAföG -, wir reden über Rahmenbedingungen für Studierende in diesem Land und über Fachkräfte, die wir ausbilden, aber dann im Land nicht halten können. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie zu beachten, dass bei all diesen Zielen der brandenburgischen rot-roten Landesregierung „Frau“ drinsteckt, auch wenn nicht überall „Frau“ dransteht.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Lassen Sie uns also die großen bundesweiten Themen Mindestlohn, § 218 und das Hartz-IV-Gesetzessystem, das in meinen Augen verfassungswidrig ist - die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft wirft uns das gesamte Jahrhundert Frauentag zurück, indem Familienstrukturen von ökonomischer Verantwortung abhängig gemacht bzw. nur darauf zurückgeworfen werden; wir stärken damit Abhängigkeit und nicht Emanzipation -, nicht vergessen und unsere landespolitischen Themen weiterhin und öfter debattieren.

Und dann bin ich sehr dafür, liebe Kolleginnen hier in diesem Parlament, dass wir unser Netzwerk, nämlich den brandenburgischen Frauenpolitischen Rat, nutzen, um uns auf ein oder zwei Themen zu einigen, sei es Bildungsgerechtigkeit, sei es bitte schön! - der Mindestlohn. Lassen Sie uns hier gemeinsame Schritte festlegen und am Ende der Legislaturperiode sagen: Das haben die Frauen in diesem Parlament geschafft! Das wäre mein Wunsch.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Frau Nonnemacher - 30 Sekunden? - Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz auf Frau Böhnisch eingehen. Frau Böhnisch, die Grünen, natürlich allein die Grünen sind an der Einführung prekärer Beschäftigungsverhältnisse für Frauen wegen Hartz IV schuld?!

(Frau Lehmann [SPD]: Mit schuld! Ihr duckt euch immer weg!)

Das möchte ich als Legendenbildung zurückweisen.

Sie sagen, die SPD und die Linken kämpfen Seit an Seit für den Mindestlohn.

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE)

Wir Grünen kämpfen auch für den Mindestlohn, wir kämpfen auch gegen den Missbrauch von Zeitarbeit und Leiharbeit; das habe ich hier immer wieder deutlich gemacht.

Herr Minister Baaske, Sie haben darauf hingewiesen, dass es in Brandenburg einiges Gutes gibt; da stimme ich Ihnen völlig zu, gerade in der Kinderbetreuung. Aber wir müssen einfach darauf achten, dass wir weiter vorankommen und das Rad nicht zurückgedreht wird.

Die Frauenanteile sinken, auch in diesem Landtag. 39,6 % Frauenanteil haben wir. In der letzten Wahlperiode waren wir bei 43 %.

Wir müssen bei der Gleichstellung der Frau Fortschritte erzielen und aufpassen, dass wir nicht stehen bleiben oder sogar zurückfallen. - Danke.

(Frau Lehmann [SPD]: Das ist richtig! - Beifall GRÜNE/ B90, SPD und DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, nachdem wir die letzten und längsten 30 Sekunden der heutigen Debatte gehört haben, ist die Rednerliste erschöpft, und ich schließe Tagesordnungspunkt 2.

Ich rufe den neu eingefügten Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erklärung des Ministers der Finanzen zur aktuellen Berichterstattung der Medien zur Sperrung von Fördergeldern aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)

Da wir keine Redezeiten zu diesem Tagesordnungspunkt verabredet haben, erkläre ich ihn kraft meines Amtes zu einem Beratungsgegenstand, sodass Zwischenfragen oder Kurzinterventionen möglich sind; sonst wird das vielleicht zu trocken.